von Isabel Maier-Harth
„Bums, bums, bums …“ Immer wieder prallt der Ball gegen die Gartenmauer des Nachbarn. Kinder fetzen über die Straße vor unserem Gartenzaun zwischen den parkenden Autos und rufen sich lauthals Spielstrategien zum Versteckspiel zu. Im Hintergrund höre ich die Autobahn, die sich wie ein Schleier über unser Wohnviertel legt. Riechen kann ich aber lediglich die Abgase des Nachbarn, der scheinbar ohne Grund den Motor seines Wagens minutenlang in seiner offenen Garage laufen lässt. Ab und zu macht meine Hündin ein paar Geräusche, um ihr Missfallen gegenüber den inlineskatenden Kindern auszudrücken, die sich am Gartenzaun festhalten. Und „rums, rums, zack“ wird der Rollladen des Nachbarn mitten am Tag unsanft heruntergelassen.
Die farbenprächtigen Blüten haben es den Insekten angetan.
… Und dann wache ich auf und höre vom Schlafzimmer aus bereits das Erwachen der Singvögel: eine Orgie aus Vogelstimmen. Draußen im Garten sitzend, nehme ich das Rascheln der Vögel im Gebüsch wahr, die nach Nahrung suchen. Im Hintergrund stets zu hören: das Plätschern des Wassers, welches sich durch die Natursteine seinen Weg zurück in den Teich bahnt. Eine männliche Amsel gönnt sich ausgiebig ein genüssliches Bad und spritzt dabei das Wasser mehrere Meter weit in alle Richtungen. Ihr pechschwarzes, samtiges Federkleid wirkt anmutig und edel. Ich höre den Wind, der die winzigen frischgrünen Blätter der Bäume zum Wiegen bringt und dadurch eine hörbare Reibung erzeugt. Dazwischen wird das Brummen der Bienen laut, die sich am Nektar laben und scheinbar nicht genug bekommen können. Die farbenprächtigen Blüten haben es aber nicht nur den Insekten angetan: Ich rieche ihre süßlichen Düfte, die sie wie eine große und manchmal fast aufdringliche Wolke um sich legen. Doch bemerke ich auch unscheinbare Düfte, die wie ein Hauch von Nichts wirken, aber trotzdem wahrgenommen werden wollen.
Beim Betrachten der Natur wird meine Atmung ruhiger.
Ich sehe das Licht, welches dem Garten Leben einhaucht. Das Licht, welches Blüten sich öffnen lässt, die ihren Gabentisch für Insekten bereitstellen und dabei völlig uneigennützig wirken. Ich fühle aber auch die Wärme der Sonne, die dafür sorgt, dass die Pflanzen jeden Tag ein neues Gesicht bekommen. Mein Hund genießt es ebenfalls, liegt auf den Pflastersteinen und tankt die Wärme der Sonne, die er im Winter durch den Schwedenofen im Haus ersetzt hat. Ab und zu lässt er sich von einer Fliege ärgern und versucht sie zu schnappen. Immer wieder ohne Erfolg, was mich zum Schmunzeln bringt. Ich merke, wie meine Atmung beim Betrachten der Natur ruhiger wird. Ich könnte hier ewig sein und einfach nur schauen …
Ich möchte bunt leben.
… Doch dann ist es wieder da, das Leben außerhalb des Stadtgartens. Die Nachbarn, die freundlich grüßen. Kinder, die auf der Straße spielen. Autos, die existieren und auch benutzt werden. Und wir mitten drin, in unserer Oase, die uns so viele schöne Augenblicke offenbart. Ich kann jederzeit in dieser Blase versinken und das Stadtleben drum herum vergessen. Wir Menschen besitzen zum Glück die Gabe, Geräusche zu filtern und unsere Konzentration auf bestimmt Dinge zu legen. Nur so haben wir wahrscheinlich gelernt, einen Stadtgarten auch genießen zu können.
Es ist nicht das Schwarz oder das Weiß, was ich möchte. Ich möchte bunt leben, eine Vielfalt erleben. Und dazu gehört die tönende Nachbarschaft genauso dazu wie die kleinen Libellenlarven, die sich gerade wieder wie jedes Jahr in unserem kleinen Teich entwickeln. Dazu gehört die Nachbarskatze, die mal wieder einen Goldfisch aus Nachbars Gartenteich gefischt hat, genauso dazu wie die bunten Kreidezeichnungen der Nachbarskinder auf der Straße. Sowie das sich aufdrängende Parfum der netten Dame von nebenan. Und wir. Wir gehören auch einfach dazu – auch für die anderen Nachbarn.
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