von Katharina Zuleger, Gastautorin
Du träumst von einer neuen Welt, von mehr Nachhaltigkeit oder deinem kreativen Durchbruch …? Aber du verstehst nicht, warum das so schwierig ist mit der Umsetzung? Veränderung konfrontiert uns mit Unsicherheit. Und an dem Punkt verlieren wir meist den Zugang zu unserer Klarheit und Power. Lerne spielerisch, wie Veränderung Schritt für Schritt gelingen kann.
Unser autonomes Nervensystem mag Unsicherheit gar nicht gerne. Sein Job ist, dass wir in möglichst vertrauten Bahnen und Weltanschauungen unterwegs sind, selbst wenn diese ein bisschen unbequem sind. Praktisch sieht das so aus, dass wir kühne Ideen auf dem Sofa haben. Unser innerer Kritiker aber läuft zu Hochform auf, wenn es um die Umsetzung geht. Oder dass wir beobachten können, dass ganze Nationen in polarisierten Standpunkten, Weltuntergangsszenarien und Tunnelblick festhängen, wenn wir uns durch Covid19 im globalen Neuland befinden.
Veränderung funktioniert nicht mit einer To-do-Liste, einem inneren Einpeitscher und ambitionierten Plänen. Veränderung gelingt, wenn wir uns sicher fühlen – oder um genauer zu sein, wenn sich unser autonomes Nervensystem sicher fühlt. Und diese Erfahrung können wir nicht machen, indem wir uns von jetzt auf nachher vor 100.000 Menschen auf die Bühne stellen. Aber sie findet auch nicht statt, wenn wir in scheinbarer Sicherheit auf unserem Sofa verharren.
Warum fällt uns Veränderung so schwer?
Deshalb möchte ich dir eine einfache Übung vorstellen, die uns hilft, in unbekanntem Gelände mehr zu entspannen, Veränderungsprozesse mit weniger Angst zu meistern und nachhaltige Lösungen zu finden. Sie begleitet mich seit fast 10 Jahren und hat mein Leben ganz schön auf den Kopf gestellt. Mit ihr übe ich regelmässig, mich mit den unbekannten Größen in meinem Leben mehr anzufreunden.
Veränderung bedeutet Neuland zu betreten und hier gibt es keine vorgespurten und gewohnten Pfade. Wir sind erst einmal konfrontiert mit der Erfahrung von Nichtwissen und Orientierungslosigkeit. Das ist ein Zustand, der meist als unangenehm erlebt wird. Wenn wir uns zu unsicher fühlen, versucht unser autonomes Nervensystem, rasch gegenzusteuern. Fight, flight und freeze nennt man die typischen Reaktionen: Angriff, Rückzug oder Kollabieren. Das führt zu den bekannten inneren Dialogen wie:
- «Die anderen sind doof! Die Idee ist ja unmöglich! Denen werde ich es zeigen! Oder auch: «Ich werde es perfekt machen oder gar nicht.» – Fight – Angriff
- «Ich bin zu doof, ich sollte besser etwas anderes machen … Lass mich mal zum Kühlschrank gehen oder meine Emails checken …» – Flight – Rückzug
- «Ich bin hoffnungslos, ich bin innerlich eh schon über alle Berge. Ich gehöre nicht dazu, wo ist meine Bettdecke?» – Freeze – Zusammenfallen
Und dann beobachten wir uns dabei, wie wir Dinge ewig verschieben, vergessen, halbherzig anpacken, dass die Umstände nie passen oder wir zu müde sind.
Wie kann Veränderung gelingen?
Unsere Fähigkeit, Dinge zu verändern ist keine Disziplinfrage. Es ist eine Frage, wie sehr wir mit unangenehmen Gefühlen präsent bleiben können. Und das können wir lernen. Hier ist die Übung. Ich nenne sie «Kreative Abenteuer» und wurde dazu von Julia Cameron und ihrem Buch «The way of the artist” inspiriert.
