von Franziska Iwanow
Vor einigen Wochen kam mein 18-jähriger Sohn von einem Besuch aus unserer Lieblingskeramikmalwerkstatt zurück und meinte zu mir: „Mama, ich verstehe überhaupt nicht, warum so viele Frauen ein Problem mit dem Altern haben! Es gibt so viele coole, stylische, ältere Frauen!“ Er wirkte aufrichtig verwundert.
Marianne, die Inhaberin der Keramikwerkstatt, ist eine dieser wunderbaren Frauen, die sich im dritten Akt ihres Lebens befindet und ansteckende Freude ausstrahlt. Mit viel Herz, Humor und Kreativität führt sie ihr kleines Unternehmen und wirkt so selbstbewusst, als wüsste sie durch ihre Lebenserfahrung inzwischen gut, wer sie ist, was sie will und was sie nicht (mehr) will. Ich stimmte meinem Sohn zu. Die Frage „Warum haben so viele ein Problem mit dem Altern?“ hallte in mir nach.
Altern ist ein Prozess, vor dem ich keine Angst haben muss.
Gestern durfte ich im Rahmen der „Woche des bürgerschaftlichen Engagements“ einen Selbstbehauptungskurs durchführen. Die Stadt hatte dazu Seniorinnen eingeladen, die sich ehrenamtlich einbringen. Die Teilnehmerinnen waren zwischen 56 und 87 Jahre alt. Schon nach der Vorstellungsrunde war ich von diesen Frauen schwer beeindruckt. Und am Ende des Kurses fühlte ich mich nicht nur inspiriert und beschwingt, sondern dachte: Wenn Altern SO aussehen kann, freue ich mich sehr darauf! So viele interessante, unterschiedliche Menschen, so viel Erfahrung und gelebtes Wissen, so ein bereichernder Austausch!
Ich kann mit Sicherheit aus dem Stand mindestens ein Dutzend Menschen aufzählen, die 20 oder mehr Jahre älter sind als ich – und mit 41 zähle ich auch nicht mehr zu den Küken. Die mir zeigen, dass Altern ein Prozess ist, vor dem ich keine Angst haben muss. Und trotzdem lösen die Anzeichen dieses Prozesses ehrlicherweise nicht gerade Begeisterungsstürme aus. Noch nicht einmal sonderlich große Gelassenheit.
Gedanken, Fragen, die mit dem Altern einhergehen …
Gefühlt täglich mehr graue Haare und Falten. Die nachlassende Spannung der Haut. Die Tatsache, dass Schoko-Genuss-Kilos, die das Wohlfühlgewicht übersteigen, nicht mehr einfach von allein wieder verschwinden. Häufiger werdende Knie- oder Rückenschmerzen. Das Abenteuer der Wechseljahre als zweite Pubertät. Die Aussicht darauf, dass meine Kinder in den nächsten Monaten und Jahren nach und nach ausziehen. Die Notwendigkeit, sich mit Vorsorgevollmachten, Patientenverfügungen und finanzieller Versorgung im Rentenalter zu beschäftigen. Angst vor Demenz oder anderen folgenreichen Erkrankungen. Gespräche mit Eltern und Großeltern über ihre Wünsche, sollten sie sich nicht mehr selbst versorgen können. Die Hoffnung, mit meinem Partner zusammen zu altern und die Befürchtung, dass einer von uns den anderen zu früh allein zurücklässt.
Ich wäre gerne vollkommen unbeeindruckt von der Vergänglichkeit und dem seltsamen Jugendwahn unserer Gesellschaft. „In Würde altern“ – das habe ich mir versprochen. Aber wie kann dieses Altern in Würde aussehen? Und ab wann ist man denn überhaupt alt?
Als Teenie kamen mir ja schon Menschen Mitte 30 wie Scheintote vor. Heute höre ich 70-Jährige über „die Alten“ sprechen, zu denen sie sich noch lange nicht zählen. Die Oma einer Freundin sagte mit stolzen 94 vor kurzem: „Jetzt werde ich doch langsam alt.“ Stimmt der Spruch „Man ist so alt, wie man sich fühlt“?
