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Gute Nachricht bei Darmkrebs

Aktuelle Studie belegt höhere Lebensdauer und ein längeres tumorfreies Überleben dank minimal-invasiver Chirurgie
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Interview von Isolde Hilt mit Prof. Dr. med. Alois Fürst, Facharzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Proktologie und Koloproktologie (E.B.S.Q)

Wollen wir lange und glücklich leben, sollten wir unseren Darm pflegen.

Der Darm ist hochkomplex, ein Wunderwerk der Natur. Bewusst nehmen wir ihn wahr, wenn wir dringend auf die Toilette müssen, an Verstopfung leiden, Blähungen oder gar Durchfall haben. Ab und zu registrieren wir, dass der Darm äußerst sensibel reagiert: Sind wir aufgeregt, haben Angst oder etwas Unrechtes gegessen, zwingt er uns aufs Örtchen. Im Urlaub macht er gerne auch einmal dicht, bis man sich an die neue Umgebung und das fremde Essen gewöhnt hat.

Ansonsten kriegen wir den Darm kaum mit. Dabei gilt er als das größte Immunorgan des menschlichen Körpers. In ihm befinden sich über 70 Prozent der Abwehrzellen, mehr als 90 Prozent aller Antikörper entwickeln sich hier.

Wollen wir lange und gesund leben, kommen wir nicht umhin, uns mehr mit unserem Verdauungsorgan zu befassen. Bösartige Tumore des Dick- und Mastdarmes haben sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Dabei ist diese Krebsart eine der wenigen, die wir tatsächlich beim Entstehen verhindern können, stellt Prof. Alois Fürst fest. Wird trotzdem Darmkrebs diagnostiziert, gibt es nun Nachrichten, die zuversichtlich stimmen. Anfang März stellt der Darmspezialist mit seinem Team auf dem Deutschen Krebskongress in Berlin die Ergebnisse aus einer zehnjährigen Studie vor, die sich mit der minimal invasiven Darmchirurgie befasst. Das Ergebnis: Wer nach diesem Verfahren operiert worden ist, lebt länger und vor allem länger tumorfrei.

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Stellen Sie uns den Darm kurz vor?

Der Darm wird in mehrere Abschnitte unterteilt, einmal in den sog. Gastrointestinaltrakt – hier findet vor allem im Magen und im Dünndarm die Verdauung statt. Der Dickdarm ist vorwiegend ein Sammelorgan mit einer großen Bakterienkultur, dem sog. Mikrobiom, das aktuell im Zentrum intensiver Forschung steht.

Sie haben es auch als Klärwerk bezeichnet. Da wird alles, was der Körper nicht braucht, verarbeitet, um verabschiedet zu werden …

Genau. Die Bakterienkultur baut die unverdaulichen Stoffe noch einmal ab, setzt sie um und es entstehen neue Substanzen; Wasser, Spurenelemente, Gallensalze werden zurückgewonnen.

Im Dickdarm passieren leider auch viele Dinge, die unangenehm sind. Der Dickdarm ist eines der anfälligsten Organe im Bauchraum. Da gibt es Entzündungen, Durchfallserkrankungen und leider auch Vorstufen von Tumoren bis hin zum bösartigen Darmkrebs.

Dabei wäre Darmkrebs, wie Sie betonen, der einzige Krebs, der sich verhindern lässt. Wie?

Der Darmkrebs entsteht nicht einfach so wie andere Tumore, die wir kennen. Im Darm entstehen sogenannte Polypen, gutartige Vorstufen, die nach meist jahrelanger Wachstumsphase in Bösartigkeit umschlagen können. Dieser Vorgang dauert durchschnittlich zehn Jahre. Das heißt, es ist wirklich sinnvoll, diese Vorstufen durch eine Vorsorgemaßnahme wie eine Darmspiegelung zu entfernen, bevor ein bösartiger Darmkrebs auftritt.

Ab welchem Alter sollte man eine Darmspiegelung machen?

Darmkrebs ist ein typischer Alterstumor und tritt ab 50 vermehrt auf. Der Altersgipfel liegt zwischen 60 und 70 Jahren. Die Kassen finanzieren eine Vorsorgespiegelung ab 55, wobei wir Ärzte empfehlen, eine solche Untersuchung ab 50 machen zu lassen. Außerdem sollte man immer eine Darmspiegelung machen lassen, wenn man veränderte Stuhlgangsgewohnheiten oder Blut im Stuhl bemerkt.

