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Das plastikfreie Buch:
Fotografie im handgemachten Format

Die Künstlerin Jana Mänz aus Grimma erstellt ihr kunststofffreies Buch selber – und hat dabei ein Kunstwerk erschaffen.
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von Oxana Bytschenko

plastikfreie Buch Jana Mänz
Ein plastikfreies Buch herzustellen ist ein Kraftakt. Das musste auch Jana Mänz erfahren.

Ein Buch, das nach Bienenwachs und Sommerheu riecht … Jana Mänz aus Grimma will die Fotografie entschleunigen. Dazu hat sie ein einzigartiges Buch erschaffen: „Gefühl und Verstand – Naturfotografie“. Die freiberufliche Künstlerin stellt das plastikfreie Buch sogar selbst her. Inhaltlich geht es nicht um technische Details wie Blenden und ISO, sondern um die Motivation zum Fotografieren, um die Reflektion. Sie regt an, nicht über das Motiv und den Bildausschnitt nachdenken, sondern darüber, warum man ein Bild machen möchte. Im Interview erklärt sie ihren Weg.

Jana, in deinem Buch sprichst du drei japanische Konzepte an: „Yūgen“, „Mono no aware“ und „Wabi-Sabi“. Bei Letzterem geht es darum, die Schönheit hinter dem Offensichtlichen zu sehen, sie in Unvollkommenheit zu entdecken. Kannst du es näher erklären?

Fantastisch, dass wir mit meinen drei „Lieblingsbegriffen“ starten. Angefangen hat alles 2012, als ich eine zweimonatige Auszeit im Winter auf Rügen verbrachte und dort einen Artikel über Wabi-Sabi fand. Vom ersten Moment an war ich fasziniert, weil ich spürte, dass es meine Fotografie verändern könnte. Seitdem habe ich mich immer wieder mit den japanischen Ästhetiken beschäftigt. In der Fotografie bedeutet Wabi-Sabi, sich von einer fehlerfreien Fotografie zu lösen, mit Unschärfen und Blendenreflexionen zu spielen. Eine Fotografie mit einfachen, bescheidenen Motiven, die nicht inszeniert werden. Social Media ist voll von inszenierten, makellosen Fotos. Sie berühren mich nicht. Im Gegenteil: Für mich als hochsensibler Menschen sind sie viel zu oft laut, grell und respektlos.

Die Künstlerin Jana Mänz stellt ihr Buch komplett in Eigenregie her.

Und Yūgen?

Wenn wir von Wabi-Sabi sprechen, dürfen wir den Begriff Yūgen nicht vergessen, der eng damit verknüpft ist. Der Begriff aus der japanischen Ästhetik bezeichnet die „geheimnisvolle Tiefe in jeder konkreten Escheinung des Augenblicks“. Eine Ehrfurcht vor der mystischen Schönheit und spirituellen Kraft der Natur. Yūgen ist außerordentlich schwer für uns Europäer*innen zu verstehen. Ich erlebe es in der Natur, wenn ich mit meiner Kamera unterwegs bin und etwas wahrnehme, was ich nicht beschreiben kann. Es ist nicht das Sichtbare, was meine Seele berührt, sondern das Darüber-hinaus-gehende. Das versuche ich in meinen Fotografien darzustellen, was unglaublich schwer ist.

Und zu guter Letzt: „Mono no aware“

Das ist die Philosophie, mit der Flüchtigkeit des Lebens umzugehen. Der besondere Moment der Schönheit, wie die der Kirschblüte Sakura, die wir aufmerksam genießen sollten. Gleichzeitig Veränderungen akzeptieren, loslassen und wertschätzen.

In den letzten vier Jahren, als ich an meinem Manuskript „Gefühl und Verstand“ gearbeitet habe, bin ich immer tiefer in die geheimnisvolle Welt japanischer Philosophien eingedrungen und habe gesehen, wie diese miteinander verwoben sind. Darum frage ich auch: „Was hat Umami, der fünfte Geschmackssinn, mit Fotografie zu tun?“ Es macht mir unglaublich viel Freude, mich fotografisch mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Auch wenn ich weiß, dass ich mich noch mein ganzes Leben damit beschäftigen kann – und doch nicht alles erfassen werde.

Sie bedient sich alter Techniken des Buchdrucks.

Welche Bedeutung hat die Fotografie für dich?

