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Dignity:

Portraits, die Menschen in ihrer Schönheit und Würde zeigen

Mit dem Fotoprojekt „Dignity · Dignité · Würde“ gibt Thomas Ratjen geflüchteten Menschen ein Gesicht. Die Geschichten dahinter weiten den Blick.
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von Thomas Ratjen

Ein Foto, auf dem wir so richtig gut aussehen, ist nicht nur ein einfaches Abbild. Es kann eine ganz besondere Kraft entfalten. Wenn wir es betrachten, verspüren wir vielleicht ein Gefühl der Zufriedenheit, dass wir genauso sind, wie wir sind. Und der Blick auf dieses besondere Foto, das wir vielleicht auch in den sozialen Netzwerken als Profilbild teilen, lässt uns lächeln und einen Augenblick lang im Reinen und im Frieden mit uns selber sein. Mit dem Fotoprojekt „Dignity · Dignité · Würde“ lade ich dazu ein, auch sich selbst neu zu entdecken.

Ich lebe und arbeite als freier Fotograf und habe als Sozialarbeiter über viele Jahre hinweg geflüchtete Menschen begleitet. Immer wieder nehme ich dabei wahr, dass sich der liebevolle, wertschätzende Blick der Menschen auf sich selbst auf der Flucht durch extreme Angstsituationen oder Gewalterlebnisse eintrübt. Dass viele Ankommende zunächst noch in ihrer Kraft zu sein scheinen, im langen Warten in Asylunterkünften und in zermürbender Zukunftsunsicherheit jedoch förmlich verblühen und verfallen.

 

Das Projekt „Dignity · Dignité · Würde“ nimmt Menschen nicht nur äußerlich in den Blick

Mit meinem Fotoprojekt greife ich die positive Kraft auf, die Bildern innewohnen kann. Ich biete geflüchteten Menschen die Möglichkeit, sich in Studioportraits fotografieren zu lassen und sich von ihrer besten Seite in Szene zu setzen. Dabei entstehen lebendige kraftvolle Bilder, die fern von politischer Wertung die Menschen in ihrer Schönheit und ihrem ganz individuellen Ausdruck von Würde zeigen. Die Portraitierten erhalten ihre Bilder als Dateien, die sie in die Heimat schicken oder als Profilbilder auf Whatsapp einstellen können. Dazu bekommen sie Fine Art Prints, professionelle Fotoabzüge auf Papier.

Ich nahm mein mobiles Fotostudio mit Hintergründen und Requisiten mit in die Gemeinschaftsunterkunft, wo ich drei Tage lang Geflüchtete und Familien mit Kindern zum Fotoshooting empfing. Auch mein eigenes Fotostudio in Landshut öffnete ich mehrere Tage für geflüchtete Menschen.

Kein Fotoshooting verlief wie das andere, allen gemeinsam aber war die Freude an dieser interessanten neuen Situation. Die Menschen wurden aus dem Alltag in der Unterkunft herausgeholt und in gewisser Weise in ihre Individualität und den Kontakt mit sich selber zurückgeführt. Es ging plötzlich einfach wieder um sie als Menschen und nicht um Abhängigkeiten, Leistungen oder um ihre Fluchtgeschichte.

 

„Kannst du die Narben von meinem Hals entfernen?“

Der erste Portraitierte ist ein sehr zurückhaltender junger Mann, der in stylisch zerrissener Jeans auftritt, mir dann aber anvertraut, dass er einen blauen Anzug besäße, auf den er sehr stolz sei. Wir vereinbaren ein weiteres Fotoshooting am Folgetag. Den Anzug bringt er mit und zieht sich im Studio um. Keiner der anderen in der Unterkunft soll ihn darin sehen. Auf seinen Portraits wirkt er wie von Adel mit stolzer Haltung und würdevollem Ausdruck. Er würde sich gut in der Ahnengalerie eines Schlosses machen.

Eine Afrikanerin kommt anschließend ins Studio, ihr Blick ist von großer Schwermut geprägt.  Als ich sie frage, ob sie ein paar Tanzschritte vor der Kamera machen wolle, fällt alle Schwere von ihr ab und sie dreht sich lachend in einem wilden Tanz. „Kannst Du die Narben von meinem Hals entfernen?“ fragt sie mich. Wer weiß, was sie erlebt und überlebt hat … Ihr Hals ist dicht an dicht von Narben übersät, die ich für die Bilder dann retuschiere.

Eine Iranerin betritt den Raum mit ihrer liebevoll zurechtgemachten kleinen Tochter. Für die beiden ist es ein großer Tag, und das kleine Mädchen genießt es, im Mittelpunkt zu stehen. Sie posiert ganz natürlich vor der Kamera, ihre Augen leuchten und sie will das Studio gar nicht mehr verlassen. Die Mutter ist die ganze Zeit wohlwollend neben ihrer Tochter präsent. Auch in schwieriger Situation können Eltern ihren Kindern Stärke und Rückhalt geben, ihnen das Kindsein ermöglichen – ein unschätzbarer Wert, den mir die beiden in ihrem unbeschwerten Miteinander vor Augen führen.

