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Gemeinwohl-Ökonomie: Was ist das?

In der Wirtschaft geht es häufig nur um Profit. Einen anderen Ansatz wählt die Bewegung der Gemeinwohl-Ökonomie.
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Interview: Florian Roithmeier

Am 21.11.2019 gegründet: Die Regionalgruppe Regensburg der Gemeinwohl-Ökonomie.

Möglichst viel Geld erwirtschaften, den Profit in die Höhe treiben: In unserem Wirtschaftssystem geht es darum, finanziell erfolgreich zu sein und zu wachsen –  sonst geht man unter. Wirklich? Das Wirtschaftsmodell der Gemeinwohl-Ökonomie verfolgt einen anderen interessanten Ansatz. Welchen genau, haben uns Laila Zink und Bernhard Sirl, Koordinator*innen der Gemeinwohl-Ökonomie-Regionalgruppe Regensburg, im Interview erklärt.

Was ist Gemeinwohl-Ökonomie?

Die Gemeinwohl-Ökonomie steht für ein auf Werten basierendes Wirtschaftssystem als Alternative zum vorhandenen kapitalistischen Modell. Geld und Wirtschaften sollen Mittel zum Zweck sein und nicht Selbstzweck.

Der Erfolg eines Unternehmens oder einer Organisation soll nicht mehr am Finanzgewinn bewertet werden, sondern zum Beispiel daran, ob die Unternehmen die Menschenwürde achten, soziale Gerechtigkeit fördern oder ökologische Nachhaltigkeit sicherstellen.

Wie entstand diese Idee?

Den Wert des Gemeinwohls gibt es seit Menschengedenken und er ist in allen Kulturen anzutreffen. Beispielsweise in der Verfassung Bayerns hat man 1946 per Volksabstimmung das Gemeinwohl als Ziel der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit aufgenommen (Anmerkung der Redaktion: Artikel 151 Absatz 1 der Bayerischen Verfassung).

Die Gemeinwohl-Ökonomie als alternatives Wirtschaftsmodell, also in der Art, wie sie von uns verstanden und als Bewegung verbreitet wird, gründet auf den Ausarbeitungen einer 2008 in Österreich gebildeten Unternehmer*innengruppe. Diese entwickelte fast zwei Jahre lang die grobe Skizze des Buches „Neue Werte für die Wirtschaft“ von Christian Felber weiter und schuf dabei die Gemeinwohl-Matrix. Im August 2010 erschien daraufhin die Erstausgabe der „Gemeinwohl-Ökonomie“. 2011 gründeten sich die ersten Regionalgruppen und Vereine.

Unternehmen sollen also dafür belohnt werden, am Gemeinwohl orientiert zu handeln. Wie funktioniert das konkret?

Ein wichtiges Werkzeug dazu ist die sogenannte Gemeinwohl-Bilanz, die sich an der Gemeinwohl-Bewertungstabelle orientiert. Diese Matrix stellt zwischen den Werten „Menschenwürde“, „Solidarität und Gerechtigkeit“, „Ökologische Nachhaltigkeit“ sowie „Mitbestimmung und Transparenz“ und den fünf Berührungsgruppen „Lieferanten“, „Eigentümer*innen und Finanzpartner*innen“, „Mitarbeitende“, „Kund*innen bzw. Mitunternehmen“ und „Gesellschaftliches Umfeld“ Beziehungen her, die einzeln betrachtet und bewertet werden.

Anhand dieser Matrix beziehungsweise Bewertung sieht man genau, inwieweit Unternehmen gemeinwohlorientiert arbeiten. Nach einer finalen Überprüfung kann das Unternehmen die Gemeinwohl-Bilanz veröffentlichen.

Ist das nicht mehr als eine schöne „Deko“ für Unternehmen?

Laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung wünschen sich 89 Prozent aller Deutschen eine neue und ethischere Wirtschaftsordnung, die den Schutz der Umwelt und den sozialen Ausgleich in der Gesellschaft stärker berücksichtigt. Wenn ein Unternehmen eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt, kann das also durchaus auch marketingrelevant sein.