Fotografie ist für mich nicht nur ein Beruf. Verbunden mit dem Schreiben ist es Erfüllung. Bei beiden Tätigkeiten kann ich so intensiv in den Flow kommen, dass es mir schwerfällt, mich daraus zu reißen und dann etwas Profanes wie Buchhaltung machen zu müssen. Gerade deswegen fühle ich mich gegenüber der immer fortschreitenderen, geringen Wertschätzung von Bildern so ohnmächtig. Vielfach wird nicht gesehen, dass gute Fotos eben nicht durch künstliche Intelligenz der Kamera entstehen. Dass es viel Erfahrung und Arbeit bedarf, diese Bilder zu machen. Ich habe keine wirkliche Lösung für das Problem. Ich habe stattdessen angefangen, nur noch ausgewählte Bilder zu veröffentlichen. Mein Buch ist auch nicht als E-Book erhältlich. Ich möchte, dass meine Bilder, die auf Graspapier gedruckt werden, eine besondere Wirkung entfalten. Bilder für alle Sinne, die sich einzigartig in ihrer Haptik anfüllen und sogar nach Heu riechen.

Wie schwer ist es heute, Menschen von der Idee der achtsamen Fotografie zu überzeugen?  

Ich denke, dass es immer mehr werden. Als ich vor zehn Jahren mit diesem Thema anfing, fühlte ich mich – besonders als Frau – wie eine Außerirdische. Die Fotografie ist immer noch sehr maskulin, technisch dominiert, aber das ändert sich. Immer mehr Menschen fühlen, dass eine noch bessere und teurere Kamera-Ausrüstung und noch mehr Bilder nicht erfüllend sein können.

Ich gebe Workshops zum Thema „KonMari – Aufräumen und Löschen von Bilddateien“. Immer wieder kommen Menschen zu mir, die von der Fülle an Bilddaten auf ihren Festplatten und Speichersticks überfordert sind. Sie haben Schwierigkeiten, sich von Bildern zu lösen oder gute und schlechte Fotos voneinander zu trennen. Das ist auch unglaublich schwer, dazu gehört viel Mut und Disziplin. Ich  unterstütze sie dabei. Im Gespräch miteinander wird alles viel klarer. Wenn die Festplatten wie ein Kleiderschrank reduziert und aufgeräumt sind, macht es gleich viel mehr Spaß, neue Motive zu suchen. Aber dieses Mal mit sehr viel mehr Achtsamkeit und dem Gedanken: Was gibt mir das Motiv, was spricht mich an? Welche Erinnerungen verknüpfe ich damit? Was möchte ich mit dem Bild machen? Es nur zu machen, um zu zeigen: „Seht her, hier war ich auch“ ist kein guter Grund. Wenn wir alle reflektierter fotografieren, entstehen auch Fotos mit einer besonderen Wirkung.

Die Koptische und Langstichbindung ist komplex, Jana Mänz beherrscht sie jedoch mittlerweile „im Schlaf“.

Du hast das plastikfreie Buch in Eigenregie geschaffen, trotz vieler Widerstände. Warum?

Das habe ich mich in den letzten vier Jahren Arbeit am Sachbuch auch immer wieder gefragt: Warum tue ich mir diesen Stress an? Ich hätte das Manuskript auch über einen Verlag konventionell herstellen lassen können. Ich gebe zu: Ich war mehrfach an dem Punkt, wo ich alles hinwerfen wollte. Wo ich nicht mehr konnte und dachte, dass alles sinnlos ist. Der Widerstand gegen das Ziel „plastikfrei“ war so immens. Doch etwas hat mich getrieben, immer wieder neu aufzustehen.

Der Film „Plastic Planet“ war ausschlaggebend. Ich hatte das Gefühl, auch etwas ändern zu müssen. Da ich seit zehn Jahren Bücher veröffentliche, war es nur konsequent, dabei das Thema „kunststofffrei“ umzusetzen. Es war hart und ich weiß, dass meine Lösung nicht für die industrielle Buchproduktion geeignet ist. Soviel Handarbeit würde keiner bezahlen wollen. Die ganzen Maschinen müssten auf kunststofffreie Materialien umgerüstet werden.

Mein Wunsch ist, andere zu motivieren, auch über viele Widerstände hinweg, nachhaltiger zu produzieren. Wenn mein Buchprojekt ein Auslöser wäre, dass es überhaupt Buchbindereien gibt, die kunststofffrei Bücher industriell binden, wäre das großartig. Gleichzeitig wäre ein Umdenken bei Leser*innen wünschenswert, schlichte Bücher wieder zu schätzen. Wenn ich durch eine Buchhandlung gehe, fühle ich mich völlig erschlagen. So viele um Aufmerksamkeit heischende Cover, die mit Glitzersteinchen, Folien und Lacken überfrachtet sind.

