Interview: Isolde Hilt
2018 belief sich die Anzahl der Nutzer*innen eines Smartphones auf rund drei Milliarden weltweit. Für 2019 wird ein weiterer Anstieg auf 3,26 Milliarden erwartet.* Diesen technischen Alleskönner nicht zu haben, kommt einem Ausschluss aus allen wichtigen Lebensbereichen nahe. Das Gerät fotografiert, spricht mit dir, misst – wenn du willst – deinen Herzschlag und deine Schritte. Es weiß, wo du bist und kennt deine Vorlieben. Es verbindet dich mit Menschen weltweit. Das Smartphone und seine*n Besitzer*in: Wer hat wen in der Hand?
Ein Experiment, dem sich Anna Parschan gestellt hat, brachte Erhellendes zutage. Die angehende Journalistin wollte in der Fastenzeit auf etwas verzichten, das ihr wirklich schwer fällt. 14 Tage lang null Kommunikation auf allen Social-Media-Kanälen, darunter ihr heiß geliebtes Instagram mit 1.500 Followern. Erfrischend offen, ohne zu beschönigen, hat Anna mit uns ihre Erfahrungen geteilt. Am Schluss finden sich noch ein paar Tipps, wie man den Umgang mit seinem Smartphone zumindest ein bisschen einbremsen kann.
Auf welchen Internetkanälen bewegst du dich normalerweise?
Ich bin schon so ein kleiner Internet-Junkie. Das heißt, ich bin auf Facebook, Instagram, Twitter und Youtube aktiv. Am meisten nutze ich Instagram.
Wieviel Zeit verbringst du da etwa pro Tag?
Das ist eine gute Frage. Unter der Woche, würde ich schätzen, sind das pro Tag zwischen zwei und drei Stunden. Am Wochenende kann das schon auch mal mehr sein, wenn ich bei Regenwetter viele Youtube-Videos schaue.
Was ist dir wichtig, zu kommunzieren?
Ich denke, das verändert sich je nach Lebenslage. Ich persönlich war vor zwei Jahren auf Instagram sehr aktiv, habe dort täglich etwas gepostet und kommentiert. Damals war ich für mein Studium in England. Ich wollte vor allem Freund*innen und Familie auf meine spannende Reise und die tolle Zeit in Großbritannien einfach mitnehmen.
Mittlerweile bin ich wieder in Deutschland und nutze Instagram, um ein bisschen positive Energie dort zu lassen. Wir hören den ganzen Tag bad news. Auf Instagram will ich zwar realistisch zeigen, was das Leben so mit sich bringt, aber ich möchte auch ganz viele positive Lebenskraft mitgeben. Was man alles schaffen kann, wenn der Wille da ist.
Du hast ziemlich viele Follower, stimmt’s?
So viele sind das gar nicht. Ich habe momentan zirka 1.500 Follower. Für mich ist das einerseits in dieser ganzen Internetwelt eine sehr kleine Zahl. Aber auf der anderen Seite kann ich 1.500 Menschen mit meinen Instagram-Storys erreichen, mich austauschen und in Kontakt treten. Dahingehend ist die Zahl für mich sehr groß und ich freue mich, dass diese Menschen auf meinem Account sind.
Wie kamst du auf die Idee, 14 Tage auf das Kommunizieren auf allen Social-Media-Plattformen zu verzichten?
Ich habe den Verzicht wegen der Fastenzeit gemacht. Ich wollte in diesem Jahr etwas fasten, das mir auch richtig „weh“ tut. Einfach, um an meine Grenzen zu kommen, mich besser auf mich zu konzentrieren und gewisse Dinge besser reflektieren zu können. Nachdem ich viel online unterwegs bin, war mir klar, dass das eine echte Herausforderung wird. Und dann stand für mich fest, dass ich das mache.
Wie war der Verzicht auf Social Media in den ersten Tagen?
Hart. Anders kann man das nicht beschreiben. Ich habe auch WhatsApp gelöscht und gerade diese App benutze ich wirklich viel. Das hat mir sehr gefehlt. Es entstehen dann auch so Situationen wie in der U-Bahn oder einer Warteschlange, in denen man normalerweise aufs Handy schaut, sich die Zeit auf Facebook oder Instagram vertreibt. Und das darf man dann auf einmal nicht mehr. Da wird einem schnell bewusst, wie viel Zeit man online verbringt.