 

Von manchen Menschen geht eine große Schwere aus, die sich in der Fotosituation dann aber meist lockert

Ein Afrikaner mit modischem Palmenhemd und einem leichten Strohhut kommt als nächster. Er habe nur 20 Minuten Zeit, würde sich aber gerne fotografieren lassen. Innerhalb kurzer Zeit entsteht ein ganz besonderes Portrait, auf dem er durch seine dunkel umrandete Brille seitlich aufwärts ins Licht blickt und als Filmstar eine gute Figur abgeben könnte. Er, der zunächst recht skeptisch eingetreten ist, betrachtet das Bild und ist begeistert.

Eine Afrikanerin mit kleinem Baby im Kinderwagen betritt das Studio. Sie nimmt den Fototermin sehr wichtig, hat mehrere farbenfrohe Kleider und Perücken mitgebracht und posiert freudevoll vor der Kamera. Plötzlich fängt ihr Baby an zu schreien. Sie nimmt es in den Arm, hält es hoch über den Kopf und lacht es an, das Kind strahlt zurück und jauchzt. Das ist der magische Moment, in dem ein besonderes Portrait von Mutter und Kind entsteht.

 

Krieg und Flucht haben die Menschen gezeichnet

Familien mit ganzer Kinderschar aller Altersgruppen erscheinen zum Fotografieren. Eine syrische Patchworkfamilie – der Vater leidet an einer Gehbehinderung aus dem Krieg – beeindruckt mich durch die lachende Heiterkeit der Kinder. Sie haben sich für diesen Termin lange vorbereitet, gestreifte Kleider genäht, so dass sie alle im Partnerlook aufs Bild kommen. Die Mutter, eine selbstbewusste, ebenfalls lächelnde Frau, der Vater trotz seiner Verletzung ein kraftvoller, den Kindern Sicherheit spendender Mensch: Sie alle haben sich vom Krieg nicht um ihre Leichtigkeit und um ihren Zusammenhalt bringen lassen.

Der Vater einer weiteren Familie mit vier Kindern ist ganz offensichtlich von seinen Angehörigen zu dem Termin „gezwungen“ worden. Er blickt mürrisch, und zunächst ist ihm kein freundlicher Blick zu entlocken. Umso mehr aber seinem kleinen Sohn. Dem macht die Sache so großen Spaß, dass er schließlich einen Lachanfall bekommt. Damit steckt er alle an, so dass nun alle lachen müssen und auf dem Gesicht des Vaters plötzlich ein warmes, von Zuneigung zu seinem Sohn geprägtes Lächeln erstrahlt.

 

Auch wenn sich das erfahrene Leid nicht mildern lässt, kann man doch heitere Momente der Leichtigkeit schenken

Mit dem Fotoprojekt „Dignity“ kann ich als Fotograf kein Leid abmildern, keine schlimmen Erfahrungen vergessen machen oder Zukunftsunsicherheiten klären. In der Portraitsituation aber entstehen Momente der Leichtigkeit und Echtheit, in denen es jenseits aller Wertung oder politischen Zuschreibung um den Menschen selbst geht. Um den Menschen, der früher vielleicht in einem schönen Haus lebte, einen guten Job hatte, im Reinen mit sich und vereint mit seiner Familie war. Der genau wie wir seinen kleinen Marotten, Plänen und Zukunftsträumen nachhing.

Die Fotografien lasse ich ganz bewusst für sich und ohne gesellschaftskritische oder politische Hintergrundinformationen wirken. Mein Anliegen ist, ganz schlicht Menschen in ihrer Besonderheit, ihrer eigenen Schönheit und ihrem ganz speziellen Ausdruck von Würde zu zeigen.

 

Die Ausstellung „Dignity“ ist eine Einladung, auf den Menschen im Menschen zu blicken

Die Begegnung mit all diesen Menschen im Studio hat meine Überzeugung gefestigt, dass wir alle im Kern in unseren Wünschen, Bedürfnissen, Ängsten und Hoffnungen sehr viel mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes in uns tragen. Das gilt über Kulturen, Ländergrenzen und Lebenssituationen hinaus.

Das Projekt „Dignity · Dignité · Würde“ bleibt weiterhin geöffnet. Die Ausstellung der Bilder möchte dazu einladen, frei von Wertung auf den „Menschen im Menschen“ zu blicken, sich von dieser Fülle an positivem Ausdruck ein wenig verzaubern zu lassen und dabei vielleicht auch selber etwas an Leichtigkeit zu gewinnen.

 

Thomas Ratjen lebt als freier Fotograf in Regensburg und Landshut. Für die Hilfsorganisation „Space-Eye“ reiste er an EU-Außengrenzen. In zahlreichen Fotoarbeiten behandelt er das Thema „Menschen auf der Flucht“.

Weitere Infos zu seiner Ausstellung „Dignity · Dignité · Würde“ unter: https://www.ratjenphoto.com/

 

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