von Isolde Hilt
Und plötzlich steht mein früherer Chef aus der Rundfunkbranche im Geiste wieder vor mir. Bereits Ende der 80er Jahre prophezeite er uns, dass wir irgendwann einmal gar nicht mehr selbst moderieren müssten. Dass man unsere Stimmen eins zu eins imitieren könne – dank neuer Technologien. Damals dachte ich mir: Was für eine Vorstellung! Was bleibt da noch von uns? Inzwischen sind wir nahezu so weit. Die Medien als informationsverarbeitende Branche – so zeigte der European Publishing Congress 2023 in Wien – befassen sich hoch konzentriert mit Künstlicher Intelligenz und wie sie am besten zu nutzen sei. Sie testen, experimentieren, sind fasziniert von ersten Abläufen, die Prozesse schneller und effizienter machen und wollen keinen Augenblick verlieren. Es gilt, den Anschluss zu behalten und weiter – am besten erfolgreich – zu bestehen.
Immer geballter ploppen sie auf – die Angebote, die das Leben mit Hilfe künstlicher Intelligenz vereinfachen sollen. „Content auf Knopfdruck: Spare Zeit, Geld und Nerven durch künstliche Intelligenz.“ „Online-Kurse mit Künstlicher Intelligenz aufbauen und vermarkten!“ „Erfolgreiches Marketing mit KI-Tools! Webinar live am …“ Und das ist erst der Anfang.
„Der Zug, den wir nicht verpassen dürfen“
Ladina Heimgartner, Head Global Media von Ringier und CEO der „Blick“-Gruppe in der Schweiz, gab als Keynote-Speakerin einen ersten Überblick. „Der Siegeszug der Künstlichen Intelligenz ist in wenigen Monaten bereits schneller als alles, was vorher war.“ Das Internet in den 2000er Jahren, Smartphone und Social Media in den 2010er Jahren hätten die Welt bereits gravierend verändert. Man denke nur an Tech-Giganten wie Amazon, Meta, Google und Co., die am Weltmarkt gewonnen hätten. Das alles sei aber noch vergleichsweise überschaubar gewesen. Die Auswirkungen, die uns jetzt mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz erwarteten, seien nicht wirklich zu erahnen, geschweige denn zu fassen. KI lüge zum Beispiel auch sehr selbstbewusst. Die Medien müssten dieses Mal wesentlich besser vorbereitet sein. „KI ist Realität. Es gibt nur den Weg nach vorn. Wir müssen uns mit den neuen Technologien arrangieren.“
So gab Ladina Heimgartner einige Empfehlungen mit auf den Weg, die sich nicht nur für Kolleginnen und Kollegen aus den Medien eignen:
Wir müssen Datenkompetenz haben und behalten. Die Menschen brauchen Marken, denen sie nach wie vor vertrauen können. Es gilt, Prozesse schonungslos anzusehen und zu prüfen, was KI tun kann und welche Aufgaben Menschen, die dadurch frei werden, übernehmen können. Ein starres Verständnis, dass alles, was nicht gleich auf Anhieb gelingt, ein Misserfolg ist, bringt nicht weiter. Vielmehr ist jetzt ein Umfeld gefragt, das eine Test- und Lernkultur gutheißt und vermeintliche Fehler als Lernerfahrung einstuft. Jeder Inhalt, der über KI erstellt worden ist, muss von einem Mensch überprüft sein und nach außen hin kenntlich gemacht werden. Medien müssen, mehr als je zuvor, auf ethische Werte achten.
Sich nicht auseinanderdividieren lassen, sondern verstehen, dass die Branche zusammenhalten muss, um diese immense Transformation zu bewältigen, ist das Gebot der Stunde.
