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„Tanzen mit Papa“:
Trotz Alzheimer erfüllt leben

Mit Alzheimer zu leben, ist für Betroffene wie Angehörige schwer. Denise Devlin hat einen besonderen Weg gefunden, ihrem Papa trotzdem nahe zu sein.
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Interview: Isolde Hilt

„Habt ihr uns schon tanzen gesehen?“ Denise mit ihrem Papa

Wer Denise kennenlernt, stellt bald fest: Diese Frau lässt sich nicht so schnell unterkriegen. Wenn manches im Leben auch schwerfallen mag, die irische Unternehmerin sucht immer nach einem Weg, der es leichter macht. Nicht umsonst heißt ihr Business „Positive Parties“ (mit einer Niederlassung auch in Deutschland). Sie und ihr Team bieten Schulungen und Teambuilding für Unternehmen, Schulen und Gemeinden an, um die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden in einer unterhaltsamen Umgebung zu fördern. Ihr Motto lautet: Lernen soll Spaß machen. Denise Devlin unterstützt auch Menschen mit Lernschwierigkeiten, eine Arbeit, die ihr sehr viel Spaß macht.

So verwundert es nicht, dass sie einen Weg für ihren an Alzheimer erkrankten Vater, für sich und ihre Familie gefunden hat, das Leben trotz der einschneidenden Krankheit zu genießen. In diesem Interview teilt sie die Erfahrungen mit ihrem Papa, um das Bewusstsein für Demenz zu stärken. Ihre Geschichte beginnt aufsehenerregend!

  

Bis vor kurzem hattest du noch lange lockige Haare. Und nun sind sie abgeschnitten. Was ist passiert?

Der große Augenblick: Gleich sind die Locken ab!

In den letzten Jahren habe ich immer wieder gesagt, dass ich mir eines Tages den Kopf für einen wohltätigen Zweck rasieren würde. Und in diesem Sommer habe ich dann beschlossen, es einfach zu tun! Die Umstände, die dazu führten, waren, dass mein lieber Papa Ende Juni in ein Pflegeheim gehen musste, da seine Alzheimererkrankung fortschritt. Das schien mir der perfekte Zeitpunkt zu sein, und meine Wahl fiel auf die Alzheimer’s Society.

Ich erzählte den Krankenschwestern, was ich vorhatte. Sie schlugen mir vor, mit Hayley, der Leiterin des Pflegeheims, zu sprechen und aus der Kopfrasur eine offene Spendenaktion zu machen und die Bewohner*innen und ihre Familien einzuladen. Helen, eine der Mitarbeiterinnen, übernahm die Organisation, und es wurde eine wunderbare Party mit Musik und Singen, Tee, Kaffee und Brötchen. Der Raum war mit Luftballons geschmückt, die Lokalpresse kam und wir gingen live auf Facebook, so dass Menschen aus der ganzen Welt zugeschaltet waren.

 

Wenn sich ein Mensch immer mehr verändert, weil er vergisst und sich nicht mehr erinnern kann, ist es für nahestehende Menschen nicht leicht, dies mitzuerleben. Dein Vater ist an Alzheimer erkrankt. Wie erlebst du diese Veränderung?

Es ist sehr schwierig – sowohl für den Menschen, der an Alzheimer erkrankt ist, als auch für die Menschen, die ihn lieben. Und jede*r in einer Familie geht anders damit um. Oft wollen Familienmitglieder nicht akzeptieren, was passiert, weil sie nicht verstehen können, warum ihr geliebter Mensch sich verändert hat und jetzt Dinge sagt und tut, die er früher nie getan hätte. Aus diesem Grund sind Schulungen zum Thema Demenz und Alzheimer so wichtig, damit Angehörige nicht nur von medizinischen Fachleuten, sondern auch von anderen, die diese Erfahrung gemacht haben, hören können.

Als bei meinem Papa vor über sieben Jahren die Diagnose gestellt wurde, war es zum Glück ein langsamer Prozess. In den ersten Jahren im Frühstadium fuhr er noch Auto. Und obwohl wir als Familie besorgt waren, wollte er das Auto nicht aufgeben und bestand die staatliche Führerscheinprüfung, um weiter fahren zu können. Nachdem er aufgehört hatte, Auto zu fahren, konnte er immer noch sein Mobiltelefon benutzen, er konnte in die Stadt gehen, um die Zeitung zu holen. Auch wenn er vergesslich war, konnte er sich noch einige Jahre lang an unsere Namen erinnern und wusste, wo er war.

Jetzt ist alles ganz anders: Papa kann nicht mehr allein ausgehen. Er braucht Hilfe beim Anziehen und bei der Körperpflege, er kann nicht mehr lesen und hat unsere Namen vergessen.

