von Isolde Hilt
Viele schlingern in diesen Tagen. Soll ich überhaupt wählen? Und wen? Die Unsicherheit, gepaart mit der vielleicht größten Politikmüdigkeit seit Bestehen der Bundesrepublik und einem politisch überhitzten Klima, machen die Entscheidung nicht leicht. Und doch: Wir haben die Wahl – so oder so.
Geht es euch auch so? Irgendwie wirkt alles so diffus. Wir haben die Wahl? Wie soll man die treffen, wenn einen Informationen von allen Seiten wie ein nicht enden wollender Tsunami überrollen? Da ist man – und wem könnte man es verdenken – schnell versucht, in sein Becken zurückzuspringen. Das ist zwar begrenzt, aber wenigstens vertraut. Früher, so kommt es mir zumindest vor, wusste man irgendwie leichter, wem was zuzuordnen ist. Auch die Ausrichtung in so mancher Partei scheint sich verschoben zu haben.
Doch dieses Mal ist die Wahl weniger denn je ein „Nice To Have“. Mehr als zuvor geht es darum, unsere Zukunft nicht aus der Hand zu geben, sondern sie aktiv zu gestalten. Wie gelingt es uns, die Demokratie zu halten und sie vor allem zu stärken? Mit der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 in Deutschland treffen wir eine Entscheidung – jede*r Einzelne von uns. Auch keine Stimme abzugeben, ist eine Wahl.
Wir haben die Wahl: ein bunter Fragen- und Gedankenkatalog
Parteien und ihre Namen
Namen von Parteien dienen dazu, eine erste Orientierung zu geben, wofür ihre Mitglieder stehen. Sich die einzelnen Begriffe wieder einmal in ihrer ursprünglichen Bedeutung zu vergegenwärtigen, kann ein guter Anhaltspunkt sein, zu vergleichen, wie weit eine Partei das tatsächlich verkörpert: alternativ, Bayern, christlich, demokratisch, Fortschritt, frei, gerecht, grün, liberal, links, marxistisch-leninistisch, ökologisch, Solidarität, sozial, sozialistisch, Tierschutz, unabhängig, Veränderung, Werte …
Vielfalt in all ihren Facetten
Wir Menschen meinen, so viel zu wissen. Tun wir das wirklich? Vieles erschließt sich uns gar nicht. Ein wahrer Reichtum an Wissen und Fähigkeiten liegt in der Diversität. Dazu gehören alle Menschen in einer Gesellschaft, auch die vermeintlich Schwächeren. Ein Beispiel: Jemand ist psychisch krank. Schnell wird er oder sie als schwach und nicht wirklich leistungsfähig eingestuft, gerät aus dem Blick. Doch dieser Mensch kann uns wichtige Hinweise geben: z. B. „Gebt auf euch acht. Guckt mehr aufeinander.“ Uns dazu anregen, darüber nachzudenken, was man selbst mehr braucht. Dieses Beispiel lässt sich beliebig übertragen: auf Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund, auf verschiedene Geschlechter, unterschiedliche Altersgruppen, Religionen, Typen, Interessen …
Immer mehr wollen?
Nur in einer gesunden Welt können Menschen glücklich und friedlich zusammenleben. Doch wie soll das gelingen, wenn ein Teil der Menschheit glaubt, immer mehr haben zu müssen? Fragen drängen sich auf wie: Kann man wirklich glücklich sein, indem man die Ressourcen anderer plündert, Menschen ihrer Lebensgrundlagen beraubt, sie nicht in Frieden leben lässt? Fühlt man sich dann besser, weil man mehr Umsatz macht, mehr besitzt, vermeintlich gewonnen hat? Es gibt genug Beispiele, die zeigen, dass es nie genug sein wird. „Mehr wollen“ kannte noch nie ein Ende.
Was brauchen wir Menschen als soziale Wesen wirklich? Gemeinschaft, Wertschätzung, Liebe und Fürsorge. Eine der wichtigsten politischen Aufgaben.
Und nach der Wahl?
In Panik verfallen, hilft nicht weiter. Doch was tun nach der Wahl, wenn wir auf viele politische Entscheidungen keinen Einfluss mehr haben? Wir können als Zivilgesellschaft stark sein und uns engagieren. Eine Möglichkeit: sich fragen, was man tun kann, worin man Expert*in ist. Und dann nach Gleichgesinnten in Vereinen, Wohltätigkeitsorganisationen Ausschau halten, ins Handeln kommen und gemeinsam an Lösungen arbeiten. Eventuell auch selbst eine Initiative auf den Weg bringen.
Wertvoll ist auch ein regelmäßiger Austausch mit Politiker*innen aus der eigenen Region. Vielen von ihnen gebührt Dank für ihren Mut und ihr Engagement. Wir werden alle gebraucht, wirklich jeder und jede!
