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Jammerfasten: Wie man achtsamer und glücklicher lebt

Peter Beer, Gründer der Achtsamkeits-Academy, lädt zur Jammerfasten-Challenge ein. Die Herausforderung: 16 Tage lang nicht lästern, schimpfen, nörgeln.
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Interview: Isolde Hilt

Was ist so arg am Jammern? Ein bisschen rumnörgeln, ab und an mal über jemanden herziehen – das ist doch normal. Machen alle. Nur, was macht das mit einem selbst? Peter Beer, Psychologe und Coach, weiß aus eigener Erfahrung, dass Jammern nicht nur ein Ausdruck für Unzufriedenheit ist. Jammern selbst, so sagt er, ist oft die Quelle für Unzufriedenheit, weil wir uns in einen Zustand hineinkatapultieren, der ein glücklicheres und erfüllteres Leben gar nicht erst zulässt. Wie kommt man aus dieser so gewohnten Umlaufbahn heraus?

Vor fünf Jahren hat Peter Beer zum ersten Jammerfasten eingeladen. Damals beteiligten sich an die 2.000 Menschen, in diesem Jahr rechnen er und sein Team mit ca. 60.000. Ein Gespräch, warum es so wertvoll und hilfreich sein kann, sich bewusst zu machen, was man sich wirklich vom Leben wünscht

 

Was fällt für dich alles unter „Jammern“?

Alles, was belastende Emotionen in meinem Körper erzeugt, ist für mich Jammern. Wenn ich merke, dass durch das, was ich sage, schwierige Emotionen in meinem Körper entstehen, die mir langfristig nicht guttun, fällt das für mich unter „Jammern“. Das können Lästern, Nörgeln, Schimpfen oder Negativ-Sprechen sein.

Jammern, nörgeln wir viel?

Ich glaube, das darf jeder für sich selbst beurteilen. Die Sache mit dem Jammern ist wie mit schlechtem Atem: Bei anderen fällt es uns auf, bei uns selbst oft nicht.

Gibt es Untersuchungen, wieviel wir pro Tag jammern oder nörgeln? Wieviel Zeit dafür draufgeht?

Dazu habe ich tatsächlich noch keine Studien gelesen … Ich glaube, es geht weniger darum, wie viel Zeit dadurch verloren geht, sondern wie viel Lebensfreude, Kreativität, Leichtigkeit, Liebe, Lachen. Denn das ist es, was wir verlieren oder einbüßen, wenn wir unseren Körper und Geist kontinuierlich in einer gewissen Negativität halten. Das schadet unserer Gesundheit, unserem Wohl und Glücksempfinden, unseren Beziehungen. Wir sind jedoch in der Lage, unser Gehirn neu zu strukturieren. Das wissen wir aus Forschungsergebnissen im Bereich der Neurowissenschaften.

Warum machen wir das? Warum jammern wir?

Es gibt zwei Komponenten, die dafür verantwortlich sind: Die erste ist unser katastrophalisierendes Gehirn. Das heißt, unser Gehirn ist evolutionär so verschaltet, dass es sich mehr aufs Negative fokussiert, weil das vor vielen tausend Jahren unser Überleben sicherte.

Jammern und Schimpfen erfüllen menschliche Bedürfnisse wie zum Beispiel, gesehen zu werden.

Die zweite Komponente ist unsere Konditionierung und Prägung durch die Gesellschaft. Verhaltensweisen wie Jammern und Schimpfen haben alle ihren Zweck. Sie erfüllen bestimmte menschliche Bedürfnisse wie zum Beispiel, gesehen zu werden. Wenn es mir schlecht geht, nehmen mich andere mehr wahr. Ein anderer Grund kann sein, dass sich durchs Jammern Gemeinsamkeiten herausstellen, die eine Verbindung zu anderen Personen schaffen. Etwa über das Wetter schimpfen oder den blöden Chef …

Das sind Gründe, warum wir – weitgehend unbewusst – eine negative Sprache wählen. Damit wählen wir aber leider gleichzeitig unbewusst auch diese negative Energie in unserem Körper, die der Lebensfreude, Kreativität und Gesundheit schaden. Wir könnten ja, anstatt zu jammern, Lösungen finden!

