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"Bin ich gut genug?"

Der Vergleich ist nicht das Problem

Der Vergleich mit anderen kann einen richtig fertig machen. Und oft kommt noch die Scham dazu. Doch es gibt auch Vergleiche, die weiterbringen. Franziska Iwanow hilft, den Blick zu klären, so dass man wieder besser mit sich klarkommt.

Ein Beitrag zu UN-Ziel:

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von Franziska Iwanow

Tauben auf einer Stromleitung: Alle sind grau, nur in der Mitte sitzt als einzige eine weiße Taube.

Vergangene Woche erzählte mir eine liebe Klientin, dass sie sich wieder einmal mit lästigen Gedanken selbst auf die Nerven geht. Mit Gedanken, die sie am liebsten ausradieren würde, weil sie weiß, dass der Inhalt Blödsinn ist. Gedanken, die auf Knopfdruck schlechte Laune machen. Und die sich trotzdem zuverlässig Jahr für Jahr in ihr Sommerhirn schleichen: „Mein Körper ist nicht freibadtauglich.“ Kennt wahrscheinlich nahezu jede*r: Immer dieser Vergleich mit imaginären anderen, der einen überfallsmäßig anspringt.

Sie weiß es besser. Falls es so etwas wie „Freibadtauglichkeit“ gibt, dann sind Figur und Optik ganz sicher keine Kriterien. Höchstens Gesundheit, Barrierefreiheit oder Sicherheit. Sie ist eine aufgeklärte, junge Frau, die sich mit Selbstakzeptanz beschäftigt. Sie weiß, dass von außen konstruierte Schönheitsideale kein Maßstab sein sollten. Dass Instagram keine reale Messlatte ist. Dass Selbstliebe eher zum Glück führt als Abwertung. Sie schätzt Vielfalt und trotzdem läuft die Gedankenspirale: „Ich bin nicht schlank, kurvig, muskulös, groß, klein, braun, weiß, unbehaart … genug. Ich habe zu viel davon und zu wenig hiervon. Ich muss erst noch …“

Sie ist noch gar nicht im Freibad, sondern Zuhause, vergleicht sich im Kopfkino und spürt schon die Scham. Und weil sie so reflektiert ist und merkt, dass sie sich einmal wieder mit anderen vergleicht, schämt sie sich nicht nur für ihren Körper, der angeblich nicht gut genug ist. Sie schämt sich zusätzlich dafür, dass sie sich vergleicht. Dass ihr Kopf es nicht lassen kann, sich mit anderen zu messen. Dass sie nicht drübersteht, nicht „weiter“ ist, mitspielt im Konkurrenzkampf.

 

Der Vergleich: Fast immer das gleiche Schema


Es läuft immer gleich ab: vergleichen > abwerten > Scham > sich selbst verurteilen > noch mehr Scham und Ärger. Als gäbe es Bonuspunkte für besonders viele innere Vorwürfe.

Ich unterstelle, dass das dir – liebe Leserin, lieber Leser – nicht völlig unbekannt ist. Wir vergleichen uns ständig. Ob wir wollen oder nicht. Willkommen im Club! Oft gehen wir dabei unbewusst so vor, dass Unzufriedenheit das Ergebnis ist:

  • Wir sind durchschnittlich sportlich, vergleichen uns aber mit Triathlet*innen.
  • Wir verdienen gut, aber nicht so gut wie die Bekannte mit C-Level-Job.
  • Klug sind wir auch – aber hey, da gibt’s doch diese eine Person, die mit 16 promoviert hat …

 

Und dann sind da noch die Sozialen Medien, das digitale Brennglas für Inszenierung und gefiltertes Leben. Ja, wir wissen, dass dort das meiste gestellt ist. Trotzdem bleibt das Bild vom perfekten Pärchen-Urlaub in Island hängen. Oder der Bikini-Body mit Palmen im Hintergrund. Und das Selfie mit der Caption: „Just woke up like this.“ Klar, jede*r hat früh beim ersten Weckerklingeln den perfekten Glow und riecht aus dem Mund nach Rosen.

