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„Die letzten 500 Meter laufen ab wie in Zeitlupe.“

Gerhard Johann Reisinger pilgerte als erster Deutscher in 30 Tagen zu Fuß alleine 1.062 km nach Rom. Ein Abenteuer, das einem Wunder gleichkommt.
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von Isolde Hilt

Das ist schon etwas Besonderes, wenn man – wie man in Bayern sagt – ein gestandenes Mannsbild gegenübersitzen hat. Er strahlt Kraft und Ruhe aus und geniert sich aber auch nicht, wenn ihn seine Gefühle bei bestimmten Erinnerungen wieder besonders packen. Sobald Gerhard Johann Reisinger, durch und durch ein Oberpfälzer, zu erzählen beginnt, begibt man sich gerne bereitwillig mit ihm auf die Reise.

In 30 Tagen zu Fuß von seinem Zuhause in Schwandorf nach Rom. Gut über 1.000 Kilometer, auf einem Weg, der sich mit ihm völlig neu schreibt, weil ihn zuvor noch niemand gegangen ist. Wie er das geschafft hat – als Raucher, mit Übergewicht, eher unsportlich, allein unterwegs –, ist schon ein Wunder. Und von diesen hat er noch einige mehr erlebt, weil er bereit war, loszulassen und allem, was da kommt, zu vertrauen. Sein treuer Wegbegleiter war sein Glaube, der ihn auf fast unerklärliche Weise auch bei sengender Hitze und ohne Wasser stundenlang durch Tausende von Olivenbäumen getragen hat.

Wie dieses Abenteuer zustande kam und ihn seine Pilgerwanderung nach Rom verändert hat, erzählt Gerhard Johann Reisinger in diesem Gespräch.

 


 

Das Gespräch zum Nachlesen findet ihr hier (bitte klicken)!

Hallo liebe good news for you-Community,

wir haben euch heute in eine kleine Kapelle, die St. Katharina-Kapelle in Reichenbach im Landkreis Cham in der Oberpfalz, entführt. Es ist eine ganz besondere Kapelle, auf die wir noch zu sprechen kommen. Dazu möchte ich euch meinen Gast, Gerhard Johann Reisinger, vorstellen.

Er hat einmal von sich gesagt: Ich spreche Bayerisch und Englisch, Hochdeutsch kann ich nicht. Er spricht jedoch Gott sei Dank ein Bayerisch, das man hoffentlich einigermaßen gut verstehen kann.* Gerhard Reisinger hat schon jede Menge bewegtes Leben hinter sich. Ich vermute einmal, sein außergewöhnlichstes Projekt war 2018 eine Pilgerreise zu Fuß von Schwandorf nach Rom. Das sind gut über 1.000 Kilometer. Er hat dazu ein Buch geschrieben, das heißt: „Es führen viele Wege nach Rom. Einer davon ist meiner.“ Und über diesen, seinen Weg wollen wir uns jetzt unterhalten.

Ich möchte gerne mit dieser Kapelle anfangen. Es ist eine ganz besondere Kapelle, die es ohne dich und deine Familie nicht gäbe. Das hat einen ganz besonderen Grund. Hallo lieber Gerhard, magst du uns kurz erzählen, wie es zu dieser Kapelle kam?

Vor 25 Jahren ist eine meiner Töchter schwer erkrankt. Und da habe ich versprochen, eine Kapelle zu bauen. Unsere Tochter ist wieder sehr gesund geworden. So habe ich die Kapelle gebaut.

Das ging, habe ich auf der Gedenktafel gesehen, ziemlich schnell. Ihr habt gar nicht so lange gebraucht, um diese Kapelle zu bauen …

1.300 Arbeitsstunden in der Familie haben wir gebaut. Wir haben zwischendurch schon einmal 45 Leute dagehabt.

Nicht schlecht! Du hast eine große Familie, wahrscheinlich war es auch deshalb möglich. Magst du dich kurz vorstellen? Du hast mehrere Kinder, eine wunderbare Frau und bist auch beruflich sehr erfolgreich.

Ich bin jetzt 56 Jahre alt, seit 34 Jahren verheiratet mit meiner Frau Gisela. Wir haben gemeinsam fünf Kinder und seit einem Jahr bin ich auch stolzer Großvater. Beruflich bin ich seit 27 Jahren als Bauleiter und Oberbauleiter unterwegs.

Was baut ihr da so?

Kliniken, Flughäfen …

Also so richtig große Projekte …

Ja. Unser Büro ist mit der Bauleitung und mit Projektmanagement mit dabei. Und seit sieben Jahren leitet meine Tochter Christina das Unternehmen.

Heute ist ein besonderer Tag. Der 15. August – der Tag anlässlich Mariä Himmelfahrt. Bei uns in Deutschland ist das nur im Saarland und in einigen bayerischen Gemeinden, in denen die Katholik*innen in der Überzahl sind, ein Feiertag. In Italien ist das anders. Ferragosto zählt zu den wichtigsten kirchlichen und familiären Feiertagen. Vor zwei Jahren warst du unterwegs und hattest nahezu die Hälfte deiner Pilgerreise hinter dir. Erinnerst du dich noch, wo du an Mariä Himmelfahrt warst?

Daran erinnere ich mich noch sehr genau. Ich war am Morgen bei der Frühmesse im Kapuzinerkloster in Brixen. Da hat mir sehr imponiert, dass ein Pater während der Kommunion das Ave Maria am Cello spielte – in der Früh um 6 Uhr, nur für mich. Ich bekam für meinen Pilgerausweis den Timbro, meinen Stempel. Und man gab mir noch vom Garten frische Äpfel mit, die mir sehr gut geschmeckt haben! Als Pilger hat man immer Hunger, das gehört mit dazu.