Das heißt, Nicht-Gut-Denken über uns oder andere kostet nicht nur enorm viel Zeit, sondern schadet auch uns und unserer Gesundheit. Das möchtest du ändern und hast deshalb schon vor einiger Zeit eine Jammerfasten-Challenge entwickelt. Wie kamst du auf diese Idee?

Die Idee dazu entstand tatsächlich schon, bevor ich Psychologie studierte und Bücher schrieb. Ich war früher als Ingenieur in der Automobilbranche tätig, wo es mir – milde ausgedrückt – beschissen ging. Ich bin dort richtig ausgebrannt. Und was ich damals in der Abteilung schon feststellte, war, dass dort ständig geschimpft, gelästert und gejammert wurde. Ich spürte richtig, dass es mir und auch den Kollegen nicht guttat. So beschloss ich für mich, dass ich da nicht mehr mitmache. Ich hatte die Nase voll. Das war damals, wenn man so will, meine erste, ganz persönliche Jammerfasten-Challenge.

Viele Jahre später erkannte ich, dass das ein Schlüsselerlebnis gewesen war, um mehr Bewusstsein für meine Gedanken und mein Innenleben zu entwickeln. Und mit diesem Wissen habe ich daraus eine Aktion entwickelt, in der ich einmal im Jahr viele tausend Menschen mitnehmen darf.

Worum geht es bei dieser Challenge?

Es geht darum, 16 Tage lang auf jedes Lästern, Schimpfen und Nörgeln zu verzichten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten jeden Tag ein kleines Seminarvideo. Dazu gibt es noch Meditationen und Affirmationen. Alles verbunden mit dem Ziel, Stück für Stück mehr Bewusstsein für die eigenen Worte und Gedanken zu entwickeln. Unsere Worte und Gedanken und somit Emotionen sind zum größten Teil durch unbewusste Gewohnheiten bestimmt. Wenn du dir bewusst wirst, was in dir vorgeht, erlangst du die Freiheit, dich zu entscheiden.

Das ist ein Prozess, der nicht unbedingt von heute auf morgen klappt. Darum geht die Challenge auch über gut zwei Wochen, weil das Gehirn einige Zeit braucht, um Veränderung zu etablieren. Aber wenn man dranbleibt, ist diese Veränderung auf jeden Fall möglich.

Worin bestehen die wichtigsten Aufgaben beim Jammerfasten?

Zu Beginn verpflichtet man sich freiwillig, in dieser Zeit bewusst auf die eigenen Worte zu achten. Und dann nehme ich die Menschen mit auf eine Reise, auf der sie bereits am ersten oder zweiten Tag merken, dass es nicht so leicht ist, wie man es sich vielleicht vorgestellt hat. Das ist der Augenblick, in dem einem klar wird, wie viel man eigentlich jammert.

Wir beleuchten dann Schritt für Schritt, wie Veränderung funktioniert. Ich gebe Werkzeuge und Tipps an die Hand, damit der Prozess leichter fällt. Und ich zeige auf, dass es ganz normal ist, wenn es erst einmal nicht gelingt. Das ist ein Teil des Bewusstwerdungsprozesses.

Die Challenge offenbart einem vermutlich so einiges …

Ja. Es geht auch darum, ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln, was unsere Gedanken den lieben langen Tag machen und wie sehr sie unser Leben bestimmen. Ein Ziel dieser Challenge ist, nicht mehr unbewusst durch die Welt zu laufen und dem Leben die Schuld zu geben, wenn einmal etwas nicht so gut läuft.

Du hast die Challenge bereits ein paar Mal angeboten. Wie viele Menschen haben schon mitgemacht?

