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Marika hat einen Bahnhof gekauft

Ein perfekter Ort, um historische Alltagsgegenstände aus DDR-Zeiten auszustellen
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von Isolde Hilt

Marika Barber, die glückliche Bahnhofsbesitzerin • Foto: privat

Seit sie denken kann, sammelt sie leidenschaftlich gern Dinge, die an das Leben in der DDR erinnern. Irgendwann suchte die junge Frau aus Sachsen nach einem Ort, wo sie all diese Gegenstände einmal ausstellen kann. Eine Garage, eine Lagerhalle, ein Bauernhof hätten sich auch geeignet… Es wurde ein Bahnhof, gefunden auf Ebay unter den Kleinanzeigen.

Marika Barber wohnt 15 Kilometer westlich von Bautzen, „in der schönen Oberlausitz“, wie die junge Frau ausführt. Demitz-Thumitz ist ein Granitdorf mit langer, traditionsreicher Steinarbeiter-Geschichte. Hier lebt es sich eher ruhig. Als Sozialpädagogin fühlt sie sich in der Jugendarbeit und Erlebnispädagogik am wohlsten. Ihre wahre Leidenschaft jedoch gehört historischen Alltagsgegenständen aus DDR-Zeiten. „Schon als Kind habe ich begeistert in den Trödelschätzen meines Opas gestöbert. Da ich erst 1990 eingeschult wurde, kenne ich die DDR nur aus meiner frühen Kindheit und durch Erzählungen meiner Familie. Das ist wahrscheinlich der Grund für meine überschwängliche Begeisterung für Gegenstände aus der Zeit vor der Wende.“ Egal, ob Fernsehschränkchen, Sessel, Essbesteck oder Bettwäsche – sie könne nicht zusehen, wie etwas achtlos in den Müll geworfen werde.

… und dann schiebt sich ihr plötzlich der Bahnhof in den Weg.
Der Bahnhof in dem Zustand, wie ihn Marika gekauft hat

Vor knapp zwei Jahren entschloss sich Marika, mehr aus ihrem Hobby zu machen. Was nützt es, die Gegenstände auf dem Dachboden oder im Keller aufzubewahren, wenn sie niemand sieht? „Ich möchte die Geschichten der Gegenstände ergründen, sie restaurieren oder reparieren und ihnen ein neues Zuhause geben. Als Zeitzeugen können sie dann jüngeren Generationen berichten und zu Erzählungen aus längst vergangener Zeit anregen.“ Es hätte, sinniert die Sammlerin aus Leidenschaft, auch eine Lagerhalle, ein Bauernhof oder eine große Garage werden können. Dann kam ihr aber der Bahnhof unter, zufällig, im Internet auf Ebay unter den Kleinanzeigen. Sie klickte weiter. „…Wer braucht schon einen Bahnhof?“ Ein viertel Jahr später stand der Bau aus dem vorletzten Jahrhundert in Neukirch/Lausitz West immer noch zum Verkauf. „Ich schaute ihn mir dann doch einmal an… Und was soll ich sagen? Es war Liebe auf den ersten Blick! Der Bahnhof brauchte mich.“

Das verwitterte Empfangsgebäude schien irgendwie zu ahnen, dass es nur bei Marika Barber eine Überlebenschance hätte. In ihrer Familie ist das Bahn-Gen stark ausgeprägt: „Bahnhöfe haben für mich sehr viel mit Kindheitserinnerungen zu tun. Mein zweiter Opa war Reichsbahnrat. Deshalb wohnten er und meine Oma 40 Jahre lang im Bahnhof meiner Heimatstadt, in Bischofswerda.“ Bei jedem Besuch beobachteten sie und ihr Bruder die Loks, bei schönem Wetter unternahmen sie mit ihren Großeltern Kurzausflüge bis zur nächsten Haltestelle. In den Urlaub wurde mit dem Zug gefahren.

In Marikas Kopf ist der Bahnhof so lebendig, dass er einfach wieder so werden muss.

18.000 Euro haben den Bahnhof, der sonst verfallen wäre, gerettet. „Obwohl er seit fast zehn Jahren leer stand und der mittlere Dachteil einzustürzen drohte, sah ich den alten Glanz. Ich sah die Bahnpassagiere Fahrkarten kaufen, Gepäck aufgeben, im Schatten der großen Kastanienbäume auf den nächsten Zug warten. Ich sah die Mitarbeiter der Reichsbahn in ihren Uniformen, den Schaffner mit der Trillerpfeife, die Fahrkartenverkäuferin und die Bedienung in der Gaststätte.“ Marika spürt und riecht den Bahnhof so genau, in allen Einzelheiten, dass ihm gar nichts anderes übrig bleibt als wieder zu dem zu werden, was er einst war: ein Prachtbau, die Fassade in strahlendem Sonnengelb, rauchende Schornsteine, schwingende Flügeltüren und glänzende Ornamentfließen in der Eingangshalle. Besonders ein Argument lässt sich auf keinen Fall entkräften: „Ist das rund 140 Jahre alte Bahnhofsgebäude nicht auch ein großer historischer Alltagsgegenstand, den man retten muss? Und ist er nicht ein perfekter Ort für meine Sammlung?“ Stündlich kommen auch noch Züge vorbei – ein Express- und ein Regionalzug, dazwischen Güterzüge aus dem nahe gelegenen Steinbruch.