Was verbraucht man denn da so an Kalorien pro Tag? Das ist wahrscheinlich jede Menge …

Um das habe ich mich überhaupt nicht gekümmert. Und das hat mich auch nicht interessiert. Wenn ich Hunger hatte, habe ich gegessen. Wenn ich Durst hatte, habe ich getrunken. Und wenn ich müde war, habe ich geschlafen.

Fragen, die sich bei einer solch besonderen Reise einfach in Luft auflösen. Die sind einfach nicht relevant …

Genau. An dem Tag kam ich in Barbian (in Südtirol) an einer Kirche vorbei. Die Damen vom Frauenbund dort haben mir einen wunderschönen Kräuterbuschen geschenkt und mir am Rucksack festgemacht. Ich bin mir aber nicht sicher, ob sie mir den geschenkt haben, weil er besonders schön zum Rucksack passte. Vielleicht eher deshalb, weil der Duft der Kräuter doch mehr meinen Körpergeruch überdeckt hat.

Wenn man nicht regelmäßig unter eine Dusche kommt …

… hat man den Pilgergeruch.

Den Pilgergeruch … Heißt das so?

Ich weiß es nicht. Das kann ich mir nur so vorstellen.

Aber du hast dich selber schon immer noch riechen können?

Ab einem gewissen Zeitpunkt, glaube ich, stumpft man ab.

Lass uns noch einmal zur Mutter Gottes zurückkommen, nachdem wir uns an Mariä Himmelfahrt über diese ganz besondere Reise unterhalten. War sie dir eine wichtige Begleiterin auf deinem Weg?

Ich denke schon. Meine Frau ist eine große Maria-Verehrerin. Ich glaube, dass sie mir schon Maria zur Seite gestellt hat. Auch beim Pilgersegen hat mir unser Pfarrvikar die Mutter Gottes zur Seite gestellt, um mich auf meinem Pilgerweg zu schützen.

Du hast auch erzählt, dass die Mutter Gottes in Italien noch einmal ganz anders verehrt wird als bei uns. Was hast du da erlebt?

Ich habe auf meinem Pilgerweg 80 Kirchen besucht. Von den 80 Kirchen war ich 17 mal bei der Heiligen Messe mit dabei. Und mir fiel in den italienischen Kirchen auf, dass beim Eingang rechts oder links immer ein Marienaltar steht, mit einer Marienstatue und voller Kerzen. Die italienischen Frauen setzten sich beim Betreten der Kirche ein Kopftuch auf, traten an den Marienaltar, zündeten eine Kerze an und gingen dann erst in die Kirche rein. Das hat mich schon bewegt. Bei den älteren italienischen Frauen, der „Mama“, geht ohne Kopftuch nichts. Das sind schöne gehäkelte Tücher.

Wann hast du beschlossen, diese Pilgerreise zu machen? Was gab den Anstoß dazu?

An meinem 40. Geburtstag hatte ich mir vorgenommen, dass ich bis zu meinem 50. Geburtstag in Etappen von Schwandorf nach Santiago de Compostela gehe. Zwei Etappen ging ich, aber dann hat mich das Alltagsgeschäft wieder eingeholt. Keine Zeit, wenig Freiräume, habe es verschoben, habe es verschoben … Bis ich dann kurz nach meinem 50. Geburtstag drei Herzstillstände hatte und ins Krankenhaus musste. Im Krankenhaus wurde mir deutlich, dass ich, wenn ich wieder gesund werde, nach Rom gehen möchte – zu meiner Kirche.

Ein paar Jahre später hatte ich wieder einen Check im Krankenhaus und da war alles gut. Ich schloss meine Baustelle ab und dann sagte meine Tochter Christina, die von meinem Traum, nach Rom zu gehen, wusste: „Papa, jetzt ist es Zeit, geh!“

Der Pilgerstab, ein wichtiger Begleiter auf dem Weg nach Rom

Zeit, dein Versprechen einzulösen …

Ja. „Geh, die nächsten Baustellen verschieben sich, du hast Zeit.“ Ich besorgte mir innerhalb von vier Wochen einen Rucksack, legte ungefähr die Route fest und besorgte mir einen Pilgerausweis. Am 6. August in der Früh um halb Vier bin ich losmarschiert. Ohne zu wissen, was alles auf mich zukommt.

Mir fällt auf, dass du immer, wenn du für etwas in deinem Leben besonders dankbar sein konntest, ein großes Versprechen eingelöst hast. Erst die Kapelle für deine Tochter und dann die Pilgerreise als Dankeschön, dass du diese drei Herzstillstände überlebt hast.

Das waren nicht nur die drei Herzstillstände. Was ich alles in meinem Leben geschäftlich erlebt habe und was alles auf mich zugekommen ist, dass ich das alles überhaupt überstanden habe … Auch mit haarsträubenden Hindernissen … Da hat mir der liebe Gott mit Sicherheit nicht nur einen Schutzengel zur Seite gestellt, sondern manchmal ein ganzes Heer.

Es ist also ganz viel zusammengekommen und es hat einfach gepasst – der Moment, in dem es hieß: Jetzt gehe ich nach Rom!

Ich habe es tatsächlich so gesagt: Ich hau ab! Jetzt ist es soweit.

Nach Rom geht kaum jemand. Man hört immer vom Jakobsweg und den verschiedenen Abschnitten. Auf diesen Weg begeben sich ganz viele Leute. Aber du – so hat sich im Nachhinein herausgestellt – bist der erste Pilger aus Deutschland, der diesen Weg nach Rom allein zu Fuß gegangen ist.

