von Kristin Frauenhoffer
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Beim Thema Erziehen erhitzen sich meist die Gemüter. Ob autoritär, antiautoritär oder laissez-faire: Jede dieser Richtungen beansprucht für sich, der goldene Weg zu sein. Als Eltern geht man meist seinen eigenen Weg, der dann entweder in die eine oder in die andere Richtung tendiert. Kommt dann jemand daher und kritisiert etwas am eigenen Erziehungsstil, fühlt man sich angegriffen. Warum? Schließlich tun wir doch alle nur, was wir können. Und gerade beim ersten Kind funktioniert noch viel nach dem Prinzip „trial and error“. Wir sind ja noch Anfänger*innen. Und niemand würde sagen, dass er sein Kind nicht liebe. Egal, wie nun der Erziehungsstil ist.
Nein, wir fühlen uns angegriffen und gekränkt, weil Erziehung immer auch Ausdruck der eigenen Persönlichkeit ist. Nach dem Motto: Zeig mir, wie du dein Kind erziehst und ich sage dir, wer du bist.
Bevor ich hier aber gleich eine riesige Diskussion lostrete, können wir uns doch alle sicherlich darauf einigen, dass Gewalt – in welcher Form auch immer – tabu ist. Also sei es körperlich oder seelisch. Soweit sind wir nun, denke ich, alle gekommen, dass jegliche Gewalt an Kindern – und auch an Erwachsenen – zu verurteilen ist. Zumindest theoretisch.
Denn praktisch lässt sich das nicht immer so umsetzen. Da gibt es schon mal ein scharfes Wort oder ein Am-Arm-Ziehen, wenn es sein muss und man gerade gestresst ist. Aber das ist doch keine Gewalt! Oder etwa doch?
Ist Schimpfen Gewalt?
Die Autorin des Buches „Erziehen ohne Schimpfen“ Nicola Schmidt würde darauf vermutlich ganz eindeutig antworten: Doch, das ist Gewalt! Und es hat einen Einfluss auf unsere Kinder.
Ich habe mir das Buch „Erziehen ohne Schimpfen“ zu Weihnachten schenken lassen, weil mich der provokative Titel gereizt hat. „Wie soll das denn gehen?“, fragt ihr euch sicherlich. Nicht zu Unrecht. Ich habe es mich auch gefragt und Erstaunliches in Schmidts Buch erfahren.
Ich habe zum Beispiel gelernt, dass, wenn wir schimpfen, Kinder beschämen, bedrohen oder ihnen Angst machen. Und das führt dazu, dass wir zwar kurzfristig erfolgreich sind und uns durchsetzen. Aber langfristig hat es keinen oder sogar einen negativen Effekt: Erstens lernen Kinder nichts, wenn wir sie ausschimpfen, weil ihr Gehirn in diesem Moment dafür gar nicht aufnahmefähig ist. Es befindet sich nämlich im Stressmodus. Und unter Stress lernen wir nichts. Und zweitens führt es dazu, dass Kinder nur „gehorchen“. Sie handeln also, weil sie Angst vor Sanktionen haben. Aber nicht aus sich heraus.
Das fand ich übrigens einen sehr schönen Gedankengang: sich die Frage zu stellen, ob wir unsere Kinder dazu erziehen wollen zu gehorchen oder selbstständig zu denken. Ich finde, in der heutigen Zeit ist das gar keine Frage mehr. Wir brauchen Menschen, die selbstständig denken und handeln.
Warum schimpfen wir eigentlich?
Aber zurück zum Buch: Nicola Schmidt beschreibt auf 176 Seiten, warum wir eigentlich schimpfen, was in unserem Gehirn passiert, wenn wir schimpfen und was das in unseren Kindern auslöst. Sie identifiziert einen großen Auslöser für unbeherrschtes Auftreten und Schimpfen: Stress.