Mache etwas, das neu und unvertraut für dich ist
Der Ablauf ist einfach und schlicht. Einmal pro Woche, für ein bis zwei Stunden, machst du etwas, das neu und unvertraut für dich ist, aber interessant klingt. Hier sind ein paar Beispiele:
Gehe durch eine Straße oder ein Quartier in deiner Stadt, die oder das du nicht kennst. Lerne etwas Neues wie eine Stunde Jodeln. Besuche ein Museum oder ein Theater, in welchem du noch nicht warst. Experimentiere mit einem künstlerischen Medium, das dir neu ist. Gehe in ein Geschäft, dessen Thema dir unvertraut ist.
Mache einen Spaziergang in einer unbekannten Gegend. Geh in die Bücherei und schmökere in einem Buch über Webtechniken in Honolulu, Fischfang in Peking, Eisenbahnen in Sibirien … Lerne online eine Stunde Usbekisch oder Urdu. Schau dir eine Dokumentation über deinen Lieblingskünstler an. Helfe in einer Gassenküche mit. Melde dich für einen Stadtspaziergang an. Nimm deine Kamera für eine Stunde mit auf einen Spaziergang und fotografiere alles, was Pink oder Blau ist. Nimm Papier und Bleistift und mache eine Skizze von deiner Straße, deinem Wohnzimmer oder deiner Katze.
Koche etwas aus einem Land, das du noch nie zuvor probiert hast. Schreib einen Brief an dein Zukunfts-Selbst. Dichte ein Haiku, lese Gedichte laut von deinem Lieblingsdichter. Gehe in ein Tierheim und führe einen Hund für eine Stunde spazieren … Male Kieselsteine bunt an, schreibe eine Botschaft drauf und lege sie bei einem Spaziergang aus. Mache ein Mandala aus Blumen, Blättern und Steinen in deinem Garten … Die Möglichkeiten sind endlos.
Das sind die Rahmenbedingungen für diese Übung
- Du machst etwas, das unvertraut, ungewohnt, neu oder fremd ist.
- Es ist keine Frage von Geld, Exklusivität, Kaviar oder Abendkleid.
- Du planst es im Voraus, so dass es als Termin in deinem Kalender steht.
- Du machst es für dich und nicht für oder mit Freund*innen.
- Du kannst also den Kaffeeklatsch mit deiner Freundin nicht umfunktionieren. Und – leider nein – auch ein spontaner Videoabend, dein Besuch beim Friseur oder das Epilieren deiner Beine zählen nicht. Dir einen neuen Friseur aussuchen schon eher.
- Es darf und soll absolut Spass machen. Es ist also keine Aufgabe, in der du dich zu schrecklichen Dingen zwingst.
- Dreh dir keinen Strick daraus, wenn du nicht jede Woche damit übst.
- Kreative Dates können sich ausdehnen: eine Wanderung, ein Kurzurlaub, ein Tanzkurs. Aber Achtung: warte nicht auf die großen Momente irgendwann – «Nächstes Jahr fahr ich in die Antarktis …» Mach deine Gegenwart aufregend.
Meine eigene Erfahrung mit Veränderung
Ganz ehrlich? Der Start war wirklich schwierig für mich. Julia Cameron warnt davor, dass diese Erfahrung bei den meisten Menschen Widerstand hervorruft. Ich war überzeugt, dass das bei mir anders sein würde. Es klang so aufregend und vergnüglich. Und ein, zwei Stunden pro Woche waren mir absolut möglich. Umso erstaunter war ich, dass ich das wochenlang vor mir hergeschoben habe. Ich sah mir selbst zu und konnte nicht so recht verstehen, was da vor sich ging. Ich war absolut überzeugt, dass ich dafür keine Zeit habe, obwohl das nicht der Realität in meinem Kalender entsprach.
