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„Ich genieße das Leben mehr, da man nie weiß, wann es zu Ende ist.“

Die Arbeit auf einer Palliativstation zeigt einem deutlicher als in vielen anderen Berufen, wie wertvoll das Leben und jeder Augenblick sind.
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von Isolde Hilt

Am 12. Mai findet der internationale „Tag der Pflege“ statt. Er wurde der britischen Krankenpflegerin und Pionierin der modernen Krankenpflege, Florence Nightingale, zu Ehren eingeführt. Mit diesem Tag sollen alle Pflegekräfte weltweit geehrt und ihre Arbeit anerkannt werden. Eine repräsentative Umfrage von Infratest dimap 2016 – beauftragt vom Deutschen Bundesgesundheitsministerium – ergab, dass die große Mehrheit der Bevölkerung (95 Prozent) den Pflegeberuf für einen fachlich anspruchsvollen Beruf der Zukunft hält. 98 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Pflegende mehr Anerkennung für ihre Arbeit erhalten sollten.*

Meistens lernt man die Arbeit von Pflegekräften erst wirklich schätzen, wenn man persönlich darauf angewiesen ist – sei es für sich selbst oder für einen Menschen, der einem nahesteht. Erfahrungen wie diese im Evangelischen Krankenhaus Herne auf der Palliativstation prägen.

Ein Anruf am frühen Abend, der schlagartig alles verändert. In einem Augenblick rasen alle Gedanken, Fragen, Gefühle auf einmal durch den Kopf. Die Zeit steht von einer Sekunde auf die andere still. Bewegt sich nicht mehr. Gewissheit schiebt sich unaufhaltsam durch, intuitiv, auch wenn es noch nicht end-gültig bewiesen ist: Der geliebte Mensch wird so, wie du ihn all die Jahre kanntest, bald nicht mehr sein.

Wir alle wissen von diesen Momenten. Dass sie irgendwann unausweichlich auf uns treffen. Verbunden mit einem Schmerz, der, bevor es soweit war, im Unvorstellbaren wartete. Mit diesem Schmerz und dem Aus-der-Bahn-Geworfen-Werden haben Fachkräfte auf einer Palliativstation zu tun.

 

Auf der Palliativstation

Wenige Tage später nehmen medizinische Untersuchungsergebnisse die letzte Hoffnung, dass es doch noch anders sein könnte. Die Tumorerkrankung ist so weit fortgeschritten, dass kaum mehr Zeit bleibt, nur noch wenige Tage.

Da ist sie, die Tür, die die Palliativstation von der gewohnten Welt trennt. Ich scheue zurück, den Knopf zu drücken, der sie öffnet, als könnte ich damit den unweigerlichen Abschied aufhalten. Als ich den Flur betrete, bin ich überrascht. Der Gang ist freundlich, willkommen heißend gestaltet. Mit warmen Farben und Kunstbildern an den Wänden, einer kleinen Sitzgelegenheit, auf einem Tisch verschiedenfarbige Rosen liebevoll arrangiert. Und noch etwas fühlt sich anders an, so dass man nicht gleich erkennt, was es ist: Der geschäftigte Lärm, das hektische Hin- und Herlaufen fehlen. Das hat bestimmt auch damit zu tun, dass nur sechs Patient*innen aufgenommen werden können, wie ich später erfahre.

Der Prozess des Sterbens und Abschiednehmens verläuft bei jedem anders, so einzigartig wie der Mensch selbst, der im Begriff ist zu gehen. Dachte ich vielleicht vorher noch, dass es auf einer Palliativstation fast kein Leben und schon gar kein Lachen mehr gibt, so habe ich mich gründlich getäuscht. Eine Patientin aus der Türkei, die noch aufstehen und sich unterhalten kann, hat ihre große Familie zu Gast. Sie alle sitzen in der heimelig eingerichteten Wohnküche, plaudern, scherzen und lachen miteinander, als sei dieser Ort einer von vielen, an dem man sich gut zusammensetzen kann.

 

Angehörigen wird so gut als möglich jeder Wunsch erfüllt

Unsere Familie beschließt, Nachtwache zu halten. Ich weiß, dass ich hierbleiben möchte und bin zugleich doch ratlos. Ein Begleiten, das man nicht kennt, nicht vorhersehen kann, von dem man nicht weiß, wie dieses Loslassen denn gehen soll. Und so bleibt einem nichts anderes übrig, als sich dem, was da auf einen zukommt, zu überlassen.

Nach und nach, wenn die erste Betäubung etwas nachlässt, nimmt man auch die Schwestern wahr, die regelmäßig nach einem sehen, leise und vorsichtig nachfragen, ob sie etwas für einen tun können. Ich bin überrascht, dass wir Angehörige ebenso in ihrem Blick sind wie die Menschen, die sie in ihren letzten Tagen liebevoll, behutsam und zugleich hoch professionell betreuen.

