Isolde Hilt im Gespräch mit Renata Hoffmann, Naturheilpraktikerin
„Nein, das ist nichts für mich. Wenn da so wurmartiges Getier an mir saugt … einfach gruselig!“ Renata Hoffmann, Naturheilpraktikerin aus der Schweiz, kennt die spontanen Ekelgefühle, wenn sie sagt, worauf sie spezialisiert ist. Mit ihrer besonnenen Art beginnt sie zu erzählen, dass es ihr am Anfang mit den Blutegeln genauso ging. Doch dann hätten die „Tierchen“ angefangen, sie zu faszinieren. Bei der Behandlung von Arthrose ist die Blutegel- oder Hirudotherapie der Schulmedizin überlegen – und nicht nur da. Das belegen auch wissenschaftliche Untersuchungen. Im Gespräch stellt Renata Hoffmann ein Heilverfahren vor, das bereits mehrere tausend Jahre alt ist und jetzt eine Renaissance erfährt.
Die Therapie mit Blutegeln gibt es schon sehr lange. Seit wann?
Genau weiß man es nicht. In Frankreich hat man dazu in Höhlen Zeichnungen gefunden. Die ersten schriftlichen Aufzeichnungen gehen auf 1.500 Jahre vor unserer Zeit zurück, festgehalten auf ägyptischem Papyrus Ebers (Anmerkung: die einzig komplett überlieferte Buchrolle zur Heilkunde Ägyptens). Auch in der indischen Heilkunde, im Ayurveda, ist das seit Urzeiten ein gängiges Verfahren. Die Blutegeltherapie ist mehrere tausend Jahre alt.
Wie war deine erste Begegnung mit Blutegeln? Was hat dich daran fasziniert?
Zu Beginn meiner Ausbildung als Naturheilpraktikerin gab es ein Lehrangebot zum Thema „Blutegel“. Zuerst war das so eine Abneigung, zugleich aber auch eine Anziehungskraft, die von den Egeln ausging. Es ist eine faszinierende Therapie. Wenn man sich länger mit diesen Tierchen beschäftigt, verlieren sie ihr „ekliges Aussehen“.
Das Sekret der Blutegel wirkt entzündungshemmend, betäubend, immunstimulierend, entgiftet und entwässert.
Worin sind Blutegel unschlagbar?
Zum einen sind sie sehr gut für den Aderlass, der die Fließeigenschaften und die Sauerstoffaufnahme des Blutes verbessert. Das Spezielle darüber hinaus ist, dass die Egel, wenn sie beißen, ein Sekret in den Körper abgeben. Dieses Sekret verdünnt nicht nur das Blut, sondern enthält noch viele Substanzen, die entzündungshemmend, betäubend, immunstimulierend wirken, die entgiften, entwässern, einen hilfreichen Einfluss auf das Lymphsystem haben.
Ein richtiges Putzmittel …
Es ist ein Cocktail mit ganz verschiedenen Möglichkeiten.
Bei welchen Beschwerden setzt man die Blutegeltherapie ein?
Am bekanntesten ist die Anwendung bei Krampfadern. Müttern und Großmüttern ist das meistens noch bekannt. Heute wendet man die Blutegeltherapie sehr erfolgreich bei Arthroseerkrankungen an – Arthrose im Knie, am Daumensattelgelenk, in den Hüften. Die Blutegeltherapie ist – was Arthrose betrifft – der Schulmedizin überlegen.
Was sagt die Schulmedizin dazu, wenn sie so etwas hört?
Die ist natürlich sehr skeptisch und möchte Beweise haben. Mit sogenannten Doppelblind-Studien konnte bewiesen werden, dass die Wirkung von Blutegeln effizienter ist als Spritzen, die man z. B. in Kniegelenke injiziert.
Es gibt noch andere Anlässe, bei denen man gerne mit Blutegeln arbeitet…
Ja, zum Beispiel, wenn bekannt ist, dass in einer Familie die Neigung zu Schlaganfällen höher ist, ist das eine gute Therapie zur Prophylaxe oder auch Umstimmung. Bei Allergien helfen die Blutegel gut. Auch bei Blutergüssen ist diese Therapie sehr wirksam. Normalerweise braucht der Körper mehrere Wochen, bis ein großer Bluterguss verarbeitet ist. Setzt man die Blutegel hier ganz frisch an und wiederholt das Verfahren nach zwei, drei Tagen, hat man bereits nach einer Woche sehr gute Resultate. Die Therapiel schlägt sehr gut bei Sportverletzungen, Tennisellbogen mit Sehnenentzündung, Mittelohrentzündungen bei Kindern oder auch bei Arthrose bei Tieren an.
Bei Mittelohrentzündungen bei Kindern? Setze ich da die Blutegel ins Ohr?