2016 fand sie zum ersten Mal statt und wurde zu einem mini-viralen Hit. Damals meldeten sich 2.000 Menschen an. Ich war völlig aus dem Häuschen, dass ich so viele Menschen zum Mitmachen begeistern konnte. Über die Jahre hat sich das Ganze nochmal deutlich gesteigert; dieses Jahr rechnen wir tatsächlich mit 60.000 Menschen.

Welche Erfahrungen nimmt man mit?

Die Erfahrungen, die wir während der Challenge machen, sind unglaublich: Menschen verbinden sich miteinander, unterstützen und motivieren sich. Die positive Energie in der Gruppe ist außergewöhnlich.

Die meisten treten zum allerersten Mal in ihrem Leben aus dieser Unbewusstheit heraus und erkennen: „Ah, was passiert hier eigentlich?“ Sie hatten das Leben bis zu diesem Punkt einfach angenommen und gingen davon aus, dass es halt einfach so ist, wie es ist. Die Möglichkeit zu erkennen, dass man sich selbst verändern und so ein freudvolleres, ausgeglicheneres Leben gestalten kann, ist eine neue Erfahrung. Am meisten geht es darum, dass wir bewusst eine neue Richtung einschlagen.

Was alle aber wirklich merken: Es tut ihnen einfach gut.

Und was sind die größten Aha-Effekte für die Teilnehmer*innen?

Den meisten fällt gleich zu Beginn auf, wie viel sie eigentlich jammern. Nicht wenige Menschen denken von sich selbst, dass sie doch gar nicht so viel jammern. Für viele ist es dann schon ein einschneidender Moment, wenn sie zum ersten Mal wahrnehmen, wie viel Negativität eigentlich in ihrem System ist.

Die nächsten großen Aha-Momente sind dann die, wenn die Menschen zum ersten Mal merken: „Ah, ich möchte jammern, aber nein, ich tue es nicht!“ Dieses Erkennen, dass sie dem allen gar nicht ausgeliefert sind, sondern sich frei entscheiden können, ist etwas Wundervolles. Viele stellen fest, dass sie plötzlich bessere Laune haben. Andere spüren mehr Lebensfreude, wieder andere haben mehr Energie. Oft ist es auch eine Mischung aus all dem. Was aber wirklich alle merken: Es tut ihnen einfach gut.

Halten die positiven Wirkungen länger an? Alt eingefahrene Muster wird man ja in der Regel nicht so leicht los …

Ja und nein. Tatsächlich gibt es am Ende der Challenge immer zwei verschiedene Gruppen. In der einen merken die Leute, dass es ihnen guttut, hören dann aber wieder auf und nach einiger Zeit fängt ihr Alltag sie erneut ein. Wir bekommen aber auch mit, wie unglaublich viele Menschen danach weitermachen. Sie setzen sich jeden Tag ein paar Minuten ganz bewusst mit sich selbst auseinander. Viele kommen nach der Challenge auch in die Achtsamkeits-Academy, wo sie alles noch einmal vertiefen und dranbleiben.

Letztendlich ist es die Kontinuität, die bewirkt, dass Veränderung stattfinden kann. Ich kenne nicht ein Mitglied von uns, das nach einem Jahr kontinuierlichen Dranbleibens nicht sagt, dass sich jeder Lebensbereich deutlich zum Positiven gewendet habe.

Du hast die Jammerfasten-Challenge bestimmt auch schon öfter gemacht. Hat sich dadurch für dich etwas nachhaltig geändert?

Mein ganzes Leben hat sich verändert! Um es kurz zusammenzufassen: Bevor ich mit dem Jammerfasten anfing, wurde ich fast jede Nacht von einer Panikattacke wach. Ich versuchte nur noch, die Tage zu überstehen, irgendwie zu funktionieren. Ich war an einem Punkt in meinem Leben, wo ich kaum mehr Lebensfreude verspürte oder eine Perspektive hatte.

