von Kristin Frauenhoffer
Der zwei Meter große Kegel ist nicht zu übersehen. Komplett aus Holz, rot angestrichen, liegt er am Boden und lädt zum Hineinkriechen und Verweilen ein. Wenn man im Inneren sitzt, hört man Geräusche. Es sind Geräusche des Waldes, Rauschen der Blätter, Rufen der Vögel. Schließt man die Augen, ist man sofort in der Natur und erfährt deren beruhigende Wirkung. Dabei tobt um einen herum die Stadt. Das Kunstwerk heißt Micromegàsuoni, was übersetzt soviel wie „Mikromegageräusche“ bedeutet. Geschaffen hat es das italienische Künstlerkollektiv „IPER collettivo“. Es will eine Verbindung zwischen der hektischen Stadt und der ruhigen Natur herstellen.
In der Pandemie entdeckten viele Menschen die Natur um sie herum neu
Der Ausgangspunkt für das Kunstwerk war die Corona-Pandemie, erzählt Lorenzo Romaniello, einer der Künstler. „Es gab 2021 einen Künstlerwettbewerb, an dem wir teilnahmen. Dabei sollten wir uns der Frage annähern, wie die Pandemie unseren Alltag verändert hat“, so Lorenzo weiter. Er und die anderen Mitglieder des Kollektivs IPER collettivo hatten beobachtet, dass es viele Menschen in Italien ins Grüne zog. Aufgrund der sehr strikten Kontaktbeschränkungen war es nämlich nicht mehr möglich, sich frei in der Stadt zu bewegen. Und so entdeckten viele Menschen die Grünanlagen rund um die Stadt wieder, fuhren in den nahen Wald oder in Naturschutzgebiete, die sie lange nicht besucht hatten. Viele von uns kennen dieses Phänomen, dass wir unsere unmittelbare Gegend nicht so gut kennen wie beispielsweise Orte, an die wir in den Urlaub fahren. Und wenn wir nicht mehr in den Urlaub fahren können, machen wir Ausflüge in die Umgebung.
Micromegàsuoni: Verstärker der Waldgeräusche
Diese Entwicklung, dass sich Menschen wieder mehr in der Natur aufhielten, war natürlich positiv. Die Frage, die sich Lorenzo und seine Mitkünstler*innen aber stellten, war: Wie kann diese Verbindung zur Natur auch nach den strikten Beschränkungen aufrechterhalten bleiben? Wie kann Stadtmenschen vermittelt werden, wie wertvoll die Natur mit ihren Wäldern, Wiesen und Mooren ist und dass sie geschützt werden muss? „Am Anfang hatten wir ein Designproblem. Wir stellten uns die Frage, wie wir effektiv vermitteln können, was man im Wald erlebt“, erklärt Marco Conti, der auch Teil des Künsterkollektivs ist.
Bald darauf folgte die Idee, ein riesiges Megaphon zu bauen, das die Geräusche des Waldes wiedergibt und diese sogar noch verstärkt. Daher auch der Name: Micromegàsuoni. Die im Vergleich zur Stadt eher ruhigen, „kleinen“(micro) Geräusche des Waldes werden durch den überdimensionalen, wie ein Megaphon geformten Kegel verstärkt (mega) und über den Schall (suoni) in die Stadt transportiert. Als würde der Wald rufen: „Hallo, ich bin hier, bitte vergesst mich nicht!“
Einen Moment der Ruhe genießen und in den Wald „eintauchen“
Das Kunstwerk beschränkt sich nicht auf eine Installation, sondern besteht aus insgesamt zwei riesigen Kegeln. Der zweite steht im Wald. Dort, wo auch die Geräusche aufgenommen werden, die der „Stadtkegel“ abspielt. „Die zwei gegensätzlichen Orte, an denen die Installationen aufgebaut sind, schaffen eine Verbindung zwischen Natur und Stadt. Der Kegel in der Stadt ist wie ein Portal, durch das das fremde Waldleben in eine vertrautere Umgebung transferiert wird, um eine endlich wiedergefundene Beziehung zu stärken“, erklärt Lorenzo. Der Waldkegel kann als vorübergehender Unterschlupf oder einfach nur für eine kurze Pause genutzt werden, während man den Wald in Dolby-Surround genießt. Durch seine Form verstärkt der Kegel nämlich alle Umgebungsgeräusche. Und der Stadtkegel wiederum lässt die gestressten Städter*innen innehalten, in den Wald „eintauchen“ und einen, vor den lauten Geräuschen der Straße geschützten Moment der Ruhe genießen.
Die Installation könnte im Rahmen einer Klangtherapie zum Einsatz kommen
Micromegàsuoni wurde nach der Auswahl für die internationale Ausschreibung „SUPERBLAST“ (Mai bis September 2021) von NAM-Not a Museum realisiert. Das Kunstwerk befand sich eine Zeit lang im Hof des Künstlerhauses „Manifattura Tabacchi“, wo die Mitglieder des Kollektivs Lorenzo Romaniello, Marco Conti, Giulia Landini und Lorenzo Vacirca 2021 eine künstlerische Residenz hatten. Der andere Kegel befand sich in einem Wald nahe Perugia. Nun soll der Stadtkegel reisen. Zumindest, wenn es nach den Wünschen der Künstler*innen des IPER collettivo geht: „Wir könnten uns vorstellen, dass man unsere Installation zu Therapiezwecken nutzt und sie zum Beispiel in Zentren aufstellt, in denen Klangtherapie gemacht wird“, erklärt Marco. Vorstellbar wäre auch, das Kunstwerk als Vorlage für die Entwicklung eines etwas handlicheren Produkts zur Klangtherapie zu nutzen. Als künstlerisches Werk aber soll der Kegel wandern. Wann das passiert, wissen die vier Künstler*innen noch nicht.
Unterdessen gehen sie neue Projekte an. Dabei hat sich das Kollektiv auf die Fahnen geschrieben, für all ihre Projekte drei Elemente zu integrieren: recycelte Materialien (auch das Holz, aus dem die Kegel gemacht wurden, ist nachhaltig produziert), Menschen und öffentliche Räume. Ziel sei es immer, Menschen dazu zu bewegen, die öffentlichen Orte, an denen sie sich bewegen, mitzugestalten.
Mehr zum Künstlerkollektiv IPER collettivo findet ihr auf ihrer Webseite.
Herzlichen Dank für diesen Tipp an Julia von colorfulemotions.com!
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5 Antworten
das ist eine wunderbare Idee und gerade für Menschen mit diversen Funktionsstörungen eine ganz neue Form der Klangtherapie, Bravo! Bin selbst im Behindertenbereich tätig und da ich hierbei Elemente der Musiktherapie einfließen lasse , finde ich dieses Projekt wirklich Klasse!
Liebe Ortrud,
vielen lieben Dank für deine wertschätzenden Worte zu unserem Projekt. Wir hoffen sehr, dass das Micromegásuoni in diesem Bereich Anklang finden wird. 🙏 Danke auch für dein wertvolle Arbeit und dein Wirken. Grazie mille e saluti
Unglaublich, welche tollen Projekte überall auf der Welt gerade entstehen. Danke, dass ihr jede Woche auf solche Menschen und Projekte aufmerksam macht!
Liebe Jasmin, vielen lieben Dank für dein liebevolles Feedback 🙏 Auch wir empfinden die Arbeit von goodnewsforyou als sehr bereichernd und sind von Herzen dankbar für diese Publikation. Grazie mille e buona giornata
Vielen lieben Dank, liebe Jasmin!
Dir haben wir ja auch schon einige wunderbare Themen zu verdanken!
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