Vor oder hinter das Ohr und dann meistens nur einen Blutegel, bei größeren Kindern vielleicht auch noch einen zweiten.
Erlebt die Blutegeltherapie gerade wieder eine Renaissance oder bist du mit diesem Therapieverfahren eher noch ein Geheimtipp?
Langsam wird diese Therapie wieder bekannter. Es gibt Leute, die genug von Operationen und Injektionen haben und nach einer Alternative suchen. Irgendwann erfahren sie dann von den Blutegeln, die ihnen unter Umständen weiterhelfen können.
Man hat vielleicht schon einmal von Blutegeln gehört. Denkt man dann aber an diese kleinen, sich windenden, festbeißenden und saugenden Tierchen, wird einem doch etwas komisch zumute. Der Gedanke an den Vampir ist auch nicht weit … Bei vielen gibt es eine große Hürde, dieses Unbehagen zu überwinden. Du führst ja immer zuerst ein Vorgespräch. Angenommen, ich komme zu dir, weil mir mein Knie weh tut …
Dann erkläre ich zunächst einmal, wie ich die Blutegel ansetze. Ich erzähle, woher die Tiere kommen. Blutegel sind in Europa geschützt, weil es in der freien Natur nicht mehr so viele gibt. Meine kommen aus einer Zucht – vor allem auch aus Sicherheitsgründen, um zu vermeiden, dass irgendeine Krankheit übertragen wird.
Diese Egel spüle ich, bevor ich sie ansetze, kalt ab. Dann kommen sie auf den warmen Körper und beißen sich an der entsprechenden Stelle fest – dort, wo der Schmerz am größten ist. Innerhalb eines Radius von einer Euromünze können sie dann ihre Bissstelle suchen.
Du setzt den Egel direkt an die Stelle, wo das Tier beißen soll …
Ja. Bei Knieschmerzen zum Beispiel dort, wo es am meisten weh tut. Das Tier beißt sich fest, das fühlt sich wie ein Brennesselstich an. Manchmal, wenn es eine Nervenzelle erwischt, kann es auch sein, dass das Knie oder Bein zuckt. Das dauert so zwischen 5 bis 15 Minuten und lässt dann nach, weil im Sekret, das die Egel abgeben, ein lokales Betäubungsmittel ist und dann merkt man nichts mehr.
Die Blutegel, die wir verwenden, haben mindestens acht Monate gefastet.
Das Blut ist das Futter für die Egel, das bedeutet, die Tierchen müssen vorher richtig Hunger haben, sonst haben sie ja keinen Grund zu beißen, oder?
Ja. Die Blutegel, die wir verwenden, haben mindestens acht Monate gefastet. Das ist für die Tiere kein Problem. Wenn sie eine gute Mahlzeit hatten, können sie bis zu zwei Jahre ohne weitere Mahlzeit sein.
Du hast einmal erwähnt, dass sich die Egel nicht überall festbeissen. Körperlotion mögen sie zum Beispiel gar nicht…
Ja, bereits einen Tag vor der Behandlung soll man sich nur noch mit Wasser waschen. Kein Deo, kein Shampoo, keine Seife, kein Parfum benutzen, weil man sonst künstlich riecht. Am besten kommt man so, wie einen die Natur geschaffen hat, dann beißen die Tiere recht gut. Außer, es ist da noch eine gewittrige Stimmung, der Patient, die Patientin ist nervös, das merken die Tiere sehr schnell…
Sie sind sehr sensibel …
Ja, darauf muss man achten. Es darf auch nicht zu hell sein, sie mögen nicht im direkten Sonnenlicht gesetzt werden.
Wie groß sind die Egel, wenn sie auf den Körper angesetzt werden?
So wie eine kleine Olive, dunkel, fast schwarz. Wenn sie sich vollsaugen, können sie daumengroß oder noch größer werden. Je nach Größe des Egels saugen sie 5 bis 15 Milliliter Blut.
Die Blutegeltherapie ist wie eine Verjüngungskur, wenn man das immer wieder einmal macht.
Du selbst bist begeistert von dieser Therapie und wendest sie auch immer wieder gerne bei dir selber an. Warum?
Zum einen, um meinem Immunsystem und meinem Lymphsystem etwas Gutes zu tun, um die Blutgefäße zu reinigen, weil im Sekret der Egel viele Stoffe sind, die der Gesundheit förderlich sind. Der Körper wird angeregt, selber wieder frisches Blut und neue Immunzellen zu produzieren. Es ist wie eine Verjüngungskur, wenn man das immer wieder einmal macht.
Hast du noch ein Beispiel, bei dem du selber überrascht warst, dass diese Therapie so gut anschlägt?
