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„Den Kindern das geben, was ihnen zusteht.“

Anita Fricker war als Clownin im Flüchtlingslager im Libanon. Im Interview erzählt sie von dem außergewöhnlichen Projekt.
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von Kristin Frauenhoffer

Anita (unten) mit ihren Clowns-Kolleg*innen

Was brauchen Menschen in Flüchtlingslagern? Ohne Zweifel Nahrung und Kleidung. Auch Bildungsangebote sind wichtig, vor allem, wenn sie länger dort leben. Diese Grundbedürfnisse decken Hilfsorganisationen in der Regel ab. Aber es gibt noch andere wichtige Bedürfnisse, deren Erfüllung gerade Geflüchteten verwehrt bleibt. Eines davon ist die Sehnsucht nach Lachen, unbeschwert zu sein, zu spielen. Es gibt viele Kinder in den Camps, und wer die Bilder kennt, sieht oft ernste, traurige Gesichter. Der Alltag ist schwer, die Traumata des in der Heimat und auf der Flucht Erlebten sitzen tief.

Eine Ladung ganz besonderer Hilfsgüter lieferte im Oktober die österreichische Organisation „Karawane der Menschlichkeit“ in Kooperation mit „Clowns ohne Grenzen“ in mehrere Flüchtlingscamps im Libanon. Neben hochwertiger Kleidung bekamen die Geflüchteten etwas anderes, was im ersten Moment ungewöhnlich erscheinen mag – Unterhaltung. Gemeinsam mit einem Seifenblasenkünstler, einer Musikerin und zwei Fotografen brachten die Clowns mit ihren Shows viel Freude, Lachen und Momente der Unbeschwertheit in die Lager. Genau das, was viele Menschen dort bitter nötig haben.

Clownin Anita Fricker erzählt über ihre Eindrücke der 14-tägigen Reise in den Libanon. Die Fotos zum Beitrag stammen von Bruno Maul, einem österreichischen Fotografen, der bewegende Augenblicke dieser besonderen Shows eingefangen hat.

Anita, Wie kam es dazu, dass du in den Libanon gefahren bist?

Das ging alles sehr spontan. Sonntagabend las ich in meinen Mails über einen Verteiler von „Clowns ohne Grenzen“, dass die Karawane der Menschlichkeit Clowns sucht, die in den Libanon fahren möchten. Da habe ich mich dann gemeldet. Am nächsten Morgen hatte ich den Kontakt und die Info, dass es in zwei Wochen losgehe. Da war ich dann im ersten Moment doch ein bisschen überwältigt von meiner Courage. Sollte ich das wirklich machen? Ich entschied mich dafür, weil ich schon länger vorhatte, für syrische Flüchtlinge zu spielen. Und als ich dann meinen Reisepass fand, der nach einer Umstrukturierung meiner Wohnung verschwunden war, wusste ich, dass ich mitfahren muss.

Die Künstler*innen wurden herzlich empfangen.

Wie ging es dann weiter nach der Ankunft?

Ich landete in Beirut und fuhr ins Hotel. Dort hatte ich dann sozusagen ein Blinddate mit meinen Kolleg*innen von der Karawane der Menschlichkeit, die mit einem Flieger aus Wien erst spät nachts landeten. Das waren Pascal und Bruno, zwei Fotografen, Sonja, eine Musikerin und Industriekletterin. Markus, ein Clown und Kunsttherapeut, Arames ein Seifenblasenkünstler, und Elke, ebenfalls von  Clowns ohne Grenzen, die ich schon ein bisschen kannte. Die nächsten zehn Tage spielten wir zusammen in einem Flüchtlingscamp, in dem syrische und palästinensische Flüchtlinge untergebracht sind.

Du bist als Clownin aufgetreten. Wie wurdest du empfangen?

