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Wir Frauen in Afghanistan

Nahid Shahalimi musste als Kind aus Afghanistan fliehen. Unter Lebensgefahr kehrte sie wieder in ihre Heimat zurück, um mutige Frauen zu portraitieren.
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von Isolde Hilt

Nahid Shahalimi. Photo by Isa Foltin/Getty Images

Isolde Hilt im Gespräch mit Nahid Shahalimi – Autorin, Künstlerin und Aktivistin für Menschenrechte.

 

Das Interview mit Nahid Shahalimi als Podcast

 

Vier Jahre lang reiste Nahid Shahalimi immer wieder in ihre ursprüngliche Heimat nach Afghanistan, um Mädchen und Frauen zu portraitieren, die für ein Leben in Selbstbestimmung und Freiheit kämpfen. Mit dem Buch „Wo Mut die Seele trägt“ und dem Film „We the women of Afghanistan. A silent revolution“ sind Zeitdokumente entstanden, die auf besondere Weise berühren. Sie zeigen vor allem eines: Es lohnt sich bis zum letzten Atemzug, sich für eine Welt in Frieden und Freiheit einzusetzen.

„Ich bin ein ganz normaler Mensch. Ich mache das, was ich liebe. Dadurch habe ich mich selber gefunden.“ Normal? Ja, wenn es um Wünsche und Sehnsüchte geht wie die nach einer besseren, freien und friedlichen Welt. Nein, wenn man auf das Leben der heute in Deutschland lebenden Autorin, Künstlerin und Aktivistin für Menschenrechte blickt.

Nahid Shahalimi wird in den 1970-er Jahren in Afghanistan in Kabul im „Goldenen Zeitalter“ geboren. Es ist die Zeit der großen Visionäre, die das Land in eine neue Zukunft führen wollen und für eine liberalere Lebensweise eintreten. Frauen besuchen die Schule und die Universität; sie wirken aktiv in der Gesellschaft oder auch im Parlament mit. Nahids Vater ist ein bekannter und einflussreicher Minister: „Wir waren eine behütete und privilegierte Familie. Meinen Eltern lag sehr daran, dass meine drei Schwestern und ich eine gute Schulausbildung erhalten und eigenständig werden. Wir waren keine gepamperten kleinen Mädchen oder Prinzessinnen. Daher kommt auch dieser Überlebensinstinkt.“

Nahid Shahalimi studierte Bildende Kunst sowie Politik und Südostasien-Studien mit dem Schwerpunkt Menschenrechte in Montreal. Sie ist Gründerin und Vorsitzende der Hope Foundation für Women und Children in Afghanistan und Mitglied im Nationalkomitee von UNICEF Deutschland. Foto: privat

Ohne Mann in der Familie ist es für Frauen sehr gefährlich.

Mit dem Einmarsch der Sowjets 1979 verändert sich das Land. Kriege folgen. Afghanistan, das auf seine Geschichte und die Vielfalt seiner Kulturen stolz sein konnte, wird zerstört. Als Nahids Vater Abdul Hakim Shahalimi 1981 stirbt, sind seine junge Frau und seine vier Töchter ohne Schutz, ohne Mann in der Familie gleichsam rechtlos. Von dem Vermögen, das sich teilweise die Neffen des Vaters und später die Taliba aneignen, bleibt ihnen nichts. Aus Angst um ihre Kinder flieht Zarghona Shahalimi mit ihren Töchtern 1985 fünf Tage und vier Nächte lang zu Fuß nach Pakistan. Nach einem Jahr Asyl im Nachbarland finden sie schließlich Zuflucht in Kanada.

Mit großer Liebe erzählt Nahid von ihrer Mutter: „Sie ist das Vorbild in meinem Leben und eine sehr starke Frau. Sie hat uns einen unglaublichen Halt gegeben. Was sie da von Anfang an durchgemacht hat – mit diesem Krieg, ihrer Sorge um uns, dem Neubeginn hier in Kanada… Sie hat sich wirklich für uns geopfert, damit wir zu essen bekommen und eine Ausbildung erhalten. Sie selbst ging dann auch noch ans College… Ich bin mit starken Frauen aufgewachsen. Mutige Frauen, das war für mich Normalität.“

 

Die Frauen in Afghanistan sind für mich die wahren Heldinnen.

Fatima Gailani, ehem. Präsidentin des afghanischen Roten Halbmonds (Rotes Kreuz): „Das düstere Bild, das die Medien von Afghanistan zeichnen, ist nicht die ganze Wahrheit. Aber ich weiß ja, dass für die Medien gute Nachrichten meist keinen Nachrichtenwert haben. Und das ist generell ein Unding, besonders schlimm aber für kriegsgeschundene Länder wie Afghanistan.“ Foto: Nahid Shahalimi

Dank dieses „Erbguts“ formt sich in Nahid Shahalimi ein Projekt, das, wie sie sagt, plötzlich zu einem großen Weltprojekt wird: 2008 entsteht „We the women“. Die Autorin, Künstlerin und Aktivistin für Menschenrechte will Frauen eine Plattform geben, ihren inspirierenden Geschichten, die kaum jemand kennt, mehr Aufmerksamkeit verschaffen.