Die Wertesicht auf Berührungsgruppen wie Lieferant*innen und Kund*innen schafft automatisch nachhaltigere und damit erfolgreichere Geschäftsbeziehungen. Der Einbezug der Mitarbeitenden – auch schon während der Bearbeitung der Gemeinwohl-Matrix – sorgt für eine höhere Identifikation, Loyalität und am Ende glücklichere Arbeitnehmer*innen.

Das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie ist dazu in der Lage, Unternehmen zukunftssicher, wirtschaftlich unabhängiger und erfolgreicher zu machen.

Viele Unternehmen sind aber nun einmal dem Wirtschaftsdruck ausgesetzt. Es geht darum, sich finanziell zu behaupten. Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern, damit die Orientierung am Gemeinwohl für alle Unternehmen attraktiv wird?

Je mehr Unternehmen gemeinwohl-orientiert sind, desto besser kann man sie vergleichen. Das kann in der Folge Kaufentscheidungen beeinflussen und Anreiz für staatliches Handeln bieten. Denkbar sind zum Beispiel positive Auswirkungen auf Steuern und Kreditvergabe, wodurch wiederum Produkte günstiger werden und so weiter.

Heute sind wir fest im kapitalistischen System verankert. So lange es Profiteure gibt, die sich an direkten und indirekten Machtpositionen befinden, solange wird sich ein Systemwechsel schwierig gestalten. Die gute Nachricht ist: Menschen durchschauen diese Zusammenhänge zunehmend. Sie wünschen sich Transparenz und Glaubwürdigkeit von Unternehmen. Es tut sich etwas.

Auch das Modell der Gemeinwohl-Ökonomie selbst kann ein Teil der erforderlichen Veränderung sein. Denn sie stellt sich nicht als Bestrafungssystem für Übeltäter auf, sondern schafft ein Anreizsystem, das nachhaltiges, gemeinwohlorientiertes Wirtschaften attraktiv macht.

Inwieweit hat sich die Gemeinwohl-Ökonomie schon etabliert?

Laila Zink und Bernhard Sirl, die Koordinator*innen der Regionalgruppe Regensburg.

Aus Österreich kommend, hat sich die Gemeinwohl-Ökonomie über Deutschland, die Schweiz, Italien und Spanien bis in die Benelux-Staaten, nach Großbritannien, Skandinavien und in osteuropäische Länder verbreitet. Mittlerweile ist sie bereits in den USA, Lateinamerika und in Afrika angekommen.

Mehr als 2.000 Unternehmen und Organisationen unterstützen die Bewegung aktiv und über 400 haben bereits eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt. Nicht nur ökologisch ausgerichtete Organisationen, auch Krankenkassen, Finanzunternehmen, Gemeinden und Bildungseinrichtungen finden sich in den Ansätzen der Gemeinwohl-Ökonomie wieder und haben bereits eine Bilanz erstellt.

Schon heute bilanzieren Gemeinden und öffentliche Einrichtungen nach der Gemeinwohl-Ökonomie und bewerten bei öffentlichen Ausschreibungen bilanzierende Unternehmen besser als solche, die keine Gemeinwohl-Bilanz aufweisen können.

Alleine in Bayern, das heißt dem Gemeinwohl-Ökonomie Bayern e. V. zugeordnet, haben sich in den aktuell 19 Regionalgruppen insgesamt 390 Mitglieder (davon 151 Unternehmen) organisiert, wovon 65 Organisationen eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt haben.

Daran anschließend die Frage: Wie ist die Gemeinwohl-Ökonomie derzeit organisiert?

Interessierte Menschen, Unternehmen und Gemeinden können Mitglied bei unseren Vereinen werden oder diese durch Spenden unterstützen. Die Vereine übernehmen alle rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten der Bewegung.