Sehr herzlich. So viele Menschen hatten Freude schon alleine bei dem Gedanken daran, was wir tun. Und das in einem Land, das gerade wirklich nicht viel zum Lachen hat. Eine junge Frau sagte mir: „Ich bin jetzt 24 Jahre und ich habe bei dieser Show für die Kinder selbst so viel lachen müssen. Das hat mir so gut getan. Wir haben es so schwer und ich bin so deprimiert, weil ich nicht weiß, wie es weitergehen soll.“ Man merkte richtig, dass es ihr gut tat und Energie gab.

Anita im direkten Spiel mit einem Jungen

Wie nahmen die Kinder deine Auftritte auf?

Vor allem nach den Shows war da eine unglaubliche Freude. Manchmal wurden wir nur noch gedrückt und geküsst. Ich fühlte mich wie ein Kuscheltier. Mein Kostüm hat auch gelitten, da mich die Kinder manchmal nicht gehen lassen wollten und mich festhielten. Ich war oft überwältigt von diesem riesigen Schwall an Zuneigung und Liebe. Und davon, wie sie jede Berührung – zum Beispiel ,wenn wir sie mit den Fingern schminkten – förmlich aufsogen.

Ich habe manchmal mit meinem Schuh Objekt-Umbennungen gemacht. Da wird dann der Schuh zum Telefon, zum Schiff oder Lenkrad. Einmal kam ein kleiner Junge und brachte mir ein abgebrochenes Lineal. Zuerst imitierte er ein Messer und einen Kampf. Die anderen Kinder wollten ihn schon wegschubsen, er solle nicht so brutal sein. Aber dann nahm er es und benutzte es als Handy und wollte mit mir telefonieren. Er hat mit seinem Lineal angefangen, wie ich zu spielen. Und er war gerade einmal fünf Jahre alt. Ich hatte so viele Begegnungen … Ich kann gar nicht über alle erzählen.

In den Camps sind neben den Kindern auch viele Frauen. Wie war der Kontakt zu ihnen?

Anita im Spiel mit den Frauen im Camp.

Die Frauen waren am Anfang oft zurückhaltend. Dann aber hatten wir richtig lustige Begegnungen und auch da war ein Funkeln in den Augen. Bei einer kleinen Gruppe kam plötzlich ein Mädchen zu mir und sagte: „Das ist meine Tochter.“ Sie zeigte auf sie und auf mich „allemani“. Ob ich sie mitnehme nach Deutschland, wurde mir übersetzt. Wie verzweifelt muss diese Mama sein? Ich war den Tränen nahe. Dieser plötzliche emotionale Wechsel war schwer auszuhalten. Aber ein Clown sagt „Ja“ und ich habe Ja gesagt. Ich erklärte ihr pantomimisch, wie wir es machen. Ich stecke das Kind in mein Kostüm oben hinein. Da habe ich auch während der Shows viel versteckt . Wir gehen zum Flugzeug und ab geht’s nach Deutschland. Und sie nehme ich noch mit und dieses Kind und alle anderen auch. Am Ende mussten alle über die absurden Bewegungen und die Möglichkeit lachen.

Was war dein einprägsamstes Erlebnis?

Das war in einem Camp in den Bergen nach der Clownsshow, als die Kinder ausgelassen lachten und von den Seifenblasen verzaubert waren. Wie meistens suchte ich den Kontakt zu den Menschen am Rand und zu den Frauen. Ich ließ ihnen auch einen kleinen Konfettiregen über ihre dunkle Kleidung rieseln. Es kamen immer mehr zu mir. Es waren mindestens zehn Leute. Ein paar konnten etwas Englisch, ich eine Handvoll Arabisch und der Rest lief über das Spiel.

Sie bedankten sich, dass wir den Kindern so viel Freude schenken. Und ich weiß, dass die meisten Kinder hier keine Eltern oder Väter mehr haben. Dass die Männer tot und die Frauen hier fast alle Witwen sind. Ich war umringt von diesen Augen mit all dem Schmerz und Leid. Innerhalb von Sekunden war die ganze Trauer da. Wie zum Schneiden. Mir kamen die Tränen in die Augen. In meinem Kopf war der Gedanke, ob ich das darf. Ja, ich darf mit ihnen weinen. Ich darf sie sehen. Sie erzählten von ihrer Flucht, woher sie kommen, dass alles so schön war und nun alles kaputt ist.

