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Würde: Es geht um nichts Geringeres als das Mensch-Sein

Prof. Dr. Gerald Hüther, Neurobiologe: „Man braucht genügend Gelegenheiten, bei denen man an sich selbst zweifelt, um sich weiterzuentwickeln.“
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Text: Isolde Hilt

 

„Unsere Würde zu entdecken, also das zutiefst Menschliche in uns, ist die zentrale Aufgabe im 21. Jahrhundert“, wird Prof. Dr. Gerald Hüther auf dem Klappentext seines jüngsten Buches „Würde“ zitiert. Doch was ist das – Würde? Hört man sich um und frägt andere, wie sie Würde in Worte fassen würden, wird es schnell abstrakt. Wir spüren und ahnen eher, dass Würde unmittelbar mit dem Menschen, seinem Handeln und Sein zu tun haben muss. Auf der ConSozial 2018, der bundesweiten Fachmesse für Soziales in Nürnberg, referierte der bekannte Neurobiologe zu dem Thema „Was uns stark macht – als Einzelne und als Gesellschaft“. In einem Interview führt er aus, wie sich Würde fassen lässt, wie wir dank ihr uns selbst treu bleiben, Kraft aus uns selbst heraus entwickeln und nicht mehr so leicht manipulierbar sind.  

In der Philosophie versteht man unter einem Subjekt ein mit Bewusstsein ausgestattetes, denkendes, erkennendes, handelndes Wesen. Ein Objekt hingegen ist etwas, auf das das Interesse, das Denken und Handeln gerichtet ist. Mit diesen beiden Begriffen bringt einem der bekannte Hirnforscher Gerald Hüther das Wesen der Würde nahe: „Würde bedeutet, ich stelle mich anderen nicht als Objekt für deren Interessen und Absichten zur Verfügung. Es bedeutet auch, dass ich niemand anderen zum Objekt meiner Interessen und Absichten mache. Würde hat etwas mit der Entdeckung und Wahrung der eigenen Subjekthaftigkeit, auch mit der Wahrung des Selbstbildes zu tun, das man sich im Laufe seines Lebens erarbeitet. Das, was dabei herauskommt, versteht man als Würde.“

 

 

Wie kann man einem jungen Menschen „Würde“ erklären?

Gerald Hüther schmunzelt und legt auch schon los: „Lieber junger Mensch, wir wissen alle nicht, wie das Leben geht. Auch die Erwachsenen nicht. Deshalb müssen wir uns gegenseitig helfen und daran erinnern, dass wir uns jeden Tag fragen: Stimmt das, was wir an diesem Tag gemacht haben, mit dem überein, wie wir sein wollen und wie es uns richtig erscheint?“ Als Eltern, so Hüther, können wir unserem Kind vermitteln, dass es sich nie anderen zur Verfügung stellen solle, wenn die etwas mit ihm machen oder für ihre Zwecke benutzen wollen, was es selbst nicht will. „Dann möchten wir, dass du so stark bist und sagst: Das mache ich nicht mit. Wenn andere sagen, du mußt auch das neueste Smartphone haben, dann sag bitte nein. Wenn sie sagen, du sollst andere hereinlegen oder beleidigen, sag bitte nein.“ Das Kind solle sich nicht nur von anderen nicht benutzen lassen, sondern auch erkennen, dass es andere nicht zum Objekt macht: „Wir würden uns freuen, wenn wir gemeinsam herausfinden, wie es gehen kann, dass auch du niemand anderen für deine Absichten benutzt. Zum Beispiel, dass du jemanden schlecht bewertest und etwa sagst „blöde Mama“ oder „doofer Lehrer“.

 

Hierarchische Systeme haben kein Interesse daran, dass sich Menschen ihrer eigenen Würde bewusst werden.

Würde per se ist ein nacktes Schlagwort. Es gehe eher um die Herausbildung einer Vorstellung, eines Bewusstseins der eigenen Würde, erläutert Gerald Hüther. Dieser Prozess des sich Bewusstwerdens entscheidet maßgeblich über die eigene Lebensqualität. Der Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – verankert im deutschen Grundgesetz, Artikel 1 – suggeriere, dass man die Würde nicht verletzen könne, wenn sie doch unantastbar sei.