 

Du scheinst mir eine Frau zu sein, die sich nicht leicht unterkriegen lässt, auch in nicht einfachen Lebenssituationen. Zum Beispiel nutzt du die Magie und die Kraft der Musik bei deinem Vater …

Mein Papa hat schon immer gerne getanzt. Im Frühjahr 2022 erfuhr ich von den ‚Dementia Friendly Tea Dances‘ und den ‚Mayors Tea Dances‘, die einmal im Monat stattfinden. Mein Vater und ich fingen an, teilzunehmen, was uns beiden sehr viel Freude bereitete. Diese Nachmittage mit meinem Papa waren dazu da, meiner Mutter, die sich Vollzeit um ihn kümmerte, eine Pause zu gönnen. Dad kam dann an diesem Abend zu uns nach Hause zum Abendessen und zum Übernachten.

Daddy und ich tanzten nicht nur bei den Tea Dances. Wenn wir zu Hause waren, legte ich Frank Sinatra auf und wir tanzten im Sonnenzimmer. Wenn wir zum Mittagessen ausgingen oder irgendwo Musik lief, musste nicht unbedingt getanzt werden, aber Papa fragte mich, ob wir tanzen könnten. Und ich ging zur Band, erklärte, dass Papa Alzheimer hat, und fragte, ob wir auf die Tanzfläche gehen könnten. Die Antwort war immer Ja. Die Herzen der Leute schmolzen dahin, und Daddy bekam immer einen Applaus. Das liebte er.

 

Erkennt dich dein Vater noch, vor allem, wenn ihr zusammen Spaß habt wie beim Tanzen?

Ja, Papa erkennt mich noch. Sein Gesicht strahlt, wenn er mich sieht, und er nennt mich Liebling, aber er erinnert sich nicht mehr an meinen Namen. Er ruft mich nicht mehr Denise. Neulich fragte er mich: „Leben deine Mutter und dein Vater noch?“ Ich habe ihm gesagt, dass er mein Papa sei und er drei Kinder habe – mich, James und Jon. Dads Augen füllten sich mit Tränen, er lächelte und sagte: „Das wusste ich nicht.“ Ich umarmte ihn und sagte ihm, dass wir ihn alle sehr lieb haben. Dann habe ich ihm Fotos von Mama, seinen drei Kindern und seinen Enkeln gezeigt. Das mache ich jedes Mal mit ihm, wenn ich ihn sehe.

Meine Tochter Orla, sie ist 18 Jahre alt, sagt immer zu meinem Papa, wenn sie ihn sieht: „Wir lieben dich so sehr, du bist so süß.“ Wenn ich ihm also ein Foto von Orla zeige, setzt er eine Stimme auf und sagt: „Oh, ich liebe dich, ich liebe dich“ und lacht. Obwohl Daddy sich unsere Namen nicht merken kann, kennt er immer Chico, unseren Border Collie. Seinen Namen vergisst er nie. Mein Mann Neil, der Krankenpfleger ist und mit Demenzkranken arbeitet, sagt, dass er das Gefühl habe, dass es für meinen Vater zu viele menschliche Gesichter zum Erinnern seien, aber nur ein einziges eines schwarz-weißen Hundes. Wir nehmen Chico mit, wenn wir Daddy im Pflegeheim besuchen. Und er liebt es, ihn zu sehen, und alle anderen Bewohner*innen tun das auch.

 

Zurück zu deiner außergewöhnlichen Fundraising-Kampagne für die Alzheimer Society: Wie haben die Leute reagiert?

Anfangs waren die Leute schockiert, dass ich mir meine Locken abrasieren lassen wollte. Für eine Frau und weil ich lange lockige Haare hatte, fanden die Leute es seltsam, dass ich diese Entscheidung getroffen hatte. Die meisten Frauen sagten mir, ich sei sehr mutig.

Die Unterstützung war gewaltig. Die Leute teilten meine Spendenaktion in den sozialen Medien. Die Lokalzeitungen zeigten großes Interesse und die lokale Geschäftswelt in Strabane unterstützte mich sehr. Mein Vater war über 43 Jahre lang ein bekannter Geschäftsmann in unserer Stadt gewesen. Er war einst Präsident der Handelskammer, Gründungsmitglied der Strabane Enterprise Agency und Vorsitzender der Krebsforschung, um nur einige Details zu nennen.

Das alles auch, weil ich die Geschichte und die Videos von Daddy und mir bei den ‚Mayors Tea Dances‘ und den ‚Dementia Friendly Tea Dances‘ in den sozialen Medien geteilt habe, hat das die Herzen der Menschen auf der ganzen Welt berührt, so dass mich alle bei dieser Spendenaktion für einen so guten Zweck so wunderbar unterstützt haben.

 

Wieviel hast du für die Alzheimer’s Society zusammenbekommen?

