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Resignieren, scheitern …:
Damit es neu weitergehen kann

Resignieren, scheitern sind wichtige Erfahrungen im Leben, damit wir uns weiterentwickeln und wachsen. Warum gleicht das aber oft einem Makel? Auf Spurensuche eines menschlichen Phänomens mit Management-Berater und Lehrtrainer Walter Allinger.
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Interview: Isolde Hilt

Stellen wir uns unser Leben als ein Buch vor, gäbe es mit großer Wahrscheinlichkeit bei jedem von uns im Inhaltsverzeichnis ein Kapitel über „Resignieren und Scheitern“. Es gehört zum Mensch-Sein, weil nur so ein Über-sich-Hinauswachsen, Neues Erkennen und ein Sich-Weiterentwickeln möglich sind.

Für das Resignieren und Scheitern genieren oder schämen wir uns aber meistens. Offen Schiffbruch zuzugeben, ist in unserer Gesellschaft nicht en vogue. Warum ist das so? Wir haben mit Walter Allinger gesprochen. Als Management-Berater und Lehrtrainer hat er viele Prozesse des Resignierens, vermeintlichen Scheiterns und des sich wieder Neu-auf-Kurs-Begebens erfolgreich begleitet. Und dabei nimmt er sich selbst nicht aus. Denn Talfahrten gehören zum Leben, genauso wie das Gefühl auf Wolke sieben.

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Resignieren: Was passiert da?

Resignieren ist ein sehr vielschichtiger Begriff. Meist assoziieren wir ihn mit Scheitern und verbinden damit eine persönliche Schwäche, ein Defizit, eine Inkompetenz. Wir fühlen uns als Versager*in, Verlierer*in. Oft ist damit auch eine Vorstellung von einem finalen Aus verbunden. Das Schiff des eigenen Lebens ist zerschellt. Die Energie geht verloren. Brennende Scham oder brodelnde Wut stellt sich ein, je nachdem, wem wir dieses Scheitern zuschreiben – uns selbst oder einem Außen. Aus dieser Perspektive ist es naheliegend, weiter und weiter für ein Gelingen zu kämpfen, auch wenn die Aussichten dafür gegen Null und die eigenen Kräfte zu Neige gehen.

 

Aber nicht jede*r resigniert auf die gleiche Weise …

Ja. Eine andere Perspektive auf Resignieren eröffnet die Etymologie. Resignation leitet sich ab aus dem lateinischen Wort „resignare“ – das Signum, also das „Feldzeichen senken“ und „entsiegeln“. Wenn eine Schlacht aussichtslos erschien und es nichts zu gewinnen gab, nahm ein kluger römischer Feldherr das Signum zurück und beendete den aussichtslosen Kampf.

Das ist ein anderes Verständnis von Resignation, einer aktiven Resignation. Man zieht sich bewusst aus einem Geschehen zurück, in dem es momentan nichts zu gewinnen gibt.

 

Das „Feldzeichen senken“, was könnte das – auf uns persönlich übertragen – bedeuten?

Indem wir uns aus dem Kämpfen nehmen und vom Außen ins Innen gehen, „entsiegeln“ wir zugleich die Zugänge zu Teilen unserer Gefühlswelt, die wir in unserer Not und Angst vor dem Scheitern bislang verschlossen hielten. Wir empfinden Scham, Schmerz, Wut, Trauer. Es fühlt sich an, als lebten wir jetzt in der Asche verbrannter Lebenspläne, zerbrochener Beziehungsvorstellungen, zusammenbrechender Karrierekonstrukte und sonstiger Pläne, Absichten und Rollen. Wir begegnen bislang abgewehrten Schattenseiten unseres Wesens. Wir treten aktiv in einen Wandlungsprozess ein. Ein überkommenes Bild von uns selbst und/oder den anderen und der Welt stirbt.