Ich habe den Pilgerausweis angefordert. „Nach Santiago de Compostela?“ „Ne, ne, nach Rom!“ „Rom? Sicher? Zu Fuß?“ Die waren am Telefon ganz ungläubig, haben mir den Ausweis aber zugeschickt. Es gibt eigentlich nicht den Pilgerweg nach Rom, von Schwandorf aus sowieso nicht. Da gibt es einen Pilgerweg – von London über die Schweiz und dann runter nach Rom … Die Kreuzfahrer kamen so ins Heilige Land. Kurz vor Rom habe ich tatsächlich noch so einen alten Kreuzritterweg gefunden, rein zufällig.

Ich ging dann einfach und habe mir den Weg gesucht. Habe mir zuvor die Stationen angeschaut, mir überlegt, „so weit kannst du gehen“ … Nach dem zweiten, dritten Tag war klar: Der Weg schreibt sich selber. Ich dachte nicht, „heute musst du da oder da sein“. Es war dann so: Kommst du an, ist es recht. Kommst du nicht an, dann kommst du eben morgen an.

Das bedeutet, der Weg ist zum ersten Mal so von dir gegangen worden … Der ist komplett neu.

Der ist komplett neu.

Über 1.062 Kilometer in 30 Tagen zu Fuß: Fragt man sich da zu Beginn nicht, ob man das überhaupt schafft oder nicht vielleicht doch ein bisschen unter – sagen wir mal – „Größenwahn“ leidet?

Ich sollte vorausschicken, ich bin Raucher, übergewichtig – ich bin weit jenseits der 100.000 Gramm –, unsportlich. Eigentlich verrückt, dass man so etwas geht. Ich habe mir gedacht, ok, ich gehe. Wenn ich bis Innsbruck komme, dann habe ich schon etwas gewonnen. Dann war ich in Innsbruck und beschloss: „Gut, bis zum Brenner gehst du noch.“ Als ich am Brenner stand, ging es bergab. Schön, gehe ich bis Verona. Verona ist gut die Hälfte, da hörst du auf und machst im nächsten Jahr weiter. Als ich in Verona in der Kathedrale saß, da schoss es mir so durch den Kopf: „Und jetzt geht es durch und wenn es durch die Hölle geht.“ Ich hatte Schmerzen, Krämpfe in den Beinen, aber keine Blasen, nicht eine!

Es ist ja mit vielen großen Projekten so, bei denen man sich nicht vorstellen kann, wie das zu schaffen sein soll … Auch hier gilt: Schritt für Schritt. Und dann gucken, was ist der nächste Schritt?

Vielleicht liegt das auch an mir – dem Bauleiter, dem Oberbauleiter, der Terminpläne hat und die eintaktet. Eigentlich hatte ich schon geglaubt, ich könnte das so machen. Ein furchtbarer Irrtum!

Ein furchtbarer Irrtum?

Das kann man nicht. Einen Pilgerweg kann man nicht planen oder eintakten. Entweder, man geht oder man geht nicht. Mir ist es so gegangen. Da war nichts mehr mit Planung. Wo ist Süden? Das war die Richtung. Und wenn dann das GPS am Handy ausfällt, du im Nebel stehst und 20 Kilometer in die falsche Richtung läufst, weil du überhaupt keine Orientierung mehr hast … Ich bin ja abseits jeder Wege gegangen.

Dann spielt der Glaube doch eine Rolle, wenn man eine Pilgerreise macht …? Wie schafft man das dann? Jeder „normale“ Mensch würde sagen, ich gebe auf … Wie soll ich das denn jemals hinbekommen? Man sucht sich dann ja wahrscheinlich Hilfsmittel. Wie komme ich weiter?

Als Pilger bekam Gerhard immer wieder einmal auch einen leckeren Cappuccino, wie hier in Lavis im Trentino, spendiert.

Hilfsmittel … Ein Hilfsmittel war für mich folgendes: Ich habe an meine Familie gedacht, an mein Leben …. Ich war ja mit mir ganz alleine. Ich habe mich gefragt, was ich richtig, was ich falsch gemacht habe. Würdest du es wieder so machen? Am Ende hat es mich doch so weit gebracht, festzustellen, dass ich mein Leben – auch wenn da nicht alles richtig gelaufen ist – nicht mehr tauschen wollte. Es ist alles gut so, wie es ist.

Weil das, was dann folgt, nicht hätte folgen können?

Vermutlich. Ich habe in meinem Leben oft genug erlebt, dass ich stur in eine Richtung gegangen bin. Und wenn es dann nicht geklappt hat, war ich immer sauer oder frustriert. Doch das hat nicht sollen sein. Dann tut sich eine andere Türe auf. Das ist so.

Erinnerst du dich an einen Moment, in dem du richtig die Hoffnung verloren hattest und gar nicht mehr weiter wusstest? Vielleicht war das diese Nebel-Situation ohne GPS? Was hat dich diesen Moment überwinden lassen?

Das war nicht einmal der Nebel. Den Nebel zu überwinden, das war einfach. Ich rief meinen Administrator in Regensburg an und sagte ihm, dass mein GPS nicht mehr funktioniert. Den habe ich in der Früh um 5 Uhr aus dem Bett geworfen. 10 Minuten später rief er an und sagte mir: Ich kümmere mich darum. Eine Stunde später lief mein GPS wieder. Und warum? Weil ich vergessen hatte, ein Update für die italienische Telekom zu schalten. Mein Administrator hat das für mich gemacht und auch bezahlt. Kaum hatte ich mein GPS, war auch die Sonne wieder da. Aber man kommt da schon ein bisschen in Panik.

So richtig weh, das war auf der Strecke von Florenz nach San Donato. Da geht es durch Millionen von Olivenbäumen. Steil bergauf, bei 36 bis 38 Grad Hitze. „Ich schaff‘ das nicht mehr, ganz allein.“ Da erinnerte ich mich an Altötting und unseren Pilgerbischof Karl Flügel. Der empfahl damals, wenn das Wetter richtig schlecht war, wenn es geregnet hat, einen Rosenkranz zu beten und Marienlieder zu singen.

