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„Ich sehe das Leben als etwas sehr Wertvolles an.“

Dirk Rohde hat seine eigene Krebserkrankung überstanden und begleitet und unterstützt nun andere Betroffene. Als Mutmacher verbreitet er Zuversicht, dass auch andere schaffen können, was ihm gelungen ist.
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Interview: Kristin Frauenhoffer

Foto: privat

Es ist schon beeindruckend, was dieser Mann alles macht. Dirk Rohde, hauptberuflich Polizist in Köln, engagiert sich seit Jahren in der Krebshilfe. Angefangen hatte alles mit seiner eigenen Krebserkrankung 2015. In dieser Zeit begann er zu schreiben. Ursprünglich nur, um das Erlebte zu verarbeiten. Allerdings entdeckten schnell andere Betroffene seinen Facebook-Blog „Schockdiagnose Krebs – und plötzlich ist alles anders“. Ihm wurde bewusst, dass er diesen Menschen mit seinem Schreiben Mut macht und fand einen neuen Lebenssinn im Helfen.

Heute schreibt Dirk Rohde nicht nur an seinem Krebsblog, sondern hat zusätzlich in Köln eine Selbsthilfegruppe gegründet. Er ist Patientenbetreuer für das Netzwerk Kopf-Hals-Mundkrebs e. V. und führt als so genannter „Onkolotse“ für das in Köln angesiedelte Forschungsprojekt isPO (integrierte, sektorenübergreifende Psychoonkologie) Erstgespräche mit Betroffenen durch. Gleichzeitig ist er in der Kinderkrebshilfe aktiv.

Das bedeutet, dass er neben dem anstrengenden Vollzeitberuf als Polizist einen Großteil seiner Freizeit damit verbringt, anderen Krebspatient*innen zu helfen. Wie es dazu kam, wie er das schafft und vor allem, was das für ihn bedeutet, erzählt Dirk Rohde in diesem Interview.

 

Vor 5 Jahren haben Sie als so genannter „Krebsblogger“ angefangen. Was kann man sich darunter vorstellen?

Ein Krebsblogger ist ein Mensch, der einmal Krebs hatte oder hat und über seine Erkrankung, sein Leben mit Krebs oder auch seinen Beruf schreibt. Er entscheidet selbst, wie viel er preisgeben möchte. Ein Krebsblogger klärt auf, informiert, macht anderen Menschen Mut und gibt Einblick in seine persönliche Erkrankung, aber auch in seine Gefühlswelt.

Angefangen hat alles im Mai 2015, als Sie die Diagnose Zungengrundkrebs bekamen. Danach war plötzlich alles anders …

Die Diagnose Zungengrundkrebs war zunächst ein Schock, ich erlebte das wie unter einer Taucherglocke. Ich habe nicht mehr viel verstanden, als die Ärztin mir diesen Befund mitteilte. In den darauffolgenden Wochen musste ich mich mehreren Operationen und Therapien unterziehen und das alles über mich ergehen lassen. Ich habe meine ganze Aufmerksamkeit darauf ausgerichtet, das alles irgendwie durchzustehen. Für mich war es eine schreckliche Zeit voller Ängste und Qualen.

„Ich stellte fest, dass die Inhalte meines Blogs, die Tatsache, dass ich wieder arbeiten kann, auch die Art, wie ich meine Freizeit gestalte und aufkläre, anderen Betroffenen und vielen Angehörigen Mut macht.“

Und dann fingen Sie an, zu schreiben. Ursprünglich nur, um Ihre Krankheit zu verarbeiten. Wie ging es dann weiter?

Dirk Rohde beim Besuch einer kleinen Patientin; Foto: privat

Im Laufe der folgenden Monate lasen immer mehr Leute meinen Blog mit. Patienten und Angehörige meldeten sich bei mir. Dann traf ich zum ersten Mal den ein oder anderen Krebskranken, der meinem Blog folgte, persönlich. Ich stellte fest, dass die Inhalte meines Blogs, die Tatsache, dass ich wieder arbeiten kann und auch die Art, wie ich meine Freizeit gestalte und aufkläre, anderen Betroffenen und vielen Angehörigen Mut macht. Also machte ich weiter und nach und nach kamen die anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten dazu.

Heute arbeiten Sie wieder in Ihrem früheren Beruf als Polizist. Aber den Großteil Ihrer Freizeit verbringen Sie damit, krebskranke Menschen zu unterstützen. Was treibt Sie an? Und wie schaffen Sie das alles?

Mich treibt der Wunsch an, anderen Menschen zu helfen. Ich erfahre viel Dankbarkeit, Respekt und Wertschätzung. Das tut mir selbst gut, denn ich bekomme von den Patient*innen und den Kindern, mit denen ich mich beschäftige, viel Positives zurück. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man in der Behandlung steckt und keine Hilfe hat. Wenn niemand da ist, mit dem man sich austauschen kann.
Ich hätte mir damals sehr gewünscht, dass es einen Patientenbetreuer gibt, der sich zu mir ans Bett setzt und mit mir darüber spricht. Einen Menschen, der mir als ehemaliger Selbstbetroffener Positives berichten kann. Es gab in Köln auch keine Selbsthilfegruppe … Deshalb gründete ich selbst eine, weil ich nach meiner überstandenen Behandlung für andere Patient*innen da sein wollte.