Und erst nach und nach sprosst das frische Grün des neuen Erlebens. Wir haben uns verändert, uns weiterentwickelt. Unsere Fähigkeiten, uns in einer vielschichtigen Welt zu erfahren und zu bewegen, sind weiter gewachsen. Eine qualitativ hochwertige Entwicklung unserer Person hat stattgefunden. Wir waren gestrandet und mussten innehalten, erleben, reflektieren, einiges aushalten. Dabei haben wir nicht nur etwas dazugelernt im Sinne von Wissen, sondern etwas erfahren. Unsere Denk-, Fühl- und Verhaltensmöglichkeiten sind weiter und vielfältiger geworden. Wir haben neue Perspektiven hinzugewonnen. Unsere Identität hat sich verändert. Wir können uns selbst, anderen Menschen und der Welt neu begegnen. Mit einem tieferen Verständnis und einer gereifteren Liebe.

 

Manchmal sind wir erst dann in der Lage, aufzugeben, wenn wir nicht mehr anders können.

Resignieren und Scheitern sind also wichtige Bausteine für die persönliche Entwicklung?

Ja. So gesehen sind Scheitern und Resignieren notwendige Phasen in unserer Entwicklung. Bei diesem tiefgreifenden Lernprozess geht es darum, eine persönliche Not – und oft ist damit auch eine Not in unserer Umwelt verknüpft – zu wenden. Eine Not zu wenden, die entstand und die wir aufrechterhalten haben, indem wir neue Herausforderungen und Probleme mit gewohnten Strategien zu bewältigen versucht haben.
Manchmal sind wir erst dann in der Lage, aufzugeben, wenn wir nicht mehr anders können. Wenn wir von außen die rote Karte bekommen oder wenn unser Nervensystem und unser Körper sie uns zeigt. In Form andauernder Erschöpfung, Depressionen und anderer Erkrankungen. Das ist sehr menschlich und zugleich aber auch ein Weg, der zu Entwicklung und Heilung führen kann.

 

Wir Menschen sind nicht alle gleich. Wer läuft besonders Gefahr zu scheitern?

Menschen, die ihren Werten folgen und eine Verbesserung für sich selbst, für andere und die Welt anstreben. Also Menschen, die Herausforderungen annehmen, für die es keine Gebrauchsanleitung gibt, keine Blaupause für ein „richtiges Vorgehen“. Die an sich selbst hohe Anforderungen stellen. Die mit Empathie und Mitgefühl für andere da sind. Menschen, die sich für nachhaltige gesellschaftliche, soziale, politische und ökologische Entwicklungen einsetzen. Menschen, die sich begeistern.

Ein höheres Risiko zu scheitern haben auch Menschen, die sich selbst mit ihren spezifischen Talenten, Stärken, Schwächen und Einschränkungen noch nicht so annehmen können, wie sie sind. Menschen, die meinen, sich selbst und/oder der Welt beweisen zu müssen, dass sie es wert sind, dazuzugehören. Die um ihren Platz auf der Welt und in der Gemeinschaft kämpfen.

Aber auch andersherum entsteht ein besonderes Risiko zu scheitern. Menschen, die versuchen, alles richtig zu machen. Die es nicht wagen, einen eigenen Weg zu nehmen. Die sich nicht trauen zu experimentieren, auszuprobieren, die sich sehr stark an Erwartungen und Regeln anpassen und von sich meinen, eh nichts bewirken zu können. Sie gehen das Risiko ein, sich selbst zu verpassen und nicht der Mensch zu werden, der sie sein könnten. Sie trauen sich nicht, das Leben in der Tiefe und Farbigkeit, in seiner kraftvollen Lebendigkeit zu leben, zu der Schönheit und Schatten, Freude und Schmerz, Segeln und Stranden gehören.

Oft halten wir auch durch, um nicht mit Gefühlen konfrontiert zu werden, die wir mit unserem Engagement im Außen und durch unserer Aktivität in Schach halten.

 

Das sind dann gar nicht so wenige … Und doch gibt es so manche, die lange durchhalten, bis sie sich geschlagen geben. Womit hängt das zusammen?

