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Wertschätzung:

Kann man so etwas lernen?

Kathrin Hammer hat im letzten Jahr die Akademie für Wertschätzung in sozialen Berufen gegründet. Wertschätzung ist für sie ein wichtiger Schlüssel, um Menschen für diese Arbeit zu gewinnen und zu halten.

Ein Beitrag zu UN-Ziel:

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Interview: Isolde Hilt

Wertschätzung ist wichtiger als mehr Geld. Diese These belegt unter anderem eine Studie der Arbeitnehmerkammer Bremen aus dem Jahr 2017 mit 12.700 befragten Beschäftigten. Danach rangieren respektvolle und wertschätzende Vorgesetzte mit 96,5 Prozent an zweiter Stelle; ein höheres Gehalt mit 88,9 Prozent wird erst an zehnter Stelle genannt. „Die Studie zeigt deutlich, dass Wertschätzung die Währung der neuen Zeit ist“, hält Wertschätzungs-Coach Kathrin Hammer fest. Im letzten Jahr hat die Jungunternehmerin, ehemals Lehrerin, mit ihrem Team die Akademie für Wertschätzung in sozialen Berufen auf den Weg gebracht. Wie es um die Wertschätzung bestellt ist, warum man sie mehr in den Blick nehmen sollte und ob man sie lernen kann, davon handelt folgendes Gespräch.

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Wertschätzung – was verstehst du darunter?

Ich persönlich fühle mich wertgeschätzt, wenn mich mein Gegenüber sieht, hört und wohlwollend anerkennt – so, wie ich bin. Es gibt verschiedene „Sprachen der Wertschätzung“, bei denen es nützlich ist, sie zu kennen. Meine bevorzugte Sprache ist die der Hilfsbereitschaft. Zu mir kann jede*r kommen und mich um etwas bitten; genauso schätze ich es bei meinem Gegenüber.

Du bist letztes Jahr mit der Akademie für Wertschätzung in sozialen Berufen gestartet. Wie kamst du auf die Idee?

Kathrin Hammer, Wertschätzungs-Coach und Gründerin der Akademie für Wertschätzung in sozialen Berufen

Ich komme aus dem sozialen Bereich. Als ich mich selbstständig gemacht habe, war es wiederum der soziale Bereich, der meine Leistungen als Trainerin, Supervisorin und Mediatorin in Anspruch nahm. Ich habe in dieser Zeit mit hunderten Menschen aus der Pflege und anderen sozialen Berufen gesprochen. So unterschiedlich diese Gespräche auch waren, ein Wort kam fast immer vor: Wertschätzung! Als ich nachforschte und verstand, dass es sich hier um ein menschliches Grundbedürfnis handelt – so wie Essen, Trinken und Schlafen –, wurde mir schlagartig bewusst, dass ich den Schlüssel gefunden hatte.

Ich mag es gerne nachhaltig und so war mir schnell klar, dass ich es nicht allein machen kann. Eine ganze Akademie sollte es sein, der große Hebel für schnelle Veränderung im sozialen Bereich. Eine unserer Kernbotschaften heißt: „Wertschätzung ist der Schlüssel für gute, zukunftssichere Arbeit.“

Die Anerkennung für soziale Berufe in der Gesellschaft hat immer noch viel Luft nach oben. Wie steht es jedoch um die eigene Wertschätzung bei denen, die in einem sozialen Beruf arbeiten? Und wie um die Selbstachtung, das Selbstbewusstsein in der Branche selbst?

Ob sich Menschen in einem sozialen Beruf selbst wertschätzen? Ich bin mir da nicht so sicher. Gerade beginnt ein Umdenken, dass alles bei einem selbst anfängt. Sehr viele Menschen aus diesem Bereich lieben ihre Arbeit sehr, verschmelzen zum Teil regelrecht damit. Und nicht wenige ziehen ihren Wert aus der Anerkennung durch andere. Es ist deshalb immer noch relativ leicht, Menschen für diese Berufe zu gewinnen. Man bekommt ja auch viel zurück! Doch da ändert sich auch einiges …

Und hier setzt ihr mit eurer Arbeit an?

Ja, wir holen die Menschen da ab, wo sie gerade stehen. Und sie haben immer mehr das starke Bedürfnis, von ihren Führungskräften, Leitungen, Kolleg*innen wertgeschätzt zu werden. Das haben sie auch verdient.

Ist die Wertschätzung für soziale Berufe, gerade nach Corona, in der Gesellschaft gestiegen?

Es gibt Unterschiede im Pflege- und im klassisch sozialen Bereich. Der Pflegebereich ist seit Corona lauter geworden. Er bekam während der Pandemie eine Zeitlang mehr Wertschätzung. Danach ist er wieder hart in der Realität aufgeschlagen. Geblieben ist das Bewusstsein, dass hier eine Schieflage vorherrscht zwischen den Erwartungen der Gesellschaft an Pflegekräfte und der Wertschätzung, die diese dafür erhalten. Darüber sprechen sie in Verbänden, und es gibt Diskussionen um Pflegekammern.

