Interview: Isolde Hilt
Sehr viele haben ein großes Herz und würden sich auch gerne engagieren: für Menschen in Not, verursacht durch Krieg oder andere Unglücksfälle, im Bereich Bildung, Natur- und Umweltschutz oder zur Stärkung der Demokratie. Die Idee, wie sich das umsetzen ließe, wäre auch schon da. Doch oft sind es gefühlt große Hürden wie „Behördenkram“ oder die Frage nach der Finanzierung, die so manch vielversprechendem Projekt wieder den Wind aus den Segeln nehmen.
Seit gut zwei Jahren gibt es die gemeinnützige Organisation WE AID in Berlin, die bei solchen Vorhaben auf den Plan tritt. Ihr Anliegen: „Wir schaffen gemeinnützige Strukturen, in denen alle Menschen, die helfen wollen, ohne Verwaltungsakt und Kosten unmittelbar loslegen können.“ Ein fast unglaubliches Angebot. Wir haben bei David Juris, Projektleitung bei WE AID, nachgefragt.
Ihr möchtet mit WE AID das Rückgrat der Zivilgesellschaft stärken. Wie kann man sich das vorstellen?
Menschen engagieren sich gerne, aber nicht unbedingt in festen Strukturen. Das zeigen jüngste Publikationen wie die Ziviz-Studie zu informellem Engagement*. Oft möchte man sich spontan oder zeitlich begrenzt engagieren, was jedoch aufgrund bürokratischer Prozesse oft nicht möglich ist. Um ein eigenes Hilfsprojekt zu starten, benötigt man mehrere Monate. Einen Verein gründen, einen Freistellungsbescheid erhalten oder ein Bankkonto eröffnen – das braucht Zeit.
Zivilgesellschaftliches Engagement sollte unserer Meinung nach einfach und für jeden machbar sein. WE AID war anfangs als ein Instrument für zeitlich begrenzte und Krisennothilfe gedacht. Jetzt sprechen wir alle an, die sich ohne Bindung an feste Strukturen oder zeitlich begrenzt engagieren wollen. Mit diesem Angebot sind wir in Deutschland die ersten.
Was ist euer wichtigstes Anliegen?
Wir möchten zivilgesellschaftliches Engagement ermöglichen und fördern. Dazu stellen wir Strukturen bereit, die solch ein Engagement sowie Ehrenamt in akuten Krisensituationen kurz- und mittelfristig erleichtern. Unser Ziel ist, dass finanzielle Unterstützung von Spender*innen direkt gemeinnützigen Initiativen und Organisationen zugutekommt.
Wie seid ihr auf die Idee zu WE AID gekommen? Was gab den Ausschlag?
WE AID wurde als Tochtergesellschaft von PHINEO – einem gemeinnützigen Beratungs- und Analysehaus – gegründet. Damit wollten wir als Reaktion auf den Angriff Russlands auf die Ukraine Hilfsinitiativen ins Leben rufen und deren Tätigkeit ermöglichen. 2022 konnten wir so schnell und unkompliziert wirkungsvoll Projekte umsetzen, um ukrainische Geflüchtete zu unterstützen.
Mit welchen Projekten kann man auf euch zukommen?
Wir verstehen uns als universelles Instrument, um schnell gemeinnützige Projekte umzusetzen – quasi eine Non-Profit-Struktur auf Abruf. WE AID eignet sich für alle privaten Initiativen, For-Profit-Organisationen oder Berufsverbände, die ein Hilfsprojekt mit anerkannt gemeinnützigem Zweck realisieren wollen.
Ihr steht also Leuten zur Seite, die etwas für das Gemeinwohl tun oder in Krisensituationen helfen möchten. Ihr nehmt ihnen die Arbeit ab, die hinter den Kulissen getan werden muss. Wie sieht das aus?
Ein Beispiel ist die Privatinitiative BerlinOdessaExpress, die seit des Kriegs humanitäre Hilfe mit regelmäßigen Hilfstransporten in die Ukraine leistet. Sie liefert nach Bedarfsanalyse mit den Partner*innen vor Ort Medikamente, medizinische Hilfsmittel und Technik in großem Umfang. Die Hilfsgüter gehen an Krankenhäuser, medizinische Versorgungszentren, Sozialverbände und NGOs, die diese dann an die Menschen weiterleiten, die dringend Hilfe benötigen. An verletzte und ältere Menschen, Menschen mit körperlichen und psychischen Einschränkungen sowie geflüchtete Familien.
WE AID kümmert sich dabei vollständig um die Verwaltungsaufgaben. Wir nehmen Spenden über Bankkonto oder PayPal entgegen, stellen Rechnungen aus und bezahlen Leistungen auf Anforderung der Initiative. Zudem stellen wir auch Spendennachweise aus. Wir übernehmen die gesamte Bürokratie. Nach Möglichkeit unterstützen wir auch beim Fundraising, bei der Kommunikation mit einem starken Netzwerk und ermöglichen es Initiativen, Förderungen zu erhalten.
WE AID ist Ansprechpartner für engagierte Privatpersonen, aber auch für Unternehmen und Organisationen, die eine Hilfsinitiative ins Leben rufen möchten. Habt ihr aus dieser Zielgruppe auch schon Anfragen?
