von Franziska Iwanow
Lena kam vor lauter Alltagsfülle nicht zum Einkaufen. Aus den kläglichen Resten, die ihre Küchenschränke noch hergeben, zaubert sie jetzt etwas Essbares, das nicht nur sättigt, sondern auch überraschend lecker schmeckt.
Simeon hat endlich ein neues WG-Zimmer gefunden. Es ist sehr gemütlich, aber deutlich kleiner als sein letztes, so dass er seine Möbel ganz neu anordnet, um alles stilvoll einzurichten.
Micha muss zähneknirschend anerkennen, dass ihm die dicken Regentropfen einen Strich durch seine Ausflugspläne machen. Um seinen Kindern anderweitig einen spaßigen Ferientag zu bereiten, beginnt er, aus Kissen und Decken eine Höhle für ein Wohnzimmerpicknick zu bauen.
Elifs wichtigstes Arbeitsgerät ist beschädigt. Da das nötige Ersatzteil erst in 3 Tagen geliefert wird, packt sie all ihre MacGyver-Fähigkeiten aus, um eine Übergangslösung zu basteln.
Kreativität ist, wenn dir etwas einfällt
Was haben Lena, Simeon, Micha und Elif gemeinsam? Sie setzen ihre Kreativität ein, um Lösungen für anstehende Herausforderungen zu finden. Möglicherweise erkennen sie noch nicht einmal, dass sie in diesen Momenten kreativ sind.
Warum halten sich so viele Menschen für unkreativ?
Fragt man Menschen, ob sie kreativ sind, kommen oft zögerliche oder ablehnende Antworten: „Nein, ich kann nicht malen.“ „Basteln liegt mir nicht so.“ „Ich bin eher ein Kopfmensch, kein Künstler.“ „Mir fallen nie ausgewöhnliche oder besonders originelle Ideen ein.“
Viele verbinden Kreativität ausschließlich mit Kunst – mit Malerei, Musik, Literatur, Bildhauerei oder Design. Sie haben die ganz großen Künstler*innen vor Augen und fühlen sich daneben schrecklich unbegabt. Andere verknüpfen Kreativität zwingend mit Genialität und bahnbrechenden Erfindungen. Als wäre Kreativität nur etwas für außergewöhnliche Talente und Genies.
Vielleicht denkst auch du, dass Kreativität ein angeborenes Talent ist: „Das hat man oder eben nicht.“ (Stimmt nicht!) Möglicherweise glaubst du, dass Kreativität immer viel Raum, Zeit und Inspiration braucht, um sich zu entfalten und sich nicht mit strukturierter, geordneter Rationalität verträgt (auch ein Irrglaube). Oder du bist überzeugt davon, dass sich Kreativität stets in etwas Sichtbarem äußern muss. Wer kein Bild malt, kein Gedicht schreibt oder keine außergewöhnliche Geschäftsidee hat, hält sich für unkreativ.
Dabei zeigt sich Kreativität nicht nur in sichtbaren, neu geschaffenen Ergebnissen, sondern auch in kleinen Alltagsentscheidungen, im Improvisieren und im Lösen von Problemen.
Warum wir uns oft schwer tun, an unsere Fähigkeiten zu glauben
Zu den verbreiteten Missverständnissen kommen häufig tieferliegende, hemmende Prägungen hinzu. Wer in der Kindheit und Jugend wiederholt erlebt hat, dass die eigenen kreativen Versuche belächelt, kritisiert oder abgewertet wurden – „Das sieht doch nicht aus wie ein Hund?! Streng dich mehr an!“ – oder zu hören bekam, dass die eigenen Ideen nichts taugen, verlor vermutlich schnell die Lust am kreativen Denken und Tun. Auch unser Schulsystem legt oft mehr Wert auf richtige, reproduzierbare Antworten. Eine dürftige Fehlerkultur, Leistungsdruck und Perfektionismus – „Jede kreative Idee muss sofort gut sein.“ – bis weit ins Erwachsenenalter führen letztendlich dazu, dass viele Menschen glauben, sie seien einfach nicht kreativ.
Das ist so schade wie falsch. Kreativität ist keine seltene Gabe und kein Produkt, das richtig oder gut sein muss. Sie ist eine natürliche Fähigkeit, die in jedem Menschen steckt. Wir haben sie nur verlernt oder falsch definiert. Die gute Nachricht ist, dass wir sie mit ein bisschen Übung jederzeit wieder wecken und wie einen Muskel trainieren können.
Wo zeigt sich Kreativität in deinem Alltag?
Kreativität steckt in vielen Situationen, die wir oft gar nicht als kreativ wahrnehmen. Sie zeigt sich in der Gestaltung eines Gartens, im Dekorieren der Wohnung, beim Kochen, in der Tagesplanung oder wenn wir uns ein besonderes Geschenk für einen lieben Menschen überlegen. Wir können sie entdecken im Umgang mit Kindern, die plötzlich eine neue Spielidee oder Antworten auf tausend Warum-Fragen brauchen.