Da sind oft viele Kräfte am Wirken: eine gewisse Robustheit, eine starke Liebe für etwas oder jemanden, die große Scham vor Misserfolg, ein starkes soziales Netz, eine hohe innere Unabhängigkeit, eine kraftvolle Vision, die Entscheidung, sich in sein Schicksal zu fügen, eine hohe Loyalität und gefühlte moralische Verpflichtung für etwas, manchmal auch eine starke Wut bis hin zu Hass …

Oft halten wir auch durch, um nicht mit Gefühlen konfrontiert zu werden, die wir mit unserem Engagement im Außen und durch unserer Aktivität in Schach halten. Zum Beispiel Gefühle wie Scham, doch versagt zu haben, Enttäuschung, Leere, Sinnlosigkeit, Trauer, Angst, Wut, Vergeblichkeit. Wir ahnen, dass es eine Zumutung für uns würde, sich damit auseinanderzusetzen. Und manchmal ahnen wir, dass sich hinter diesen Gefühlen eine innere Not verbirgt. Eine Not, die daher rührt, dass wir von Einschärfungen getrieben sind, die uns bislang daran hinderten, ganz JA zu uns sagen zu können und unser Potenzial zu leben.

Manchmal halten wir durch, weil uns unbewusste transgenerationale Aufträge und Loyalitäten aus unserm Familiensystem wie fernsteuern, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Das kann man manchmal auch gut bei Unternehmerfamilien sehen.

 

Läufst du leicht Gefahr, zu resignieren? Falls nein, was tust du, um dem vorzubeugen?

Ich habe längere Strecken in meinen Leben als Einzelkämpfer gelebt, ohne dass mir das bewusst gewesen wäre. Habe viel Verantwortung auf mich genommen und gemeint, wenn ich es nicht mache, macht es sonst niemand (richtig). Dabei habe ich viel Robustheit und Durchhaltevermögen an den Tag gelegt, halbe Nächte durchgearbeitet, mich vielfältig engagiert, immer vollen Einsatz gebracht … Und dann habe ich mich gefreut, wenn ich mit meiner Lösung doch immer wieder einen Weg für mich und andere gefunden habe, der zunächst nicht sichtbar war. Begleitend dazu gab ich mich aufgeräumt und locker. „Alles im grünen Bereich“ war eine meiner Lieblingsfloskeln. Einerseits stimmte das auch so, andererseits war mir aber nicht bewusst, welchen Preis ich für all das zahle und was mich antreibt, mich innerlich und äußerlich so zu überengagieren.

Zum Glück – und vielleicht auch leider zugleich – laufe ich nicht leicht Gefahr zu resignieren. Ich erlebe mich selbst nicht so robust und brauche Achtsamkeit mir selbst gegenüber im täglichen Tun und Sein. Ich brauche Kontakt und Austausch mit anderen Menschen und Zeiten zum Innehalten, um wahrzunehmen, wann es Zeit ist, aktiv und bewusst zu resignieren. Etwas zu lassen, was mir, anderen oder der Welt nicht guttut und dadurch Raum zu schaffen für die Schönheit des Lebens.

 

Mein Leben findet ja JETZT, in diesem Augenblick, statt. Jetzt, während ich hier antworte, esse, lese, arbeite, spreche, zuhöre …

Das heißt, du hast dich ab und an schon auch an der Grenze bewegt …?

Ich bin selbst einige Male dicht am Burnout entlanggeschrammt. Ich kenne das Gefühl, dass der innere Brunnen kaum mehr Wasser liefert. Seit vielen Jahren gehe ich rücksichtsvoller und liebevoller mit mir um. Ich schenke mir die Zeit und Achtsamkeit, mich und meine Bedürfnisse zu spüren, schenke mir den Raum, die Dinge, die ich tue, so zu tun, dass ich selbst darin anwesend bin. Denn mein Leben findet ja JETZT, in diesem Augenblick statt. Jetzt, während ich hier antworte, esse, lese, arbeite, spreche und zuhöre, zu Fuß gehe oder Auto fahre, einkaufe … Und obwohl ich schon länger diese Praxis pflege, ist es jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung, achtsam mit mir zu sein.

