von Kristin Frauenhoffer

Ein kleiner Stand auf der Frankfurter Buchmesse. Er könnte übersehen und ignoriert werden, wäre da nicht diese bewegende Bilderausstellung. Sie zeigt Ausschnitte aus dem Leben von nicaraguanischen Flüchtlingen in Costa Rica. In Deutschland war es nur eine Randnotiz, dass letztes Jahr zirka 60.000 Nicaraguaner*innen vor dem politischen System aus ihrem Land flohen. Hier in der Ausstellung kann man das Elend, in dem diese Menschen seither leben, eindrucksvoll nachempfinden.
Latinxs für Latinxs
Der Stand und die dazugehörige Ausstellung gehören dem Gemeinsam TECHO e.V. Dieser setzt sich mit vielfältigem Engagement für die Menschen in Lateinamerika und der Karibik ein. Seine Mitglieder*innen möchten auf die soziale Ungleichheit in diesem Teil der Welt aufmerksam machen. Dabei ist ihr Ziel kein geringeres als eine Welt ohne Armut. „Mit unseren Spenden unterstützen wir Projekte TECHOs in Lateinamerika, die nach dem Prinzip „Latinxs für Latinxs“ Armut in der Region bekämpfen“, sagt Justin Brackemann. Er ist im Vorstand von Gemeinsam TECHO e.V., den Studierende 2014 in Frankfurt am Main gegründet haben.
Wie kam es zur Gründung von Gemeinsam TECHO?
In Lateinamerika gab es damals schon die Nichtregierungsorganisation TECHO, die immer wieder von deutschen Freiwilligen unterstützt wird. Der deutsche Verein entstand aus dem Wunsch dieser Freiwilligen heraus, die Arbeit von TECHO von Deutschland aus weiter zu begleiten. Dabei war ihnen von Anfang an wichtig, dass der Impuls für neue Projekte aus der Region selbst kommt – nach dem Prinzip „Latinxs für Latinxs“. Der deutsche Verein steht lediglich unterstützend zur Seite.
„Gesundheitsmärkte“ und Workshops zur Integration in den Arbeitsmarkt
Was bedeutet das genau? Um bei der Kampagne für die geflüchteten Nicaraguaner*innen zu bleiben: Hier engagiert sich die lokale Zweigstelle der Organisation – TECHO Costa Rica – in den informellen Siedlungen der Geflüchteten. Die Lebensumstände der Menschen dort sind prekär. Eine Umfrage ergab, dass vor allem die schlechte gesundheitliche Versorgung und der erschwerte Zugang zum Arbeitsmarkt problematisch sind. TECHO Costa Rica plant daher gerade die Durchführung von so genannten Ferias de Salud und Talleres de Aprendizaje Popular.
Bei ersterem sollen in den Gemeinden „Märkte“ veranstaltet werden, auf denen die Menschen über gesundheitliche Themen aufgeklärt und sogar kleinere Untersuchungen durchgeführt werden können. Letzteres sind Workshops, die die Geflüchteten bei der Integration in den costaricanischen Arbeitsmarkt unterstützen sollen. Die Freiwilligen, die sich bei diesem Projekt engagieren, sind überwiegend Einheimische. TECHO Deutschland akquiriert hierfür Spendengelder.
Tanzkurse und Informationstage in Deutschland
Die Arbeit des deutschen Vereins geht allerdings weit über das reine Spendensammeln hinaus. Regelmäßig finden Workshops zu Themen wie Ungleichheit in Lateinamerika, Tanzkurse oder Informationstage an Schulen statt. „In Deutschland wollen wir kreatives gelebtes Engagement fördern“, erklärt Justin Brackemann. TECHO Deutschland ist daher auf verschiedensten Weihnachtsmärkten und Uni-Messen oder dem Karneval der Kulturen in Berlin vetreten. Und eben auf der Frankfurter Buchmesse.
Freiwillige werden immer gesucht!

„Die Sichtbarmachung von Armut und Ungleichheit in Lateinamerika ist eines unserer Ziele. Daher war es uns wichtig, an die Öffentlichkeit zu gehen; und zwar mit einem Thema, das ansonsten in Deutschland kaum eine Rolle spielt“, berichtet Justin Brackemann über die Motivation für den Stand. Er ist davon überzeugt, dass wir als Europäer*innen eine Mitverantwortung an der Situation von Menschen im globalen Süden tragen. Deshalb sollten wir auch dort helfen.
