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Ein spannendes Experiment: 7 Wochen ohne Lügen

Die evangelische Kirche lädt mit ihrer Fastenaktion dazu ein, sich durch einen anderen Blick auf sich selbst neu kennenzulernen. Fasten im Kopf macht klar.
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Interview: Isolde Hilt

Dass es irgendwann einmal mehr als drei Millionen Menschen sein könnten, daran dachte 1983 vermutlich niemand. Eine kleine Initiative mit 70 Leuten hatte innerhalb der evangelischen Kirche eine Fastenaktion der besonderen Art ins Leben gerufen. Dabei geht es weniger um körperlichen Verzicht als um ein Fasten im Kopf. Jedes Jahr beginnt das Motto gleich: „7 Wochen ohne …“. Das Ende des Satzes für 2019 lautet: „… Lügen“. Dass es bei dieser Aktion nicht nur um ein paar Lügen oder um ein bisschen schwindeln geht, erläutert Arnd Brummer, Geschäftsführer der Fastenaktion.

Muss der Kick jetzt ein anderer sein? Ist der Verzicht auf Alkohol, Fleisch, Süßes ausgereizt? Was fasziniert Menschen, sich an der Art des Fastens zu beteiligen, zu der die Evangelische Aktion aufruft? In einem Gespräch lädt Arnd Brummer, Geschäftsführer der Fastenaktion „7 Wochen ohne …“ und geschäftsführender Herausgeber des evangelischen Magazins chrismon, dazu ein, sich mit einem anderen Verständnis von Fasten und der Fastenzeit auseinanderzusetzen.

Wir laden zu einer Zeit des Perspektivwechsels ein, in der Menschen auf ihr Leben schauen und darüber nachdenken können, was sie eventuell ändern und verbessern möchten.

 

Wie sind Sie auf diese Art des Fastens gekommen?

Dazu muss ich ein bisschen ausholen. Wir beziehen uns da gerne auf Huldrych Zwingli, Schweizer Theologe und erster Zürcher Reformator. Dessen Freund und Bibeldrucker Froschauer hattenach dem Aschermittwoch ein großes Wurstessen veranstaltet. Die strenggläubige Katholiken in Zürichwaren empört. Zwingli erklärte daraufhin in seiner nächsten Predigt, was er unter Fasten verstehe: Die Fastenzeit haltenwir in Erinnerung an die „40 Tage Jesu in der Wüste“. Jesus wollte darüber nachdenken, ob er dem Weg seines himmlischen Vaters folgen könne. Er wollte einen Perspektivwechsel vornehmen. Dazu brauchte er Ruhe, deshalb die Wüste. Dass er nichts gegessen habe, so Zwingli, lag schlicht daran, dass es da nichts gab.

Fasten heißt: beschließen, sich entschließen, entscheiden. Und dazu möchten wir einladen – zu 40 Tagen, einer Zeit des Perspektivwechsels, in der die Menschen auf ihr Leben schauen und darüber nachdenken können, was sie eventuell in ihrem Alltag ändern, revidieren, verbessern möchten.

Eine innere Einkehr vollziehen …

Eine innere, aber auch eine äußere – zusammen mit anderen Menschen, in einer Gemeinschaft. Das bietet noch einmal ganz andere Möglichkeiten der Auseinandersetzung. Dass wir mit unserer Idee gut ankommen, zeigen uns die Reaktionen der vergangenen Aktionen. Letztes Jahr schrieb mir zum Beispiel ein Manager eines großen Unternehmens, dass er mit Kirche und Religion gar nichts zu tun habe. Die Aktion aber „Zeig dich! Sieben Wochen ohne Kneifen“ fände er richtig klasse. Er sitze abends öfter mit seiner Lebensgefährtin und seinen Freunden beieinander, um darüber zu quatschen.