Rosenkranz beten und Marienlieder singen … Das fiel dir da wieder ein?

Ja. Ich habe also meinen Rosenkranz herausgeholt und einen Rosenkranz gebetet. Jetzt weiß ich genau, dass ein Rosenkranz-Gebet 2,7 Kilometer dauert. Und noch drei, vier Marienlieder dazu und dann war ich am Ort.

Dann hat dich die Muttergottes doch begleitet und beschützt?

Da musst du abschalten. Da schaltest du so ab. Schlimm war, ich hatte kein Wasser mehr. Das ist Leichtsinn. Das war das einzige Mal, dass ich zu wenig Wasser dabeihatte. Das lernt man dann. Und man meditiert dann so dahin … Dabei ging ich immer schneller und auf einmal realisierte ich: „Hey, du bist ja schon 25 km unterwegs. Du bist ja schon weiter als deine Tagesroute.“ Dann dachte ich mir, machst noch einmal 15 km. So im Schnitt bin ich 35 Kilometer pro Tag gelaufen, einmal 45 und einmal 64 km. Davon muss ich aber abraten: Da bin ich beim Gehen eingeschlafen und in einen Bach gefallen.

Beim Gehen eingeschlafen und in einen Bach gefallen …

Ja.

Was alles möglich ist!

Gott sei Dank hatte der Bach nur 10 Zentimeter.

Da hättest du auch ertrinken können …

Auf jeden Fall war ich dann wach. Ich meinte, ich bin in einen See gefallen. Da war ich dann komplett nass.

Was denkt man sich, wenn man aufwacht und feststellt, was einem da passiert ist? Und dann ist das ja noch so gut ausgegangen …

Man erschrickt. Und dann wird es ganz banal. Du ziehst dich aus, trocknest deine Sachen, machst sie sauber, ziehst dich wieder an und gehst weiter.

Auf deinem Weg hattest du viele besondere Begegnungen, wie du in deinem Buch erzählst. Du selber hast in Menschen etwas ausgelöst … Mir ist besonders die Begegnung mit einer Frau in Erinnerung, die sehr verbittert und sehr traurig war, der Kirche den Rücken zugewandt und den Glauben verloren hatte. Die mit Pilgern nichts am Hut hatte. Da hat sich etwas Großes ereignet. Und es gab aber auch Menschen, die dich in Erstaunen versetzt haben.

Eine Geschichte, die mich in Erstaunen versetzt hat, passierte ungefähr 50 km vor Rom. Ich war den ganzen Tag unterwegs und ich hatte nichts mehr zu essen. Ich saß an so einem Gartenzaun, zusammengesunken … Der nächste Ort 10 km weit weg. Ich war richtig fertig, saß da mit meinem Pilgerstab und meinem Brustkreuz. Da geht eine ältere Frau an mir vorbei, bekreuzigt sich, geht ein Stück weiter, dreht sich um und sagt in astreinem Deutsch zu mir – in besserem Deutsch als ich es spreche: „Haben Sie Hunger?“ Ich sage: „Ja.“ Sie sagt mir, ich solle sitzen bleiben. Nach einer halben Stunde kam sie mit Weißbrot, in Olivenöl getränkt – das beste Weißbrot, das beste Olivenöl!

Dann sah die Frau, wie schnell ich aß und meinte: „Das reicht wohl nicht.“ Sie nahm mich mit nach Hause und so kam ich in eine familiengeführte Olivenpresserei. Die haben da noch einen alten Mühlstein, nicht mehr mit Esel oder Pferd, sondern mit einem Elektromotor gezogen. Eine alte Presse mit Granitsteinen und da lief das Öl raus. Die ganze Familie hilft da zusammen und füllt das Öl ab. Die Frau, die mich mitgenommen hatte, war die „Mamma“, die Chefin. Die haben auch die Etiketten noch selber aufgeklebt. Der Enkel schimpfte ein bisschen, weil sie nicht sauber genug aufgeklebt waren. Die Familie verkauft dieses Öl nur in der Region – an ihre Freunde und Restaurants. Und dann sehe ich an der Wand Bilder von Starköchen, unter anderen auch von einem bayerischen Starkoch. Die holen sich nur hier ihr Olivenöl. Das hat mich natürlich schon beeindruckt.

Wie ging es dann weiter?

Die ältere Dame sagte dann zu mir: „Eine Übernachtung wirst du wohl brauchen.“ Ein Hotel oder etwas Ähnliches gab es nicht und ich wusste nicht, wohin. Sie rief dann ihre Freundin an, 10 km weiter. Sie meinte: „Da gehst jetzt hin, sie wartet am Ortsrand auf dich. Da kannst du über Nacht bleiben, kriegst ein warmes Essen und ein Bett. Und ich denke, sie hat auch eine Dusche.“ Das war dann der Wink mit dem Zaunpfahl. Ich habe schon oft wie ein Penner ausgesehen.

Manche Leute gaben mir, wenn ich nach dem Gottesdienst noch vor der Kirche saß, Geld oder etwas zu essen. Bei den Heiligen Messen, gerade in Italien, nahm mich der Pfarrer mit an den Altar, betete ein Vater Unser auf Italienisch und ich zeitgleich auf Deutsch. Dann geht man mit der Kirchengemeinde da raus und die Leute fragen einen dann und du kannst kein Italienisch … Und ein paar sind dabei, die doch noch Deutsch können, gerade die ältere Bevölkerung, die dann übersetzen, …

Da geht einem das Herz auf und man lernt die Menschen von ganz anderen Seiten kennen …

Und du kommst dir vor, als wenn du so eine kleine Berühmtheit wärst. Ich bin durch drei Dörfer durchgegangen, da wussten die: Hey, da kommt jetzt Einer, das ist ein Verrückter. Der geht zu Fuß nach Rom. So dumm muss man mal sein … Ein Italiener sprach mich einmal an, wie viele Leute ich umgebracht hätte, dass ich so einen Weg gehen müsse.