Als relativ junger Verein ist TECHO darauf angewiesen, dass Freiwillige bei ihnen Verantwortung übernehmen. Je mehr Menschen sich engagieren, umso mehr Projekte können realisiert werden. Auf der Homepage des Vereins finden sich diverse Möglichkeiten, wie man sich einbringen kann. Wer interessiert ist, kann sich gern dort umschauen.
Die Frankfurter Buchmesse ist zwar schon wieder eine Weile her, der kleine Stand vom Gemeinsam TECHO e. V. aber hat einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
Hier könnt ihr die Fotos der Ausstellung ansehen:
- Der Park La Merced in San José der Hauptstadt von Costa Rica, ist für Migrant*innen aus Nicaragua ein Versammlungsort historischen Ausmaßes. Im Jahr 2018 hat die Zahl der Menschen stark zugenommen, die ihre Heimat in Richtung Costa Rica verließen. Grund dafür war die sozio-politische Krise in Nicaragua, die im Februar 2018 begonnen hatte und noch immer spürbar ist. Die Luft im Park La Merced ist erfüllt vom Widerstand einer Gemeinschaft, die diesen öffentlichen Ort in einen persönlichen, politischen und gemeinschaftlichen verwandelt hat. Foto: Cynthia Gonzalez
- Jairo floh im Juli mit seiner Familie aus Nicaragua. Sein 15-jähriger Sohn Marco war zuvor von der Juventud Sandinista (Jugendorganisation der Regierungspartei) unter Druck gesetzt und bedroht worden, um ihn zur Teilnahme an Demonstrationen zur Unterstützung der Regierung von Präsident Ortega zu zwingen. Doch die Familie beschloss, lieber das Land zu verlassen, als zu Unterstützer*innen der Ortega-Regierung zu werden. Nur mit dem Nötigsten im Gepäck zogen sie in die Siedlung La Carpio im Zentrum der costaricanischen Hauptstadt San José. Dort teilte sich die Familie ein Haus mit weiteren Verwandten, die das Land verlassen hatten. Doch nachdem María, die 17-jährige Tochter der Familie, innerhalb des Hauses sexuell belästigt wurde, konnte die Familie dort nicht länger bleiben. Erneut mussten sie zusammenpacken und aufbrechen. Im Moment der Aufnahme befindet sich die Familie, mit ihren Koffern und Habseligkeiten, in La Merced. Sie hofft auf die Hilfe einer Nichtregierungsorganisation, um in der folgenden Nacht ein Dach über dem Kopf zu haben und in dem für sie neuen Land fortbestehen zu können. Foto: Cynthia Gonzalez
- Es gehört zum Alltag auf den Straßen, zentralen Plätzen und Parks von San José Nicaraguer*innen zu sehen, die Passanten um Geld bitten. Die Botschaften auf ihren Pappschildern sprechen von Verzweiflung, Einsamkeit, Respekt, Einfühlsamkeit und Gerechtigkeit. Foto: Augusto Bolaños
- Die Kirche von La Merced, gegenüber dem gleichnamigen Park, ist zur stummen Zeugin der tausenden Fürbitten und Gebete des nicaraguanischen Volkes geworden. Foto: Cynthia Gonzalez
- Arbeit auf Baustellen gehört zu den wichtigsten informellen Einnahmequellen. Foto: Augusto Bolaños
- Die Kindertagesstätten sind zum Zuhause von tausendenen Nicaraguaner*innen geworden, die ins Land gekommen sind. Die meisten dieser Orte befinden sich in Gemeinden mit schwachen sozialen Verhältnissen und extremer Armut. Foto: Augusto Bolaños
- “Mein Traum war es schon immer, Klavierunterricht zu geben.” Der 21-jährige Manuel, Student, Elektriker und Musiklehrer, wird ein neues Leben in der städtischen Siedlung León XIII beginnen. Er wohnt neben seiner Mutter und seiner Großmutter. Jeden Tag trifft er sich mit sieben weiteren Jugendlichen um 15 Uhr in der Kirche, um für Nicaragua zu beten. Für das Land, das sie aufwachsen sah, einst einen gewissen Frieden genießen konnte und in das sie zurückkehren wollen, sobald die Diktatur ein Ende findet. Foto: Augusto Bolaños