Das stimme aber nicht. „Jemand, der sich seiner eigenen Würde nicht bewusst geworden ist, dem wird die Würde ständig geraubt. In unserer Gesellschaft sind so viele unterwegs, die andere gerne als Opfer für ihre Absichten benutzen.“ Diese Gesellschaft habe kein Interesse daran, dass sich viele Menschen ihrer eigenen Würde bewusst werden, weil sie dann als Konsumenten ein Totalausfall wären. In hierarchischen Strukturen werde die Würde automatisch verletzt: „Hierarchische Systeme haben kein Interesse daran, dass Leute, die sich bisher gut beherrschen ließen, auf die Idee kommen, sie besäßen Würde und könnten sich dagegen wehren. Sie haben kein Interesse daran, dass Menschen sich emanzipieren.“

 

Wer sich seiner Würde bewusst ist, ist nicht mehr verführbar.

Wer sich seiner Würde bewusst ist, wird andere Erfahrungen machen. Der Neurobiologe erklärt das am Beispiel eines Kindes: Ein Mensch bringt bereits ein Empfinden für die eigene Würde mit auf die Welt. Wenn sich dieses Empfinden zu einer immer klareren Vorstellung verdichtet, beeinflusst das das Handeln: „Wenn Kinder dann die Erfahrung machen, dass sie von anderen ernst genommen werden, dass man ihnen etwas zutraut, dass sie Verantwortung übernehmen dürfen, erleben sie, dass sie etwas wert, dass sie ein gestalterisches Subjekt sind. Und dann können sie eine Vorstellung ihrer eigenen Würde als gestalterisches Subjekt entwickeln.“

Wer sich seiner Würde bewusst sei, stelle sich nicht mehr als Objekt für andere zur Verfügung. Zu „andere“ zählt Gerald Hüther auch Mittel von außen wie Alkohol oder Drogen. „Dann bestimme ich, was in meinem Körper geschieht. Dann nehme ich keine Substanzen ein, die Prozesse auslösen, die ich nicht mehr lenken und steuern kann.“ Wer sich seiner Würde bewusst sei, kann nicht andere für sein Unglück verantwortlich machen, sondern muss versuchen zu verstehen, wie es dazu kommen konnte. Die Suche nach der Lösung endet dann nicht in dieser sonderbaren Hilflosigkeit, die einen zu Sucht- und Betäubungsmitteln greifen lässt.

 

Haben wir noch eine Chance? Sind wir nicht schon viel zu sehr ferngesteuert?

Menschen waren zu allen Zeiten immer schon sehr unterschiedlich, konstatiert Gerald Hüther. Neu ist, dass jeder dank digitaler Medien seine Meinung öffentlich kundtun kann. Gut, möchte man meinen, das macht demokratische Prozesse aus. Leider, so Hüther, müssten wir aber plötzlich feststellen, das die Mehrheit der Menschen gar nicht für einen demokratischen Prozess geeignet sei, weil diese Vorstellungen vertreten, die unangenehm sind und jeder Art von demokratischem Zusammenleben zuwiderlaufen. Zuversicht schöpft der bekannte Hirnforscher in der nachwachsenden Generation, die offenbar keine Lust mehr auf Hierarchie habe oder darauf, sich von anderen sagen zu lassen, was sie zu tun habe. Ein schönes Beispiel, dass Würde doch Gestalt annehmen kann: „Eine ganze Generation junger, hoch kompetenter Leute, die überall gebraucht werden, ist nicht mehr bereit, sich zu verkaufen. Eine ganze Generation junger Familien ist so bewusst in der Beziehung zu ihren Kindern, dass sie nie eigene Karriere- und Entwicklungsabsichten vor die Interessen ihrer Kinder stellen würden. Sie tun alles, was dem Kind hilft, seinen eigenen Entwicklungsweg zu gehen.“

 

Engagement für andere: Ist der soziale Bereich ein guter Spiegel, wie es um unsere Würde bestellt ist?