Sie haben jedes Jahr ein außergewöhnliches Motto, mit dem Sie Menschen nahekommen, sie auch provozieren. 2019 heißt es „Mal ehrlich! 7 Wochen ohne Lügen“. Ist das der augenblicklichen Zeit geschuldet? Seit gut zwei Jahren spricht man viel über fake news und es sieht so aus, als ob überwiegend Lügen und falsche Behauptungen unsere Welt zu bestimmen scheinen …

Das war vielleicht ein Aspekt beim Brainstorming, aber nicht ausschlaggebend. Es geht uns eher um den Umgang miteinander. Da sind Begriffe wie Wahrheit, Wahrhaftigkeit, Wahrnehmen wichtig. Verbunden damit die Frage, wie wir miteinander möglichst ehrlich und redlich umgehen, ohne uns zu verletzen. Über 50 Prozent der Deutschen halten eine höfliche kleine Lüge für völlig in Ordnung. Sie sind zum Beispiel zum Essen eingeladen und antworten auf die Frage, ob es geschmeckt hat mit „Ja“, obwohl es nicht stimmt.

Da möchte ich gerne nachhaken: Wenn sich jemand für Sie stundenlang in die Küche gestellt hat und Ihnen eine Freude machen wollte, wie gehen Sie damit um?

Da könnte man sagen, „Da hast du dir viel Mühe gegeben und so ein tolles Rezept gekocht. Nur mein Geschmack ist es nicht so. Mir ist es einfach zu scharf …“ Man kann in seiner Rückmeldung ja trotzdem die Leistung anerkennen.

Wie definieren Sie „Lügen“?

Es gibt Qualitätsunterschiede. Es gibt Notlügen, die der Wahrheit näher sind als die behauptete Wahrheit. Wir hatten ja erst den Gedenktag an den Holocaust und die NS-Verbrechen. Jemanden vor dem KZ gerettet zu haben, indem man ihm eine falsche Identität gab, ist für mich eine Notlüge, die näher an der Wahrheit ist als die behauptete Wahrheit der NS-Ideologen. Da ist das Lügen die Wahrheit, die wahrhaftige Menschlichkeit, die ein größeres Format hat. Wahrhaftigkeit ist etwas anderes als die normierte, logisch rationale Auskunft.

Belüge ich mich nicht selber, wenn ich die Unwahrheit sage, nur, um meine Chancen zu verbessern?

Und eine „Notlüge“ in unserer Zeit, was wäre da für Sie akzeptabel?

Darüber lässt sich gut diskutieren. Wo ist die Grenze dessen, was wir als Notlüge bezeichnen? Vor kurzem war zu lesen, dass in Deutschland mehr Männer als Frauen lügen und jüngere Männer mehr als ältere. Das habe insbesondere, so hieß es, mit beruflichen Karrieren zu tun. Zum Beispiel in Vorstellungsgesprächen behaupten, sich mit Dingen auseinandergesetzt zu haben, die einem in Wirklichkeit völlig unbekannt sind. Da wäre es redlicher zu sagen: „Nein, das war bisher nicht mein Thema, interessiert mich aber. Ich bin mir sicher, dass ich mich da schnell einarbeiten kann.“ Belüge ich mich nicht selber, wenn ich die Unwahrheit sage, nur, um meine Chancen zu verbessern?

Was möchten Sie mit dem diesjährigen Fastenmotto erreichen?

Dass Menschen darüber reden, wie die Dimension ihrer Gemeinschaft humaner werden kann. Dass sie sich darüber austauschen, welche Rolle Wahrhaftigkeit in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen spielt. „Wie gefällt dir mein Mantel?“ „Passt gut, aber die Farbe ist nicht so meine Sache. Ich mag halt kein Lila.“ Die Relativierung ist wichtig.

Das heißt, bei einer Rückmeldung ist es wichtig, darauf zu achten, nicht die Person als solche abzuwerten. Das passiert ja oft ganz leicht …

Richtig. Hier möchte ich kurz auf die Philosophie, die Soziologie und Theologie zurückkommen. Der Philosoph Karl Popper sagt sinngemäß in seinem Buch „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“: ‚Wir können nicht behaupten, dass das oder das wahr ist. Wir können nur sagen, dass wir sehr viele Belege dafür haben, dass das der richtige Weg ist.‘ Das bedeutet zum Beispiel in der Politik, dass man nach einem Vierteljahr auch sagen können muss: „Das haben wir damals anders eingeschätzt als es jetzt eingetreten ist. Da müssen wir etwas ändern.“ Popper sagt, Politik beruhe auf Arbeitshypothesen und nicht auf absoluten Feststellungen.