Schon als Kinder vergleichen wir uns und werden verglichen: „Du bist größer als ich.“ „Ich kann schneller rennen als du.“ „Dein Bruder ist besser in Mathe.“ „Emma konnte schon mit 9 Monaten laufen.“ Wir kommen nicht aus, die Vergleicherei klebt an uns.

 

Dauernd vergleichen: Warum machen wir das überhaupt?

Tatsächlich ist das schlichte Vergleichen gar kein Problem. Unser Gehirn macht einfach seinen Job. Es nimmt wahr, ordnet ein, stellt in Relation. Vergleichen hilft beim Einordnen von Informationen. Vergleichen ist keine Schwäche. Es hilft, sich in der Welt zu orientieren, uns in all der Komplexität zu verorten und im Leben zu bestehen.

Und dabei könnte es doch einfach auch anders sein.

Das Problem ist nicht der Vergleich! Es ist die Schlussfolgerung daraus. Wir züchten Unzufriedenheit, Minderwertigkeitskomplexe und Missgunst, wenn wir ausschließlich mit einem Defizitblick vergleichen. Wenn wir nur den Makel sehen und schlussfolgern: „Ich bin nicht gut genug. Ich bin nicht wertvoll.“

Es wird destruktiv, wenn unsere Unterschiede nicht mehr neutral oder eine Bereicherung sind, sondern wenn wir glauben, es gibt nur die eine richtige Version und jede Abweichung sei minderwertig. Wenn wir glauben, Emma sei mehr wert, weil sie mit 9 Monaten laufen konnte, als Johann, der mit 18 Monaten seine ersten Schritte machte. Wenn wir glauben, ein Mensch, der gut in Mathe ist, sei besser als einer, der Fähigkeiten in der Kunst findet. Oder ein C-Körbchen sei mehr wert (freibadtauglicher) als ein A-Körbchen.

 

Nicht jeder Vergleich ist destruktiv

In anderen Bereichen würden wir kaum auf die Idee kommen, einen Vergleich mit dieser Form von Wertung zu verknüpfen. Eine Rose ist schön, eine Tulpe auch. Ebenso wie ein Veilchen oder eine Margarite. Daraus machen wir selten: Die Tulpe ist am besten, sie ist am meisten wert und sollte der Maßstab für alle anderen Blumen sein. Klingt absurd, oder?

Auch Blumen vergleichen wir. Vielleicht mögen wir Farbe, Form und Duft der einen mehr als der anderen. Aber wir kommen nicht auf die Idee, deswegen weniger Wert zu unterstellen

 

Deswegen noch einmal: Vergleichen ist beim Menschen völlig natürlich und an sich kein Problem. Weder sind wir dazu in der Lage, das Vergleichen zu unterlassen, noch ist es nötig. Aber wir können anders damit umgehen!

 

Wie wir gesünder vergleichen

Zunächst können wir einen positiven Blick auf das Vergleichen an sich wagen: Ein Vergleich ohne automatische Abwertung kann Orientierung geben und dabei helfen, ein Gefühl dafür zu bekommen, wo man steht. Vergleichen kann bei der Selbstreflexion helfen: Was willst du wirklich und was passt vielleicht gar nicht zu dir? Vergleiche können motivieren, neue Perspektiven eröffnen und zeigen, was wir von anderen lernen können.

Ein konstruktiver (!) Vergleich setzt Entwicklungsprozesse in Gang, indem er sichtbar macht, wo wir uns Veränderung wünschen. Dazu ist es allerdings nötig, sich zum einen realistisch zu vergleichen und zum anderen die Schlussfolgerung „Ich bin nicht gut genug“ immer wieder zu hinterfragen. Wenn du merkst, dass du dich gerade vergleichst: Nicht schimpfen! Lieber beobachten: Was hat den Gedanken ausgelöst? Was macht er mit dir? Und vor allem: Was schlussfolgerst du?