Gerald Hüther findet deutliche Worte: „Der soziale Bereich ist der stärkste Spiegel, mit dem wir sehen, wie unchristlich wir eigentlich unterwegs sind und wie wenig wir unseren Ansprüchen als Menschen gerecht werden.“

Als Individuum müsse man sich, wenn man in diesem Bereich unterwegs sei, fragen, weshalb man diese Arbeit tue. Allein, um anderen zu helfen, sei vielleicht nicht genug. „Es wäre besser, man würde es tun, um sich selbst weiterentwickeln zu können. Eigentlich muss man denen, denen man helfen will, dankbar sein, dass sie einem erlauben, einen eigenen Weiterentwicklungsprozess zu durchlaufen.“ Wer anderen Menschen allein deshalb helfe, weil er sich dadurch Anerkennung erhoffe, werde irgendwann feststellen, dass das sehr anstrengend ist und die erhoffte Anerkennung ausbleibt. „Es gibt ja noch nicht einmal das Gehalt, das dafür bezahlt werden müsste und das eine gewisse Art von Anerkennung zum Ausdruck bringt.“ Das seien die Menschen, die in sozialen Berufen scheiterten. Wie der Neurobiologe aus Erfahrung weiß, erkrankt keine Berufsgruppe so stark an psychosomatischen Störungsbildern wie im sozialen Bereich – also Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen, Krankenschwestern oder Altenpfleger*innen. „Alle die, die den Impuls, das Bedürfnis haben, anderen helfen zu wollen, weil sie hoffen, damit Anerkennung zu finden, sind eigentlich Getriebene und nicht bei sich. Sie folgen einem Bedürfnis, bei dem sie darauf angewiesen sind, dass andere das erfüllen.“

 

Gibt es ein Rezept, wie man es anders und besser machen kann?

Eine Idee, die Dr. Gerald Hüther zum Schluss äußert, ist: „Es ist möglicherweise besser, wenn man sich selbst immer wieder die Frage stellt, weshalb man sich für andere einsetzt. Dann merkt man meist schneller, wenn man an eine Grenze stößt und wenn das, was man will, nicht funktioniert.“ Diese Widerhaken im Leben sind Anlass und Motiv, nach Wegen zu suchen, wie es doch gehen kann. Das sei Weiterentwicklung, und ohne die bleibe man im Alten stecken. „Man braucht genügend Gelegenheiten, bei denen man an sich selbst zweifelt, vielleicht auch an der Welt. Vielleicht auch an Gott. Das sind die dankbarsten Stunden im Leben, weil man dann weiß, ‚ok, das muss ich selber machen‘. Aber nicht so, wie es andere sagen, denn dann bin ich ja wieder nicht bei mir und lasse mich von anderen und deren Vorstellungen an die Hand nehmen.“

 

 

Weiterführende Informationen:

 

Prof. Dr. Gerald Hüther

Neurobiologe, Vorstand der Akademie für Potentialentfaltung. Biologiestudium, Forschungsstudium und Promotion an der Universität Leipzig, Habilitation an der Medizinischen Fakultät der Universität Göttingen. Wissenschaftliche Tätigkeit am Zoologischen Institut der Universität Leipzig und Jena, am Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin Göttingen, als Heisenbergstipendium der DFG und an der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen.

Wissenschaftliche Themenfelder: Einfluss früher Erfahrungen auf die Hirnentwicklung, Auswirkungen von Angst und Stress und Bedeutung emotionaler Reaktionen. Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen und populärwissenschaftlicher Darstellungen (Sachbuchautor).

 

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6 Antworten

  1. Interessanter Artikel, danke für die Anregung! Vor allem der Ansatz der ‚Würde‘ ist spannend. Ich denke, wenn man erstmal anfängt, genau hinzuschauen und seinen eigenen Geist zu betrachten, merkt man, wie abhängig man leider von dessen Gemütszustand ist. Also genaues Hinschauen und ‚Hineinfühlen‘, was die eigentlichen Motive sind und diese auch zu hinterfragen, ist ein guter Anfang zum Erkennen der eigenen Würde.

    1. Liebe Krissi, herzlichen Dank für dein Feedback! Ja, ich finde es auch spannend, sich mit der eigenen Würde auseinanderzusetzen. Es gibt dazu übrigens auch die Initiative „Würdekompass“, die bereits in mehreren Städten Fuß gefasst hat. Bei Interesse findet man hier mehr:https://www.wuerdekompass.de/

  2. Ein sehr spannender und inspirierender Artikel. Er wird mir wichtige Impulse für meine Arbeit @artistsforhumandignity geben.
    Herzlichen Dank!

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