Männer gehen nur halb so häufig 
zur Vorsorgeuntersuchung wie Frauen.

In den letzten Jahren ist viel getan worden, um die Menschen zu ermutigen, sich mit ihrem Darm auseinanderzusetzen. Es gab und gibt Aufklärungskampagnen wie das große begehbare Darmmodell. Hat das in der Bevölkerung etwas bewirkt? Der Darm ist ja doch so ein „Teil“, über das man nicht so gerne spricht – das hat mit Ausscheidung zu tun, es stinkt …

Absolut. Geruch, Darmgase, Stuhlgang – das alles ist ein Tabuthema, über das man nicht gerne spricht. Insbesondere Männer haben damit ein ganz großes Problem.

Wieso?

Sie sind nicht so kommunikativ in diesem Bereich. Spricht man Männer auf eine Darmspiegelung an, ist das ein viel schwierigeres Thema als bei Frauen. Frauen sind da vorbildlich und sind es auch gewohnt, regelmäßig zur Vorsorge zu gehen, weil sie bereits als junges Mädchen mit der ersten Regelblutung eine Frauenärztin bzw. einen Frauenarzt aufsuchen. Der typische Mann geht nicht zum Doktor, nur wenn es wirklich irgendwo weh tut. Bekanntermaßen gehen Männer nur halb so häufig zur Vorsorgeuntersuchung wie Frauen.

Es hat sich also nicht viel geändert?

Es hat sich etwas verbessert. Das Vorsorgeprogramm wird seit etwa zehn Jahren angeboten. Deutschland war das erste Land auf der Welt, das die Vorsorge-Darmspiegelung ohne Kosten für Versicherte möglich gemacht hat. Das muss man ausdrücklich loben!

Ein bisschen etwas hat sich getan. Trotzdem – so steht es auf der Website des Regensburger Darmzentrums zu lesen – haben sich die bösartigen Tumore des Dick- und Mastdarmes in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Woran liegt das?

Darmkrebs ist sowohl bei Frauen als auch bei Männern etwa der zweithäufigste Tumor, der insbesondere ab einem Alter von über 50 vorkommt. Es fällt auf, dass diese Erkrankung in Industrieländern eine der häufigsten Tumorarten ist. Erfreulicherweise haben wir jetzt die ersten Hinweise, dass die Häufigkeit durch die Vorsorgebemühungen schon leicht zurückgeht.

Industrienation heißt, was machen wir anders? Wir ernähren uns anders, sind anderen Umwelteinflüssen ausgesetzt. Ist es darauf zurückzuführen?

Wir essen ballaststoffarm und sehr fleischlastig. Wir bewegen uns zu wenig. Wir betreiben zu wenig sportliche oder körperliche Aktivität. Das ist leider auch mit gehäuftem Tumorauftreten verbunden.

Spielt erbliche Vorbelastung eine größere Rolle?

Ja. Etwa 25 Prozent aller Darmkrebserkrankungen treten gehäuft in Familien auf. Die Anzahl der Erkrankungen, bei denen ein Gennachweis für eine erbliche Tumorerkrankung vorliegt, beträgt etwa drei Prozent. Diese Familien müssen engmaschig kontrolliert werden. Hier gibt es einen speziellen Vorsorgeplan, der bereits im Alter von 25 Jahren beginnt.

Trotz der Diagnose „Darmkrebs“ gibt es vom Regensburger Darmkrebszentrum und dem Tumorzentrum Regensburg vielversprechende Nachrichten. Sie haben anhand einer über zehnjährigen Patientenstudie festgestellt, dass diejenigen, die minimal-invasiv operiert worden sind, eher mit einer längeren Lebensdauer und vor allem damit rechnen können, dass der Krebs nicht wiederkehrt. Vielleicht können wir zunächst klären, wie von medizinischer Seite aus vorgegangen wird, wenn die Diagnose feststeht und die Behandlung zu klären ist.

Der komplette Körper wird nach kompletter Darmspiegelung untersucht. Das geschieht zum Beispiel durch eine Computertomographie oder eine Kernspinuntersuchung. So wissen wir genau, wo der Tumor sitzt.