Wie sind Bücher früher entstanden?

In der Schaubuchbinderei, in der ich das traditionelle Kunsthandwerk seit über einem Jahr lerne, bekommen wir Bücher aus dem 16., 17. Jahrhundert zur Reparatur. Damals bestanden Bücher nur aus Papier, Pergament, Leder, Holz, Faden, aus Leinen oder Flachs. Viele dieser Bücher haben Brand- und Wasserschäden und sind trotz der vielen Jahrhunderte, die sie schon „gelebt“ haben, wieder reparierbar.

Heute sagt man, die Kunststoffe seien dafür da, dass Bücher langlebiger werden. Ich denke das nicht mehr. Es kommt immer auf eine gute buchbinderische Verarbeitung an, die mit viel Sorgfalt, guten Materialien und Herzblut durchgeführt wird – und wie das Buch später behandelt wird. Dann halten Bücher ohne Kunststoffe eine Ewigkeit. Dürfen Bücher mit vergänglichem Inhalt nicht auch vollständig recycelt statt, wie üblich, thermisch verwertet werden?

Bei einem Buch komme es auf eine gute buchbinderische Verarbeitung an, die mit viel Sorgfalt, guten Materialien und Herzblut durchgeführt werde, sagt sie.

Wie lange dauert die Herstellung deines Buchs?

Das ist gar nicht so einfach zu ermitteln. Zuerst musste ich den Inhalt schreiben, Fotos machen, aussuchen, bearbeiten. Später Texte überarbeiten, Korrekturen einarbeiten, den Satz erstellen und ganz viele Probedrucke machen, damit die Farben der Fotos stimmen. An dem ersten Schritt habe ich fast drei Jahre gearbeitet, bis das druckfertige Manuskript fertig war. Die Stunden zu zählen, wäre müßig.

Im weiteren Verlauf geht es in die Buchbinderei. Ich habe alleine für die Buchdeckel, die ich schon alle fertiggestellt habe, über einen Monat gebraucht. Die Buchbinderpappen mussten in mehreren Schritten mit Papier und Gegenzug in Handarbeit bezogen werden. Anschließend wurden sie geprägt und gelocht. Pro Buch macht es etwa eine dreiviertel Stunde.

Wenn heute ein Buch bestellt wird, dann drucke ich zuerst die Druckbögen aus, falze und loche sie. Der Drucker braucht für ein Buch 20 Minuten. Wenn alles glatt geht und er mich nicht mal wieder ärgern will. Falzen und Lochen benötigen eine weitere Stunde. Anschließend brauche ich für die Bindung des Buchblocks mindestens eine weitere Stunde. Danach wird der Buchblock beschnitten und zwischen die Buchdeckel mithilfe der japanischen Bindung eingeheftet. Anschließend wird das Vorsatzpapier angeleimt und eingepresst. Endkontrolle, Schmuckbox falten, Buch verpacken, Rechnung schreiben, Paketschein ausdrucken und Paket packen: Das sind pro Buch noch mal vier Stunden. Ohne die Manuskriptarbeit sind es etwa sechs Stunden reine Herstellungszeit pro Buch.

Was ist der schwierigste Schritt bei der Umsetzung?

Früher hätte ich gesagt, die komplizierte Bindung aus koptischer und Langstichbindung. Doch ich habe weit über hundert Bücher gebunden, sodass ich das schon fast im Schlaf kann.  Ich muss eher auf meine Konzentration achten, damit ich keine Fehler mache. Der schwierigste Schritt ist nach wie vor das Anleimen und Einpressen des Vorsatzpapieres. Hier kann ich das Buch mit zu viel Leim oder bei falscher Handhabung des Pinsels unbrauchbar machen. Dabei ist es eigentlich fast fertig. Dieser Schritt kostet mich immer Konzentration und ganz viele Nerven, da darf mich auch niemand stören.

Riecht das Buch wirklich nach Bienenwachs und Heu?

Nach frischem Wiesenheu auf alle Fälle. Mein ganzes Atelier riecht schon danach, weil ich das Papier hier auch lagere. Der Duft des Bienenwachses ist eher flüchtig. Es riecht ganz stark, wenn ich das Buch binde und den Baumwollfaden kurz vorher mit Bienenwachs veredle. Ein ganz toller Duft, der aber zu schnell verfliegt. Leider.

Hier kann man Jana Mänz bei der Herstellung zuschauen:

Ein herzliches Danke an Petra Bartoli y Eckert, die uns auf Jana Mänz aufmerksam machte!

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