Wie hast du reagiert?

Es gab viele herzliche Umarmungen.

Ich versuchte, ihnen zu vermitteln, dass ich das weiß und die Welt es weiß. Dass wir deswegen hier sind und dass ich verstehen kann, dass sie bestimmt wütend sind. Dazu machte ich lustige Boxbewegungen. Sie lachten auch alle und plötzlich war es wieder ruhig. Nein, das sei keine Wut, gaben sie mir zu verstehen. Sie hätten nur Angst. Ich konnte so sehr fühlen, was sie fühlen. Ich musste tief atmen und öffnete mein Herz und meinen Seifenblasenbär. Wir brauchten keine Worte. Sie verstanden und ich verstand. Kinder kamen wieder auf mich zu, drückten mich und wollten Fotos. Die Frauen auch. Es war ein Geschenk, gemeinsam diese Augenblicke zu teilen.

Was war deine Motivation, zu fahren?

Ich hatte schon lange den Wunsch, Kindern, die in diesem Krieg geboren worden sind, etwas von dem zu geben, was ihnen zusteht. Nämlich Kinder zu sein. Zu spielen und zu lachen, fröhlich sein zu dürfen.

Was nimmst du mit von dieser Reise? Was konntest du bewegen?

Wir können nur Tropfen auf einem heißen Stein sein. Doch wir konnten etwas in Bewegung bringen. Durch die vielen wunderbaren Kontakte zieht die Karawane weiter, an unterschiedliche Orte dieser Welt. Wie ein Schneeball werden dadurch neue Dinge entstehen, über die wir uns jetzt schon freuen können.

Seifenblasenkünstler Aramis bei seinem Auftritt

In deinem Beruf als Clownin bist du regelmäßig in Krankenhäusern zu Besuch. Wie waren deine Erfahrungen im Libanon im Vergleich dazu?

Meine Erfahrungen in der Klinik- und Kontakt-Clownerie konnte ich gut im Direktkontakt nach dem Spiel einsetzen. Bei den Shows haben mir die Erfahrungen aus meinem Straßentheater-Leben geholfen. Im Krankenhaus und auch in diesen Lagern sieht man viel, was man augenscheinlich nicht ändern kann. Man kann nur den Augenblick und das Sammeln von schönen Momenten gestalten. Ich weiß nicht, ob man den seelischen mit dem körperlichen Schmerz, ob durch Krankheit oder etwas anderes ausgelöst, miteinander vergleichen kann. Beides findet seinen Ausdruck im Leid, das ist universell.

Wie geht man damit um, wenn man so viel Leid sieht, aber eigentlich immer lustig sein muss?

Manchmal kamen mir die Tränen direkt. Dafür liebe ich aber die Clownin in mir, die dann einen Weg findet, damit umzugehen. Der Clown sagt „Ja“. Ja zum Leben. Ja zum Tod. Ja zur Trauer. Ja zum Spiel. „Ja, ja, ja“ und bewegt sich dazwischen. Er sagt auch „Ja“ zu den Emotionen, die alle sein dürfen. In manchen Kinderaugen im Libanon konnte ich eine Hoffnungslosigkeit sehen, wie ich es von Kindern mit schwerer Krankheit her kenne. Wenn diese dann plötzlich leuchten, ist es einfach wundervoll.

Würdest du es wieder machen?

Ja und die nächste Reise ist auch schon in Planung.

Mehr über die Karawane der Menschlichkeit findet ihr hier und zu den Clowns ohne Grenzen auf dieser Seite.

Mehr zum Fotografen Bruno Maul sowie seinen persönlichen bewegenden Bericht der Reise gibt es auf seiner Webseite.

 

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