Tumorchirurgie bedeutet, dass der Tumor mit Sicherheitsabstand und einschließlich Lymphabflussgebiet operiert werden muss. Was heißt das? Es muss ein Darmabschnitt des Dickdarms entfernt und Sicherheitsabstände sowohl nach unten wie oben hergestellt werden, weil der Tumor auch die örtlichen Lymphknoten befallen kann. Es kann sein, dass ca. 30 cm Dickdarm entfernt werden müssen.

Es gibt verschiedene Operationsverfahren. Welche stehen zur Auswahl?

Die herkömmliche Operation bedeutet, großer Bauchschnitt von oben direkt unter der Brust bis nach unten in den Schambereich und in der Mitte, damit wir gut an den Tumor herankommen. Das sind lange Schnitte, die den Patienten belasten. Das kann auch Folgen nach sich ziehen wie Bruchentstehungen oder Verwachsungen. Es tut entsprechend weh und der Heilungsprozess dauert relativ lange.

Sie sind auf eine andere Operationsmethode spezialisiert, minimal-invasive oder laparoskopische Chirurgie genannt. Wie kann man sich diese vorstellen?

In dieser Art der Tumorchirurgie heißt es, genauso perfekt zu operieren wie mit der offenen Chirurgie. Das haben wir umgesetzt. Das heißt, wir machen kleinste Schnitte von einem Zentimeter Länge, arbeiten mit einer sogenannten laparoskopischen Kamera, führen ganz dünne Instrumente ein und operieren genauso sorgfältig wie früher in der offenen Chirurgie – mit dem Unterschied, dass wir den Menschen und die Bauchdecke nicht so schwer verletzen müssen.

Wo wird denn bei einem Dickdarmkarzinom der Schnitt angesetzt?

Die laparoskopische Chirurgie verursacht weniger Verletzungen, der Heilungsprozess verläuft schneller.

In der Nähe des Bauchnabels wird die Kamera eingeführt und seitlich die Instrumente. Die Entfernung des befallenen Dickdarmabschnittes wird oberhalb der Symphyse (Schambeinfuge) oberhalb des Beckenknochens – dort, wo die Schambehaarung ist, vorgenommen. An dieser Stelle hat man wenig Schmerzen, keine Bruchgefahr und eine sehr gute Heilung. Die Frauen kennen die Stelle gut, dort wird der sogenannte Kaiserschnitt gemacht.

Bitte zum besseren Verstehen: Wo geht die Kamera hin, wenn sie in die Bauchhöhle eingeführt wird?

Die Kamera ist im Bauchraum. Damit wir Sicht haben, wird CO2 mit reingegeben. CO2 entsteht ständig im Körper, das kennt er und ist ungiftig. Dadurch wird die Bauchdecke wie ein Luftballon aufgeblasen und wir können den ganzen Bauch sehen, auch Organe wie zum Beispiel die Leber. Wir sehen den Tumorbereich, den wir vorher schon markiert haben, damit wir genau wissen, wo operiert werden muss.

Ist an der Kamera dann auch ein Licht?

Ja! Das ist eine technisch sensationelle Entwicklung. Wir arbeiten mit Kaltlicht. Über ein Lichtleitkabel fließt taghelles Licht in den Bauchraum und wir sehen fast besser als mit dem menschlichen Auge.

Seit wann arbeitet man mit diesem Verfahren, wenn es um Darmkrebs geht?

Die minimal-invasive Darmchirurgie hat Anfang der 90er Jahre begonnen. Wir in Regensburg waren sehr früh dran und haben zu diesem Zeitpunkt zunächst gutartige Tumore operiert. Die guten Erfahrungen haben wir dann für die Darmkrebschirurgie übernommen und diese Erfahrungen wissenschaftlich begleitet.

Sie haben vor über zehn Jahren mit einer Studie begonnen. Daran haben sich über 37.000 Menschen mit Dickdarmkrebs beteiligt. Die Daten kommen aus ganz Deutschland von ungefähr 30 Tumorzentren. Das bedeutet, ca. ein Drittel aller an Darmkrebs Erkrankten in Deutschland sind dadurch erfasst und man hat sehr gute Werte, um relativ zuverlässige Aussagen treffen zu können. Die Studie macht richtig Mut …

Ja, wir waren da sehr aktiv. Gott sei Dank haben wir mittlerweile ein Gesetz, das besagt, dass sämtliche Tumoren in ganz Deutschland registriert werden müssen. Was den Darmkrebs betrifft, haben wir in Regensburg diese Auswertung federführend gemacht.

Das ist einmalig in Deutschland?