Die eigene Sehnsucht nach ihren Wurzeln, ihrer Heimat führen sie auch nach Afghanistan zurück. Nahid Shahalimi geht es dabei auch darum, noch ein anderes Bild ihres Landes sichtbar zu machen: „Alles, was wir hier in den Medien über Afghanistan hören, ist wahr. Es gibt aber auch ein Parallelleben, auf das kaum jemand achtet.“ Die Frauen, die sie für ihr Buch „Wo Mut die Seele trägt“ und ihren Dokumentarfilm „We the women of Afghanistan. A silent revolution“ portraitiert hat, sind für sie die wahren Heldinnen: „Es gibt ja viele Leute, die sich Aktivisten nennen, aber diese Frauen leben das jeden Tag. Dazu braucht es sehr viel Kraft. Es ist ein Tag-und-Nacht-24-7-Kampf. Und er hat kein Ende. Sie machen das bewusst und wissen, dass es sie das Leben kosten kann. Dazu sind sie bereit. Sie haben das akzeptiert, weil sie etwas bewegen wollen.“

 

Verborgene Geschichten von mutigen Frauen ans Licht holen

Nahid Shahalimi spürte an die 25 Frauen in ihrer Heimat auf. Ihr Buch „Wo Mut die Seele trägt“ enthält 20 Portraits. Gleich das zweite handelt von einer jungen Frau, die heute nicht mehr lebt. Sie wurde geschlagen, getreten, gesteinigt, bis sie tot war. Man hat sie überfahren und verbrannt. Videos über diese Hinrichtung verbreiteten sich weltweit binnen kürzester Zeit. Farkhunda Malikzada war Studentin der Islamwissenschaften. Die 27-Jährige hatte sich mit einem Mullah angelegt, ihm gesagt, dass die Amuletten, die er da verkaufe, nur ein Geschäft seien und nichts mit dem Islam zu tun hätten. „Farkhunda ist nicht von den Taliban oder einer anderen Extremistengruppe ermordet worden. Nur, weil dieser Mullah geschriehen hatte, sie habe den Koran verbrannt – was nicht stimmte –, ist sie von den Männern in Kabul getötet worden. Eine falsche Geste, ein falsches Wort, die falsche Kleidung können so etwas auslösen.“ Dieser nicht zu bändigende Hass ist es, der Nahid Shahalimi heute noch nachgeht. 49 Männer wurden verhaftet und wieder freigelassen – ein falsches Signal, sagt sie. Und doch sei Farkhundas Tod nicht umsonst gewesen. Ihre Mutter habe ihr berichtet, dass ihre Tochter viel für Afghanistan und die Frauen in diesem Land bewegt habe – hinsichtlich der Einstellung von Männern Frauen gegenüber. Die Art, wie sie sterben musste, habe viele ins Nachdenken gebracht und eine kleine Revolution ausgelöst. Zum ersten Mal in der Geschichte Afghanistans trugen ausschließlich Frauen den Sarg zum Friedhof.

Foto: Nahid Shahalimi

Recherchieren unter Lebensgefahr

Leben in Afghanistan ist gefährlich. Es gibt nicht nur die Taliban und den IS, sondern insgesamt über 20 Extremistengruppen. Wer, wie Nahid Shahalimi, dann noch für ein Buch über mutige Frauen recherchiert, kann gar nicht vorsichtig genug sein. Nicht nur einmal schlägt neben ihr eine Bombe ein. Ein weiteres Mal meint es das Schicksal gut mit ihr: Sie bleibt kurzfristig einer Veranstaltung in Kabul fern, weil sie überraschend einen lange ersehnten Interviewtermin erhält. Dadurch entgeht sie einem Selbstmordattentat. „Man muss in Afghanistan wirklich sehr schlau vorgehen. Du kannst niemandem, wirklich niemandem vertrauen. Man muss immer Plan A, B, C haben. Das habe ich immer. Man sagt nie, wo man sich wirklich befindet.“ Für jeden Tag habe sie eine andere Logistik entwickelt. Manchmal, so Nahid Shahalimi, habe sie zwei Wochen lang kein Interview führen können – eine Entscheidung zu ihrer eigenen Sicherheit.

 

Bereits junge Mädchen sind unglaublich mutig.

