von Kristin Frauenhoffer
Wer demnächst nach Paris oder Lyon reist, sollte den Blick nicht nur auf die prächtigen Häuserfassaden, sondern ab und an auch auf den Boden werfen. Denn da könnte es eine Überraschung geben. Statt auf die üblichen Löcher und Risse im Asphalt stößt man hier an manchen Stellen auf etwas Besonderes: auf Kunst in Form von bunten Mosaiken. Dafür verantwortlich ist ein mysteriöser Straßenkünstler, der – wie die meisten seines Fachs – anonym bleibt.
Er nennt sich Ememem, der „Asphaltflicker“, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Löcher, Risse und Bruchstellen im Boden auszubessern. Er „repariert“ die Straße auf kunstvolle Art und bringt mit seinen Mosaiksteinen bunte Farbtupfer in die Städte. Die Technik, die er verwendet, bezeichnet er als „Flacking“, benannt nach dem französischen Wort „flaque“ für Pfütze. Es beschreibt die „Kunst, Löcher zu reparieren“, wie Ememem sagt. Aber das ist natürlich untertrieben, denn seine Werke sind kunstvoll und poetisch zugleich und haben mittlerweile viele Fans weltweit gefunden.
Mit dem ersten „Asphaltpflaster“ wird Ememem geboren
Entstanden ist die Idee laut Ememem durch eine schicksalhafte Begebenheit. Es war 2016 und ein gewisser Bildhauer, dessen richtiger Name nicht bekannt ist, war Teil eines Lyoner Underground-Künstlerkollektivs. Laut ihm sei er schon lange auf der Suche gewesen nach einer Möglichkeit, seiner Lust an der Kunst auf den Straßen Ausdruck zu verleihen. Eines Tages entdeckte er ein kleines Schlagloch auf dem Bürgersteig vor seinem Atelier. Und er wurde davon wie magisch angezogen. Es entstand das erste Mosaik-Kunstwerk und mit ihm war die Figur Ememem geboren. „Es war einfach unvermeidbar, dass ich dieses erste Pflaster für die kleine Wunde im Bürgersteig herstelle. Alles, was ich vorher getan habe, hat mich dorthin geführt“, beschreibt der Künstler den fast schon magischen Moment, als sein erstes Straßenkunstwerk entstand. Er spricht poetisch darüber, als wäre die Straße ein Mensch mit einer Verletzung.
Bunte Farbtupfer auf der Straße hinterlassen ein Lächeln im Gesicht
Vielleicht nennt sich Ememem auch deshalb „Chirurg des Asphalts“, weil er seine Kunst als heilsam für die Straße empfindet. Und sie ist auch heilsam für Passant*innen. Die bunten Mosaiksteinchen, die Löcher und Risse füllen, lassen die Straße an dieser Stelle in neuem Glanz und die Gesichter vorbeieilender Menschen erstrahlen. Ein kurzes Innehalten, ein Lächeln und weiter geht es. Wie gut es doch ist, dass die Augen vorbeieilender Menschen ohnehin sehr oft auf den Boden fixiert sind. Der Überraschungsmoment ist Ememem gewiss.
Das „Flacking“ hat viele Fans weltweit
Inzwischen hat sich eine große Fangemeinde um den französischen Künstler gebildet. Die „Flacking Jagenden“ sind ständig auf der Suche nach neuen Kunstwerken. Es gibt sogar eine App, die auf einer „flacking map“ alle Orte verzeichnet, an denen Ememem sich verewigt hat. Seit dem ersten „Asphaltpflaster“ hat der Künstler 400 weitere dieser Mosaikgemälde auf die Straßen verschiedener Städte weltweit gezaubert. Auf Instagram folgen ihm über Hunderttausend Menschen. Und in Barcelona, wo er 2019 nach den Protesten der katalanischen Separatisten eben die Straße verzierte, die gerade noch Schauplatz von Gewalt war, sind seine Straßenkunstwerke nun Teil der städtischen Kulturdenkmäler. Und sie werden entsprechend gepflegt und geschützt. Mit solchen Aktionen macht Ememem klar, dass seine Kunst auch eine politische Dimension hat.
Die Anonymität schützt und regt gleichzeitig die Fantasie an
Und doch ist weiterhin unklar, wer Ememem ist. Die Anonymität soll ihn einerseits schützen, denn seine Aktivitäten sind – wie alle Straßenkunst – potenziell illegal. Deshalb „operiert“ er auch meistens nachts. Andererseits scheint es dem inzwischen berühmten Unbekannten Freude zu machen, mit seiner selbst erschaffenen Figur zu spielen und den Menschen Raum für eigene Vorstellungen darüber zu lassen, wer er ist. Das regt die Fantasie an; schließlich ist er Künstler und kein Handwerker.
Eine Community „Anonymer Flackisten“
Und als Künstler ist Ememem immer gefragter, nimmt an Street Art Festivals teil und darf seine Kunst sogar in Galerien in Paris und Genf präsentieren. Dafür erstellt er Repliken seiner Straßenkunstwerke, damit sie „atelierfähig“ werden. Seit letztem Jahr bekommt der Künstler immer mehr Anfragen verschiedener Städte wie Paris, Lyon oder Genf, seine Kunst geplant im öffentlichen Raum zu platzieren. Da stellt sich die Frage, wie lange er noch anonym bleiben kann. Denn auch sein neuestes Projekt zielt eher auf mehr Sichtbarkeit.Ememem startete ein „Flacking Lab“, bei dem angehende Flacking Künstler*innen die Technik von ihm erlernen. Zusätzlich wird es Videos und Tipps zur Erstellung solcher Mosaike online geben. So soll eine Community „Anonymer Flackist*innen“ entstehen, die überall auf der Welt die kleinen und großen Löcher flicken.
Herzlichen Dank an Uta-Caecilia Nabert, die uns auf Ememem aufmerksam gemacht hat!
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