Frage: Ab wann ist man alt?
Letztlich ist es ein vollkommen subjektives Empfinden, (ab) wann sich ein Mensch alt fühlt. Manche machen es an körperlichen Veränderungen fest. Entweder an den äußeren, sichtbaren Merkmalen, an der nachlassenden körperlichen Leistungsfähigkeit oder an gesundheitlichen Erscheinungen, die das Gefühl verstärken, nicht mehr in der Blüte des Lebens zu stehen.
Andere orientieren sich mehr an sozialen und kulturellen Einflüssen, zum Beispiel an den Erwartungen des gesellschaftlichen Umfeldes, wie man sich in einem bestimmten Alter zu verhalten habe. Manchmal bestimmen Meilensteine den Moment, in dem der Gedanke kommt: „Jetzt gehöre ich nicht mehr zur Jugend.“ Zum Beispiel, wenn man den Berufsalltag hinter sich lässt, wenn Kinder erwachsen werden, ihrer Wege gehen oder man in die Rolle von Großeltern schlüpft.
Ist wirklich nur die Jugend das Erstrebenswerte?
Altern ist also durchaus mit Verlust und Loslassen verbunden. Die Ängste vor körperlichem oder geistigem Abbau, vor Altersarmut, dem Verlust der eigenen Selbstständigkeit oder vor Einsamkeit sind oft begründet, und gleichzeitig ist dieser Blick nur eine Seite der Medaille.
Gesellschaftlich gesehen wirkt es mehrheitlich so, als wäre die Jugend das Erstrebenswerte und die zweite Hälfte des Lebens der Teil, den man hinnehmen muss. Dabei höre ich zumindest in meinem Umfeld von Gleichaltrigen zuverlässig im Brustton der Überzeugung: „Auf gar keinen Fall würde ich tauschen und wieder 20 sein wollen!“
Mit zunehmender Lebenserfahrung kommt die Erkenntnis, dass es schon irgendwie weitergeht.
Der Prozess des Alterns, vor allem der 3. Akt (die Zeit ab 60), birgt ein faszinierendes Potential. Man hat ja inzwischen schon ein ganzes Weilchen mit sich selbst verbracht, hatte Zeit, sich kennenzulernen und gewinnt häufig eine gewisse Gelassenheit, weil die ein oder andere Unsicherheit der Jugend nachlässt. Die Lebenserfahrung (inklusive aller vermeintlichen Fehltritte und fragwürdigen Entscheidungen) bringt die Gewissheit, dass es schon irgendwie weitergeht. Dass sich die Welt auch dann weiterdreht, wenn man einmal nicht die beste Version seiner selbst präsentieren konnte.
Der Druck, das Beste zu geben, um erfolgreich zu sein, gut anzukommen und zu „performen“, lässt nach, wenn man im Laufe des Lebens die richtigen Menschen um sich herum gesammelt, Krisen gemeistert hat und auf Erreichtes zurücksehen kann. Weisheit, die aus Erfahrung besteht, hat in der Regel eine herrliche Gelassenheit im Gepäck. Vielleicht konnte man auch verinnerlichen, dass an manchen Punkten im Leben nur Geduld, Humor und Vertrauen helfen.
Die Verpflichtungen der mittleren Jahre (beruflich, familiär, gesellschaftlich) treten in den Hintergrund und machen einen neuen Raum auf. Im Idealfall bringt das Alter die Freiheit, das loszulassen, was nicht mehr passt, und sich auf das zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist. Weniger Pflichten, mehr Platz für freie Entscheidungen und Freude, die nicht unbedingt produktiv sein muss.
In Würde altern, eine Versöhnung mit dem Alterungsprozess
In Würde altern – für mich bedeutet das in erster Linie eine Versöhnung mit dem Alterungsprozess. Kein Kampf dagegen, sondern ein Anerkennen, dass diese Reise ein natürlicher Teil des Lebens ist. Das bewusste Erkennen der freudvollen Seiten, neuen Chancen und potenziellen Geschenke.