Pauschalisieren ist keine Lösung
Pauschalisieren – eine zunehmende Tendenz – scheint Dinge und Abläufe erst einmal einfacher zu machen. Schnell ist ein Urteil gefällt, ohne alle wesentlichen Aspekte und Fakten mit einbezogen zu haben. Mit Pauschalisieren gehen meist Polemisieren und Diffamieren einher. Eine Entwicklung, die besonders auf der politischen Bühne zu beobachten ist und die niemand gutheißen kann. Wer pflegt eine Kultur der Auseinandersetzung, des Diskutierens und Aufeinandere-Zugehens auf Augenhöhe? Ein Grundwert in einer Demokratie.
Ohne Kompromisse geht es nicht
Vermutlich sind die wenigsten aller Wählerinnen und Wähler zu 100 Prozent mit der Partei einverstanden, der sie voraussichtlich ihre Stimme geben. Aber genau das macht Demokratie u. a. aus: diese Komplexität, die nicht immer angenehm sein mag und uns einiges abverlangt. Doch was wäre die Kehrseite? Dass eine Partei, ein politisches System autoritär den Ton angibt? Ringen wir wieder gemeinsam um Lösungen, darum, wie unsere Gesellschaft zum Wohle aller aussehen kann – auf Augenhöhe.
Und auch das sollten wir bedenken: Ohne eine Koalition aus mindestens zwei Parteien wird keine Regierung zustandekommen. Sie zu bilden, gleicht einem Spagat. Die große Kunst besteht darin, Kompromisse zu finden und sie auch gemeinsam zu tragen.
Was tun mit all den (Nicht-)Informationen?
Die Auswahl und Dosierung von Nachrichten ist zu einer eigenen Kunst geworden. Inhalte, die einem wichtig sind, sollte man mit Hilfe unterschiedlicher Quellen hinterfragen. Ist ein bestimmtes Thema omnipräsent, sollte das zumindest auch Fragezeichen auslösen. Durch wessen Brennglas, Lupe gucken wir gerade? Mit welchem Blickwinkel, aus welcher Perspektive? Was ist mit den Themen, die mich interessieren und zu denen ich gerne mehr wissen möchte? Wie stehen die einzelnen Parteien dazu?
Hier ein Tipp: Unser Kollege Florian Roithmeier stellt euch verschiedene Tools vor, um die „Qual der Wahl“ zu erleichtern.
Das ist jetzt aber nicht wahr …
Jemand aus eurem Umfeld wählt eine Partei, die ihr gar nicht abkönnt? Es fällt schwer, damit umzugehen … Doch auch hier gilt es, sich auseinanderzusetzen oder es zu versuchen. Nehmen wir den Menschen näher in den Blick, warum er oder sie so entschieden hat. Das wird uns nicht immer gelingen, und manchmal ist es auch zu schwer. Aber ein Nachdenken darüber, erste, wenn auch nur kleine Schritte tun, können bereits ein Schlüssel sein. Ein kleiner Türspalt offen, um doch wieder aufeinander zuzugehen.
Schätzen, was wir haben
In diesen Tagen kann man viel erleben: Resignation, Ironie, Zynismus, der Verzweiflung nahe bis hin zu Aufgegeben-Haben oder Auswandern-Wollen … Vielleicht können wir einen Moment innehalten und uns vergegenwärtigen, dass wir immer noch in einem Land mit vielen Privilegien leben und uns viel vergönnt ist.
Anders miteinander umgehen
Ein wichtiger Schlüssel für Veränderung ist ein anderer Umgang im persönlichen Miteinander. Es muss doch möglich sein, sich anders zu begegnen als übereinander herzufallen. Soll es um die Sache gehen, sind mehr Zuhören, einander Ausreden-Lassen und sich mit Respekt begegnen gute Gehilfen.
Ähnliches gilt für die Kommunikation generell. Fast alles muss provozieren: Buchtitel, Schlagzeilen, Posts auf Social Media, um wahrgenommen zu werden, um Einfluss zu nehmen. Ich, Ich, Ich … Was ist aus dem Wir geworden, das wir jetzt am allermeisten brauchen?
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Wir haben die Wahl
Lasst uns wählen gehen! Es ist ein Privileg, frei und ohne Druck seine Stimme abgeben zu dürfen und Politik mitzugestalten. Für eine lebendige, vielfältige Gesellschaft, denn nur sie ist das Fundament für eine stabile Demokratie.
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Eine Antwort
https://weact.campact.de/petitions/machen-sie-eine-zukunftsgewandte-politik-fur-alle-menschen
Danke für diesen sehr umsichtigen Aufruf, wählen zu gehen und demokratisch und zukunftsgewandt zu wählen. Mit obigem Link möchte ich euch auf eine Petition oder Omas for Future aufmerksam machen, deren Inhalt genau in diese Richtung geht und sich an die zukünftige Regierung richtet.