Dirk Rohde mit zwei Polizei-Kolleginnen auf dem Neumarkt in Köln; Foto: privat

Es ist sehr zeitintensiv, es gibt mir aber auch Kraft und Energie, weil ich so viel zurückbekomme. Leider gibt es auch viele traurige Momente, wenn es Patienten nicht schaffen und versterben. Damit kann ich nur schwer umgehen. Aber diese Momente gehören auch dazu, denn wenn man sich mit dieser Thematik beschäftigt, kommt man zwangsläufig mit dem Tod in Berührung.

Für Erkrankte, die Sie als Patientenbetreuer begleiten, sind Sie eine Art Engel. Was leisten Sie, was ein Arzt nicht kann?

Die Beratung, die ich bieten kann, ist eine so genannte Peer-to-Peer Beratung. Das bedeutet, dass Menschen mit einer ähnlichen Erkrankung andere Erkrankte beraten. Ich kann aus meinen Erfahrungen schöpfen und davon ausgehend beraten. Ein Arzt oder ausgebildeter Psychoonkologe kann einem Patienten, den er betreut, beispielsweise nicht sagen: „Ich weiß genau, wie Sie sich fühlen.“ Er könnte höchstens sagen: „Ich kann mir nicht einmal annähernd vorstellen, wie Sie sich fühlen. Es muss schrecklich sein.“ Aber ich kann dem Patienten genau das sagen. Ich kann zum Beispiel sagen: „Das Essen, das vor Ihnen steht, schmeckt nach Pappe.“ Ich weiß, wie sich eine Chemotherapie, Bestrahlungen und die Folgen von Operationen anfühlen. Die Träume und Ängste, die Krebspatient*innen oft quälen, kenne ich ebenfalls.

Ich kann dem Patienten sagen, dass ich genau weiß, wie er sich in seiner jetzigen Lage fühlt. Und ich kann ihm aber auch sagen und zeigen, wie es mir heute geht. Ihm zeigen, wozu ich inzwischen wieder in der Lage bin. Ich kann ihm Hoffnung geben, denn er sieht in meiner Person, was möglich ist und was auch er schaffen kann. Durch meine eigene Erfahrung gebe ich ihm damit eine greifbare Hoffnung, denn ich bin den Weg ja auch gegangen und habe Ähnliches durchlebt.

„Am Ende des Gesprächs bot er mir das Du an und meinte, dass die Ärzte ja nicht wirklich wüssten, wie es ihm innerlich gehe.“

Was war das beeindruckendste oder schönste Erlebnis als Patientenbetreuer?

Dirk Rohde (rechts) mit Dr. Michael Granitzka, Chefarzt der Anästhesie (links), und Dr. Christoph Möckel, Chefarzt der HNO-Station (Mitte), des Kölner St. Franziskus-Hospitals – den beiden Ärzten, die ihn behandelt haben. Foto: privat

Eines der schönsten Erlebnisse war, dass ich einem Patienten, der mit seinem bereits Leben abgeschlossen hatte, wieder neue Hoffnung geben konnte. Die Psychoonkologin eines Kölner Krankenhauses hatte mich kontaktiert, weil sie einen Patienten nicht mehr erreichen konnten. Er hatte sich aufgegeben und alle Anschlussbehandlungen nach seiner OP verweigert. Ohne eine weitere Behandlung wären seine Überlebenschancen jedoch nicht gut gewesen. Ich unterhielt mich eine Stunde lang mit ihm und machte ihm deutlich, was vermutlich eintreten wird, wenn er seine Behandlung abbricht. Ich erzählte ihm aber auch, wie es mir heute geht. Dann erklärte ich ihm genau, was bei der Behandlung gemacht werde, dass sie notwendig und eine „Überlebenskarte“ sei. Sein Leben sei danach durchaus wieder lebenswert. Am Ende des Gesprächs bot er mir das Du an und meinte, dass die Ärzte ja nicht wirklich wüssten, wie es ihm innerlich gehe. Mir aber würde er vertrauen, denn ich sei den Weg ja selber gegangen. Und so entschied er sich für die Behandlung.

Heute geht es ihm sehr gut, einmal im Monat kommt er in meine Selbsthilfegruppe – extra aus der Eifel angereist. Wir haben heute noch guten Kontakt und manchmal sagt er mir: Wenn du nicht gewesen wärst, wäre ich wohl nicht mehr am Leben. Solche Rückmeldungen geben mir ein gutes Gefühl, dass die ehrenamtliche Arbeit, die ich leiste, wirklich wertvoll ist und helfen kann.

Sie engagieren sich auch für krebskranke Kinder. Wie genau?