Worauf kann ich mich freuen, was habe ich noch vor, was gibt es zu ernten? Dazu gehört für mich auch, mich jetzt schon vorzubereiten statt dem scheinbar Unvermeidlichen mit gesenktem Kopf entgegenzuwarten.
Wie kann ich meine körperliche Gesundheit unterstützen? Was kann ich dafür tun, um geistig fit zu bleiben? Welche Beziehungen möchte ich pflegen, welche sozialen Kontakte und Aktivitäten halten mich fit und fröhlich? Was gibt meinem Leben Sinn und was möchte ich ausbauen, wenn die Verpflichtungen weniger werden und mir mehr Zeit und Flexibilität schenken?
Spätestens jeder runde Geburtstag lädt zu einer Bestandsaufnahme ein: Lebe ich das Leben, das zu mir passt? Verfolge ich das, was mir wichtig ist? Fehlt mir etwas? Gibt es etwas, das ich ändern möchte?
Lernen von Menschen, die das Leben schon länger kennen
Die Seniorinnen in meinem Workshop waren übrigens auch deshalb so beeindruckend, weil sie sich ihren Alterserscheinungen nicht untergeordnet haben. Eine hat sich auf ihren Gehstock gestützt, ein paar hatten Hörgeräte. Es gab diverse Bandscheibenvorfälle. Eine ausgiebige Kaffee-und Kuchenpause nach 90 Minuten war nicht nur willkommen, sondern auch nötig.
In ihrem individuellen Tempo und nach ihren Möglichkeiten üben diese Frauen ihre verschiedenen Ehrenämter aus. Sie unterstützen sich gegenseitig, pflegen ihre Hobbys und Leidenschaften und machen ihr Leben aus eigenem Antrieb lebenswert.
Einige von ihnen haben Familie, viele sind alleinstehend oder verwitwet. Manche haben ein erfolgreiches Berufsleben hinter sich, andere konnten oder wollten sich nicht auf die Karriere konzentrieren. Manche haben Geld, andere müssen mit extrem wenig auskommen.
Allen sieht man ihr Alter an und das, was ich an mir mit wenig Begeisterung entdecke, finde ich an ihnen ganz wunderbar: Die weißen Haare sehen fantastisch aus und die Falten zeugen von einem Leben voller Erfahrungen und Emotionen.
„Vielleicht wandere ich noch aus.“
Das was sie gemeinsam haben, ist die Offenheit, sich auf etwas Neues einzulassen, die Neugier, die sie sich bewahrt haben, die Hilfsbereitschaft und der Wunsch, sich einzubringen. Dazu gehören auch die Eigenverantwortung, ihr Leben zu gestalten und die Akzeptanz, dass Altern (im besten Fall) zum Leben gehört. Eine 86-jährige Dame meinte in der Pause zu mir: „Vielleicht wandere ich noch aus. Meine Tochter ist vor kurzem nach Dänemark gezogen. Ich lerne auf jeden Fall schon seit ein paar Monaten dänisch.“
Mein Fazit ist daher: Manchmal ist Altern eine Zumutung. Manchmal ist Altern ein großer Spaß. Aber immer ist Altern die Alternative zum Jung-Sterben. Nehmen wir das Geschenk so oft wie möglich bewusst an. 🙂
Franziska Iwanow
… lebt mit ihrem Mann, 4 Kindern und einem Familienhund in Regensburg.
Seit 2009 arbeitet sie in eigener Praxis als Systemische Beraterin und Entspannungspädagogin. Sie leitet Familienaufstellungen und veröffentlicht seit 2020 zusammen mit ihrer Freundin Sophie den Podcast Mutmachgespräche.
Franziska liebt Theater, Opernbesuche, Konzerte, lange Spaziergänge an der Donau und ist immer gespannt auf Lebensgeschichten, die Mut und Zuversicht wecken. „Etwas zu good news for you beitragen zu dürfen, ist mir eine große Freude!“
Zum Nachhören! https://franziska-iwanow.com/podcast-mutmachgespraeche/
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