Menschen, die etwas komplett Neues wagen, das auf andere verrückt wirkt, begeben sie in ein besonderes Fahrwasser. Sie müssen nicht nur ihr Projekt gut auf die Spur bekommen, sondern stehen wegen der anderen, die das beobachten, doppelt unter Druck. Zum Beispiel, wenn es um etwas Ausgefallenes geht … Da muss es eine Kraft geben, die stärker ist, oder?

Die Geschichte liefert viele Beispiele für Menschen, die etwas komplett Neues wagten und wagen – von der Erzeugung und Beherrschung des Feuers bis hin zur Erfindung des Internet. Und wer weiß, was noch alles kommt …

Die Kraft, nach der du frägst, die diese große Bewegung der Menschheit trägt und stärker ist als alles Scheitern und Verzagen, nennen wir in der Transaktionsanalyse die „Physis“. Eine den Menschen und Systemen innewohnende Kraft, die nach Entwicklung und Gesundheit strebt. Mit dieser Quelle, dieser Ressource immer wieder in Kontakt zu sein, gibt uns die Energie, die Inspiration und die Zuversicht, unseren Weg weiterzugehen, auch wenn andere uns den Erfolg absprechen. Diese Kraft lässt uns auch nach einem Scheitern immer wieder aufstehen, uns neu orientieren und einen erfolgversprechenden neuen Weg beschreiten.

 

Du hast einmal erwähnt, dass Leute, die mit Herzblut und Leidenschaft an etwas gehen, sich auch besonders leicht verurteilen, wenn sie scheitern. Warum ist das so?

Menschen, die mit Herzblut und Leidenschaft von einer starken Vision geleitet oder einem Sinn getragen sind, sind besonders im Risiko zu scheitern. Sie wagen etwas Außergewöhnliches. Vielleicht, weil sie die Schönheit der Welt für kommende Generationen bewahren wollen. Weil sie die Lebens- und Überlebenschancen von Menschen verbessern möchten. Vielleicht, weil sie für mehr Chancengleichheit, Ausgleich, Demokratie oder grundlegende Menschenrechte eintreten. Oder auch, weil sie sich und der Welt etwas beweisen wollen.

Für sie hängt am Scheitern ein größeres Preisschild als für jene, die spielerischer oder banaler ans Werk gehen. Zugleich betreten sie mit ihrer Mission eine terra incognita, ein unbekanntes Land, für die es keine Landkarten und fertigen Verkehrswege gibt, keine Vorerfahrungen oder Standards.

 

Noch etwas, das dir wichtig ist zum Thema „scheitern“?

Walter Allinger, Management-Berater und Lehrtrainer

Scheitern kann auch bedeuten, dass wir laufend Gewohnheiten folgen, ohne diese zu hinterfragen oder einmal neu Maß zu nehmen. Neu Maß zu nehmen, heißt, sich zu vergegenwärtigen, was es jetzt braucht und was sinnvoll ist.

Wie oft jagen wir alten Wünschen hinterher, getrieben von einem alten Mangel aus der Vergangenheit. Wir sind Schnäppchenjäger und vermeintliche Sparfüchse. Dabei häufen wir zu viele Dinge an, ohne wirklich zufrieden zu werden. Wir belasten uns und die Welt damit. Wir essen zu viel und bewegen uns zu wenig. Wir leisten uns Dinge, die die Welt kosten. Wir „gönnen“ uns etwas, das uns eigentlich schadet. Wir versorgen uns und andere, anstatt im Kontakt zu sein …

Da bleibt mir am Ende ein großer Wunsch: der Wunsch, dass wir früh und oft genug scheitern. Der Wunsch, dass wir immer wieder wach werden für die Gegenwart, um rechtzeitig zu realisieren, was unser Leben heute und morgen wirklich reich, lebendig, sinnerfüllt und nachhaltig sein lässt.

 

Mehr zu Walter Allinger: https://www.professio.de/professio/beraterteam/walter-allinger/

 

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