Aber auch du hast anderen weiterhelfen können …

Ja, ich hatte schon zwei Tage im Freien geschlafen und kam in eine etwas größere Ortschaft. Ich klapperte die Pensionen ab, alles war voll, bis man mich zu einer Pension etwas außerhalb schickte. Zu dieser Pension bin ich hin, die Frau dort sprach relativ gut Deutsch. Ich fragte, ob ich ein Zimmer haben könnte. Sie fragte mich, ob ich Pilger sei. „Ja.“ Da sagte sie mir, das Zimmer koste 40 Euro und für einen Pilger das Doppelte.

Das Doppelte?

Da schaut man natürlich schon ein bisschen komisch. Aber es half ja nichts. „80 Euro … Ich zahle das.“ Ich bat um ein Glas Pinot Grigio, das ich auch bekam – gefühlt 36 Grad warm. Dann schrieb ich in mein Buch …

In der Sommerzeit ist in Italien immer um 18 Uhr die Heilige Messe. Ich fragte die Frau, ob sie mich nicht begleiten könnte, weil ich gerne einmal eine Predigt übersetzt hören würde. Da zog die Frau vom Leder: „Kommt überhaupt nicht in Frage! Ich will mit diesem Verein nichts mehr zu tun haben. Gott ist für mich gestorben …“ Ich kann nicht alles wiederholen, was da los war. Ich saß da und wusste nicht, was ich da jetzt angestellt hatte. Und dann erzählte mir die Frau, dass sich fast genau zur gleichen Stunde, in der ich angekommen war und wegen eines Quartiers angefragt hatte, zehn Jahre zuvor ihre Tochter mit 31 Jahren vor den Zug geworfen und ihr die einjährige Enkeltochter zurückgelassen hat. Das letzte Mal sei sie bei der Beerdigung ihrer Tochter in der Kirche gewesen.

Ich habe mich dann ein bisschen für die Kirche frisch gemacht, meinen Rucksack gepackt, meinen Pilgerstab genommen und ging Richtung Kirche. Als ich gerade gehen will, kommt die Frau raus und sagt: „Ok, ich gehe mit.“ Sie geht mit mir in die Kirche und setzt sich neben mich. Normalerweise kommt ein italienischer Pfarrer, wenn er jemanden mit Rucksack und Pilgerstock sieht, auf einen zu. Der Pfarrer, so glaubte ich, geht auf mich zu und nimmt dann aber die Frau in den Arm. Beide weinen. … Der Pfarrer hält die Heilige Messe. Nach der Messe gehen die Frau und ich schweigend nach Hause.

Ich wollte sie nicht fragen, was der Pfarrer gepredigt hat. Und sie hat wahrscheinlich auch nichts sagen wollen. Dann habe ich mich hingesetzt, etwas in mein Buch geschrieben … Und da kommt sie heraus, bringt mir eine eiskalte Flasche Pinot Grigio und meine 80 Euro.

Da ist etwas Großes bei ihr passiert …

… und sagt zu mir: „Gerhard, du bist ein guter Mensch. Ab heute gehe ich wieder in die Kirche.“ Das geht mir immer noch nah, dass ich – von Schwandorf weg – genau zu dem Zeitpunkt dahin gekommen bin.

So, als bist du da hingeführt worden …

Ja, so ist es mir vorgekommen. Da kommen mir jetzt noch die Tränen in die Augen.

Die Pilgerreise hat dich nachhaltig verändert. Wie würdest du den Gerhard vor und wie nach der Reise beschreiben?

Vor der Reise war ich wie jeder andere Mensch auch, der im Geschäft steht, sich um seine Familie kümmert und seinen Job macht. Und ein bisschen so der Patriarch ist … Wir haben unsere Kinder schon an der langen Leine gehabt, aber man hat schon angezogen, wenn es nicht funktionierte.

Und jetzt – das habe ich gelernt und auch beibehalten – höre ich meinen Kindern mehr zu. Ich höre auch anderen Leuten mehr zu. Wenn man in einer Führungsposition ist und entscheidet, hört man nicht jedem zu. Ich habe mir eines angewöhnt: Ich höre drei Minuten zu. Wenn der Mensch mir innerhalb von drei Minuten nichts zu sagen hat, steh ich auf und geh. Ich diskutiere nicht mehr, ich mache nichts mehr, ich gehe einfach. Mir ist die Zeit dann zu schade. Genau mit diesem System habe ich Leute kennengelernt und die Erfahrung gemacht, dass man Gespräche nur zulassen muss – auch bei wildfremden Leuten. Und ich habe auf der Pilgerreise gelernt, Fremden zu vertrauen. Das war für mich ein Quantensprung. Einem Fremden zu vertrauen, ist für mich schwierig. Na ja, gut, ich bin Oberpfälzer, da ist man eher ein bisschen zurückhaltender gegenüber Fremden.

Und das hat sich sehr verändert …

Das hat sich verändert.

Du hast wahrscheinlich auch ganz andere Begegnungen seither oder ziehst andere Menschen an …

Ja, ich ziehe andere Menschen an und weiß aber nicht, warum. Die erzählen mir einfach alles. Ich habe schon einmal gesagt: Stopp, ich bin kein Beichtstuhl. Alles will ich auch nicht wissen.

Was überrascht dich heute am meisten an dir selbst?