Hinter allen Vereinen stehen Regionalgruppen und/oder Akteur*innen-Kreise, in welchen sich die Aktiven zusammenschließen, die mitarbeiten und mitgestalten möchten. Interessierte Unternehmen und Gemeinden können Gemeinwohl-Bilanzen erstellen und so Pionier*innen der Bewegung werden.

Gemeinsame Entscheidungen treffen Vertreter*innen der Regionalgruppen und der Akteur*innenkreise bei der jährlichen Delegiertenversammlung.

Wie sieht die Arbeit der Regionalgruppen vor Ort aus und was bewirkt sie?

Die Aktiven leben, gestalten und verbreiten die Idee.

In regelmäßigen Regionalgruppentreffen kommt es zum internen Austausch, werden Projekte besprochen sowie Maßnahmen für die Öffentlichkeitsarbeit getroffen. Besonders wichtig sind die Regionalgruppen dafür, lokalrelevante Themen zu bearbeiten, Lösungen zu erarbeiten und auf kommunaler Ebene politischen Einfluss zu nehmen. Außerdem mobilisieren wir lokale Unternehmen und Organisationen und unterstützen sie bei der Einführung der Gemeinwohl-Ökonomie.

Ebenso findet auf Ebene der Regionalgruppen Bildungsarbeit statt, konkret über die Organisation oder das Ausrichten von Workshops und Vorträgen.

Zuletzt sind die Regionalgruppen die ersten Ansprechpartner für Interessierte, können Impulse und Ideen aus der Gesellschaft aufnehmen und so das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie bereichern.

Alleine das Hinterfragen des momentanen Wirtschaftssystems und von möglichen Alternativen kann in den persönlichen Kreisen Veränderung auslösen. Das Bewusstsein in der Gesellschaft schaffen, dass die Wirtschaft keinen Naturgesetzen folgt, sondern veränderbar ist. Die Summe der Arbeit aller Aktiven ist der Prozess, der die Gemeinwohl-Ökonomie formt und gestaltet.

Ergänzen Sie bitte: Im Jahr 2030 ist Gemeinwohl-Ökonomie …

… einen großen Schritt weitergekommen, auf dem Weg hin zu einer Zukunft, die sich an sozialen, ethischen und ökologischen Werten orientiert. Sie wird als zuverlässiger Indikator für verantwortungsvolles und nachhaltiges Wirtschaften verstanden und beeinflusst alle Beteiligten in ihren Entscheidungen, beispielsweise beim Konsum, bei der Auftragsvergabe und bei der Arbeitgeberauswahl.

Die Gemeinwohl-Ökonomie ist gleichermaßen in der Gesellschaft, der Bildung, der Politik und der Wirtschaft angekommen. Sie wird von einer breiten Basis ergebnisoffen und partizipativ weiterentwickelt.

Noch etwas, das Ihnen wichtig ist?

Als aktive Mitgestalter der Gemeinwohl-Bewegung sehen wir im Modell der Gemeinwohl-Ökonomie einen ganzheitlichen Ansatz. Durch seinen hohen Praxisbezug ist er in der Lage, das gegenwärtige Wirtschaftssystem vom Kopf auf die Beine zu stellen.

Dennoch ist es uns wichtig, zu betonen, dass es sich bei der Gemeinwohl-Ökonomie um einen Ansatz unter mehreren handelt. Es bestehen Anwendungsfälle, in welchen auch andere Modelle zu einem sehr guten Ergebnis führen können. Wir sind der Auffassung, entscheidender als die spezifische Systemwahl ist vielmehr die Veränderung an sich.

Dazu ein Zitat von Christian Felber: „Die Gemeinwohl-Ökonomie versteht sich als Facette im Zukunftsmosaik einer nachhaltigen, demokratischen und humanen Gesellschaft und Kultur.“

 

Mehr zur Gemeinwohl-Ökonomie gibt es unter www.ecogood.org.

 

Dieses Interview ist urheberrechtlich geschützt.

 

Ein Dorf, das nach der Gemeinwohl-Ökonomie arbeitet:

Herzogsägmühle – die Dorfgemeinschaft besonderer Art

 

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