Die Liste der Protagonistinnen für das Buch war eigentlich schon abgeschlossen, als Nahid Shahalimi Dutzende Nachrichten erhielt, sie möge doch noch Rubaba Mohammadi mit aufnehmen. Das damals 15-jährige Mädchen gleicht einem Wesen wie von einem anderen Stern. Körperlich schwer beeinträchtigt – Rubaba kann weder ihre Hände noch Füße benutzen – verbreitet sie Zuversicht durch ihre Kunst. Sie malt mit dem Mund. „Und was kommt aus diesem Mädchen heraus? Hoffnung! Sie inspiriert so viele Menschen“, erzählt Nahid begeistert. „Ihre Seele, ihre Kraft und ihr Charakter sind unglaublich. Sie spricht, als wäre ihre Seele 80 Jahre alt, als habe sie das gesamte Leben und das, worum es geht, schon gesehen und verstanden. In diesem kleinen Mädchen steckt so viel Leben.“ Rubabas Botschaft lautet: „Ich möchte allen Mut machen, die eine Behinderung haben und die glauben, dass sie ihre Träume unmöglich erfüllen können. Ich sage ihnen: Es ist möglich!“

Rubaba Mohammadis (Mitte) Lebensmotto lautet: „Wenn du es wirklich willst, dann schaffst du es auch!“ Foto: privat

Leidenschaft ist der Motor in meinem Leben

Woher nehmen all die Frauen oder auch Nahid Shahalimi diesen Mut? „Ich glaube, wenn man seine Leidenschaft gefunden hat, gibt es kein Zurück mehr. Wenn man darüber zu viel und zu oft nachdenkt, dann macht man so etwas nicht. Leute wie ich brennen wirklich dafür.“ Logistik sei das A und O, führt Nahid Shahalimi aus. Sicher ist es auch ihr Herzensprojekt, das ihr so außergewöhnliche Frauen zugeführt und sie selbst noch mutiger gemacht hat. Da ist zum Beispiel Kommandantin Kaftar Pigeon, die „Taube“. Die einzige weibliche Befehlshaberin im Land am Hindukusch hat für ihre Geschlechtsgenossinnen eine klare Botschaft: „Afghanische Frauen sollten sich den Männern gegenüber nicht als schwach ausgeben. … Frauen müssen nur Stärke zeigen. Schließlich bringen sie weit mehr fertig als Männer. Sie gebären Kinder und führen Seite an Seite mit ihren Brüdern Kriege.“

Maryam Durani machte als Gründerin des ersten kostenlosen Internetcafés Malalai Maiwandi für Frauen in Kandahar, einer Hochburg der Taliban, von sich reden. Auch der Radiosender Merman, der sich mit der Ungleichbehandlung der Geschlechter auseinandersetzt, geht auf sie zurück. Sie sagt: „Das ist meine Bestimmung. Ich setze mich ein für Gerechtigkeit und die Grundfreiheiten für die Frauen von Kandahar. Ich werde das, so lange ich lebe, für alle afghanischen Frauen tun.“

 

Der Film „We the women of Afghanistan. A silent revolution“

Das Buch „Wo Mut die Seele trägt“ brachte noch einmal einiges in Bewegung. „Während deiner Vortragsreisen reflektierst du und wirfst noch einmal einen neuen Bick auf das Projekt.“ Nahid Shahalimi reiste erneut mehrere Male nach Afghanistan, um der Frage nachzugehen: Gibt es eine Revolution, eine leise Revolution? Diesen Aspekt nimmt der Film „We the women of Afghanistan. A silent revolution“ mit auf, ergänzt um weitere Frauenportraits.

Am 8. März 2018, dem Weltfrauentag, wurde der unermüdlichen Kämpferin für Frauen- und Menschenrechte große Ehre in New York zuteil: Ihre Filmdokumentation wurde gemeinsam vor der deutschen, kanadischen, afghanischen und niederländischen dauerhaften Vertretung der Vereinten Nationen uraufgeführt. Seit wenigen Tagen ist sie in Deutschland zurück und kann sich vor Anfragen kaum retten.

 

Wo Mut die Seele trägt

… Ein Buch, das Mut macht, inspiriert und zeigt: Es gibt immer auch noch ein anderes Gesicht, das hoffen lässt. Wo auf dieser Welt wir wir uns auch bewegen, es lohnt sich, sich für ein Leben in Frieden und Freiheit einzusetzen – für alle Menschen auf diesem Planeten.

Erschienen 2017, Elisabeth Sandmann Verlag GmbH, München

 

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2 Antworten

  1. Guter Artikel, der die Probleme dieses Landes aufzeigt, gleichzeitig aber auch Hoffnung andeutet. Mangelnde Bildung und Arroganz scheinen eines der wesentlichen Probleme zu sein. Respekt vor jenen, die sich engagieren und den Mut aufbringen, gegen diese Gesellschaft anzugehen.

  2. Ich finde den Bericht sehr gut. Ebenfalls das Buch, das ich empfehlen kann.
    Afghanistan ist ein Land, das mich interessiert, da ich seit mehr als 5 Jahren ein afghanisches Mädchen, mittlerweile Twen, betreue und mich mit ihr auch über die Lage dort austausche.

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