Besonders wichtig, so Ladina Heimgartner, sei es, Regeln für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz verbindlich festzulegen. „In diesem Zusammenhang ist noch sehr viel rechtsfreier Raum. Das muss schnell geregelt werden, damit sich andere nicht bereichern.“
Am Ende ihres Vortrags knüpfte die Schweizer Medienexpertin ihre Hoffnung an die Menschen selbst: „Menschen suchen Menschen. Sie präferieren Menschen!“ Beziehung sei das Wesentliche. Und diese leben von Geschichten. „Beziehungen über längere Zeit aufbauen, das haben wir der KI voraus.“
Künstliche Intelligenz ist bei den großen Medien bereits im Einsatz
Etwa bei BurdaForward, das sich als digitales Medienhaus der Zukunft bezeichnet und sich dem lösungsorientierten Journalismus verschrieben hat. Ein Fixpunkt, berichtet Oliver Markert, ist der AI Tuesday. Jede Woche am Dienstag treffen sich 100 bis 150 Mitarbeiter*innen, um sich über Künstliche Intelligenz und die jüngsten Entwicklungen auszutauschen. Das Medienhaus legt damit ein Tempo vor, das viele andere erstaunen lässt. Bestimmte Themen können beispielsweise für unterschiedliche User*innen mit Hilfe von KI zielgruppenspezifisch aufbereitet werden.
Verena Krawarik ist von der Stabstelle Innovationsmanagement der Austria Presse Agentur (APA). „Die Künstliche Intelligenz wird uns nicht auffressen. Wir müssen die Technik der Maschinen verstehen.“ Die Nachrichtenagentur startete bereits 2019 mit automatisiertem Journalismus. KI sei hilfreich, um Texte barrierefreier, zugänglicher zu machen. Des weiteren habe man ein Tool entwickelt, um falsche Nachrichten und Bilder identifizieren zu können. Künstliche Intelligenz sei nützlich bei assistierenden Tätigkeiten, werde aber nicht dazu verwendet, um Inhalte zu erstellen. Nun stünden mit ChatGPT, Bard und Co. neue „Content-Automaten“ vor der Tür, um die wir nicht herumkommen. Von der kostenlosen Version von ChatGPT riet Verena Krawarik im Medienbereich ab, weil die Daten gleich wieder weiterverwertet würden. Ihr Tipp zum Schluss: „Das ist erst der Anfang. Dranbleiben ist das Gebot der Stunde.“ Wichtig sei auch, rechtliche Aspekte immer genau zu prüfen.
Künstliche Intelligenz wirft vor allem Fragen auf
Da ist einerseits die Begeisterung über schier unendliche Möglichkeiten, die sich mit KI in der Medienwelt auftun: wie etwa das personalisierte E-Paper, automatisierte Layouts, der Umbruch von Texten auf unterschiedliche Formate und Längen, ausgerichtet an unterschiedlichen Zielgruppen, dreidimensional erlebbarer Journalismus sowie eine enorme Zeitersparnis bei so vielen Abläufen. Und auf der anderen Seite – neben Fragen u. a. zu Datenschutz, Urheberrecht und Arbeitsrecht – die berechtigte Sorge: „Wird mich Künstliche Intelligenz ersetzen?“ Im Moment lautet die sich aus Hoffnung speisende Antwort: „KI wird dich nicht ersetzen. Eine Person, die KI zu nutzen versteht, wird es.“
So sieht das auch Andreas Arntzen, CEO beim Wort & Bild Verlag Deutschland. Der Verlag ist auf das Thema Gesundheit spezialisiert und erreicht monatlich an die 25 Millionen Menschen. Künstliche Intelligenz eröffne Dimensionen, die nicht mehr greifbar seien. Wie schnell wird sie die Welt verändern? Als vage Antwort gibt es nur die Erkenntnis, dass alle Veränderungen, die wir bisher erlebt haben, in immer kürzeren Zyklen gekommen sind. „Ich habe zu 70 Prozent Respekt vor dem, was wir noch gar nicht kennen. Wir brauchen eine Kultur, die das offen aufnimmt und sich mit KI auseinandersetzt.“ Andreas Arntzen hat seine Führungskräfte im Unternehmen mit der Bezahlversion ChatGPT ausgestattet, damit sie sich mit dem Thema befassen. Er will vor allem auch die Möglichkeiten sehen und nutzen: „Man muss alle Dinge ausprobieren, bevor man darüber spricht oder sich ein Urteil dazu bildet.“ Wer sich mit den neuen technologischen Möglichkeiten nicht auseinandersetze, bleibe außen vor. Seine Hoffnung: „Positionen gehen durch KI verloren, aber nicht unbedingt Arbeitsplätze.“ Gefragt sei, wer offen, neugierig, positiv, teilungsbereit bleibe.
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