Und wenn ich mein Leben jetzt ansehe, sind da so viel Freude, Ausgeglichenheit, Liebe, Lachen, wundervolle Menschen und ein unglaublich sinnerfüllter, tiefgründiger Job. Das heißt, ich habe emotional und psychisch wirklich in einem tiefen schwarzen Loch begonnen – ohne Aussicht, dass es je wieder besser werden könnte. Und doch hat es sich zu all dem entwickelt, was ich jetzt leben darf.

Dein Tipp, wenn man sich dabei ertappt, wie man gerade wieder zu jammern anfangen will …

Wenn du an diesem Punkt bist, bist du dir darüber ja schon bewusst. Und das bedeutet, dass du jetzt die Freiheit hast, dich zu entscheiden. Was ich Teilnehmerinnen und Teilnehmern empfehle, ist, sich ein Armband, einen Ring oder einen Stein zu nehmen. Ein Objekt, das von einer Hand in die andere oder von einer Hosentasche in die andere wandern kann, wenn sie sich beim Jammern erwischen. Das hat folgenden Hintergrund: Wenn wir unsere Gedanken mit einem physischen Vorgang kombinieren, verdrahtet sich diese neue Angewohnheit, also dieses bewusste Denken noch schneller und einfacher im Gehirn. Je stärker diese neuronalen Vernetzungen werden, desto einfacher geht es mit der Zeit.

Noch etwas, das dir wichtig ist, dir am Herzen liegt?

Mir liegt es wirklich am Herzen, die Menschen beim Jammerfasten auf eine Reise mitzunehmen. Unser Planet, unsere Gesellschaft und das Individuum sind an einem Punkt gekommen, an dem es so nicht weitergehen kann: Wir machen den Planeten kaputt, die Gesellschaft spaltet sich weiter und die Menschen brennen immer mehr aus, gelangen an ihre psychischen oder körperlichen Leistungsgrenzen.

Der Weg heraus ist nicht, weiter im Außen zu kämpfen, sondern sich selbst kennenzulernen. Wenn sich ein Mensch selbst besser kennenlernt, liebevoller mit sich umgeht, gelassener wird, beeinflusst das die Menschen um ihn herum. Diese wiederum beeinflussen den Kreis um sich herum. Und die Summe der Menschen ist die Gesellschaft und die Gesellschaft ist das, was unseren Planeten formt. Mahatma Gandhi hat gesagt: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir für diese Welt wünscht.“

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Zur Jammerfasten-Challenge kann man sich kostenfrei noch bis zum 13. Oktober 2021 anmelden. Die Teilnehmer*innen bekommen 16 Tage lang täglich ein Seminarvideo mit einer Länge von etwa 10 Minuten, das sich leicht in den Alltag integrieren lässt. Dazu gibt es geführte Meditationen, die zusätzlich helfen, das eigene Bewusstsein zu kultivieren.

Mehr Informationen und die Möglichkeit, sich zum Jammerfasten anzumelden, gibt es hier: https://jammerfasten.de/

 

Peter Beer

Psychologe, Coach, Autor mehrerer Fachbücher und Ratgeber | Gründer der Achtsamkeits-Academy, Deutschlands größter Plattform für Achtsamkeit | Lebensmotto: „Das, was im Leben passiert, ist für mich da.“ | https://www.achtsamkeitsacademy.de/

 

 

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4 Antworten

    1. Hallo liebe Hanne,
      am besten auf die Seite jammerfasten.de gehen. Da kann man sich für dieses Jahr anmelden.
      Vielleicht magst du uns dann erzählen, welche Erfahrungen du damit gemacht hast? 🙂

      Einen herzlichen Gruß!

  1. Auch ich würde gern an der Challenge teilnehmen, wann startet die Nächste. Und wie kann ich die Zeit bis dahin am besten überbrücken?

    LG Jenny

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