Der Religionsphilosoph und Theologe Paul Tillich sagte einmal über die Wahrheit: „Gott ist die Wahrheit. Wir können sie nicht besitzen. Wir können nur darum bitten, ihr möglichst nahezukommen.“ Er betonte auch, für die Wahrheit gäbe es zwei gefährliche Gruppen: Die eine, denen die Wahrheit piepegal ist, und die andere, die von sich sagt, sie besäße die Wahrheit. Wohin das führt, sehen wir an den Stalinisten, den Nazis oder jetzt den ISIS-Leuten. Hier muss man den Wahrheitsbegriff dann relativieren. Wenn Regeln und Liebe aufeinanderstoßen, müssen im Zweifelsfall die Regeln gebrochen werden und nicht die Liebe.

Wenn man sich entscheidet, bei dieser Fastenaktion mitzumachen, wie könnte man das Ihrer Meinung nach am besten angehen?

Zuerst einmal kann man selber darüber nachdenken. Das ist der erste Schritt. Dann kann man gucken, dass man sich mit dem Thema in seiner Familie, seinem Freundeskreis anhand alltäglicher Geschichten auseinandersetzt, zum Beispiel über die höfliche Unwahrheit oder die Notlüge. Es geht dabei aber auch darum, nicht in eine Absolutheit zu kommen … Bei der nächsten Gelegenheit wird man vielleicht bei seinem Autohändler oder sonstwo wieder eine Notlüge gebrauchen. Das ist so. Sich aber dessen bewusster zu werden, sein Verhalten zu überdenken, weniger zu lügen, sich auch klar zu machen, wohin einen die Haltung ‚Lügen ist doch nicht so schlimm‘ bringen kann – darum geht es im Wesentlichen.

Portrait Arnd Brummer, geschaeftsfuehrender Herausgeber chrismon, Redaktionsportraits Maerz 2017

Werden Sie bei dieser Fastenaktion mitmachen?

Ja klar.

Noch etwas, das Ihnen wichtig ist?

Ich freue mich, wenn es uns gelingt, viele Menschen miteinander über dieses Thema ins Gespräch und zum Nachdenken zu bringen. Jede und jeder muss für sich selbst entscheiden, was für sie oder ihn richtig und wichtig ist.

Eine allerletzte Frage: Erinnern Sie sich an Ihre letzte Lüge oder lügen sie so gut wie nie?

Ich kann nur sagen, ich habe die Höflichkeitslüge auch schon häufiger praktiziert.

 

 

 

Interesse, mitzumachen?

Unter https://7wochenohne.evangelisch.de/aktions-videos-und-audios findet man verschiedene Materialien, die einen durch die Fastenzeit begleiten. So hält zum Beispiel ein Tageskalender jeden Tag einen neuen Denkanstoß bereit. Am 22. März etwa ist zu lesen:

„Einem Freund die Wahrheit sagen? Ich gebe zu, ich halte mich da eher zurück. Es ist ja meine Wahrheit – und nicht unbedingt seine. Aber wenn ich ausdrücklich darum gebeten werde, tue ich es. Behutsam, aber ehrlich, und hilfreich, wie ich hoffe. Mir gefällt Max Frischs Formulierung, dem anderen die Wahrheit hinhalten wie eine Jacke, in die er hineinschlüpfen kann. Aber nicht muss.“

Axel Milberg, Schauspieler

 

 

Noch eine gute Nachricht!

Die Evangelische Verlagsanstalt GmbH stellt anlässlich der Fastenaktion „Mal ehrlich! 7 Wochen ohne Lügen“ 3 Gewinne zur Verfügung, die wir hier bei good news for you verlosen. Herzlichen Dank dafür!

Bitte einfach eine Mail bis zum 24. Februar 2019 an uns senden, Stichwort: „Mal ehrlich!“. Das Los entscheidet, der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

  1. Preis

1 Tageswandkalender und das Handbuch dazu

 

  1. Preis

1 Tageswandkalender

 

 

  1. Preis

1 Wochenkalender

 

 

 

 

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