Ich ziehe manchmal in meiner Freizeit die Polizeiuniform an und lade krebskranke Kinder zu mir auf die Wache ein. Hier zeige ich ihnen ein Polizeimotorrad und ein Polizeiauto oder „sperre“ sie auch einmal für kurze Zeit in eine Gefängniszelle ein, wenn sie das möchten. Manchmal spielen wir bei uns in der Tiefgarage ein wenig Polizei. Die Kinder bekommen dann von mir ein Original-Funkgerät ausgehändigt. Vorher habe ich verdächtige Gegenstände in der Tiefgarage versteckt, die die kleinen Polizisten suchen müssen. Diese entpuppen sich dann als Geschenke. Ich erkläre den Kindern die für sie spannende Polizeiarbeit und kann sie so ein wenig von ihrer Erkrankung ablenken. Das mache ich jedoch in meiner Freizeit, nicht im Dienst. Meine Vorgesetzten sehen das wohlwollend, wofür ich sehr dankbar bin.

Foto: privat

Mittlerweile sind Sie ein gefragter Interviewpartner. Demnächst sind Sie Gast in einer Benefizshow von Carmen Nebel. Wie nutzen Sie diese Medienpräsenz für Ihre ehrenamtliche Arbeit?

Die Medienpräsenz kam so nach und nach über meinen Blog. Das schmeichelt mir natürlich, hilft aber auch, die schlimme Krankheit Krebs ein wenig zu enttabuisieren. Über Krebs wird nicht gerne gesprochen. Krebs haben immer nur die anderen, nie man selbst. Viele Menschen wollen dieses Thema von sich wegschieben und nicht so richtig hinsehen, weil es ja etwas Negatives und auch sehr Beängstigendes ist.
Es hilft ein wenig, das Thema „Krebs“ mehr an die Öffentlichkeit zu bringen und das finde ich gut. Krebs ist ein Teil unserer Gesellschaft. Es kann jede*n treffen und damit nicht nur einen allein, sondern das gesamte Umfeld, besonders die Familie. Angehörige von an krebserkrankten Menschen fühlen sich oft hilflos und ohnmächtig und sind natürlich durch die ganzen Behandlungen ebenfalls in ihrem Leben eingeschränkt. Krebs zerstört vieles und macht Angst. Ich bin glücklich, wenn meine Geschichte dabei hilft, wieder ein wenig Zuversicht zu geben.

Wie sehr hat sich Ihr Leben und auch Ihre Einstellung zum Leben nach der Krankheit verändert?

Ich bin im Moment krebsfrei. Mein Leben aber hat sich stark verändert. Jemand, der einmal Krebs hatte, ist in aller Regel nie wieder richtig gesund. Ich bin zu 100 Prozent schwerbehindert und muss mit den Folgen meiner Erkrankung leben, die sehr einschränkend sind und die Lebensqualität minimieren. So habe ich nur noch eine halbe Zunge und kaum noch Speichel. Ich leide unter extremer Mundtrockenheit und Schluckstörung.
Der Blick auf das Leben hat sich verändert. Ich habe keine Zeit mehr für Oberflächlichkeiten. Ich kann mich auch an kleinen Dingen erfreuen, die ich vorher nicht so richtig wahrgenommen habe. Es gibt Situationen, die ich bewusster erlebe als früher. Die Tatsache, zu wissen und zu spüren, dass das Leben endlich ist, hat meine Einstellung zum Leben verändert: Ich sehe das Leben nicht mehr als selbstverständlich an, sondern als etwas sehr Wertvolles. Für mich ist das Leben ein Geschenk.

„Ich versuche, die freie Zeit zu genießen, bewusst zu leben und Freude zu haben.“

Haben Sie Pläne für die Zukunft?

Motorradfahren ist Dirk Rohdes Leidenschaft. Foto: privat

Ich lebe nicht mehr in der Zukunft, sondern versuche, im Hier und Jetzt zu leben. Was die Zukunft bringt, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass das Leben sehr schnell vorbei sein kann. Die Gefahr, dass der Krebs zurückkommt, ist nach wie vor da. Deswegen plane ich nicht mehr so weit voraus. Jetzt, hier und heute, engagiere ich mich in der Krebshilfe. Das habe ich auch zukünftig vor, weil es mir einfach Freude bereitet und meinem Leben einen Sinn gibt. Für mich ist das sehr wichtig, weil es mir viel zurückgibt und ich der Überzeugung bin, dass ich vielen Menschen, die mich kontaktieren, helfen kann. Das bekomme ich nahezu täglich von Leser*innen meiner Seite rückgemeldet.

Zwischendurch versuche ich natürlich auch, mein eigenes Leben zu leben. Ich liebe es, Motorrad zu fahren und habe mir kürzlich auch ein E-Mountainbike gekauft. So versuche ich, die freie Zeit zu genießen, bewusst zu leben und Freude zu haben. Und dann lasse ich mich überraschen, was auf mich zukommt. Ich mache einfach immer weiter und hoffe, lange leben zu können.

 

Mehr Infos von Dirk Rohde auf seinem Facebook-Blog:

https://www.facebook.com/Schockdiagnose-Krebs-Und-plötzlich-ist-alles-anders-1523616624617904/

 

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