 

„Man kann mit Menschen auch anders umgehen.“

In den Tagen, die ich auf der Palliativstation verbringe, steigen meine Achtung und Wertschätzung vor den Pflegekräften, die hier Dienst tun. Jede Schwester, jeder Pfleger verrichtet diese Arbeit mit großer Aufmerksamkeit und Sorgfalt. Das überträgt sich auch auf Angehörige und Nahestehende, die das Annehmen dessen, was ist, Schritt für Schritt lernen müssen.

Ich komme ins Gespräch mit Melissa Amelong. 2006 machte sie ihr Examen als Gesundheits- und Krankenpflegerin. Seit 2017 leitet sie die Palliativstation im Evangelischen Krankenhaus in Herne. Ob man für diese besondere Art der Pflege nicht noch eine Zusatzausbildung benötige, möchte ich wissen. Mit Menschen in Extremsituationen – ob Sterbende oder Angehörige – angemessen umzugehen, stelle ich mir schwierig vor. Die Weiterbildung „Palliative Care“ sei schon wünschenswert, bestätigt Melissa Amelong.

 

So jung und schon auf der Palliativstation arbeiten?

So viele junge Fachleute hätte ich auf einer Palliativstation nicht vermutet. Melissa Amelong ist erst 33 Jahre alt. Sie war bereits während ihrer Ausbildung auf einer solchen Station als Schülerin eingesetzt. „Mir gefiel es damals schon sehr, diese Arbeit zu machen. Den Patienten viel zu geben – in Ruhe, nicht mit diesem Stress, den man auf einer normalen Station hat.“ In dieser Zeit sei auch ihre Oma gestorben. Sie habe mit ansehen müssen, wie mit ihr umgegangen worden sei. Durch ihre Tätigkeit auf der Palliativstation wusste Melissa Amelong damals schon, dass man Menschen auf ihrem letzten Weg auch anders begleiten kann. „Nach meiner Ausbildung habe ich auf einer Station gearbeitet, wo die Menschen eine Chemo- oder Strahlentherapie erhielten. Dort waren auch viele Palliativpatienten. Ich habe dann die Weiterbildung ‚Palliative Care‘ gemacht und bin auf eine Palliativstation gewechselt.“ Angehörige oder auch Patienten gäben trotz der Erkrankung sehr viel zurück, auch wenn es nur einmal ein kurzes Gespräch oder eine Umarmung seien.

 

Wie hält man diese ständige Konfrontation mit Sterbeprozessen aus?

Die noch junge Stationsleitung gesteht ein, dass die fast tägliche Auseinandersetzung mit dem Sterben zeitweise schon belastend sei. Insbesondere, wenn man sich mit einem Patienten gut verstanden habe, gehe einem dessen Tod schon sehr nahe. Die tiefe Angst vor dem endgültigen Abschied, die fast alle Menschen verspüren, ist ein großes Tabu in unserer Gesellschaft – in der Großstadt noch mehr als auf dem Dorf, bestätigt Melissa Amelong. „Jeder Patient geht anders damit um, jeder verarbeitet das anders. Manche reagieren mit Wut, andere machen es mit sich selbst aus und lassen niemanden an sich heran. Ich muss auch ehrlich sagen, ich weiß nicht, wie ich bin, wenn ich an diesen Punkt komme.“ Bei den Angehörigen verhält es sich ähnlich: Jede*r geht mit dem Unausweichlichen und dem damit verbundenen Schmerz anders um. Ein gut eingespieltes Team auf einer Station sei deshalb unendlich viel wert, um die zu betreuenden Menschen auch auffangen zu können.

Gibt es auch schöne Erlebnisse auf einer Palliativstation?

Zu meiner Überraschung gibt es sehr viele Momente, die in der Arbeit mit todkranken Menschen in Erstaunen versetzen und bereichern. Wenn Patienten, die im Sterben liegen, ihre ganze Kraft sammeln, um noch einmal einen Menschen zu sehen, kommt das schon einem Wunder gleich. Und auch das gibt es – Entscheidungen, die man normalerweise in einer anderen Lebenssituation trifft, wie Melissa Amelong erzählt: „Vor Kurzem hat eine Patientin noch geheiratet. Das war sehr emotional, aber auch sehr schön. Das Ehepaar war so glücklich, trotz der Situation. Auch die Angehörigen des Brautpaares waren sehr angetan.“

 

Wie wirkt sich die Arbeit als Palliativfachkraft auf das persönliche Leben aus?

Kann man die Arbeit auf einer Palliativstation und all das Erlebte nach Feierabend außen vorlassen? Nein, meint Melissa Amelong. Sollte sie jemanden finden, der das könne, wolle sie ihn befragen, wie er das bewerkstellige. Die persönliche Lebensqualität scheint aber doch eine ganz besondere zu sein: „Ich schätze mein Leben anders und gehe anders damit um, als das vielleicht in meinem Alter üblich ist. Ich genieße das Leben mehr, da man nie weiß, wann es zu Ende ist.“

 

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