von Florian Roithmeier
Herzogsägmühle, ein Ortsteil von Peiting im Landkreis Weilheim-Schongau in Oberbayern, 80 Kilometer südwestlich von München: Hier wohnen über 900 Menschen. Es gibt eine Kirche, ein Wirtshaus, einen Supermarkt, Schulen, Handwerks- und Gewerbetriebe sowie einen Friedhof. Auf den ersten Blick ein gewöhnliches Dorf. Das Besondere: Hier bekommen sozial Schwache eine Zukunft. Arbeit, ein Zuhause, Menschen, die sie wertschätzen. Das Dorf ist ein soziales Unternehmen – allerdings nicht am Profit, sondern am Gemeinwohl orientiert. Dafür hat das Sozialdorf als erste Einrichtung der Diakonie vor Kurzem eine Zertifizierung erhalten.
Herzogsägmühle gibt es seit 1894. Damals war es eine sogenannte Arbeiterkolonie – soziale Einrichtungen, die insbesondere für arme Wanderarbeiter und Obdachlose geschaffen worden waren. Sie dienten als „Auffangbecken“ und sollten sozial Schwachen Teilhabe, vor allem am Arbeitsmarkt, ermöglichen. Dieser Geist lebt bis heute im Sozialdorf weiter.
Hilfe für Benachteiligte aus der ganzen Region
700 Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Problemen, Krankheit oder Behinderungen leben in der Dorfgemeinschaft. „Die Menschen mit Behinderung stammen fast ausschließlich aus der Region. Wohnungslose kommen von überall her, die Jugendlichen überwiegend aus Bayern“, erklärt Direktor Wilfried Knorr. Rund 1.400 Mitarbeiter*innen der Herzogsägmühle kümmern sich darum, dass die Betroffenen eine Wohnung, Beratung zu ihren persönlichen Problemen, Hilfe im Alter und vor allem Arbeit bekommen.
So packen zum Beispiel junge Menschen in der dorfeigenen Öko-Gärtnerei mit an und werden dort ausgebildet. Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen auf dem Arbeitsmarkt keine Chance haben, helfen in der Wachsmanufaktur mit und wieder andere sind im Supermarkt beschäftigt. „Die Arbeitsplätze werden über die Leistungen der Kostenträger finanziert: Bezirk Oberbayern, Jugendämter, Arbeitsagenturen, Rentenversicherung – je nach Personengruppe“, so Knorr weiter.
Es geht nicht um Profit, sondern um das Gemeinwohl
Herzogsägmühle arbeitet nach dem Prinzip der Gemeinwohl-Ökonomie. Das bedeutet: Oberstes Ziel des Unternehmens ist es nicht, möglichst viel Umsatz zu machen – den macht Herzogsägmühle auch (2016: 91 Millionen Euro) –, sondern sich möglichst am Gemeinwohl zu orientieren. Die vier Kriterien dafür sind: Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, Mitentscheidung.
So setzt Herzogsägmühle die Gemeinwohl-Kriterien um
Im dorfeigenen „Mühlenmarkt“ setzt man auf Papiertüten statt Plastik, dünnere Kunststofffolie an der Fleischtheke und Mehrweg- statt Einwegbechern. Die Hälfte aller Produkte des Marktes kommen aus eigener Produktion. Wenn es darum geht, ein neues Gebäude zu bauen, werden der Dorfrat und der Dorfverein miteinbezogen. Der Chef soll nach den Kriterien maximal viermal so viel verdienen wie die Mitarbeiter*innen. In Herzogsägmühle beträgt der Faktor 3,51. Mit 428 von 1000 möglichen Punkten gehört Herzogsägmühle seit Kurzem zu den rund 400 Unternehmen europaweit, die eine positive Gemeinwohl-Bilanz aufweisen können. Im Bereich der diakonischen ist Herzogsägmühle das erste zertifizierte Unternehmen.
Herzlichen Dank an Matthias Knorr, der uns darauf aufmerksam gemacht hat!
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Eine Antwort
Ich arbeite nun seit dem 1.11.2008 in Herzogsägmühle als Berufskraftfahrer. Anfangs sollte es für mich ein Sprungbrett sein, nach schwierigen Zeiten wieder in Beschäftigung zu kommen. Nach einiger Zeit merkte ich, dass es mir gut tut und mir ein gutes Gefühl gibt, für diese Menschen tätig sein zu dürfen. Ist auch der Lohn etwas weniger als in der freien Wirtschaft, so habe ich aber einen absolut super Arbeitgeber, der mich in fast 10 Jahren nie enttäuscht hat. Ich liebe unser Dorf, auch wenn mal nicht alles so ganz normal ist.
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