Interview: Gerda Stauner
Den Rucksack packen, für die Wohnung einen Zwischenmieter suchen und sich für einige Monate von Freunden und Familie verabschieden und alles hinter sich lassen, so eine Auszeit wünschen sich viele. Die Gründe für einen temporären Ausstieg aus dem oft eingefahrenen Leben können vielfältig sein. Und das, was man in dieser Zeit erleben kann, ebenso. Claudia Eisenrieder aus Regensburg hat diesen abenteuerlichen Schritt gewagt und sich für mehrere Monate auf eine Berghütte in Österreich zurückgezogen. Was sie dort erlebt hat, und welche Erkenntnisse ihr die Zeit im Karwendelgebirge gebracht hat, erzählt sie im Gespräch mit Good News For You.
Claudia, wie bist du auf die Idee mit der Auszeit gekommen?
Ich war alleinerziehend und mit dem Auszug meiner Tochter im letzten Jahr habe ich einen Vollzeitjob angenommen. Es war mein ‚Traumjob‘ – sinnvoll, verantwortungsvoll, gesellschaftlich relevant und gut bezahlt. Der einzige Haken: Es handelte sich um eine Elternzeitvertretung und es war offen, wie lange es letztendlich dauern würde. Tatsächlich wurde der Vertrag aber nach knapp einem Jahr nicht verlängert und ich habe diese Chance genutzt, um eine Auszeit zu nehmen. Ich bin knapp 50 Jahre alt und wollte wieder einmal eine längere Zeit in den Bergen bleiben. Ich hatte nicht das Geld für einen ausgedehnten Urlaub und daher blieb mir nur ein Weg: dort arbeiten.
‚Auszeit‘ ist also nicht ganz der richtige Begriff, weil ich 48 Stunden in der Woche auf der Hütte mit angepackt habe. Dennoch hatte ich so viel Zeit wie schon ewig nicht mehr in meinem Leben.
Wie lange hast du deine Auszeit in den Bergen geplant und wie hast du dich auf den Aufenthalt in den Bergen vorbereitet? Du konntest ja extrem wenig Gepäck mit auf die Hütte nehmen, oder?
Ab Dezember habe ich mich intensiv mit dem Thema beschäftigt und kam zu dem Schluss, dass ich in einer Alpenvereinshütte arbeiten möchte. Diese kenne ich selbst schon von vielen Wanderungen und ich liebe die Unterbringung dort, weil das Konsumangebot sehr reduziert ist. Außerdem wolle ich einmal einen Blick hinter die Kulissen werfen. Noch dazu sind die Alpenvereinshütten abgeschieden und nicht so einfach zu erreichen wie Hotels in den Bergen.
Es gibt vom Alpenverein ein digitales Portal, auf dem für die Sommersaison Arbeit angeboten wird. An Weihnachten standen dort jede Menge Jobs zur Verfügung. Bis Februar habe ich allerdings gewartet und bin in mich gegangen, um herauszufinden, was ich genau möchte. Zum Beispiel wollte ich eine Höhenlage, die an der Baumgrenze lag, damit ich ins Grüne und auch in den Fels gehen konnte. Die Hüttengröße sollte nicht mehr als sechzig Plätze haben, nur Leute, die wandern, ansprechen und ein Lift sollte auch nicht in der Nähe sein, damit keine Tagestouristen kommen.
Ich habe einige Outdoorklamotten mitgenommen, Bücher und ein Tablet, mit dem ich über eine Onlinebibliothek weitere Bücher würde ausleihen können. Allerdings hat das Gerät nicht funktioniert. Mit dabei waren auch noch meine Yogamatte und ein Tagebuch. Ich kam mit einem Acht-Liter-Rucksack und einem Trolley in der Hütte an.
Welche Bücher waren das?
Es waren Bücher, die ich schon lange lesen wollte, aber nie dazu gekommen bin, sie zu lesen. Es ging unter anderem um die psychosomatische und spirituelle Bedeutung von Krankheiten, wie man Denk- und Handlungsmuster durchbrechen kann und wie Aufhören eine Kulturtechnik zum richtigen Leben sein kann. Und ein sehr kleines Büchlein, das ich ständig gelesen habe: Biographie der Stille von Pablo d’Ors.
Die Literatur zu den Denk- und Handlungsmustern habe ich gar nicht aufgeschlagen. Aber das Büchlein der Stille war jeden Morgen bei mir und bei meinen Ausflügen in die Natur oft im Gepäck. Allerdings habe ich schnell gemerkt, dass ich das Buch nicht nur mit meinem Kopf lesen darf, sondern dass ich mich dafür anders öffnen muss. Tatsächlich habe ich die 150 Seiten auch nicht fertiggelesen, weil die Stille so viele Zwischentöne hat.
Wie war dein erster Eindruck, als du im Karwendelgebirge angekommen bist? Hat es lange gedauert, bis du dich auf den Rhythmus dort eingestellt hast?
Ich wurde in Scharnitz von der Hüttenwirtin abgeholt und durfte dann mit ihr über den Isarursprung in einen Berghochwald fahren. Es war gigantisch. Die Umstellung fiel mir überhaupt nicht schwer. Von Anfang an hatte ich ganz viel Zeit für mich alleine. Obwohl ich eine 48-Stunden-Woche hatte, fielen ja alle gesellschaftlichen und alltäglichen Verpflichtungen weg: einkaufen, ins Kino gehen, Nachrichten schauen, mit dem Hund Gassi gehen, sich mit Freundinnen, Freunden treffen, ins Pflegeheim fahren oder kochen, aufräumen und putzen. Ich musste lediglich acht Stunden arbeiten und den Rest hatte ich komplett für mich.
Welche Erkenntnisse hast du mit nach Hause gebracht?
Wenn ich das jetzt schon so genau wüsste! Was ich aber weiß: Man kann seine Lebensfragen nicht in dreieinhalb Monaten in den Bergen lösen.
Durch die tägliche Meditation sind jedenfalls viele Themen nach oben gekommen, die ich lange zurückgestellt hatte. Jetzt habe ich den Mut und die Zuversicht, mich darum zu kümmern.
Zum Thema Arbeit habe ich für mich herausgefunden, dass ich mich auf keinen Fall mehr mit etwas beschäftigen werde, das für mich keine gute Arbeit darstellt. Zum Beispiel werde ich nichts machen, das die zerstörerische, kapitalistische Wachstumsideologie unterstützt.
Mir wurde auch klar, dass mein Wohnort Regensburg auch der Ort ist, an dem ich weiter leben möchte. Bevor ich in die Berge gegangen bin, war das noch nicht klar.
Gibt es etwas, das du dort oben während deiner Auszeit wirklich vermisst hast?
Erst in den letzten vier Wochen habe ich die alltägliche, nährende und tragende Verbindung zu den Menschen vermisst, die mir wichtig sind. Letzten Sonntag habe ich ein kleines Bergfest für all diese Menschen gemacht. Bei jedem Gast, der zur Türe hereinkam, wurde das Strahlen in meinem Gesicht noch größer.
Welchen Tipp würdest du jemandem mit auf den Weg geben, der sich, so wie du, für eine gewisse Zeit von unserer durchgeplanten Welt verabschieden möchte?
Vertrau darauf, dass du es mit dir selbst aushalten kannst und die viele freie Zeit keine Bedrohung darstellt, die mit irgendwelchen Aktivitäten gefüllt werden muss. Vertrau darauf, dass DU in deinem Leben genug bist.
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