- In der Casa de la Virgen (“Haus der Jungfrau”) des sozialen Hilfswerks Schwester María Romero in San José erhalten Migrant*innen ein Mittagessen. Die Schlangen, die sich ab 10 Uhr morgens bilden, sind lang. Es ist ein Ort der Begegnung und des Austausches, an dem sich die Leute sicher und mit der Gesellschaft verbunden fühlen können. Foto: Cynthia Gonzalez
- Angesichts der Zensur der Medien durch die nicaraguanische Regierung, sind es die sozialen Netzwerke, mit deren Hilfe die Geflüchteten mit ihren Familien in Nicaragua in Kontakt bleiben. Carlos zeigt Videos von Demonstrationen, die seine Mutter aufgenommen hat. Sie lebt noch in Matagalpa (Nicaragua). In seinem Bezirk arbeitete er in einem kleinen Krankenhaus, das von Paramilitärs verletzte Demonstrant*innen behandelte. Doch nachdem aufgrund von “Aktivitäten zur Unterstützung des Widerstands” Morddrohungen erhalten hatte, packte er sein Hab und Gut und kam mit seiner Familie praktisch über Nacht nach Costa Rica. Hier arbeitet er als Bauarbeiter und Maler, zwei Berufe, die er in seinem ganzen Leben noch nie ausgeübt hatte. Julia, das Familienoberhaupt, bleibt zu Hause, kümmert sich um die Kinder und verkauft Essen in der Nachbarschaft. Foto: Cynthia Gonzalez
- Die Eltern von Nicolás leben in den Bergen von Alajuelita. Genau wie er kamen sie mit nur jeweils einer Tasche in das Land, in der sie Kleidung und die für die Einreise wichtigen Dokumente trugen. Die Suche nach Arbeit ist für die Familie aus Managua die schwierigste Herausforderung gewesen. Foto: Augusto Bolaños
- “Ich bin am 25. Juli angekommen; ich habe in der Nähe der Autonomen Universität von Nicaragua gelebt. Aber es wurde immer gefährlicher, da es jeden Tag Schießereien gab. Ich war Schülerin in der Oberstufe, lernte für mein kleines Kind und da ich niemand hatte, der sich um es kümmern konnte, nahm ich es mit in die Schule. Eines Tages kam die Juventud Sandinista in die Schule, um uns zu drohen und wir duckten uns alle unter die Tische. Da entschied ich, nicht mehr zum Unterricht zu kommen. Zuhause schlief ich mit meinem Sohn unter dem Bett auf dem Boden, aus Angst, dass uns eine fehlgeleitete Kugel treffen könnte. Hier hat mich meine Schwester, die schon lange in Costa Rica lebt, aufgenommen. Ich fand Arbeit in einem Imbiss und ging dort jeden Morgen um 4 Uhr hin. Aber die Chefin sagte mir nie, wie lange wir arbeiten würden; es war abhängig von der Kundschaft. Dort arbeitete ich einen Monat lang und ich musste viele Erniedrigungen und Misshandlungen ertragen. Eines Tages brach ich in Tränen aus, aber ich gab mich nicht auf; man muss immer weiterkämpfen. Foto: Cynthia Gonzalez
- In der Siedlung von Miraflores in Tirrases lebt Doña Kattia mit ihrer Tochter Mercedes. Sie sind im August (2018) nach Costa Rica gezogen und mieten dort ein Zimmer im Haus einer anderen nicaraguanischen Familie. Foto: Cynthia Gonzalez
- Ich bin ohne Papiere nach Costa Rica gekommen, wir haben den Weg über den Naranjal genommen. In San Carlos standen wir bis zu den Knien im Wasser. Irgendwann wollte ich umdrehen, aber der Rückweg wäre länger gewesen als den Weg fortzusetzen. Foto: Cynthia Gonzalez
- Mercedes, 16 Jahre alt, kann nicht wie andere Jugendliche ihres Alters lernen. Sie wartet noch auf die nötigen Dokumente, um zurück auf in Schule gehen zu können. Foto: Cynthia Gonzalez
- Linda Vista, Río Azul und Quebrada im Süden und Osten der Hauptstadt sind Siedlungen, in denen die Gemeinden bestätigen, dass seit April des vergangenen Jahres eine große Anzahl von Menschen aus Nicaragua angekommen ist. Foto: Augusto Bolaños
Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt.
Deine Daten werden verschlüsselt übertragen. Deine IP-Adresse wird nicht erhoben.
Infos zum Datenschutz