Was gehen einem für Gedanken durch den Kopf? Hat man das Gefühl, man könnte etwas Überlebensnotwendiges verpassen oder dass man nicht mehr alles unter Kontrolle hat?
In den ersten Tagen war der Verzicht unangenehm und hat mich teils auch genervt. Aber so nach drei Tagen – muss ich ehrlich gestehen – fand ich es sehr positiv. Einfach einmal nicht erreichbar zu sein, hat sich sehr viel stressfreier und entspannter angefühlt. Wer etwas von mir wollte, hat mich angerufen. So sind auch unerwartet viel tollere Dialoge entstanden als online. Ich hatte daher auch nicht das Gefühl, etwas zu verpassen. Das lag aber vielleicht auch daran, dass der Verzicht auf Social Media nur für zwei Wochen war. Wäre das für eine längere Zeit oder gar für immer gewesen, dann wäre das Gefühl, etwas Überlebensnotwendiges zu verpassen, bestimmt gekommen.
Wie haben deine Follower, deine Familie und Freund*innen darauf reagiert?
Meine Familie und meine Freund*innen haben alle positiv darauf reagiert. Klar, der eine oder die andere war überrascht und vielleicht etwas genervt, keine Sprachnachrichten mehr austauschen zu können. Niemand aber hat negativ reagiert. Die meisten haben sogar gesagt, sie fänden mein Experiment toll und würden das auch gerne einmal machen.
Meinen Follower auf Instagram habe ich vorher nicht informiert. Daher hatte ich anschließend schon ein paar Nachrichten, ob denn alles ok sei, weil man nichts mehr von mir hört. Die haben sich aber eher Sorgen gemacht als dass sie sauer waren.
Wie bist du mit deiner Familie und deinem Freundeskreis in Kontakt getreten?
Ich habe tatsächlich wieder meiner Schwester SMSen geschrieben – wie mit 15 Jahren ohne Smartphone. Das hat sich wirklich wieder so angefühlt. Und ich habe super viel mit Freund*innen und mit meinen Eltern telefoniert.
Was hast du durch den Verzicht auf Social Media neu entdeckt?
Komplett neue Dinge habe, ehrlich gesagt, nicht angefangen. Ich bin eher wieder zu alten Hobbys und Leidenschaften wie dem Lesen und Zeichnen zurückgekehrt, die durch das Smartphone schon irgendwie in Vergessenheit geraten waren. Ich habe definitiv wieder mehr das Lesen sowie Hörbücher für mich entdeckt.
Haben sich neue Lebensqualitäten aufgetan?
Die Stille und diese innere Ruhe in der Zeit. Normalerweise bin ich ein Multitasking-Mensch, der neben dem Wäschemachen noch den Fernseher laufen hat und zugleich mit einer Freundin skypt. Und sich da umzustellen, alles extra auszumachen und sich nur auf sich selbst konzentrieren, war für mich etwas ganz Neues. Einfach einmal die Stille auch aushalten und eine Sache machen. Das war am Anfang komisch, hat dann aber sehr gut getan.
Was war das Verblüffendste, was du an dir festgestellt hast?
Ich habe in der Zeit besser geschlafen. Ich habe ruhiger geschlafen und viel mehr geträumt. Der Schlaf war viel erholsamer. Das hat mir auch ein Psychologe vorhergesagt, der mich bei dem Projekt für meine Arbeit beim Radio begleitet hat. Aus der Forschung weiß man, dass die Verarbeitung der tagsüber konsumierten Bilder sehr wohl die Psyche beeinflusst und Fragen über das „Ich“ verdrängt. Daher träumt man auch anders.
Du hattest bei deinem Experiment auch einen Psychologen als fachliche Begleitung …
Ja, Dr. Klaus Wölfling Psychologe von der Mainzer Suchtklinik für Internetsucht. Er hat mich vor und nach dem Experiment auf meine psychische Belastbarkeit, mein Internetverhalten und meine Konzentrationsfähigkeit hin untersucht.
Was kam vor dem Experiment heraus?
Der Konzentrationstest fiel vor dem Experiment schlecht aus, da war ich eher unterdurchschnittlich. Von der psychischen Verfassung her war ich normal. Festgestellt wurde auch, dass ich zwar nicht süchtig, aber tendenziell schon gefährdet bin, wenn es um ein zeitweise missbräuchliches Nutzungsverhalten geht.
Und das Ergebnis nach den zwei Wochen Verzicht auf Social Media?