Ja, das ist einmalig, dass wir einen so großen Datensatz auswerten konnten.

"Wir haben überraschenderweise festgestellt, dass die
schonend operierten Patienten ein signifikant längeres Leben
und längeres tumorfreies Überleben haben."

Diese Studie hat erwiesen, dass die laparoskopische Chirurgie hinsichtlich Lebensdauer und Gesundheit – also krebsfrei bleiben – enorm viel ausmacht.

Wir wollten eigentlich nur nachweisen, dass die laparoskopische Chirurgie, also die minimal-invasive Tumorchirurgie, genauso sicher ist wie die offene Chirurgie. Dabei haben wir überraschenderweise festgestellt, dass die schonend operierten Patienten signifikant länger leben und signifikant länger tumorfrei überleben.

Wichtig bei der Studie war auch, dass man nach einer Operation immer erst eine bestimmte Zeit braucht, um sagen zu können, „Ja, es ist tatsächlich so“. Wieviel Zeit ist da dazwischen vergangen?

Es hat sich eingebürgert und ist weltweit üblich, dass man Tumorpatienten fünf Jahre lang nachverfolgt. Nach dieser Zeit ist man sehr sicher, dass kein Tumor mehr auftritt oder nur noch ganz selten.

Wie erklärt man sich diese Ergebnisse? Lässt sich daraus schließen, dass es der Körper einem dankt, wenn nicht zu stark eingegriffen wird?

Das ist zu vermuten. Dieses Operationsverfahren verursacht weniger Verletzungen, das zeigt sich auch durch den besseren Heilungsverlauf.

Die Ergebnisse stellen Sie im März 2017 auf dem Deutschen Krebskongress in Berlin vor. Die Fachwelt hat die Ergebnisse vermutlich schon mitbekommen. Erste Reaktionen sind …?

Wir haben in Deutschland erfreulicherweise eine starke Zunahme der minimal-invasiven Operationsverfahren. Bei uns war man erst einmal sehr zurückhaltend und misstrauisch, ob diese Kamera-Operation auch so sicher ist. Nun ist es erwiesen, dass sie nicht nur sicher, sondern auch besser zu sein scheint.

Sport und Bewegung kann etwa
30 Prozent aller häufigen Tumore vermeiden.

Noch etwas, das hilfreich ist …?

Tumorbehandlung ist ein sehr komplexes Thema. Jeder Erkrankte frägt sich, warum ich? Es gibt sehr gute Studien, die zu dem Schluss kommen, dass wir gegen alle Arten von Tumoren viel tun können. Etwas, das in der westlichen Welt zu wenig gemacht wird: Sport und Bewegung kann etwa 30 Prozent aller häufigen Tumore vermeiden und ganz wichtig gerade beim Dickdarmkrebs: Durch eine Vorsorge-Koloskopie (Darmspiegelung) kann man fast jeden Dickdarmkrebs vermeiden.

 

Prof. Dr. med. Alois Fürst

Facharzt für Chirurgie, Bauchchirurgie, Proktologie, Koloproktologie (E.B.S.Q)

seit Anfang der 90er Jahre mit laparoskopischer Chirurgie befasst

Chefarzt und Bauchchirurg, Caritas-Krankenhaus St. Josef Regensburg

spezialisiert auf Tumorchirurgie, insbesondere auf minimal-invasive Chirurgie im Bauchraum

mehrfach von Focus als Experte für Tumoren des Verdauungstraktes ausgewiesen

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Empfehlung! Nach dem Interview mit Dr. Alois Fürst dachte ich mir, „ok, ich kaufe ihn mir doch“ – den Spiegel-Bestseller „Darm mit Charme“ von Giulia Enders, erschienen bei Ullstein. Die junge Wissenschaftlerin eröffnet einen ganz neuen Blick auf ein Organ, über das wir nicht so gerne nachdenken. Der Klappentext hat mich dann endgültig überzeugt, das Buch mitzunehmen: „Übergewicht, Depressionen und Allergien hängen mit einem gestörten Gleichgewicht der Darmflora zusammen. Das heißt umgekehrt: Wenn wir uns in unserem Körper wohl fühlen, länger leben und glücklicher werden wollen, müssen wir unseren Darm pflegen. Das legen die neuesten Forschungen nahe.“ Das Buch ist ausgezeichnet, gut verständlich und leicht verdaulich geschrieben. 🙂

 

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