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Abenteuer Schreiben:
In jedem von uns steckt eine Geschichte

Jugendliche zum Lesen und Schreiben anzuregen, ist nicht immer einfach. Doch die Autorenwerkstatt mit Schüler*innen einer Mittelschule zeigt, dass Schreiben auch ein Abenteuer sein kann.
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von Gerda Stauner

Pubertierende Jugendliche, die sich bereits in der siebten Klasse damit beschäftigen müssen, welchen Beruf sie später erlernen möchten, sind eigentlich nicht die klassische Zielgruppe einer Schreibwerkstatt. Sie werden von ihren Lehrer*innen eher dazu angehalten, Bewerbungen anstelle von fiktiven Texten zu schreiben. Dennoch durfte ich die schöne Erfahrung machen, dass einige Schülerinnen und Schüler einer Mittelschule in Bayern mit Freude und Eifer über ein halbes Jahr lang mein wöchentlich stattfindendes Angebot „Abenteuer Schreiben“ konsequent besuchten. Der Tatendrang und die Texte, die während dieser sechs Monate entstanden sind, haben nicht nur mich überrascht.

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Nadine, Ibrahim, Jonas und Ahmed* stecken die Köpfe zusammen. Eine Woche nach einem Ausflug in den Wald sollen sie nun gemeinsam darüber schreiben, was sie erlebt haben. Wie war der Tag für sie? Was hat ihnen besonders gut gefallen? An welche Gerüche erinnern sie sich? Welche Tiere und Pflanzen gab es zu entdecken? Nadine nimmt Block und Stift zur Hand und notiert die Gedanken ihrer Schulfreunde. Die Worte Elsbeere, Bauwagen, Gewitter, Klimaveränderung und Buntspecht sprudeln nur so heraus. Die Schülerin ruft immer wieder „Stop!“, um den Redefluss ihrer Freunde für einen kurzen Moment zu unterbrechen. Dann schreibt sie schnell den angefangenen Satz zu Ende und nickt in die Runde. Sie ist wieder aufnahmefähig und bereit für weitere Formulierungen. „Schreib das mit dem Netz“, ruft Jonas. „Ja! Das zwischen den Bäumen aufgespannte, grüne Netz war super!“, stimmt Ibrahim zu. „Wäre das Unwetter nicht gekommen, hätten wir noch ewig darin herumspringen können!“

 

Vertrauen und Wohlwollen an der Tagesordnung

Der Bericht über das kleine Abenteuer im Wald nimmt mittlerweile fast eine ganze Seite ein. Nadine weiß, dass ihre Lese- und Rechtschreibschwäche an diesem Nachmittag keine Rolle spielt. Etwaige Fehler werde ich später beim Abtippen des handschriftlichen Textes ausbessern. Die Qualität einer Geschichte wird bei unserer gemeinsamen Schreibzeit nicht danach bewertet, ob grammatikalische Fehler enthalten sind. Überhaupt fallen Beurteilungen in erster Linie wertschätzend aus. Ich bin erstaunt, wie versiert die Jugendlichen darin sind, aufbauende Worte für die Geschichten der anderen zu finden. Aus diesem Grund ist schon nach den ersten beiden Treffen eine Atmosphäre entstanden, in der Vertrauen und Wohlwollen vorherrschen. Selbst der scheue Ahmed flüstert beim freiwilligen Vortragen seines Textes am Ende der Stunde nicht mehr.

 

 Jeder trägt eine Geschichte in sich

Schon Monate, bevor die Schreibwerkstatt im Januar dieses Jahres startete, hatte ich die Idee dazu im Kopf. Die Autorenwerkstatt unter dem Motto „Meilensteine“ wollte ich mit Jugendlichen durchführen, die in ihrer Freizeit nicht als erstes daran denken, ein Buch zu schreiben. Ich wollte jene dazu animieren, sich mit Wörtern und Sätzen zu beschäftigen, die nur selten einen Roman oder eine Kurzgeschichte zur Hand nehmen und nicht von klein auf daran gewöhnt sind, eine Bibliothek oder eine Bücherei zu besuchen.

In jedem von uns steckt eine Geschichte, die erzählt werden möchte, so lautete meine Grundidee. Die einen lesen viel und beginnen früher oder später mit dem Schreiben eigener Texte. Aus den unterschiedlichsten Gründen fehlt den anderen dazu die Inspiration, die Muse oder schlichtweg die passende Umgebung. Und genau dort wollte ich ansetzen. Also bot ich den Kurs nicht nur an der Mittelschule an, sondern holte noch einige Jugendliche einer therapeutischen Einrichtung mit ins Boot. Die verhaltensoriginellen Kinder, die nicht bei ihren Eltern leben können, sollten hier die Möglichkeit bekommen, sich auszudrücken.