Denise mit ihrem Vater und Amy Foley, Kommunalbeauftragte der Alzheimer’s Society für Fundraising (re.)

Die Gesamtsumme belief sich auf 8.600 Pfund (ca. 9.930 Euro). Das hat meine Erwartungen völlig übertroffen. Als ich die Spendenaktion auf Facebook ins Leben rief, war mein Ziel 1.000 Pfund. Dann, 15 Minuten später, dachte ich, das ist zu viel, ich werde das Ziel auf 500 Pfund senken. Als ich es jedoch erneut bearbeiten wollte, waren nach nur 15 Minuten bereits 78 Pfund zusammengekommen, also beließ ich es dabei. Um 23 Uhr waren es bereits 1.130 Pfund, und die Spendenaktion war erst um 16 Uhr online gegangen. Es war unglaublich. Die Menschen sind so großzügig und freundlich!

 

Und wissen jetzt auch mehr Menschen über die Arbeit der Alzheimer-Gesellschaft?

Ja, ich glaube wirklich. Es gibt keine einzige Familie, die nicht in irgendeiner Weise von Alzheimer betroffen ist. Im Vorfeld der Spendenaktion für die Kopfrasur haben mir so viele Menschen ihre Geschichten über ihre eigenen Angehörigen erzählt und wie sehr jede*r von dieser herzzerreißenden Krankheit betroffen ist. Die Alzheimer’s Society setzt sich für eine Welt ein, in der Demenz nicht mehr das Leben zerstört. Sie tut dies, indem sie denjenigen, die heute mit Demenz leben, hilft und ihnen Hoffnung für die Zukunft gibt.

 

Wie haben die Leute auf deinen raspelkurzen Haarschnitt reagiert? Lässt du deine Locken wieder wachsen?

Die Leute lieben es. Sie sagen alle, dass es mir wirklich steht und mich um Jahre jünger macht! Lol! Ich liebe es eigentlich auch. Ich hing so sehr an meinen Locken. In der Nacht vor der Rasur bekam ich leichtes Flattersausen und hinterließ meiner Freundin Louisa in Neuseeland eine Nachricht, in der ich sie bat, mir positive Vibes zu schicken, um mir zu helfen. Am nächsten Morgen wachte ich auf, fühlte mich überhaupt nicht nervös und war bereit für die Rasur! Es war, als hätte ich meine Ängste im Traum verarbeitet und losgelassen. Als ich dann tatsächlich die Haare abgeschnitten bekam, fühlte es sich so befreiend an, und ich genoss jede Minute dieser Erfahrung.

 

Gibt es noch etwas, das dir wichtig ist, das dir am Herzen liegt?

Denise kann die Spendensumme selbst kaum fassen.

In Bezug auf Demenz, auf Alzheimer habe ich gelernt, dass wir diese Krankheit annehmen müssen, dass wir sie nicht ablehnen oder verleugnen oder uns wünschen, dass sie verschwinden möge. Jede*r von uns würde sich wünschen, wenn er an Alzheimer erkrankt wäre, geliebt und umsorgt zu werden. Dass die Menschen in unserer Gegenwart Geduld, Einfühlungsvermögen und Mitgefühl zeigen.

Papas Persönlichkeit ist jetzt anders, es ist, als ob er zum „Geist zurückgekehrt ist“ und alle Programme fallengelassen hat. Es ist, als sei er wieder frei – frei, kindlich zu sein und sich nicht darum zu kümmern, was andere denken. Das ist an sich schon befreiend zu sehen, wie ein doch sehr konservativer katholischer Mann all seine alten Konditionierungen und Überzeugungen loslässt.

Papa und ich werden weiterhin tanzen, malen, Musik hören, singen und Spaß haben. Und ich werde jeden einzelnen Moment genießen, solange ich kann. Auch wenn es mir manchmal das Herz bricht, ist Papas Alzheimererkrankung auch ein Geschenk, denn ich hatte die Chance, mich mit ihm auf so wunderbare, herzliche Weise zu verbinden, wie ich es sonst vielleicht nie hätte tun können.

Die ‚Afternoon Teas Dances‘, an denen wir teilnehmen, sind ‚Nahrung für meine Seele‘. Ich halte jetzt Vorträge mit dem Titel ‚Dancing With Dad‘, in denen ich den Menschen von unserer Geschichte erzähle und ihnen zeige, dass Demenz, Alzheimer nicht das Ende sind. Menschen, die von dieser Krankheit betroffen sind, können immer noch ein glückliches Leben führen, wenn wir ihren Zustand akzeptieren und annehmen und mit ihnen die Dinge tun, die sie lieben.

 

More informations:

https://positiveparties.com/denise-devlin/

https://www.alzheimers.org.uk/about-us/alzheimers-society-northern-ireland

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