Wir alle stehen unter mehr oder weniger großem Stress, weil wir alle Anforderungen, die an uns gestellt werden, erfüllen wollen. Und diesen Druck, den wir spüren, geben wir weiter – an unsere Kinder. Schmidt erklärt, wie der Druck entsteht. Sie führt zum Beispiel unser Kernfamilienmodell an, das ihrer Ansicht nach überhaupt nicht „artgerecht“ – also typisch für den Menschen – ist. Schließlich haben wir früher immer in viel größeren Gruppen gelebt und konnten uns gerade die Betreuung von Kindern viel besser untereinander aufteilen. Das berühmte Dorf, das es braucht, um ein Kind großzuziehen, fehlt uns ganz einfach.
Wenn wir mehr Menschen um uns hätten, die uns unterstützen, würde auch die Überforderung, alles schaffen zu müssen – Job, Haushalt, Familie – abnehmen. Und wir wären gelassener und entspannter.
Ein wichtiger Tipp: sich Hilfe und Unterstützung holen
Und da setzt Schmidt an: Im Buch finden sich zahlreiche Atem- und Entspannungsübungen, die man am Tag immer wieder machen kann – sie dauern auch nur ein paar Minuten. Sie sollen einen vom roten in den grünen Bereich zurückbringen. In den Bereich, in dem man vernünftig und rational handeln kann. Denn wenn wir wütend sind und schimpfen, sagen wir manchmal Dinge, die wir gar nicht so meinen und die wir anschließend bereuen.
Schmidt rät, nicht nur sich selbst regelmäßig zu befragen, wie es einem gerade geht und in welchem Bereich man sich befindet – also rot, gelb oder grün. Und damit zu verhindern, dass der Stress einen übermannt, sondern vorzusorgen: Stresssituationen versuchen zu umgehen. Also sich zum Beispiel Hilfe und Unterstützung bei alltäglichen Dingen holen, sei es von Nachbarn, Freunden oder der Familie. Sie führt – zu Recht, wie ich finde – an, dass wir das viel zu wenig machen. Dass wir immer alles „allein“ schaffen wollen. Aber dass das gar nicht nötig und auch gar nicht möglich ist.
Kinder müssen Fehler machen dürfen
Oder dass man sich Routinen aufbaut, die man nicht täglich hinterfragen muss und die der Körper und der Geist einfach „ausführen“. Denn das Gehirn erfreut sich an Routinen und bleibt so in einem entspannten Zustand.
Und wenn man entspannter und gelassener ist, kann man auch sein Kind ganz anders sehen, sagt Schmidt. Dann sieht man das Kind, das sich danebenbenimmt, nicht als Feind, sondern eben als Kind, das Bedürfnisse hat, die es gerade nicht anders äußern kann. Denn man darf eines nicht vergessen: Kinder müssen unsere sozialen Regeln erst erlernen – das tun sie mit unserer Hilfe. Und sie lernen sie nicht von heute auf morgen, sondern sie brauchen Zeit dazu. Und sie müssen Fehler machen dürfen.
Kinder lernen vor allem am Vorbild
Das Bild, das man von seinem Kind hat, spielt übrigens eine große Rolle in dem Buch. Statt, wie in der autoritären Erziehung oft propagiert, ein unzivilisiertes Wesen zu sehen, das von uns erzogen und angepasst werden muss, kann man ja erstmal vom Guten ausgehen. Vom Guten im Menschen quasi. Denn Kinder kommen als empathische, kooperative Wesen auf die Welt. Sie sind Gruppenwesen und auf die Rückmeldung der Gruppe angewiesen. Sie sind auch Egoisten, ja. Genauso wie jeder einzelne von uns. Aber sie wollen auch gefallen und mit uns in Verbindung treten.
Wenn wir schimpfen, kappen wir diese Verbindung, laut Schmidt. Denn wir stellen uns über sie und beschämen sie. Kein Erwachsener würde das wollen. Und wir wollen unseren Kindern doch nicht beibringen, dass man Schwächere unterwirft. Denn Kinder lernen vor allem am Vorbild. Wenn wir also wollen, dass unsere Kinder bestimmte Verhaltensweisen lernen, müssen wir erstmal bei uns anfangen und schauen, ob wir diese Verhaltensweisen selbst überhaupt einhalten.
