von Oxana Bytschenko
Wenn Kindern ein Spielzeug zu Bruch geht, greifen sie manchmal in die Trickkiste. Sie versuchen, es zu verstecken – oder zu reparieren, damit der Schaden bloß nicht auffällt. Das Ergebnis: Das Versteck wird entdeckt oder die Reparatur macht den Schaden schlimmer. Die Menschheit ist in Bezug auf den Klimawandel wie ein Kind mit einem kaputten Spielzeug: Wir haben versucht, ihn zu verstecken und zu ignorieren; es ist uns nicht gelungen. Also versuchen wir den Schaden zu kitten und stellen uns dabei sehr unbeholfen an.
Diese Metapher kommt beim Lesen des neuen Buches von Elizabeth Kolbert oft in den Sinn. Die US-Autorin ist Pulitzer-Preisträgerin und schreibt für das renommierte Magazin „The New Yorker“. In ihrem Buch „Wir Klimawandler – wie der Mensch die Natur der Zukunft erschafft“ beschreibt sie die Bemühungen, den Klimawandel zu stoppen oder zumindest seine Folgen abzumildern. Dafür reiste Kolbert an viele Orte in den USA, Grönland und Australien. Sie sprach mit Gentechniker*innen, Biolog*innen, Klimaforscher*innen, Ingenieur*innen und Geoengineering-Unternehmen.
Klimawandler schauen Korallen beim Sex zu
„Flussabwärts“, „In die Wildnis“ und „In die Luft“ heißen die drei Kapitel des Buches. Elizabeth Kolbert steht mit ihrem Schreibblock bereit, wenn Menschen versuchen, einen seltenen Mini-Fisch zu retten, die Gene der giftigen Agakröte zu manipulieren, die Korallen beim Sex zu unterstützen und winzige Diamanten in die Stratosphäre zu schießen, um zumindest einen Plan B für den Weltuntergang zu haben. Es ist spannend und witzig zu lesen, auch wenn das Lachen oft im Hals stecken bleibt.
Doch die Intention der Autorin ist: Wir sollten alle Möglichkeiten in Erwägung ziehen, um den Planeten zu retten. Auch die verrücktesten. „Wir haben den Planeten schon so weit verändert, dass es weniger um die Beherrschung der Natur geht, als um die Kontrolle der Naturbeherrschung“, schreibt sie. Kolbert zeigt, wie absurd diese Handlungen anmuten. So lenken Menschen den mächtigen Mississippi um und bauen Deiche, sorgen aber genau durch dieses Eingreifen für noch mehr Probleme. Sie bringen Fische in Flüsse ein, die dann zu „invasiven Arten“ werden und zu Dünger verarbeitet werden müssen, weil niemand sie kauft.
Zu bequem für einen Umzug
Ein anderer Aspekt des Buches ist, dass die Menschen zu kurzfristig denken – und auch zu bequem sind. Das zeigt Kolbert sehr deutlich: Der Mensch verändert lieber alles um sich herum, als sich selbst zu verändern. In Louisiana wird dem Wasser künstlich Land abgetrotzt, was nach Prognosen maximal zehn Jahre hält. Dabei wäre eigentlich mehr Hochwasser sinnvoll, weil es Sand und Lehm mitbringen würde, das zu neuem Land werden könnte. Stattdessen hält man New Orleans trocken. Je mehr Wasser jedoch abgepumpt wird, desto schneller senkt sich die Stadt. Aber: Nichts zu unternehmen, würde bedeuten, dass die Menschen die Stadt aufgeben müssten. Und da kommt die Bequemlichkeit ins Spiel.
In diesem Sinne erfinden die Menschen auch lieber fluoreszierende Hühner, die ihr leuchtendes Gen nur an männliche Küken weitergeben. So kann man schon im Ei das Geschlecht erkennen. Sie pumpen lieber winzige Diamantenpartikel in die Luft, um die Erderwärmung zu stoppen. Dass diese mit der Zeit wieder zu Boden sinken würden und man deshalb immer größere Mengen nachschießen müsste, was den Himmel von Blau zu Weiß färben würde, wäre eine der Folgen. „Wir verpflichten dann die nachfolgenden Generationen, da weiterzumachen“, sagt Kolbert.
Dilemma der Klimawandler*innen: Helfen oder nicht?
Das Buch bringt zum Nachdenken und offenbart das Dilemma: Wenn wir nichts tun und der Natur nicht helfen – ist die Zukunft dann erst recht in Gefahr? Wenn wir aber eingreifen, können wir die Folgen trotz aller biologischen und physikalischen Gesetze nicht bis zum Ende abschätzen. Es bleibt also eine schwierige Abwägung, was zu tun ist. Oft ist es nur durch den Eingriff von Menschen möglich, die Natur zu retten. So wie im Fall der Meeresbiologin Ruth Gates, die Elizabeth Kolbert in Australien besucht: Sie hilft Korallen, mit den Veränderungen, die der Mensch verursacht hat, fertigzuwerden. „Assistierte Evolution“ nennt sie das.
Für Kolbert ist eine „Natur ohne Menscheneinfluss eine Illusion geworden“, wie sie im ZDF-Interview sagte. Am Beispiel von rohen Eiern macht sie es deutlich: „Man kann sie zerbrechen, aber sie nicht mehr zusammenbekommen.“
Ihr Buch strotzt vor Details. Kolbert ist bekannt für ihre mühsame Recherche. Oft geht die Detailliebe mit ihr durch: Zum Beispiel, wenn sie die Lage der Orte genauestens beschreibt, an denen sie recherchiert hat, oder das Aussehen ihrer Gesprächspartner*innen – inklusive Hund. Kolbert springt auch unvermittelt zwischen den Recherche-Orten, was das Lesen etwas mühsam macht. Und man fragt sich die ganze Zeit: Ja, und jetzt? Aber eine Antwort liefert die Autorin nicht. Wahrscheinlich mit Absicht: Jeder soll sich eigene Gedanken dazu machen.
Elizabeth Kolbert stellt in ihrem Buch immer wieder fest: Wir müssen die Verantwortung für unser Handeln übernehmen. Sie liefert eine Diagnose, aber die Behandlung müssen wir selbst übernehmen. Wenn wir die Metapher vom Kind mit dem kaputten Spielzeug noch einmal bemühen, wird klar: Die Menschheit sollte schnell erwachsen werden und die Probleme ernsthaft angehen.
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