Wähle eine realistische Bezugsgröße: Häufig vergleichen wir nur nach oben. Dabei wird es immer Menschen geben, die intelligenter, sportlicher, beliebter, erfolgreicher … als du sind. Und es wird immer andere geben, die zu dir aufschauen. Dabei geht es überhaupt nicht darum, wer besser oder schlechter ist, sondern um eine realistische Einordnung, wo du stehst und wie du dich siehst.

 

Oft hilft ein Vergleich für die eigene Weiterentwicklung

Frag dich, ob du dich in Punkten vergleichst, die veränderbar sind und in denen du dich weiterentwickeln kannst. Was verraten sie dir über deine Bedürfnisse und Ziele? Wenn du dich zum Beispiel mit anderen misst, die beruflich erfolgreicher sind, könntest du überprüfen, ob dieser Erfolg etwas ist, nach dem du dich sehnst. Wenn ja, welche Schritte, hin zu diesem Ziel, sind sinnvoll und machbar? Vielleicht ist dir der Erfolg aber auch gar nicht so wichtig, sondern du entdeckst die tieferliegende Überzeugung, dass du nur mit mehr Erfolg geliebt wirst. Auch ein Gedanke, der sich zu überprüfen lohnt.

Oder vergleichst du dich in Sachen, die unveränderbar sind? Körpergröße, Hautfarbe, Herkunft, ob du Sommersprossen hast oder nicht …? Das sind Fakten, auf die niemand von uns einen Einfluss hat, egal, wie sehr man sich anstrengt. Sich dafür abzuwerten oder zu verurteilen, ist unfair und sinnfrei.

In diesen Punkten könntest du üben, Realitäten anzuerkennen, ohne sie als Mangel zu betrachten. Deswegen brauchst du die jeweiligen Ausprägungen bei dir nicht unbedingt toll finden Ein Klassiker: Glatthaarige finden Locken schöner. Menschen mit Locken wünschten sich pflegeleichtere, glatte Haare. Akzeptieren reicht, Begeisterung ist nicht notwendig.

Wenn dich Vergleiche (in veränderbaren Punkten!) anspornen und motivieren, kannst du ausprobieren, überhöhte Ansprüche auszutauschen gegen den Blickwinkel „Wo bist du im Vergleich zu deinem früheren Ich gewachsen? Was hat sich entwickelt, was hast du gelernt und geschafft? Und wo möchtest du noch hin?“. Das ist fairer als sich mit Menschen zu vergleichen, die eine andere Geschichte, andere Erfahrungen, andere Voraussetzungen haben als du.

Fazit

Vergleiche sind menschlich. Nicht selten sind sie nützlich als Anstoß, um klarer zu sehen, was uns wirklich wichtig ist.

Im Falle meiner Klientin ist das Ziel also nicht, sich und ihren Körper ab jetzt nie wieder zu vergleichen, sondern zu akzeptieren, dass diese Vergleiche auftauchen. Und dann erstens die Schlussfolgerung „Ich bin nicht gut genug“ in Frage zu stellen, und dabei zweitens so lieb wie irgendmöglich zu sich selbst zu sein.

Manchmal reicht schon ein kleiner Perspektivwechsel, um sich daran zu erinnern:

Du bist kein ungenügendes Exemplar Mensch.
Du bist kein Zwischenschritt auf dem Weg zur Idealversion.
Du bist Du und genau jetzt lebens- und liebenswert.

 

Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt.

 

Podcast-Empfehlung!

Sehr zu empfehlen sind auch die Mutmachgespräche von Franziska: „Geschichten vom Leben und anderen Katastrophen“. Zu Gast bei ihr sind Menschen, die von kleinen und großen Krisen in ihrem Leben berichten und erzählen, was ihnen die Kraft für positive Veränderungen gegeben hat. Unter inzwischen 150 Folgen ist bestimmt die eine oder andere Episode dabei, die man vielleicht gerade selbst gut gebrauchen kann. Hier geht’s zum Stöbern: https://www.podcast.de/podcast/828952/mutmachgespraeche

 

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