Ein ungewöhnlicher Tipp: spielen!
Aber was macht man denn nun, wenn man unbedingt los will und das Kind zieht sich seine Schuhe einfach nicht an? Oder wenn es einen Wutanfall bekommt, weil man ihm die Fernbedienung wegnimmt? Das Erste, das Nicola Schmidt rät: ruhig bleiben. Versuchen, sich in das Kind hineinzuversetzen. Warum handelt es so und was ist sein Bedürfnis? Was ist mein Bedürfnis und wie kann man einen Kompromiss finden, der für alle passt?
Oft fühlen sich Kinder nämlich ohnmächtig, weil so vieles in ihrem Leben über ihre Köpfe hinweg entschieden wird.
Mitbestimmung ist für Schmidt ein wichtiger Punkt hin zu einem harmonischeren Miteinander. Während das Kind also zum Beispiel nicht ohne Hose aus dem Haus gehen kann und es da sicher kein Mitspracherecht hat, kann es aber entscheiden, welche Hose es anzieht. Oder man lässt es entscheiden, ob es jetzt oder in fünf Minuten ins Bett geht. Dass es ins Bett geht, entscheiden die Eltern. Aber den Zeitpunkt kann man ja flexibel handhaben – in einem Rahmen, der für die Eltern in Ordnung ist.
Und wenn gar nichts mehr geht, kein Reden, kein Verhandeln, dann hat Schmidt einen ungewöhnlichen Tipp: Spielen! Genau, richtig gehört! Die Situation mit Humor nehmen und mit einem Spiel entschärfen. Dafür gibt’s im Buch viele tolle Spielideen für den Alltag.
Kinder sollen spüren: „Ich bin gut so, wie ich bin.“
Ich muss sagen, mir hat das Buch sehr imponiert. Gerade die authentische Schreibweise von Frau Schmidt und ihre Erfahrungen mit ihren eigenen Kindern lässt Hoffnung aufkommen, dass es tatsächlich gelingen kann – Erziehen ohne Schimpfen.
Sie sagt zwar selbst, dass es kein einfacher Weg ist und dass Schimpfen oft eine schnelle und effektive Lösung ist, JETZT Ruhe zu haben. Aber es lohnt sich auf lange Sicht, einen Weg einzuschlagen, der die Selbstwirksamkeit und die Integrität des Kindes schützt. Denn Kinder sollten immer merken: Ich bin gut so, wie ich bin und ich darf so sein wie ich bin. Die Botschaft, die wir unseren Kindern übermitteln sollten, sollte also heißen: Ich liebe dich als Person, auch wenn mir dein Verhalten gerade nicht gefällt. Dann kann man auch mal laut werden und etwas sehr bestimmt sagen, ohne dass es zum Schimpfen wird. Solange man nicht droht und nicht beschämt, ist das völlig in Ordnung. Schließlich sind wir keine Maschinen, und seine Gefühle zu unterdrücken, ist ja auch nicht gesund. Schmidt rät übrigens auch nicht dazu, sich ständig nur zu zügeln und alles zu unterdrücken: Authentische Reaktionen sind sogar sehr wichtig. Aber erstmal durchatmen eben auch 😊
Ich bin mir nicht sicher, inwieweit ich das alles schon bei meinem anderthalbjährigen Sohn umsetzen kann, denn viele der Tipps und Hinweise setzen eine gewisse Einsichtsfähigkeit des Kindes voraus. Aber beim Lesen dachte ich mir immer wieder: Eigentlich ist das auch ein guter Weg, wie man mit seinen Mitmenschen umgehen sollte. Ruhig bleiben, empathisch bleiben und erstmal vom Guten ausgehen.
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