Ja, da gibt es viele. Ich hatte ein Frau, die wegen Krampfadern gekommen war, gleichzeitig aber Schmerzen in den Schultern und im Ellbogengelenk hatte. Ich fange immer dort zu behandeln an, wo es am meisten schmerzt. Das war in der Schulter. Die Frau konnte die Schulter nicht mehr richtig drehen oder heben. Als sie nach der ersten Behandlung wieder kam, hat sie die Schulter bewegt, fast wie eine Diskuswerferin. Auch den Ellbogen haben wir in der zweiten Sitzung wieder hinbekommen.
Übernehmen die Kassen die Kosten für diese Therapie?
In der Schweiz übernimmt die Krankenkasse die Kosten nur, wenn man eine Zusatzversicherung hat, in der die Naturheilkunde mit abgedeckt ist. Die gesetzlichen Kassen übernehmen das nicht, das ist in Deutschland auch so.
Wieviel kostet eine Sitzung? Wie viele Sitzungen braucht man?
Das kommt darauf an. Macht man zum Beispiel eine Umstimmungstherapie – da wird der Körper dazu gebracht, wieder auf Reize zu reagieren –, braucht man vier bis fünf Sitzungen. Die Grundpauschale für eine Behandlung, die von einer bis zu drei Stunden gehen kann, beträgt 180 Schweizer Franken (Anmerkung: entspricht etwa 165 Euro). Pro Blutegel kommen 22,50 Franken dazu. Das gesamte Verbandmaterial, das man braucht, ist da mitenthalten.
Heißt das, ich sehe nach so einer Behandlung ziemlich malträtiert aus?
Nein. Man ist manchmal ein bisschen müde …
Blaue Flecken? Knutschflecken?
Nein. Es sind einfach kleine Bisswunden, die man hat. Manchmal sind sie ein bisschen gerötet, je nach Gewebetyp ein bisschen bläulich. Das verschwindet wieder; nach 10 bis 14 Tagen sieht man nichts mehr. Wichtig ist, dass man dem Juckreiz nicht nachgibt und aufkratzt. Ich gebe da immer eine Salbe mit, die hilft und die Heilung unterstützt.
Noch etwas, das dir wichtig ist?
Ja, vielleicht noch zu dem Ekel, den sehr viele Menschen zu Beginn haben. Ich kann die Tiere auch so ansetzen, dass man sie nicht sieht und nur den Biss spürt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Leute, die das erst einmal nicht anschauen wollten, spätestens bei der zweiten oder dritten Behandlung doch neugierig sind, wie das abläuft. Je öfter sie diese Erfahrung machen, desto begeisterter sind sie von dieser heilsamen Wirkung und den Tieren selber.
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Zur Person:
Renata Hoffmann hat seit 2012 ihre eigene Naturheilpraxis in Wolfhalden in der Schweiz, hoch über dem Bodensee gelegen. Sie ist auf die traditionelle europäische Naturheilkunde mit Schwerpunkt „Ausleitverfahren“ spezialisert. Zu den Ausleitverfahren gehören das Schröpfen, die Cantariden-Pflaster, der Aderlass und die Blutegel. Schwerpunkt ist die Blutegel- oder Hirudotherapie. Weitere Infos unter: https://www.praxishoffmann.ch
Empfehlenswert ist das Buch von Dominique Kaehler Schweizer & Magdalena Westendorff: Die Blutegeltherapie. Wissenswertes für Patienten zur Hirudotherapie. Ein kleiner Wurm mit großer Wirkung. Erschienen 2014 Narayana Verlag GmbH
„Schon seit Jahrtausenden werden Blutegel zu Heilungszwecken eingesetzt. Die Autorinnen gehören zu den erfahrensten Blutegel-Therapeuten im deutschsprachigen Raum. In diesem kleinen Büchlein geben sie einen konzentrierten und äußerst informativen Überblick über die Geschichte und die Wirkung der Blutegeltherapie.“ Prof. Dr. med. Haiko Sprott, Chefarzt der Schmerzklinik Basel und Professor für Rheumatologie an der Universität Zürich, sagt zu dem Buch: „… ein sehr ausführlicher Patientenratgeber, der mir sehr gut gefällt und keine Fragen offen lässt.“
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3 Antworten
Muss ich für eine Behandlung bis zum Bodensee fahren, oder gibt es auch eine Empfehlung für die Region Regensburg?
Guten Tag Frau Fürst
wenn Sie unter blutegel.de bei der Bibertaler Blutegelzucht / Therapeutensuche / PLZ oder Ort eingeben, werden Ihnen TherapeutInnen angezeigt, die nachweislich berechtigte Therapeuten sind und in Ihrer Umgebung praktizieren…
Ob das für eine Therapie notwendige Vertrauen entstehen kann, zeigt sich dann im ausführlichen Vorgespräch.
Freundliche Grüsse
Renata Hoffmann
Vielen Dank, Frau Hoffmann, für den Tipp, das werde ich gleich mal ausprobieren.
Schöne Grüße,
Rita Fürst
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