Im klassisch sozialen Bereich sieht es etwas anders aus. Hier wird noch sehr leise und verhalten um Wertschätzung gerungen. Es sind Berufe, von denen kaum jemand weiß, was da eigentlich passiert. Wenigen Menschen ist bewusst, was eine Erzieherin alles noch macht, außer Kindern „beim Spielen zuzuschauen“, was die Aufgaben einer Schulbegleitung sind, wie ein Heilerziehungspfleger arbeitet. Und weil das so ist, ist Wertschätzung schwer zu bekommen. Man findet sich irgendwie damit ab, doch Resignation macht sich breit. „Das bringt doch eh nichts!“, ist ein Satz, den ich häufig höre.

Die soziale Branche darf selbstbewusster werden, auch in ihrer Forderung nach mehr Wertschätzung durch die Gesellschaft. Auch da sehen wir einen Auftrag unserer Akademie.

Wertschätzung macht nicht nur mein Gegenüber, sondern auch mich selbst glücklich.

Kann man Wertschätzung lernen? Geht es da nicht vielmehr um eine innere Haltung, die man hat oder eben nicht?

Der Mensch ist dank Neuroplastizität bis ins hohe Alter lernfähig. Warum sollte das hier nicht funktionieren? … Es stimmt schon: Manchen Menschen fällt es leichter und manchen schwerer, Wertschätzung auszudrücken. Das hat auch etwas mit Empathie und eigenen Prägungen zu tun.

Und ja, es geht immer um die Haltung dahinter. Ich kann auch einmal an einem Tag nicht so wertschätzend sein, weil ich gestresst bin oder krank. Aber wenn meine Grundhaltung wertschätzend ist, ist das auch schnell wieder vergessen. Haltung kann man trainieren wie die Körperhaltung beim Turnen. Dafür ist Bewusstsein notwendig, wie bedeutsam und lebensverändernd es sein kann, welche Veränderungen durch mehr Wertschätzung möglich sind. Wertschätzen macht nicht nur mein Gegenüber, sondern auch mich selbst glücklich. Immer wieder tun, vorleben, ausprobieren, korrigieren, dranbleiben … Das formt eine wertschätzende Haltung.

Welches Anliegen verfolgst du mit der Akademie für Wertschätzung?

Im wesentlichen drei Ziele: Wir möchten dazu beitragen, soziale Beruf besser wahrzunehmen. Zweitens sollen sich Mitarbeiter*innen insgesamt wertgeschätzter fühlen, so dass sie dadurch zufriedener und gesünder ihre geliebte Arbeit mit Ruhe und Kraft ausführen können. Das kann Wertschätzung bewirken, davon sind wir überzeugt. Drittens möchten wir Sozial-Unternehmer und Träger sozialer Einrichtungen stärken. Sie sind es, die das unternehmerische Risiko eingehen und eine Infrastruktur schaffen, in der man sich um Menschen kümmert. Die den Spagat zwischen Sozialsein und Unternehmertum hinbekommen müssen und dafür oft genug Prügel beziehen.

Der Kreis schließt sich, wenn wertschätzende Unternehmen wertgeschätzte Mitarbeiter*innen haben, die sich dann wiederum noch besser um ihre betreuten Menschen, Kinder, Kunden, Klienten kümmern können. Eine echte Win-win-Situation.

Ihr zertifiziert Organisationen als wertschätzende Arbeitgeber. Wie ist das angelaufen?

Das Team der Akademie für Wertschätzung in sozialen Berufen auf der Messe ConSozial 2024 in Nürnberg

Nach zwei sehr erfolgreichen Pilotprojekten und einem wundervollen Messeauftritt auf der ConSozial in Nürnberg finden wir eine nicht ganz einfache Situation vor. Unsere Bekanntheit steigt stetig, nur die Lage hat sich verschärft. Die Unternehmen leiden mittlerweile schon so unter Mitarbeitermangel, dass die nicht vorhandene Zeit ein Ausschluss-Kriterium für unser Projekt darstellt. Keine Zeit, kein Geld – das sind Punkte, die wir widerlegen müssen.

Ein zertifizierter Arbeitgeber hat große Vorteile auf einem hart umkämpften Mitarbeiter-Markt. Das heißt, wenn er im Anschluss mehr gute Mitarbeiter*innen gewinnen und die besten halten kann, hat er einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen. Das wirkt sich auf Zeit- und finanzielle Ressourcen aus – vielleicht nicht kurzfristig, aber mittel- und langfristig auf jeden Fall.

Wir glauben an unsere Methode und werden diese auch noch wissenschaftlich belegen: mehr Wertschätzung = mehr zufriedene Mitarbeiter*innen = mehr wirtschaftlicher Erfolg. Ein Rechenbeispiel: Ein Mitarbeiter, der ein Unternehmen verlässt und ersetzt werden muss, kostet das Unternehmen ca. acht Monatsgehälter. Da ist unser Projekt schon mehr als bezahlt, wenn man einen Mitarbeiter nicht verliert.

