Stell dir vor, du müsstest zehn Tage ununterbrochen schweigen. Nichts sagen, keine Ablenkung, dich nur auf den eigenen Körper konzentrieren und ihn so von tiefem Dreck reinigen – das ist das Prinzip der Vipassana-Meditation. Das klingt nach Entspannung, ist aber anstrengend. Isabel Maier-Harth (28) und Alexander Uschold (27) aus Regensburg haben diese Zehn-Tage-Schweigemeditation im Dhamma-Zentrum im sächsischen Triebel ausprobiert. Sie haben dabei erstaunliche Erfahrungen gemacht und sind auch an Grenzen gestoßen…
Interview: Florian Roithmeier
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Viele haben folgendes Bild vom Meditieren: Man setzt sich hin, schließt die Augen und entspannt sich. Ist das der Sinn von Meditation?
Isabel: Mit einer Entspannungsübung hat es nichts zu tun. Es geht darum, in das Unterbewusstsein des Körpers einzudringen und geistige Unreinheiten aufzulösen. Dabei beobachtest du deinen Körper – wobei du auch entspannen kannst.
Alexander: Zum einen konzentrierst du dich auf deine Atmung, zum anderen auf die Empfindungen deines Körpers. Egal, welche äußeren Einflüsse gerade auf dich einwirken: Du sollst dich immer wieder zurück auf deinen eigenen Körper besinnen.
Was hat euch dazu bewogen, zu meditieren?
Isabel: Eine gute Freundin hat mir immer wieder davon erzählt und mich neugierig gemacht. Ich kenne viele Entspannungstechniken und wollte etwas Neues ausprobieren, um zur Ruhe zu kommen und mich mit mir allein zu beschäftigen.
Alexander: Ich habe vor etwa zwei Jahren angefangen, achtsam auf den Körper zu sein. Das hat aber nicht so gut geklappt; meist habe ich nach einer Viertelstunde abgebrochen. Ich hatte auch keine richtige „Anleitung“. Warum ich konkret diese Schweigemeditation gemacht habe: Ich sah es als Herausforderung! Ich wollte testen, ob ich es schaffe, zehn Tage am Stück still zu sein.
Die Technik, die ihr angewandt habt, nennt sich „Vipassana-Meditation“. Wie funktioniert das?
Isabel: Zentrales Element ist das „Dhamma“, das Gesetz der Natur. Es sagt: Alles ist „anicca“ – alles ist vergänglich und unbeständig. Alles in einem selbst und in der Umwelt verändert sich ständig. Jede Wahrnehmung entsteht jede Millisekunde neu – und irgendwo verpufft sie wieder. Dein ganzer Körper ist in einem ständigen Wandel. Du kannst dich an nichts festhalten und nichts kontrollieren, denn dadurch entsteht Leid. Die Lösung ist, das zu erkennen, zu akzeptieren und alles mit Gleichmut, Gelassenheit zu behandeln, Dinge nicht zu bewerten. Jedes Gefühl, das kommt, geht auch wieder – weil alles „anicca“ ist.
Eigentlich eine traurige Einstellung…
Isabel: Dieser Gedanke kam mir während der Meditation auch. Was mache ich hier eigentlich, wenn eh alles vergänglich ist? Wenn ich seit meiner Geburt auf den Tod „zulaufe“? Der Sinn der Technik ist aber, den Körper nicht mehr reagieren zu lassen, sondern sich zu sagen: Ich entscheide mich, gleichmütig zu bleiben. Satya Narayan Goenka, ein führender Lehrer der Vipassana-Meditation, hat ein motivierendes Beispiel gebracht: Er erzählte, dass jemand stark verärgert auf ihn zukam. Dann entgegnete er: „Nein, ich nehme dein Geschenk nicht an! Ich möchte deinen Ärger nicht. Behalte ihn!“ Das kann man leicht in den Alltag übertragen. Wenn sich jemand bei dir aufregt oder dir ein schlechtes Gewissen macht, dann entgegne: „Nein! Das bleibt bei dir. Das sind deine, nicht meine Emotionen!“
Alexander: Wenn jemand wütend ist, ist es sein Problem. Ich muss nicht auf denjenigen reagieren.
Isabel: Selbstverständlich bewertet man während der Zehn-Tages-Meditation ständig. Du lernst aber, dir zu sagen: Das ist in Ordnung – aber ich schiebe den fremden Gedanken wieder weg, bewerte ihn nicht und konzentriere mich wieder auf meinen Körper. Mit der Meditation kannst du bis an die Tiefen deines Unterbewusstseins gelangen und auf Dauer Leid vermeiden.
