von Isolde Hilt
Liest man vorab die kurze Beschreibung des Inhalts, läuft in westlichen Köpfen erst einmal ein anderer Film an. Eine Frau und drei Ehemänner? Doch bereits der Beginn der Erzählung von Shambhala macht deutlich, dass sich hier eine andere Geschichte entfaltet und Polyandrie – Vielmännerei – Ausdruck gelebter Verantwortung und weniger vermeintlicher Vergnügungen ist. Pema, die Protagonistin, lebt mit ihrer neuen Familie, in die sie hineingeheiratet hat, weit abgeschieden in der höchstgelegenen Siedlung der Welt im nepalesischen Himalaya. Eine der letzten Orte, in der es die alte Tradition der Polyandrie noch gibt. Tashi, Pemas erster Ehemann, bricht zu einer Handelsreise nach Lhasa auf, von der er nicht zurückkehrt. Zugleich geht das Gerücht um, dass das Kind, das die junge Frau erwartet, von einem fremden Mann ist. Pema bricht auf, in die unwirtliche Wildnis, um nach Tashi zu suchen. Und findet am Ende … sich selbst.
Shambhala ist in mehrfacher Hinsicht besonders. Als erster Film aus Nepal lief er im Wettbewerb der Berlinale und startete am 21. November in den deutschen Kinos.
In einem Interview erzählt Regisseur Min Bahadur Bham, dass seine früheren Filme Bansulli (2012) und Kalo Pothi (2015) für seine neue Produktion Vorbereitung und Grundlage zugleich waren. Sie hätten ihn u. a. befähigt, die Kraft der Stille tiefer zu verstehen und ein feineres Gespür für emotionale Nuancen zu entwickeln: „Ich kam in Kontakt mit dieser Bevölkerungsgruppe, habe ihre Seele, ihre Resilienz gespürt.“
Enorme Herausforderungen bei den Dreharbeiten zu Shambhala
Auf einer Höhenlage zwischen 4.200 und 6.000 Meter zu drehen, wo die Luft dünn ist und die Leistungsfähigkeit spürbar sinkt, ist an sich schon eine Meisterleistung. Doch das war nicht die einzige Herausforderung. Es fühlte sich an, so Min Bahadur Bham, als würde man auf dem Mond mit einer Kamera zu kämpfen haben. Nicht nur jeder Atemzug fällt schwer, auch das Wetter schwenkt in dieser Region blitzartig um: „Aus Sonnenschein wurde plötzlich Sturm. … Der Wind drohte, das Zelt, in dem unsere Crew untergebracht war, zu zerstören. Heftiger Schneefall begrub fast unsere Ausrüstung.“ Doch all die Strapazen haben sich gelohnt. Selten wurde die majestätische Größe des höchsten Gebirges der Welt so beeindruckend eingefangen. Es bot Thinley Lhamo in der Rolle der Pema eine Kulisse, die sie – unerschütterlich, allen noch so hohen Widrigkeiten trotzend – als eine starke Frau zeichnet.
Zweieinhalb Stunden in einer vollkommen anderen Welt
Es ist gut, dass Shambhala so lange dauert, die Geschichte – unserem Empfinden nach – in Slow Motion erzählt wird. Diese Zeit braucht man, bevor man sich von seinem mitgebrachten Tempo oder den Vergleichen zwischen der Lebensweise dort, im 6.500 Kilometer entfernten Himalaya-Staat, und seinem eigenen Alltag verabschiedet. Die Spannung des Films liegt in der Langsamkeit, bei der man nie weiß, wohin der nächste Schritt gesetzt wird. Wo jeder Gesichtsausdruck, jede Geste noch einmal anders, intensiv wirkt, weil da sonst nahezu nichts ist. In diesem Teil der Welt, in der dir dein Umfeld alles abverlangt, um zu überleben, lässt sich schwer schauspielern. So bestätigt Regisseur Min Bahadur Bham, dass es eine bewusste Entscheidung gewesen sei, überwiegend mit einem Laien-Cast zu arbeiten: „Wir haben Menschen gesucht, die Emotionen ungeschliffen und authentisch ausdrücken können.“ Man habe mit ihnen auf Legenden und persönliche Erlebnisse zurückgegriffen, um die Filmfiguren gemeinsam zu erarbeiten. Diese Authentizität sei das Lebenselexir für den Film gewesen.
Shambhala: Wie geht die Geschichte aus?
Stark, befreit. Mehr sei hier nicht verraten. Shambhala wirkt lange nach. Lässt einen in gewisser Weise verwundert und zur Ruhe gekommen zurück. Ein Film genau zur richtigen Zeit, bei all dem Ungewissen, Lauten und Verunsichernden in unserer Welt. Auch wenn mit großer Wahrscheinlichkeit von uns kaum jemand an diesem abgeschiedenen Ort leben könnte und wollte, hält uns der Film von Min Bahadur Bham doch in vielem den Spiegel vor. Die Menschen dort nehmen sich wahr, beziehen sich anders aufeinander, denn außer ihnen und den Tieren gibt es kaum Ablenkung – nichts Digitales, das dir andere Welten zeigt oder vorgaukelt. Gefühle ausdrücken fällt auch ihnen nicht leicht, doch das wird offensichtlich durch die Stille, die alles sagt.
Shambhala wirft, wenn man sich darauf einlassen mag, Fragen nach der eigenen Existenz auf und weckt die Sehnsucht nach sich selbst.
Weitere Infos zum Film: https://www.mfa-film.de/kino/id/shambhala/
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