Ist das rund 140 Jahre alte Bahnhofsgebäude nicht auch ein großer historischer Alltagsgegenstand, den man retten muss?

Überglücklich stellt die neue Bahnhofsbesitzerin, die inzwischen jeden Winkel des alten Gemäuers kennt, das ehemalige Empfangsgebäude vor. 1873 erbaut, verfügt es über einen Ost- und Westflügel mit je zwei Etagen sowie einen dreistöckigen Mittelbau. Im Erdgeschoss befinden sich die Wartehalle, die Diensträume der Bahn sowie die ehemalige Gaststätte. Die anderen Zimmer dienten Arbeitern als Wohnung. Es ist ein solider Bau mit reichlich Sandsteinverzierungen. „Was mir neben der schönen historischen Fassade besonders gefällt“, schwärmt Marika Barber, „sind der Fahrkartenschalter oder die großen Schwingtüren zum Bahnhof.“ Wenn sie die Bahnhofsvorsteherwohnung mit den lichtdurchfluteten, hohen Räumen betrete, den langen Flur, erinnere sie das stets an die Wohnung ihrer Großeltern. „Besonders begeistert mich die traumhafte Lage – etwas außerhalb des Dorfes, am Fuße des Valtenberges mit einer phantastischen Aussicht. Natur und Ruhe, für einen Bahnhof eigentlich eher untypisch.“

Mit jedem Schritt tritt die frühere Schönheit des Bahnhofs wieder zutage. Foto: privat
Schritt für Schritt geht es an die Sanierung des alten Bahnhofs

Die 18.000 Euro für den Erwerb sind ein Klacks, vergleicht man die Kosten, die noch für die Sanierung des Gebäudes anfallen. Mit einer Million müsse man rechnen, meinte der Sachverständige vor dem Kauf. Marika Barber schreckt das nicht. Schritt für Schritt wird das schon. So geht sie auch vor: Die Dornröschenhecke um das Haus herum ist gezähmt. Der Müll wurde weggeräumt, der über Jahre abgestandene Geruch durch viel Lüften vertrieben, die abgetretenen Fußbodenbeläge sind herausgerissen… „Heute Morgen wurden die Container abgeholt. Hurra, der erste große Schritt zum Ende der Bauarbeiten“, schreibt Marika über WhatsApp. Bis zum Winter sollen einige Kachelöfen wieder funktionieren und irgendwann im nächsten oder übernächsten Jahr sind die Fassade und das Dach des Westflügels dran. Das einsturzgefährdete Dach in der Mitte und die Fassade darunter wurden bereits notsaniert.

Auch wenn noch viel zu tun ist, die Fortschritte machen Mut. Foto: privat

Wer meint, Marika müssten all die Kosten, die da noch auf sie zukommen, erdrücken, irrt. Sie hat Kunstpostkarten aufgelegt, die sie gegen eine Spende abgibt. Sie brütet über einer Crowdfunding-Aktion. Zum Tag des Offenen Denkmals letztes Jahr im September verkaufte sie Speisen und Getränke. Auch Fördergelder im Rahmen des Denkmalschutzes kommen in Betracht. Und es gibt Leute, die einfach spenden, weil sie großartig finden, mit welchem Idealismus und welcher Begeisterung die junge Frau ihren Bahnhof wieder zu neuem Leben erweckt. „Es sind nicht nur die Spenden. Oft sind es andere Dinge mit großer Wirkung – die helfende Hand, der ausgeliehene Transporter oder eine wichtige Beratung.“

Das Bild, wie der Bahnhof in zehn Jahren aussehen soll, gibt Marika Kraft. „Im Erdgeschoss gibt es großzügige Veranstaltungsräume und im Westflügel zahlreiche Fremdenzimmer. Alles mit historischen Möbeln und Gegenständen ausgestattet. Im Ostflügel ist meine kleine Werkstatt untergebracht. Vor dem Haus stehen gemütliche Bänke und Stühle, auf denen sich Wanderer bei einem Glas Bier oder Brause ausruhen und den Blick in unsere schöne Oberlausitz schweifen lassen.“

Der Tipp!
Marika in ihrem Bahnhof am Tag des Offenen Denkmals 2016 • Foto: privat

Zum Tag des Offenen Denkmals am 10. September 2017 besteht die Möglichkeit, Marika Barber und ihren Bahnhof zu besuchen (Bahnhofstraße 18 in 01904 Neukirch/Lausitz). Auf Facebook unter www.facebook.com/NeukirchLausitzWest/ kann man die weiteren Fortschritte verfolgen.

Für alle, die dieses außergewöhnliche Projekt gerne unterstützen möchten, hier die Bankverbindung:

Kreissparkasse Bautzen • Marika Barber • IBAN: DE06 8555 0000 4005 2217 80
BIC: SOLADES1BAT

 

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2 Antworten

  1. Ich freue mich, daß dieses Empfangsgebäude in die richtigen Hände gekommen ist und vor dem Verfall gerettet wird. Der Anfang ist gemacht mit dem neuen Dach des Mittelteils, der Vollmöblierung des 1. Stocks und dem sanierten Fassadenteil. Ich wünsche dem Bahnhofsteam viel Erfolg bei den weiteren Schritten und daß eurem Banker nie das Geld ausgeht.

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