Ein anderes Angebot eurer Akademie ist die Ausbildung zum Wertschätzungs-Coach. Wie ist da das Interesse?

Die ersten 10 Wertschätzungs-Coaches auszubilden, war leicht. Sie waren zum Teil bereits Fans der Akademie und standen so hinter der Sache, dass die Ausbildung quasi ein Muss war. Der zweite Ausbildungsgang startet gerade. Wertschätzungs-Coaches erlernen unter anderem, wie sie die Zertifizierungen begleiten können. Nach der Ausbildung können sie, wenn sie wollen, freiberuflich für die Akademie für Wertschätzung tätig werden.

Welchen Nutzen ziehen Arbeitgeber daraus, wenn sie von euch als wertschätzend zertifiziert worden sind?

Unsere beiden Pilotprojekt-Partner sind ein Sozialer Dienst aus Landshut und ein Ambulanter Pflegedienst aus Eging am See in Niederbayern. Es sind die beiden ersten, bundesweit zertifizierten Arbeitgeber.

Beide bestätigen, dass der Prozess vor allem für den Zusammenhalt im Unternehmen ganz viel gebracht hat. Es gibt nun eine neue, wertschätzende Unternehmenskultur auf allen Ebenen. Den Langzeiteffekt in Bezug auf Fluktuation und Krankheitsrate können wir noch nicht messen. Aber die Bewerbungssituation beider Unternehmen ist besser als in der Branche allgemein. Gute Öffentlichkeitsarbeit ist wichtig. Potenzielle Mitarbeiter*innen sollen doch wissen, wo sie am meisten wertgeschätzt werden.

Beide Unternehmer gaben auch an, dass sie wieder mehr Freude an ihrer Arbeit haben, dass ein frischer Wind weht, der neuen Elan bringt. Das heißt, es ist eine Mischung aus wirtschaftlichem und persönlichem Nutzen.

Wertschätzung ist die Währung der neuen Zeit.

Wie verändert dich diese Arbeit? Was wurde dir dadurch vielleicht bewusst, was vorher noch nicht so offensichtlich war?

Ich erfahre in meinem täglichen Tun, dass Wertschätzung etwas ist, das mich immer noch herausfordert. Ich bin jetzt selbst Unternehmerin und leite ein Team. Oft erkenne ich erst im Nachhinein, dass ich die Wertschätzung einmal kurz aus den Augen verloren habe. Das bemerke ich an meinem Gegenüber – feine Signale, die es zu deuten gilt. Dann trete ich einen Schritt zurück und frage mich: Was braucht dieser Mensch? Ein persönliches Wort, ein paar Minuten meiner Zeit, eine bestärkende Karte? Wertschätzung kostet Zeit. Zeit ist das Kostbarste, das ich schenken kann. Ich bleibe wohl eine ewig Lernende bei diesem Thema und meine Haltung ist weiter ausbaufähig. Darum bin ich dankbar, diese Arbeit machen zu dürfen. Ich bin überzeugt, dass Wertschätzung die Währung der neuen Zeit ist, dass man mit ihr alle sozialen Probleme dieser Welt lösen kann.

Noch etwas, das dir wichtig ist, das dir am Herzen liegt?

Meine Empfehlung: „Bitte sprich über Wertschätzung, lege alle falsche Bescheidenheit zur Seite und sage, was du dir wünschst. Auch dein Arbeitgeber ist dankbar, wenn er weiß, was dir wichtig ist.“

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Noch ein Tipp: Kathrin Hammer lädt regelmäßig einmal im Monat zum „Treffpunkt Wertschätzung“ ein – ein Online-Treff für Menschen, die Wertschätzung lieben, für Expert*innen und sozial Interessierte. Sie ist auf LinkedIn zu finden, wo sie regelmäßig über ihre Arbeit informiert.

Weitere Infos unter: www.akademie-fuer-wertschäetzung.de

 

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Eine Antwort

  1. Diese Thematik spricht mir voll aus dem Herzen und deckt sich mit meiner langjährigen Berufserfahrung! Wie oft hab ich gedacht, es könnte so einfach und oft so wenig zeitaufwendig sein und gleichzeitig so gewinnbringend für beide – Führungskräfte und MitarbeiterInnen – Wertschätzung als Grundhaltung zu etablieren.
    Und doch wird dieses Grundbedürfnis noch so wenig befriedigt!
    Tolle Initiative der Akademie für Wertschätzung!!
    Weiterhin viel Erfolg!!
    (Und vielleicht ein bisschen mehr Werbung zum Bekanntwerden )

    Und danke an goodnews-for-you für dieses Interview!
    Evi

    P.S. An die Redaktion: Wäre es vielleicht möglich, Interviews und Artikel immer mit einem aktuellen Datum zu versehen?

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