von Florian Roithmeier
„Flüchtlinge kommen, um unser Sozialsystem auszunutzen und verursachen nur Kosten!“ – „Migrant*innen wollen nicht Deutsch lernen!“ – „Millionen Afrikaner*innen werden nach Deutschland kommen!“ Behauptungen wie diese hört man seit einigen Jahren immer häufiger. Grund: Die steigende Anzahl an Menschen, die nach Europa fliehen. Etliche Medien und Parteien bedienen sich solcher Behauptungen, um die Bevölkerung für sich zu gewinnen. Doch was ist dran an diesen „Stammtisch-Thesen“? Eine sachliche Auseinandersetzung fehlt meist. Namhafte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler*innen aus Österreich haben sich unter der Federführung des Soziologen Dr. Max Haller zugesammengetan, um Aussagen, die im Zusammenhang mit Migration und Integration häufig fallen, wissenschaftlich zu untersuchen. Ihre Ergebnisse fassen sie in dem Buch „Migration und Integration – Fakten oder Mythen? 17 Schlagwörter auf dem Prüfstand“ zusammen.
Das Buch teilt sich in 17 Kapitel zuzüglich Einleitung. Jeder These, die ein bis drei Wissenschafter*innen unter die Lupe genommen haben, ist je ein Kapitel gewidmet. Die Aussagen wurden in Bezug auf Österreich hin untersucht, weshalb sich die Ergebnisse nicht eins zu eins auf die Situation in Deutschland übertragen lassen. Parallelen können trotzdem gezogen werden. „Wir hoffen, dass dieser Band einen Beitrag zur Versachlichung der oft emotional und polemisch geführten Debatten zu [den] Themen [Migration und Integration] leistet“, schreibt Dr. Max Haller, ehemaliger Professor an der Universität Graz und Herausgeber des Buchs, in der Einleitung.
Beiträge zu Migration und Integration wissenschaftlich fundiert
Positiv an den einzelnen Kapiteln ist, dass sie wissenschaftlich fundiert aufbereitet sind. Die Autor*innen arbeiten mit Statistiken, Grafiken und Tabellen. Dennoch ist kein Beitrag zu einer These länger als 20 Seiten. Teils dringen die Wissenschaftler*innen trotzdem sehr tief in die Hintergründe und Details der zu untersuchenden Aussage ein. Die Texte sind daher an vereinzelten Stellen nicht ganz einfach zu lesen. Andererseits ist dies unerlässlich, um die Zusammenhänge zu verstehen und der Wissenschaftlichkeit Rechnung zu tragen. Am Ende jedes Kapitels findet man ein Quellenverzeichnis und eine kurze Zusammenfassung, ob die behandelte These nun im Wesentlichen zutrifft oder nicht.
Was ist Migration? Wer ist ein „Wirtschaftsflüchtling?“
Was mir beim Lesen gut gefallen hat, ist die Herangehensweise an jede These. Beispiel: Die Behauptung „Die meisten Migrant*innen sind Wirtschaftsflüchtlinge.“ Um zu untersuchen, ob das stimmt, ist zunächst zu klären, was unter „Wirtschaftsflüchtlingen“ zu verstehen ist. Der Begriff wird in der politischen Debatte verwendet und impliziert, dass jemand keinen „echten“ Asylgrund gelten machen kann, kein Bleiberecht hat und nur deshalb kommt, um Sozialleistungen auszunutzen. Begriffe wie diesen wissenschaftlich einzuordnen, ist die Herausforderung, der sich die Autor*innen stellen mussten. Wer ist ein*e Migrant*in? Zählen dazu nur diejenigen, die aus Fluchtgründen zu uns kommen oder auch EU-Ausländer*innen, die der Arbeit wegen hier sind? Weitere Thesen, denen das Buch nachgeht: Ausländer*innen würden sich nicht zu inländischen Werten bekennen, die Politik unterstütze Zuwanderer mehr als Einheimische oder „So viel Migration wie aktuell gab es noch nie!“.
Pauschalisierungen vermeiden und nicht alle in einen Topf werfen: Dieser Tenor zieht sich durch alle Beiträge. Deutlich wird, dass es für den gesellschaftlichen Diskurs wenig hilfreich ist, verallgemeinernd von „den Flüchtlingen“ oder „den Ausländern“ zu sprechen. Um eine sachliche Auseinandersetzung führen zu können, ist es notwendig, zu differenzieren. Das gelingt den Autor*innen gut!
Fazit: Pauschalen Aussagen auf den Grund gehen
In ihren Beiträgen können die Wissenschaftler*innen etliche der 17 Aussagen widerlegen. Viele von ihnen sind deshalb in ihrer Allgemeinheit „falsch“, weil sie auf Pauschalurteilen beruhen. Das Buch leistet wertvolle Hilfe, sich kritisch und differenziert mit dem Thema Zuwanderung auseinanderzusetzen.
„Migration und Integration – Fakten oder Mythen? 17 Schlagwörter auf dem Prüfstand“ ist laut des Verlags der Österreichischen Akademie der Wissenschaften das erste Buch, das Behauptungen, die zum Thema Migration aufkommen, wissenschaftlich untersucht. Allen, die sich für die Thematik interessieren und sich nicht mit „Stammtischparolen“ abfinden wollen, ist es sehr zu empfehlen. Vielleicht motiviert es andere, zu einer sachlicheren Diskussion zum Thema Migration beizutragen – zum Beispiel, indem man die Thesen auch in Bezug auf Deutschland auf den Prüfstand stellt.
Migration und Integration – Fakten oder Mythen?
17 Schlagwörter auf dem Prüfstand
erschienen 2019
Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
294 Seiten
ISBN: 978-3-7001-8421-8
Preis: 18,90 Euro
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