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Ein gelungenes Beispiel für Zivilcourage

Was tun, wenn Jugendliche einen bettelnden Mann demütigen?
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Wir kennen das vermutlich alle: Man gerät unvermittelt in eine Situation, in der man nicht weiß, wie man reagieren soll. Jemand wird angegangen, kann sich nicht wehren, ist in der schwächeren Position. Wie sich verhalten, wissend, dass sich Unmut und Aggression schnell gegen einen selbst richten können, wenn man sich einmischt? Petra Bartoli ist das in diesem Sommer passiert. Welchen Weg des Entwaffnens sie gefunden hat, erzählt sie uns hier.

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Ein guter Tag

von Petra Bartoli

Irgendwann im Sommer 2017: Es ist ein sonniger und guter Tag. Ich habe einen Termin in der Innenstadt. Was für ein Glück: Ein Parkplatz ist schnell gefunden und ich bekomme dadurch etwas Zeit geschenkt, muss mich mal nicht hetzen. Als Freiberuflerin ist für mich sonst immer alles ziemlich durchgetaktet. Die nicht belegten Minuten bis zu meinem beruflichen Treffen lassen in mir einen Hauch von Freiheit und Leichtigkeit aufkommen. Beschwingt gehe ich vom Bahnhof in Richtung Fußgängerzone.

Ganz in Gedanken bemerke ich die verschiedenen Personen erst, als ich direkt auf ihrer Höhe bin. Eine Gruppe Jugendlicher steht rechter Hand vor dem Schnellrestaurant mit den zwei goldenen Bögen. Ein Mann, der offensichtlich nicht zu den Gewinnern unserer Gesellschaft gehört, kniet neben dem Eingang des Schnellrestaurants auf dem Gehweg. Ein an mehreren Stellen geknickter Pappbecher, in dem ein paar Münzen liegen, steht vor ihm. Der Mann hält den Kopf gesenkt.

Er will nicht mit ansehen müssen, wie andere Menschen aus lauter Mitleid Münzen in seinen Becher werfen, denke ich und merke, wie meine Leichtigkeit augenblicklich verfliegt. „He, schau dir den an!“, höre ich einen der Jungs aus der Jugendgruppe grölen. „Der kniet vor dir nieder“, kreischt ein anderer und pufft dem einzigen Mädchen aus der Gruppe seinen Ellbogen in die Seite. Das Mädchen kichert.

„Genau. So gefällt mir das!“

„Ignorieren wäre wie mitmachen.“

Ich merke, wie aus der verflogenen Leichtigkeit in meinem Bauch eine undefinierbare Schwere wird. Ich finde es unerträglich, wie die Jugendlichen mit dem Mann umgehen. Der Mann hat immer noch seinen Kopf gesenkt. Versucht wohl die Schmach zu ignorieren. Ich kann das nicht. Ignorieren wäre wie mitmachen. Also muss ich etwas tun. Fieberhaft gehe ich verschiedene Optionen durch. Mich mit den Jugendlichen anlegen? Das wäre eine Möglichkeit. Vor meinem inneren Auge sehe ich die Szene: Ich spreche die jungen Leute an. Das ist wie Öl ins Feuer gießen. Sie beschimpfen mich genauso wie den Mann. Es kommt zum Streit. Die Stimmung wird immer geladener. Nein, das will ich nicht. Vielleicht bin ich feige. Aber ich bin der Meinung, dass destruktive Diskussionen nicht zum Ziel führen. Vielleicht bin ich zu harmoniebedürftig, denn ich denke, Dialog ist die bessere Wahl. Doch ich fühle mich auch nicht im Stande, einen wertschätzenden Dialog mit den Jugendlichen zu führen.

Schlagartig ist mir klar, was ich machen werde. Nicht mit den Jugendlichen, sondern mit dem vermutlich wohnungslosen Mann werde ich das Gespräch suchen. Ich mache einen Schritt auf ihn zu, gehe in die Hocke, bis ich auf seiner Höhe bin.

„Einer starrt mich irritiert an.“

„Guten Morgen. Darf ich Sie auf einen Kaffee einladen?“, frage ich höflich und mit fester Stimme. Der Mann hebt langsam den Kopf. Ich nehme wahr, wie die Schmähreden der Jugendlichen verstummen. Der Mann sieht mich erst verblüfft an. Dann breitet sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er nickt. Ich frage weiter: Milch? Zucker? Dann gehe ich an den Jugendlichen vorbei ins Schnellrestaurant. Aus den Augenwinkeln kann ich sehen, wie ihre Unterkiefer herunterklappen und sie mir mit ihren Augen folgen. Kurz darauf komme ich mit zwei Bechern Kaffee to go wieder aus dem Laden. Die Jugendlichen stehen immer noch vor der Tür. Aber sie sagen kein Wort. Einer starrt mich irritiert an. Die anderen sehen zu Boden. Ich lasse sie im wahrsten Sinne des Wortes links liegen und gehe zu dem Mann. Halte ihm einen Becher hin, den er dankbar nickend entgegen nimmt. Schweigend schlürfen wir beide unser Getränk.

Langsam drängt nun doch die Zeit. Ich muss los.

„Ihnen auch einen schönen Tag!“

„Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag“, sage ich und mache mich, den Kaffeebecher in der Hand, auf den Weg zu meinem Termin.

„Ihnen auch einen schönen Tag!“, ruft der Mann mir nach. Ich drehe mich um und hebe zum Abschied die Hand. Dann steuere ich mein ursprüngliches Ziel in der Innenstadt an. Die Jugendlichen sind verschwunden. Heute ist wirklich ein guter Tag, denke ich und fühle, wie sich in meinem Bauch nun wieder diese angenehme Leichtigkeit breit macht.

 

Petra Bartoli y Eckert Foto: privat

Petra Bartoli y Eckert

Diplom-Sozialpädagogin, Schriftstellerin sowie Referentin zu pädagogischen und erzieherischen Themen

Seit August betreibt sie mit Michael Fenske den Geschichten-Planet.

 

 

 

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