Interview: Isolde Hilt
Dass dieser Mann eher weniger im Büro anzutreffen ist, weiß man, wenn man ihm persönlich begegnet. Sportlich, praktisch gekleidet, zerzauste Haare, gesunde Gesichtsfarbe: Ein „Naturbursch“ würde man in Bayern zu Peter Alberter sagen, denn da hält er sich auch am liebsten auf. Draußen beim Segeln, Bergwandern, Höhlenklettern …
1994 gründete er das KAP-Institut. Firmen und Konzerne schätzen die Outdoor-Angebote des Instituts für Team-, Azubi- und Führungskräftetrainings. Darüber hinaus bilden Peter Alberter und sein Team seit 25 Jahren in Erlebnispädagogik aus und sind auch auf Fortbildungen in Erlebnistherapie für den Bereich Kinder- und Jugendhilfe spezialisiert. Im August haben sie eine erlebnistherapeutische Wohngruppe gegründet, ein Herzensprojekt und die erste ihrer Art in Deutschland.
Warum befasst sich das KAP-Institut mit „schwierigen“ Jugendlichen? Wie sieht die Arbeit aus? Bringt so eine Maßnahme überhaupt etwas? Wenn Peter Alberter von „seinen Jungs“ erzählt und was sie durchgemacht haben, wie es ist, selbst auch an Grenzen zu stoßen und dann – in oft mühsamen Schritten – erste kleine Erfolge zu sehen, dann weiß man: Ja, es lohnt sich immer. Jedes Kind, jeder junge Mensch ist es wert, dass man dranbleibt, um den tückischen Kreislauf zu durchbrechen.
Eine wichtige Zielgruppe des KAP-Instituts waren immer schon Jugendliche. Welche sind das?
Das sind benachteiligte und schwer vernachlässigte Jugendliche. Auffälligkeiten zeigen sich im Verhalten, in der Leistungsbereitschaft und Zuverlässigkeit. Die meisten Jugendlichen haben Schwierigkeiten in der Schule, sind oft nicht greifbar und haben kaum gelernt, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.
Seit wenigen Monaten bietet das KAP-Institut eine erlebnistherapeutische Wohngruppe an – die erste dieser Art in Deutschland. Was zeichnet diese WG aus?
Die Wohngruppe lebt in einem ganz normalen Haus am Rande eines Bauernhofes, mitten in einem alten Ortskern. Der „Lernplan“ außerhalb der Schule ist mit erlebnisintensiven Elementen gefüllt. Es ist ein schwieriger und anstrengender, aber nicht hoffnungsloser Auftrag!
Gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen sind die Grundlage für eine gute Beziehung zwischen Betreuer*innen und Jugendlichen und somit auch für die weitere Arbeit mit ihnen. Vor allem gilt es, die langweiligen und konfliktträchtigen geschlossenen Räume zuhause oder nach der Schule zu verlassen. Wenn man das schafft, ist das schon die „halbe Miete“. Unser KAP-Motto lautet: „Wer fürs Leben motivieren möchte, muss den Alltag abenteuerlich gestalten.“ Das setzen wir eins zu eins um, das kommt bei den Jugendlichen sehr gut an.
Aufgenommen werden Kinder und Jugendliche, die intensive Hilfe in einer Gruppe erfahren sollen. Voraussetzung ist, dass sie bereit sind, in die Schule zu gehen und an erlebnistherapeutischen Aktivitäten teilzunehmen.
In der erlebnistherapeutischen Wohngruppe leben besonders schwierige junge Menschen, die bereits verschiedene Heimkarrieren durchlaufen haben. Was lässt sie so schwierig sein?
Fast alle Kinder und Jugendliche haben traumatische Erfahrungen gemacht oder ihr Leben ist von Beziehungsabbrüchen gekennzeichnet. Viele von ihnen haben aufgrund ihrer Biografie kein Vertrauen zu sich und in die „Welt“ entwickeln können. Ihnen ist vieles egal: Sie zeigen kaum Gefühle, können sich nicht in die Situation anderer hineinversetzen, halten keine Regeln ein und entwickeln sich ohne Unterstützung in eine destruktive und gefährliche Richtung.
Ohne aufmerksame Betreuung und Förderung sind diese Kinder und Jugendlichen häufig dauerhaft verloren und verursachen der Gesellschaft enorme Kosten. Rein wirtschaftlich gesehen, ist es günstiger, jetzt in die Jugend zu investieren als später dauerhaft.
Ihr arbeitet erlebnistherapeutisch. Was bedeutet das?