Manche werden im Job kreativ beim spontanen Improvisieren, wenn in einem Meeting die Technik ausfällt, wenn es um die Analyse komplexer Daten oder das Schlichten zwischenmenschlicher Konflikte geht. Andere toben sich kreativ bei der Erstellung von Memes aus, dem Gebrauch von passenden Emojis oder dem Zusammenstellen eines abwechslungsreichen Workouts.
Der eine oder die andere wird besonders dann kreativ, wenn es darum geht, sich den Alltag so unkompliziert und bequem wie möglich zu gestalten. Sogar Notlügen und Ausreden erfordern eine gewisse Kreativität.
Diese Art von Alltagskreativität nutzen wir alle, wenn auch vielleicht unbemerkt.
Außerdem gibt es natürlich noch den riesigen Bereich der „anerkannten“ Kreativität, also der oben schon genannten künstlerischen Gestaltungsprozesse.
Warum ist Kreativität so wichtig?
Alle, die ihre Kreativität ganz bewusst in schöpferischem Gestalten ausleben, kennen den Spaß daran, etwas Neues entstehen zu lassen und dabei dem eigenen inneren Erleben Ausdruck zu verleihen. Selbst wenn man mit dem Endergebnis nicht zufrieden sein sollte, ermöglicht das Erleben des kreativen Prozesses einen Flow-Zustand.
Kreativität ist die Einladung für einen Wechsel der Perspektive: weg vom perfektionistischen Leistungsdruck hin zu einem neugierigen, unkonventionellen, innovativen Blickwinkel.
Sie meint nicht nur das Geschick, originelle und sinnvolle Ideen zu entwickeln, sondern auch die Fähigkeit, neue Verbindungen herzustellen, Probleme anders zu betrachten und Routinen spontan zu verändern. Und sie macht uns resilienter: Wer kreativ denkt, findet leichter alternative Wege, wenn etwas nicht nach Plan läuft.
Lerne dich mit deiner Kreativität neu kennen
Wenn Kreativität also in uns allen steckt und sie das Leben bunter und lebendiger macht: Wie können wir unseren Kreativitätsmuskel trainieren?
Es gibt zahlreiche gute Bücher mit Übungen. Und wenn du einmal angefangen hast, deine Kreativität freizulegen, werden dir ganz von selbst immer mehr Ideen kommen.
Hier sind 12 Übungen zum Einsteigen:
- Das „Was-wäre-wenn“-Spiel: Stelle dir verrückte Fragen. Was würdest du tun, wenn du einen Tag lang unsichtbar sein könntest?
- Alternatives Ende: Denke dir für eine Szene aus einer Geschichte, einem Zeitungsartikel oder einem Film ein Ende aus, das völlig anders ist als im Original.
- Überlege dir bei einem beliebigen Passanten, dem du begegnest, woher dieser Mensch gerade kommt, wohin er geht, was ihn beschäftigt oder auf welcher Mission er unterwegs ist.
- Lasse dir mindestens 5 neue Verwendungszwecke für einen gewöhnlichen Alltagsgegenstand einfallen.
- Zeichne ein Tier, das es nicht gibt.
- Drucke dir ein Blatt mit 20 gleich großen Kreisen aus und gestalte jeden Kreis unterschiedlich (Smiley, Pizza, Uhr, Teller, …)
- Lass dir von einer anderen Person drei zufällige Worte nennen und baue daraus eine kurze Geschichte.
- Bilde Sätze mit den Buchstaben der Nummernschilder, die dir heute begegnen.
- Sammle in Mindmap-Form so viele Worte wie möglich zu willkürlichen Begriffen: von leicht wie „Urlaub“ bis schwer wie „Schnürsenkel“.
- Stelle ein Gericht zusammen aus Zutaten einer Farbe.
- Wähle bewusst eine andere Strecke für deine alltäglichen Wege.
- Durchbrich deine Routinen und mache einen Tag lang so viel wie möglich mit deiner nicht-dominanten Hand. Alles, was unser Gehirn durch neu verknüpfte Verbindungen herausfordert, kann kreative Prozesse anstoßen.
Falls dir diese Übungen beim ersten Durchlesen schwer vorkommen – das wird mit Üben immer leichter, versprochen! Niemand ist wirklich unkreativ, manche haben ihre Kreativität beim Erwachsenwerden nur vergessen. Je länger du deine Kreativität trainierst, umso leichter ist sie dir in allen Lebenslagen zugänglich.
Ich wünsche dir ganz viel Spaß beim Ausprobieren!
Podcast-Empfehlung!
Sehr zu empfehlen sind auch die Mutmachgespräche von Franziska: „Geschichten vom Leben und anderen Katastrophen“. Zu Gast bei ihr sind Menschen, die von kleinen und großen Krisen in ihrem Leben berichten und erzählen, was ihnen die Kraft für positive Veränderungen gegeben hat. Unter inzwischen 150 Folgen ist bestimmt die eine oder andere Episode dabei, die man vielleicht gerade selbst gut gebrauchen kann. Hier geht’s zum Stöbern: https://franziska-iwanow.com/podcast-mutmachgespraeche/
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Eine Antwort
Genial, die 12 Kreativitätstipps !!👏 ich glaub alle machen viel Spaß!
Sehr kreativ!!😉
Danke!