Trotz allem Stress die absolute Gelassenheit, die ich habe. Ich kann mich zwar noch ärgern, aber nicht mehr so wie früher. Ich denke mir dann, dann ist es halt so. Lass Fünf gerade sein, reg dich nicht auf. Das ist dein Leben. Früher hätte es das nicht gegeben. Meine fünf Kinder – ich war immer unterwegs – hat meine Frau alleine erzogen. Und heute, wenn meine Enkelin kommt, egal, was ist, lass ich alles liegen und stehen und spiele mit ihr. Meine Frau sagte schon: „Die Zeit, die du für deine Enkeltochter aufwendest, das hast du bei unseren Kindern die letzten 30 Jahre nicht gemacht.“

Das ist aber auch ein bekanntes Phänomen bei Eltern und Großeltern …

Wahrscheinlich. Und jetzt erlebe ich das Phänomen selber. Das ist einfach wirklich schön. Und die Zeit nehme ich mir einfach.

Und mehr Gelassenheit ist bestimmt auch besser für dein Herz …

Das auf alle Fälle. Noch besser wäre es, wenn ich das Rauchen aufhören würde. Aber nachdem ich weiß, dass ich 96 Jahre alt werde …

Woher weißt du, dass du 96 wirst?

Das weiß ich nicht, das habe ich schon vor 36 Jahren gesagt. Und meine Frau wird 96,5 Jahre alt.

Und ihr seid ein halbes Jahr auseinander?

Ja. Und sie wird 96,5, weil sie es ohne mich sowieso nicht aushält.

Eine schöne Vision!

Warst du jemals ernsthaft in Gefahr auf deiner Pilgerreise? Hattest du manchmal das Gefühl, jetzt ist da etwas oder jemand, das dich besonders beschützt?

Ja … Wenn man des Italienischen nicht mächtig ist und in eine gesperrte Zone gerät, weil da eine Treibjagd ist und du dann Kugelpfeifen hörst, dann wird dir schon ein bisschen anders zumute. Die Jäger haben die Jagd unterbrochen, bis ich durch gewesen bin und haben dann erst wieder weitergemacht.

Und einmal war ich auf einer Art Gemeindeverbindungsweg, einmal geteert, der dann wieder durch Bäume und Sträucher durchführte. Auf einmal steht da eine dunkelhäutige Frau. 500 Meter weiter wieder eine, 500 Meter weiter wieder eine, 500 Meter weiter drei. Da habe ich mich schon gefragt: Wo bist du jetzt? Ich hatte schon eine entsprechende Vermutung, als ein Wagen der Carabinieri neben mir bremst. Der eine steigt aus, der andere mit der Maschinenpistole im Anschlag. Was ich da mache? Ich habe meinen Pilgerausweis und meinen Personalausweis rausgezogen. Dann haben die erst einmal meinen Rucksack durchsucht. Da waren meine Herztabletten drin. Ob das vielleicht Drogen seien? Du versuchst es ihnen klar zu machen und Gott sei Dank sprachen sie relativ gut Englisch. Sie fanden auch noch mein Pfefferspray. Das ist wichtig, wenn man pilgert – gerade für die wilden Hunde in Italien. Ich habe das einmal gebraucht. Mir wurde dann erklärt, dass das eigentlich ein Sperrbezirk ist. Da sei ich mittendrin unter Prostitution, Zuhälterei, Drogenhandel und dem Flüchtlingsproblem. Für einen Rompilger sei das nicht unbedingt gut. Die fuhren mich dann die 5 km aus dem Sperrbezirk raus und wünschten mir eine gute Weiterreise nach Rom.

Du warst wie ein Wesen von einem anderen Stern …

Die haben mich schon angeschaut … Der Bart war entsprechend und die Haare, die Kleidung natürlich. Um das vielleicht einmal deutlich zu machen: Als mich meine Frau bei der Rückkehr in München vom Bahnhof abholte, sagte sie als allererstes: „Schmeiß mal deine Jacke hinten in den Kofferraum.“ Zuhause bei der Haustüre meinte sie: „Ich glaube, du gehst gleich einmal in unseren Waschraum und wirfst deine ganze Kleidung dorthin …“ Das war nachts um 1 Uhr. Und dann habe ich richtig in meiner eigenen Dusche geduscht. Und dann hat mir meine Frau eine Kartoffelsuppe gemacht, die ich mir gewünscht hatte. Da hatte ich einen Heißhunger.

Das sind dann Momente, die vergisst man sein Leben lang nicht mehr …

In der Früh um ein Uhr eine Kartoffelsuppe!

Eine Pilgerreise macht man, weil man ein Gläubiger ist. Wie war dein Verhältnis zu deinem Glauben vor der Reise? Wie hat sich diese Pilgerreise auf deinen Glauben ausgewirkt?

Ein gläubiger Mensch war ich immer schon, ein Christ. Bloß habe ich im Laufe der Zeit mit der katholischen Kirche gehadert, mit der Amtskirche. Was so alles vorgefallen ist, das hat mich getroffen. Auch die Berichterstattung durch die Medien. Es ist doch nicht jede Ordensfrau, jeder Ordensmann, jeder Priester ein Übeltäter! Das war ja schon fast eine Massenhysterie. Trotzdem hat mir das alles nicht so richtig gutgetan. Da habe ich viel überlegt … Ich wusste dann aber doch, ich habe schon den richtigen christlichen Glauben.

Das war dein persönliches Finden zu Gott und dass du da schon richtig unterwegs bist?

Ja. Und dass ich mein Leben lang richtig unterwegs gewesen bin. So wie er mir wahrscheinlich oft ein Heer von Engeln nachgeschickt hat, denke ich auch, dass das alles so hat sein müssen. Dass ich da gehe … Ich weiß jetzt nicht, wohin mich meine Wege führen. Früher habe ich meine Wege geplant. Jetzt machst du das und das, morgen dieses und jenes. Und heute lehne ich mich zurück, nehme es und sage, „Herrgott, vergelt’s Gott“.