2022 wendete sich Allrail, ein europäischer Verband unabhängiger Eisenbahnunternehmen im Personenverkehr, an PHINEO. Die Global Ukraine Task Force wurde eingerichtet, um die ukrainische Eisenbahn zu unterstützen – eine der wichtigsten Transportadern in dem kriegsgebeutelten Land. Wir sammelten schnell mehr als 300.000 Euro von Unternehmen und Einzelspendern ein. Durch Unterstützung von ECOVIS KSO gingen die Spenden in einem rechtlich formalen Rahmen an die Gewerkschaft der ukrainischen Eisenbahner*innen. Davon wurden ca. 13.800 Lebensmittelpakete sowie 18.000 Flaschen Trinkwasser gekauft und an die Eisenbahner*innen, ihre Familien an der Front und in neu befreite Gebiete der Ukraine geliefert.
Im Bündnis „Queere Nothilfe Uganda“ haben sich Vertreter*innen von Organisationen und Initiativen aus der LGBTIQ*-Community in Deutschland sowie engagierte Einzelpersonen zusammengeschlossen, darunter auch Menschen in oder aus Uganda und Ghana. Queere Menschen in Uganda brauchen Solidarität und Unterstützung. Nach Inkrafttreten des „Anti-Homosexualitäts-Gesetzes“ im Sommer 2023 drohen bei „homosexuellen Handlungen“ lange Haftstrafen oder sogar die Todesstrafe.
WE AID unterstützt das Bündnis durch die Verwaltung und Zuteilung der Spendengelder und kümmert sich darum, dass diese bedarfsgerecht verwendet werden. So kommen 100 Prozent der gespendeten Gelder den Spendenzwecken zugute, ohne Abzug von Verwaltungskosten. Jede Spende für die Initiative hilft, queere Menschen in Not mit dem Nötigsten zu versorgen: ein Dach über dem Kopf und Schutz vor Gewalt, Wasser und Lebensmittel, Medikamente und medizinische Versorgung, Datenvolumen und Gesprächszeit, um mit anderen in Kontakt zu bleiben, Beratung und Unterstützung.
Eine dritte wichtige Zielgruppe sind potenzielle Spender*innen. Wie findet ihr sie und wie sprecht ihr sie an?
Meistens bringen die Initiativen eigene Ideen, das Management und Fundraising mit. Wir bieten jedoch auch die Möglichkeit, Förderungen anzufragen, die nur an eine Non-Profit-Organisation gehen können und nicht an eine private Initiative. WE AID verfügt vor allem durch PHINEO über ein breites Netzwerk an Förderern und gibt den Initiativen Hinweise oder fragt selbst Förderungen an. WE AID versteht sich als Bindeglied zwischen Initiativen und Fördernden.
Für manche Projekte ist es vermutlich nicht einfach, Spenden zu erhalten, obwohl die Arbeit wichtig ist. Wie unterstützt ihr da?
Die Spendenbereitschaft variiert oft je nach Nachrichtenlage. Am Anfang der russischen Invasion waren die Menschen in Europa vom Kriegsausbruch schockiert, gingen zu Hunderttausenden auf die Straße und waren bereit zu spenden. Nach zwei Jahren ist die Spendenbereitschaft zurückgegangen.
Wir beraten Initiativen, wo es uns möglich ist, und geben Hinweise, wenn Fördermöglichkeiten bestehen. Zudem machen wir darauf aufmerksam, dass für eine langfristige Tätigkeit ein gewisser Grad an Professionalisierung erforderlich ist. Dabei profitieren Engagierte auch oftmals vom Angebot des Skala-Campus von PHINEO, wo gemeinnützige Themen wie Organisationsentwicklung oder Fundraising erläutert werden.
Wie finanziert ihr eure Arbeit?
Unser Ziel ist es, sicherzustellen, dass finanzielle Unterstützung von Spendenden direkt gemeinnützigen Initiativen und Organisationen zugutekommt. Wenn Initiativen die Struktur von WE AID nutzen, um sich auf Fördermittel zu bewerben, veranschlagen wir nach Absprache ein Pauschale zur Deckung unserer administrativen Kosten von 5 bis 10 Prozent.
Noch etwas, das euch wichtig ist?
Wir starteten mit unserem Angebot ohne langes Zögern, um einen wachsenden Bedarf zu decken. Aus dem Wunsch heraus zu helfen, aus Neugier und vielleicht als Experiment. Schnell wurde uns klar, dass es viele engagierte Menschen gibt, die dieses Instrument nutzen möchten. WE AID ist ein kostenloser Service für privates Ehrenamt, sozusagen Non-Profit on demand.
Unsere Vision und Mission bleiben: ehrenamtlichem Engagement fördern und Zugangshürden abbauen.
* https://www.ziviz.de/publikationen/informelles_engagement
Wer sich gerne von WE AID beraten lassen möchte, kann hier Kontakt aufnehmen:
E-Mail: contact@we-aid.org
Weitere Infos zu WE AID auf Deutsch, Englisch und auch Ukrainisch gibt es hier: https://www.we-aid.org/
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Ein Projekt, das dank WE AID zustandekam – der BerlinOdessaExpress.
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