Kolumne von Franziska Iwanow
„Sei du selbst. Alle anderen sind bereits vergeben.“ Ein kurzer, weit verbreiteter Gedanke von Oscar Wilde – so oft gelesen, dass man ihm die Tiefe fast nicht mehr ansieht. Und doch steckt darin ein Wunsch, der heute aktueller ist denn je: der Wunsch, echt, authentisch zu sein.
KI-generierte Inhalte, beschönigte Versionen von uns selbst und anderen in den sozialen Medien, der ständige Versuch, (zu) hohen Erwartungen gerecht zu werden, die Schwierigkeit, überhaupt zu erkennen, wer und was „echt“ ist, verstärken aus meiner Sicht die Sehnsucht nach Authentizität. Viele von uns wollen mehr Wahrhaftigkeit und weniger inszenierte Fassade.
Authentisch sein
Doch was heißt das eigentlich: Authentisch sein? Ein Leben im Einklang mit den eigenen Überzeugungen und Empfindungen. Nicht immer, aber so oft wie möglich:
• Nicht etwas sagen, während man etwas anderes denkt.
• Lächeln, weil man es gerade fühlt und nicht nur, weil es erwartet wird.
• Sich selbst erlauben, sich so zu zeigen, wie man ist, anstatt sich dauerhaft anzupassen oder zu verstellen.
• Gedanken, Werte, Gefühle und Handlungen stimmen überein statt auseinanderzulaufen.
• Innere Wahrheit und äußeres Verhalten decken sich.
Wie immer gibt es auch hierbei einige Missverständnisse, die zu Stolperfallen werden können. Was heißt „Authentisch sein“ nicht?
• Dass man immer alles hundertprozentig transparent von sich zeigen muss.
• Dass man alles sagen und umsetzen muss, was einem durch den Kopf geht.
• Und dass man immer und in allen Rollen gleich ist.
Authentisch leben
Authentisch leben kann durchaus heißen, sich in verschiedenen Rollen anders zu zeigen, nicht alles von sich preiszugeben und in bestimmten Situationen Kompromisse einzugehen. Wichtig ist, sich dabei nicht gegen die eigenen Werte zu verbiegen. Authentizität ist kein Luxus, sondern ein psychologisches Grundbedürfnis.
Echt zu sein, gibt uns Orientierung: Wer bin ich? Was will ich? Wofür stehe ich?
Menschen, die sich selbst treu bleiben, wirken glaubwürdig, fühlen sich lebendiger, haben stabilere Beziehungen und vertrauen sich selbst eher. Echtheit schafft Verbindung – weil sie uns nahbar macht. Sie ist spürbar, ohne dass jemand darüber spricht.
Authentizität, Echtheit, Wahrhaftigkeit – trotzdem häufig so schwierig
Um sich wirklich integer zur eigenen inneren Wahrheit verhalten zu können, muss man sich selbst gut kennen und akzeptieren. Zum anderen muss man die Angst vor Ablehnung und Ausschluss regulieren. Denn wir wollen dazugehören, gemocht werden, möglichst nicht anecken.
Darum haben wir gelernt, uns anzupassen, spontane innere Impulse zu filtern, uns selbst zu kontrollieren und die Erwartungen anderer um der Harmonie willen zu erfüllen. Das macht uns vielleicht gut erzogen und sozial angenehm, aber innerlich erschöpft es uns oft.
Unauthentisch zu sein fühlt sich an, als würde man ein Outfit tragen, das nicht richtig sitzt: Man kann sich darin bewegen, aber bequem ist es nicht unbedingt. Und manchmal fragt man sich irgendwann: „Wem will ich hier eigentlich gefallen? Und warum?“
Authentizität bedeutet immer auch Veränderung und Vielfalt
Wir sind keine statischen Wesen und entwickeln uns ein Leben lang. Wir leben in verschiedenen Rollen. Im Job dürfen wir anders sprechen als beim Abendessen. Wir dürfen uns zurücknehmen oder laut sein, je nach Situation. Und vielleicht sind wir heute ganz anders als vor ein paar Jahren, weil wir uns verändert haben.
Wichtig ist nur: Ich bleibe Ich – unabhängig von der Rolle.
Authentizität heißt nicht, alles ungefiltert auszuplaudern oder immer zu 100 Prozent transparent zu sein. Es bedeutet viel mehr, sich bewusst zu entscheiden, was man zeigt und was nicht. So dass es sich stimmig anfühlt.
Wahrhaftigkeit ist kein Dauerzustand. Es ist ein fortlaufender Prozess, in dem man sich selbst immer wieder zuhört, überprüft und das äußere Verhalten an die innere Wahrheit anpasst, um echt zu bleiben.
Momente der Echtheit und wie man ihr näherkommt
Authentizität zeigt sich oft ganz leise. Man sagt zum Beispiel: „Ich weiß es gerade nicht. Oder man bittet um eine Pause, statt weiter zu funktionieren. Man gibt zu: „Das verletzt mich.“ Und man setzt eine klare Grenze.
Das sind die Momente, in denen Innen und Außen übereinstimmen.
Die Harmonie zwischen Innen und Außen entsteht dann, wenn wir aufhören, uns dafür zu rechtfertigen, wer wir sind. Und uns ehrlich kennenlernen, immer wieder neu:
- Was ist mir wirklich wichtig?
- Wobei verliere ich mich selbst ein bisschen?
- Was kostet mich Kraft? Und warum mache ich es trotzdem?
- Was täte ich, wenn niemand zuschauen würde?
Authentisch sein ist kein perfektes Sein. Es bedeutet nicht, immer alles im Griff zu haben. Authentisch sein bedeutet, ganz Mensch zu sein – mit Stärken, Zweifeln, Widersprüchen.
Echtheit ist der Mut, sich nicht schöner zu machen als man ist, aber auch nicht kleiner.
Und vielleicht genügt manchmal schon ein einziger Satz, um wieder näher bei sich zu landen: „Ich darf so sein.“
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