Eignet sich so eine Meditation überhaupt für jedermann?
Isabel: Für Menschen, die psychisch labil sind, könnte es schwer werden. Denn vor allem als „Neuling“ leidet man anfangs ziemlich, hat aber keine Möglichkeit, sein Leid – wie man es im Alltag kennt – zu teilen. Die Meditation ist keine Anlaufstelle für Personen, denen es gerade schlecht geht. Dort arbeiten keine Psychiater oder Psychologen. Du sollst nach Möglichkeit zehn Tage mit dir selbst auskommen und bereit sein, nicht ständig umsorgt zu werden.
Alexander: Die Meditation kann jedem etwas bringen, ob jung oder alt, fit oder schwach. Ich habe mit einigen Vätern geredet, die 60 bis 70 Jahre alt waren. Sie wollten das unbedingt ausprobieren, weil ihre Söhne sie überzeugt hatten. Das fand ich sehr beeindruckend.
Aber im Alltagsstress noch so viel Zeit fürs Meditieren opfern…?
Alexander: Es sind zehn Tage, die man anders nutzen könnte, ja. Aber du bekommst auch etwas zurück. Du wirst ruhiger im Alltag. Es ist eine Bereicherung.
Isabel: Ich war zuerst nicht bereit, meine Urlaubstage dafür zu opfern. Aber irgendwann fühlte ich, dass ich es unbedingt machen möchte. Der Wille war sehr stark. Vom Gefühl her würde ich sagen, dass es immer mehr Menschen gibt, die so etwas gezielt suchen. In meinem Freundeskreis fragen mich immer mehr danach, obwohl ich nie ausführlich darüber berichtet habe.
Eure Meditation dauerte zehn Tage. Ist das für den Einstieg nicht etwas heftig?
Isabel: Die Vipassana-Technik sagt, dass zehn Tage Minimum sind. Diese Zeit brauchst du, um etwas aus dem Kurs mitzunehmen. Ursprünglich sagte die Lehre, dass man sich mehrere Monate Zeit nehmen musste. Aber das war nicht alltagstauglich. Deshalb wurde die Meditierzeit auf zehn Tage reduziert. Man soll ein Drittel der Gesamtzeit nutzen, um den Atem zu beobachten, das ist die Anapana-Meditation. Die restlichen zwei Drittel widmest du dich dann der Vipassana-Meditation.
Nun zu eurem konkreten Erlebnis: Wie lief die Meditation genau ab?
Isabel: Ich war die Tage vorher sehr aufgeregt und nervös. Du darfst nichts mitnehmen, was dich ablenken kann. Dein Handy musst du vor Ort abgeben. Männer und Frauen sind getrennt, um jegliche sexuelle Kontakte zu unterbinden. Nicht einmal Blickkontakt ist erlaubt. Zwar passiert das manchmal automatisch – aber du darfst es eben nicht bewerten bzw. darauf reagieren.
Alexander: Du sollst dich so fühlen, als wärst du alleine da. Du sollst niemand anderen stören – und wenn dich jemand stört, ignoriere es. Bevor es richtig losgeht, erhältst du eine praktische Einweisung, wie du mit den anderen Leuten umzugehen hast. In unserer Gruppe waren etwa 120 Personen, 60 Männer und 60 Frauen. Im Zimmer ist man als Meditationsanfänger zu viert. Das Organisatorische muss im Voraus geklärt werden, zum Beispiel, wer wann lüftet oder duscht. Später ist reden oder auch Notizen machen nicht mehr erlaubt, genauso wie Musikinstrumente, Bücher, Sport, gewohnte religiöse Praktiken und so weiter. Um vier Uhr morgens ertönt der Gong. Der Meditationstag beginnt…
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Wie Alexander und Isabel die Vipassana-Meditation erlebt haben, an welche Grenzen sie dabei gestoßen sind und was sie für ihren Alltag mitnehmen, lest ihr hier!
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Eine Antwort
Im fernen fernen Thailand und als die gute Freundin, die Isabel vom Meditieren berichtet hat, hab ich dss Interview natürlich mit viel Interesse gelesen und finde es sehr gelungen. Ihr habt richtig was mitgenommen aus dem Kurs! Cool! Und es wird mit jedem Kurs klarer und klarer, warum man diese 10 Tage „opfern“ sollte. Be happy!
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