Meine Konzentrationsfähigkeit hat sich in dieser Zeit verdreifacht! Man kann nicht zu 100 Prozent belegen, dass es an dem Social Media-Fasten lag, aber es besteht definitiv ein Zusammenhang. Die psychische Verfassung hat sich auch verbessert.
Wie war es, nach 14 Tagen wieder online zu gehen?
Klar war ich neugierig, was denn auf den Plattformen so alles abging. Aber ehrlich gesagt, war es dann auch echt stressig. Ich hatte über 159 Nachrichten auf WhatsApp zu beantworten und war erst einmal vier Stunden nur damit beschäftigt. Das war auch deshalb anstrengend, weil viele dann sofort wieder geantwortet haben und wissen wollten, wie es mir geht. Ich hatte dann gar nicht mehr so die Lust, auf die anderen Plattformen zu gehen.
Ist das Mitteilungsbedürfnis nach längerer Abstinenz dann besonders groß?
Ich würde sagen, nein. Mir hat die Pause sehr gut getan. Ich habe die ganze Internetwelt sehr überdacht und war etwas verunsichert, ob ich das eigentlich auch alles wirklich so will. In seinem Alltag denkt man oft so wenig über so etwas nach … Ich war dann eher zaghaft, wieder etwas zu posten.
Wie waren die Reaktionen?
Ich hatte das Gefühl, dass viele erleichtert waren, mich wieder schnell erreichen zu können. Auf Instagram waren viele erfreut, dass ich wieder etwas poste und mich melde. Ich erhielt auch super viele Fragen zu dem Thema, sowohl online als auch privat.
Was ist der wichtigste Schluss, den du daraus ziehst?
Dass wir auch ohne können und wie abhängig wir uns täglich von diesen Plattformen machen. Ich habe meine Push-Up-Benachrichtigungen bei WhatsApp nach dem Experiment ausgeschaltet. So sehe ich erst, wenn ich in die App gehe, ob neue Nachrichten da sind. Außerdem habe ich mich überall ausgeloggt, um mich mit jedem Einloggen bewusst zu entscheiden, ob ich das jetzt wirklich brauche oder ob es nicht überflüssig ist, online zu gehen.
Noch etwas, das dir wichtig ist?
Ich kann jede*n nur ermutigen, das auch einmal selbst auszuprobieren. Es klingt so hart und ist es die ersten Tage auch. Aber dann ist es echt Balsam für die Seele, ich verspreche es.
Tipps von Anna für einen sorgsameren Umgang mit dem Smartphone
- Offline-Pausen bewusst einlegen und entsprechend planen
- Push-Benachrichtigungen ausschalten
- Sich überall in Apps ausloggen, wo das möglich ist
- Das Handy beim Arbeiten und beim Schlafen in einen anderen Raum legen. Die Hürde, nachzusehen, ist größer.
- Bewusst telefonieren stat online schreiben
Anna Parschan
Bachelor of Arts Politikwissenschaft mit den Nebenfächern Geschichte und Medienwissenschaften
Angehende Journalistin an der Journalistenschule ifp
Mehr Infos unter:
https://www.instagram.com/miniskanal/?hl=de
* Quelle: de.statista.com
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Eine Antwort
Super, auf der ganze Linie!
Ein Experiment das mich natürlich an „DAS EXPERIMENT“ erinnert … wie treffend! … wie gelungen!
Ich schreibe das als Informatiker, der stets am „george orwellschen Ball“ ist … wieviele accounts sind denn heut schon wieder gehacked worden?
Ich schreibe das verbunden mit der Frage: Wie sozial sind denn „social medias“ tatsächlich? … Werbeeinnahmen rund 5 Euro pro Nase und viertel Jahr mal 1.5 Milliarden Nutzer … jeder mag sich das bitte selbst ausrechnen, wieviele Menschen man damit sehr gesund ernähren könnte.
Ich schreibe das als „Überzeugungs-NICHT-Täter“, der im neuen Sprachgebrauch als „digitaler online looser“ gebrandmarkt ist.
Ich schreibe das mit einem so breiten Grinsen im Gesicht, dass ich meine Mundwinkel schon um die Ohren wickeln muss 🙂
UND:
Ich schreib das als derjenige, der diesem Experiment ein anderes Experiment gegenüberstellt:
https://ois.gmachtin.bayern/
Ein Letztes noch, das hoffentlich allen Lesern und Zuhörern die Mundwinkel nach hinten treibt:
https://musi.gmachtin.bayern/?m=321&i=1
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