Vertrauen nicht nur Fremden gegenüber, sondern ein anderes, tieferes Gottvertrauen?

Ich kann es vielleicht so beantworten: Vor dem Sterben, vor dem Tod habe ich keine Angst.

Ist das durch die Pilgerreise passiert, dass du vor dem Sterben keine Angst hast?

Das war vorher schon. Ich habe einfach keine Angst und weiß, dass ich beschützt bin. Ich habe eine liebe Familie daheim, fünf nette Kinder, die alle ihren Weg gehen. Eine liebe Frau, die mich seit 38 Jahren erträgt …

Das hört sich an wie das höchste Glück auf Erden …

Für mich ist es das auch.

Greifen wir noch einen besonderen Moment heraus – das Ankommen in Rom. Bei den letzten Metern dachtest du, du schaffst es nicht mehr. Wie das ja oft auch bei einem Marathonlauf ist. Du hast es aber doch geschafft!

Geschafft! Die offizielle Bestätigung als Pilger

Die letzten 500 Meter laufen ab wie in Zeitlupe. Dir tut alles weh. Krämpfe in den Füßen durch Magnesium- und Kalziummangel. Teilweise taube Oberschenkel. Das Kreuz tut dir weh. Einem umsichtigen Italiener habe ich es zu verdanken, der mich noch am Rucksack erwischte, damit ich nicht bei Rot über die Kreuzung laufe. Und in Rom war ein bisschen Verkehr … Du gehst dann da rauf und gehst da rauf und gehst da rauf. Und du kommst da nicht hin.

Und dann stehst du da oben – am 4. September, um 9.59 Uhr abends. Alleine … immer dann … Einem Carabinieri habe ich zu verdanken, dass dieses Foto entstanden ist. Komisch, genauso alleine, wie ich nach Rom gegangen bin, bin ich alleine angekommen. Das war schon etwas …

Der größte Moment der ganzen Reise?

Ja. Ich dachte mir noch, so könnte sich Reinhold Messner gefühlt haben, als er ohne Sauerstoffmaske auf den Mount Everest gestiegen ist. Für mich war das unerreichbar: Raucher, Übergewicht, unsportlich … Mit meiner Frau habe ich fast jeden Tag telefoniert, wo ich bin und so. Ich habe zu ihr gesagt, „ … Ich mag nicht mehr, ich kann nicht mehr… Was habe ich mir da angetan?“. Sie sagte nur: „Jammere mir nichts vor. Das hast du dir selber eingebrockt.“

Und dann genießt du es nur noch. Zeitgefühl? Ich weiß nicht, wie lange ich da vor dem Petersplatz saß, vogelwach. Auf einmal hat mir nichts mehr weh getan.

Alle Schmerzen weg?

Da fällt alles ab, alles runter. Das kann man sich nicht vorstellen, als wenn die ganze Last, die du dein Leben lang mitgeschleppt hast, weg ist, alles weg. Hirn frei, Kopf frei – klasse!

Und dann hattest du noch so ein spezielles Erlebnis, denn du hast ja wieder einmal eine Übernachtungsmöglichkeit gebraucht.

Oh Mann! Man muss sich das einmal vorstellen: Fünf Jahre zuvor hatte ich mit meinem Sohn einen Männerausflug gemacht – mit einer Reisegruppe nach Rom. Fünf Tage. Und das Hotel ist in der Nähe vom Petersplatz, so ein Fünf-Sterne-Schuppen.

Das ist eigentlich schon cool, nach so einer Pilgerreise ein Fünf-Sterne-Schuppen …!

Das Hotel kannte ich und dachte, ok. Ich komme da also rein, Mords ein Gewusel, jeder guckt mich so von der Seite an. Und ich will gerade fragen, als der zu mir sagt, dass das Haus wohl nicht meinem Budget entsprechen würde. In meinem früheren Leben hätte ich den gepackt und über den Tresen gezogen. Aber du bist so müde und so gelassen … Ich habe mich umgedreht, bin rausgegangen und dachte mir, „pennst jetzt am Petersplatz, das ist mir jetzt auch egal“.

Dann komme ich noch einmal an solch einem Nobel-Schuppen vorbei und denke mir gerade, da brauchst du eh nicht fragen … Ein Portier steht davor und fragt, auf Deutsch: „Sind Sie Pilger?“ „Ja.“ „Brauchen Sie eine Unterkunft?“ „Ja.“ Er nimmt mich mit rein, der Nachtportier ist drin, der mich aufs Zimmer bringt und sagt: „Das mit dem Anmeldeformular können wir alles morgen machen …“ Als ich aus der Dusche komme, klopft es an meiner Zimmertür: „Room-Service!“ Ich hatte nichts bestellt. Steht der Nachtportier draußen mit Parmaschinken, Honigmelone, Früchten, einer Flasche Rotwein und nicht zu vergessen, einer Flasche Shampoo.

Ich habe mich bedankt, am nächsten Tag gefrühstückt, bin in den Petersdom gegangen. Dort habe ich meine Gebete gemacht: ein Vater Unser für die Leute, die kein Geld für das, was sie mir gegeben haben, wollten. Da war ich vier Tage dort …

Und der Name des Hotels war doch besonders …

Erst, als ich nach vier Tagen wieder ausgezogen bin, habe ich das bemerkt … Im Zimmer stand: 150 Euro pro Übernachtung mit Frühstück. Auf diese Summe hatte ich mich schon eingestellt. Dann gibt er mir den Zettel und sagt: „Ich hoffe, Sie sind mit der Summe einverstanden.“ Pro Übernachtung 40 Euro, Essen und Trinken frei. Und erst dann habe ich gesehen, welches Hotel das war: San Pietro!