Es dauerte mehrere Wochen, bis ich schließlich mein erstes und sehr schlichtes kreatives Abenteuer machte. Ich besuchte ein Studentenkonzert im Konservatorium, einen Ort, den ich bis dahin nur von außen kannte. Und obwohl ich schon in hunderten von Konzerten war, war meine Erfahrung überraschend neu. Ich war nicht mehr als Konsumentin da, ich war inmitten meines eigenen Abenteuers und meiner Emotionen. Das Konzert-Thema war „Arkadien“, eine Art innerer Sehnsuchtsort. Meine ganzen Jugendträume kamen nach oben, meine eigene Erfahrung mit Musik, all die für mich erst einmal nicht verständlichen Widerstände mit dieser komischen Übung. Und zum Schluss bin ich auch noch auf der Treppe gestürzt …
Eine einfache Übung, die mein Leben zutiefst verändert hat
Es hat eine Zeit gedauert, bis sich mein innerer Tumult in Bezug auf kreative Abenteuer gelegt hat und ich die Power dahinter nutzen konnte. Diese einfache Übung hat mein Leben zutiefst geändert. Ich bin auf den Spuren von Captain Cook durch die Südsee gesegelt und mit dutzenden von Haien getaucht. Ich bin in Chicago auf die Schauspielschule gegangen, habe Handstand in Australien und Möbelbau in Vietnam kennengelernt. Ich habe mit anderen Farben gemalt, in anderen Formaten, auf anderen Medien. Ich habe in Baumhaus, Camper und Schloss gewohnt. Und ich habe ein neues Business gestartet. Bei den kreativen Dates ging es nicht um die Südsee-Insel, ich hatte ebenso intensive Erlebnisse mit Latzhose in meiner Küche.
Es ging und geht um meine Bereitschaft, mich Erfahrungen zu stellen, bei denen ich keine Ahnung habe. Ich weiss nicht, wie es funktioniert, wohin es mich führt und ob ich es kann. Nachdem ich keine vertrauten Personen mit hinzuziehe, kann ich auch nicht in Gejammer und Klatsch ausweichen. Ich und die neue Erfahrung sind zusammen im Ring. Manchmal ist es aufregend, manchmal ist es schwierig. Es gibt keine Garantie für unmittelbare Ekstase oder Erfolg oder Erleuchtung.
Wenn wir uns in Neuland wagen, sind wir wach und präsent.
Trotzdem gibt es etwas, wofür es zwar keine Garantie, aber eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt: Wenn wir uns wirklich in Neuland wagen, sind wir ziemlich wach und präsent. Zeit dehnt sich, wir erleben die Welt in mehreren Dimensionen, tieferen Farben, neuen Gerüchen, bewussteren Gefühlen … Wir leben intensiver.
Inzwischen habe ich diese Übung vielen Teilnehmer*innen empfohlen und beobachte ein ganz ähnliches Ringen mit damit. Das Gefühl, keine Zeit zu haben, der Versuch, etwas Vertrautes und Sicheres als kreatives Date umzumünzen und die erstaunte Frage, warum so etwas Simples so schwierig ist.
Egal ob es um die Umsetzung deiner Träume, um deine Business-Klarheit oder um so große Projekte wie globaler Bewusstseinswandel geht: Es wird dich in einen Raum bringen, in dem du dich erst einmal nicht auskennst, deine Emotionen Purzelbaum schlagen und Adrenalin durch deine Adern rauscht.
Und so lange wir nicht lernen, an diesem Punkt mit unseren ganzen Gefühlen besser stehen bleiben zu können, zieht es uns in vertraute Standpunkte und Selbstbildnisse zurück. Dialoge werden schwierig, Wachstum und Veränderung fühlen sich an wie Herkulesaufgaben. Was mich diese Übung gelehrt hat: Meine Welt ist so groß, reich und so magisch, wie ich in der Lage bin, mit Unbehagen und Neuland in den Ring zu gehen.
Empfehlenswert zu lesen:
„The Artist’s Way“ oder „Der Weg des Künstlers“ von Julia Cameron
Zur Person
Katharina Zuleger lebt seit über 20 Jahren im Kanton Luzern in der Schweiz. Sie hilft Firmen, Unternehmer*innen und Privatkund*innen dabei, ihre Positionierung, ihren Ausdruck zu finden.
Weitere Infos unter: https://www.katharina-zuleger.com/
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