 

Jugendliche haben es verdient, gehört zu werden

„Jeder möchte in seinem Leben Spuren hinterlassen“, so Peter Alberter, der Gesamtleiter des KAP Instituts und Unterstützer des Projekts. „Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Schreibwerkstatt haben es verdient, gehört, gelesen und beachtet zu werden und mit ihren eigenen Worten Respekt und Anerkennung zu finden. Nur so können die Jugendlichen groß werden, Selbstwirksamkeit erfahren und Selbstvertrauen gewinnen.“

Anfangs war Peter Alberter zwar etwas skeptisch, ob die Jugendlichen seiner erlebnistherapeutischen Intensivgruppe in meiner Autorenwerkstatt richtig aufgehoben wären. Er setzt bei seiner pädagogischen Arbeit eher auf Naturerlebnisse und Outdoor Aktivitäten. Doch schon nach einem gemeinsamen Theaterbesuch, wenigen Wochen nach Projektstart, zeigte er sich mehr als erstaunt darüber, wie aufnahmefähig die Schülerinnen und Schüler während der Vorstellung und auch darüber hinaus waren. Mit vor Aufregung geröteten Wangen fragten einige von ihnen am Ende des Stücks, ob es nicht eine Fortsetzung gäbe. Beim anschließenden Eisessen verkündete Ahmed zu unserer Überraschung, dass er gerne Schauspieler werden würde.

Was ist im Leben wichtig?

Die Themen, die während unserer Treffen behandelt wurden, sind vielfältig. Jonas schreibt zum Beispiel gerne darüber, was ihn im Alltag beschäftigt: die Feuerwehr, der Schulsanitätsdienst und die anstehende Heimfahrt zu seiner Mutter am Wochenende. Ahmed erfindet immer neue Helden, ein Hexer ist darunter, ein Teenager, der seinen kleinen Bruder beschützt, und ein junger Mann, der sich um seinen Freund sorgt. Nadine hingegen entwirft eine komplette Fantasiewelt rund um das Dorf Takiti und entwickelt daraus eine zwanzigseitige Kurzgeschichte. Akribisch zeichnet sie das Fantasiedorf auf ein kariertes Blatt Papier, schreibt die erfundene Namen der Protagonisten dazu und zählt in Stichpunkten deren Charaktereigenschaften auf. Ibrahim wiederrum tüftelt mit drei Freuden an einem eigenen Manga. Die Geschichte soll von einem Jungen handeln, der in der Schule gemobbt wird, dann aber einen Mentor findet, der ihn unterstützt. Mit der kreativen Hilfestellung eines Kunststudenten setzen sie die Idee schließlich auch zeichnerisch um.

Die jungen Autorinnen und Autoren haben auf verschiedenste Arten das zum Ausdruck gebracht, was ihnen wichtig ist. Zwischen den Zeilen kann man viel über ihre Träume, Wünsche und Vorstellungen herauslesen. Es ist schön zu sehen, wie hoffnungsvoll sie trotz aller Krisen geblieben sind.

 

Abenteuer Schreiben: Alle Geschichten in einem Buch

Alle diese Geschichten sind nun unter dem Titel „Meilensteine“ zu einem Taschenbuch zusammengefasst und vom Mitteldeutschen Verlag veröffentlicht worden. Die anstehende Buchvorstellung im großen Rathaussaal der örtlichen Gemeinde soll der krönende Abschluss der Schreibwerkstatt werden. Dann werden die Jugendlichen von Seiten des Bürgermeisters, der Schulleitung und aller Kooperationspartner öffentliche Anerkennung für ihr Engagement zu bekommen. Für mich war die Projektzeit eine wundervolle Erfahrung und hat mich in meiner Idee bestärkt, dass große Erzählerinnen und Erzähler überall zu finden sind.

 

Eine Kurzgeschichte aus dem Buch:

Die Busfahrt

von Ahmed, 15 Jahre

Finn lag unruhig in seinem Bett und wälzte sich hin und her. Vor ein paar Stunden war sein Freund noch da gewesen. Er hatte eine Woche lang bei Finn übernachtet. Und dann musste er gehen. Als er in den Bus stieg, hatte er Finn noch zugelächelt und gewinkt. Dann war der Bus abgefahren und Finn war nach Hause gegangen.

Jetzt lag er in seinem Bett und hatte Angst um seinen Freund. Denn zurzeit herrschte Krieg in ihrem Land und auf der Strecke, auf der sein Freund mit dem Bus fuhr, passierten viele Anschläge und Unfälle.

Finn schwitzte. Er versuchte sich abzulenken, indem er den CD-Player anschaltete, um sich eine Geschichte anzuhören. Doch einige Minuten später konnte er dem Hörbuch nicht mehr folgen. Immer und immer wieder hatte er das Bild im Kopf, wie der Bus, in dem sein Freund saß, umgekippt und voller Rauch auf der Straße lag.

Sein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen, er zitterte und schwitzte. Er versuchte sich zu beruhigen, doch die Sorge war einfach zu groß. Einige Stunden später schlief Finn aus Erschöpfung ein.

Am nächsten Morgen stürmte er zu seiner Mutter ins Zimmer, schnappte sich das Telefon und rief bei seinem Freund an. Finn fiel ein Stein vom Herzen, als er ihn erreichte. Er erzählte ihm, wie er sich in der Nacht gefühlt hatte. Als er auflegte, fragte er sich, ob es seinen Eltern ähnlich ginge, wenn er abends zu spät nach Hause kam.

* Alle Namen der Teilnehmenden wurden geändert.

 

Hier geht es zur Projektseite der Schreibwerkstatt:

https://www.boedecker-buendnisse.de/woerterwelten/bayern-meilensteine/
https://www.gerda-stauner.de/projekte-lesungen/meilensteine/

 

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