Noch ein wunderbares Geschenk zum Ende deiner Pilgerreise …

Ja, die waren wirklich sehr herzlich. So, wie ich ausgesehen habe! Ich weiß nicht, ob ich mich selber mitgenommen hätte.

Verändert man sich dann selber auch? Wird großzügiger?

Ja.

Schaut doppelt und dreifach hin?

Ja. Und man wird großzügiger mit Zeit. Man nimmt sich Zeit … Das ist eigentlich das Wichtigste, dass man sich Zeit nimmt. Und Zeit habe ich mir früher nicht genommen.

Wird man auch hilfsbereiter?

Ja, definitiv. Wirklich, ist so.

Du planst ja schon wieder deine nächste Pilgerreise. Und auch die ging interessant los: Du hattest ein bestimmtes Ziel und dann hattest du einen Traum, weshalb du dann dein Ziel geändert hast …

Ich wollte nach Jerusalem gehen.

Wie lange würde man denn da gehen?

Na ja, so ein knappes Jahr.

Ein knappes Jahr?

Das sind 3.627 Kilometer. Da weiß ich aber nicht, in welche Richtung. Syrien muss ich umschiffen, Libanon, dann runter … Das wäre es so ungefähr gewesen.

Und dann träumte ich von Fatima. Ich bin aufgewacht und habe alles über den Haufen geschmissen. Jetzt plane ich von Schwandorf über Lourdes, Santiago de Compostela nach Fatima – das ist das Endziel. 2.600 Kilometer, 120 Tage. Ich hoffe, dass ich da runterkomme.

Wie hat sich das im Traum geäußert? Fatima?

Keine Ahnung …

Das war einfach in deinem Kopf? Du bist am Morgen aufgewacht und hast gewusst: Richtungswechsel?

Richtungswechsel. Ich muss da hin, ich gehe dahin. Ich weiß auch nicht, warum und denke auch nicht mehr darüber nach.

Aber deine Reise hat bereits begonnen?

Im Kopf schon. Dieses Mal hat mich mein Verleger dazu angeregt und gesagt: „Gerhard, schreibe bitte auf den ersten Seiten, warum du überhaupt gehst. Fange mit dem Traum an. Fange damit an, was dir so in den Sinn kommt.“

Der Weg … Ich weiß nicht, ob ich es gesundheitlich schaffe. Was kommt auf mich zu? Welche Richtung schlage ich ein? Es gibt drei verschiedene Wege, wie ich da hinkomme. Ich gehe halt einfach los.

Das sind nicht Fragen, die dich wirklich beschäftigen …

Ich weiß nicht, warum ich gehe. Nach Rom, das war, weil ich bisher ein gutes Leben hatte und alles gut gegangen ist. … Als ich dann drei, vier Monate zuhause war, habe ich meiner Frau gesagt, dass ich nach Jerusalem gehe. Da hat sich mich schon angeschaut, weiß aber auch, dass ich das brauche. Das wissen auch meine Kinder. Die sagen, unser Vater wird auf seine alten Tage richtig cool. Das Interessanteste war, dass die Freunde meiner Kinder meinen Weg nach Rom über Facebook mit verfolgt haben. Und ich hatte mich schon immer gefragt, wer ist das denn alles?

Wenn ich dieses Mal gehe, wird es keine Einträge bei Facebook geben. Keiner muss wissen, wo ich bin. Ansonsten mag ich den Kopf frei haben und lasse das auf mich zukommen, warum ich da überhaupt hingehe. Es zieht mich dahin … Ich weiß nicht, was auf meinem Weg passiert, wie auch immer …

Du wirst beschützt sein …

Davon gehe ich aus, sonst wäre mir das nicht eingefallen. Außer, ich werde so krank, aber dann ist auch das ein Zeichen. Wie sagt man bei uns? Wie es ist, so ist es.

Hast du zum Schluss unseres Gesprächs für die Menschen, die uns zugehört haben, noch einen Tipp, wie sie mehr innere Ruhe finden und vielleicht auch das Glück für sich?

Das Beste ist, wenn man sich von Einflüssen, die einem in unserer Zeit so wichtig scheinen wie über Internet, Facebook, Twitter und Co., mehr fernhält. Die Leute glauben, dass das Kommunikation ist. Kommunikation ist, wenn wir beide miteinander reden. Dahin sollten die Leute wieder zurückfinden. Die sollten miteinander reden, von Angesicht zu Angesicht. Dann kommt auch nicht so viel Schmarrn heraus. Man beschimpft sich leichter über Facebook. Wenn man von Angesicht zu Angesicht redet, sucht man nach Kompromissen, weil das sonst keinem guttut. Ich kann den Leuten nur sagen: Schaltet einfach ab. Schaut weniger Fernsehen. Greift zu Literatur oder zu Medien, bei denen ihr sicher sein könnt, dass diese einigermaßen die Wahrheit bringen.

Und vor allem – in sich reinhören, einmal am Tag. Ich mache zweimal am Tag – in der Früh, bevor ich in die Arbeit gehe, und am Abend, wenn ich wieder heimkomme – meine Meditation. Eine Viertelstunde, 20 Minuten, und dann habe ich den Kopf frei für das Nächste.

Ganz herzlichen Dank und alles erdenklich Gute für deinen weiteren Weg!

 

Das Buch „Es führen viele Wege nach Rom. Einer davon ist meiner“ ist im Verlag Lassleben/Kallmünz erschienen. Weitere Infos unter: https://www.oberpfalzverlag-lassleben.de/produkt/es-fuehren-viele-wege-nach-rom/

 

 

 

 

 

 

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