Wir gucken uns den Jugendlichen genau an, denn die therapeutische Arbeit muss sich an ihm ausrichten. Bevor ich damit beginnen kann, muss ich zuerst das Verhalten des Kindes oder Jugendlichen verstehen und nachvollziehen können. Die Anamnese ist daher ein unerlässlicher Schritt, um diese Art der Therapie professionell anwenden zu können.
Grundsätzlich gilt: erst verstehen, dann handeln. Das heißt, nur, wenn ich das Kind oder den Jugendlichen mit seiner Biographie, seinen alltäglichen Herausforderungen, Diagnosen, besonderen Eigenschaften und spezifischen Auffälligkeiten verstehe, kann ich ein maßgeschneidertes, gezieltes erlebnistherapeutisches Angebot entwickeln.
Unsere erlebnistherapeutische Wohngruppe soll Kinder und Jugendliche darin unterstützen, ihr Verhalten zu ändern. Das tun wir über Erlebnisse und Erfahrungen in der Natur. Erlebnistherapie eröffnet in der schwierigen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen neue Wege – außerhalb von den bislang üblichen Therapien in geschlossenen Räumen. Erlebnistherapie ist sozusagen Erlebnispädagogik plus therapeutisches Fachwissen. Sie beruht auf Anamnese, Diagnostik und langjähriger Erfahrung im Umgang mit benachteiligten Kindern und Jugendlichen.
Es kann aber auch vorkommen, dass sich manche junge Menschen auf das alles nicht mehr einlassen können und unterschiedlich „ausrasten“. Wo ist bei euch die Grenze, bei der ihr sagt, „jetzt geht es bei uns auch nicht mehr“?
Sobald Kinder und Jugendliche sich selbst massiv gefährden oder andere Jugendliche und Mitarbeiter*innen gezielt angreifen, bieten geschlossene Einrichtungen wie Clearingstellen bessere Möglichkeiten als wir. Da wissen wir auch, an wen wir uns wenden können: Unser Partner, die Katholische Jugendfürsorge Regensburg, hat sich einen ausgezeichneten Ruf im Umgang mit Systemsprenger*innen, die sich nicht freiwillig an pädagogischen Betreuungen beteiligen, gemacht.
Wie finanziert ihr diese Arbeit?
Unsere Kosten übernimmt das entsendende Jugendamt.
Was passiert mit Kindern, die in eurer erlebnistherapeutischen Wohngruppe nicht zu halten sind?
Alle unsere Jugendlichen sind freiwillig bei uns. Wenn ein Jugendlicher kein Interesse mehr an unseren Angeboten hat, beenden wir im gemeinsamen Einverständnis unsere Zusammenarbeit. Wir können und wollen niemanden gegen seinen Willen festhalten.
Gefährdet der Jugendliche andere, bieten geschlossene Jugendhilfeeinrichtungen die beste Fördermöglichkeit. Gefährdet sich der Jugendliche selbst, haben die örtlichen Kinder- und Jugendpsychiatrien den diagnostischen und medizinischen Auftrag.
Warum unterhalten du und dein Team eine erlebnistherapeutische Wohngruppe? Ihr könntet es ja auch bleiben lassen und nur in der freien Wirtschaft arbeiten …
Wir arbeiten gerne mit Führungskräften und Teams unterschiedlicher Firmen zusammen. Das ist ebenfalls eine wertschätzende und schöne Zusammenarbeit. Unser Herz schlägt aber auch für die Jugendhilfe.
Wir betreuen Kinder und Jugendliche, die in ihrem bisherigen Leben meist schon zu viel Negatives gesehen und erlebt haben. Oft haben sie, im positiven Sinne, aber auch noch nichts erlebt, auf das sie stolz sein könnten, das ihr Selbstwertgefühl steigert und sie ihre eigenen Grenzen erfahren lässt. Diese Lücke füllen wir. Das Motto lautet: Handy weglegen und raus in die Natur! Dort warten Abenteuer und enorme Entwicklungsmöglichkeiten.
Und in diesem Detail steckt ein enormer Zauber: Auch für uns gibt es nichts Schöneres, als mit unseren Jugendlichen draußen unterwegs zu sein. Davon profitieren auch wir! Es hält uns jung und fit!
Wenn du einen Wunsch frei hättest, was würdest du dir für diese Arbeit wünschen?
Mehr Akzeptanz in den Medien. Unsere gängigen Medienkanäle berichten liebend gerne in reißerischer Aufmachung und haben vor allem ein großes Interesse an negativen Informationen. Je größer die Katastrophe, umso besser. In unserer Arbeit gibt es aber auch vor allem viele schöne Momente und tolle Erfolge. Darüber wird viel zu wenig berichtet! Ähnlich wie in der Flüchtlingspolitik: Aus den Medien erfährt man vor allem, wenn Integration nicht klappt.
Weitere Infos unter:
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