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Sucht: Entscheidend ist, dass ich davon wirklich loskommen will

Sucht- und Präventionsexperte Reinhold Langner: „Ab einem gewissen Zeitpunkt weiß ich als Abhängiger, dass ich ein Problem mit dem Suchtmittel habe.“
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Interview: Isolde Hilt

„Großer Geist, bewahre mich davor, über einen Menschen zu urteilen, ehe ich nicht eine Meile in seinen Mokassins gegangen bin“, lautet ein indianisches Sprichwort. Wenn jemand Leid erfahren hat oder eine schwere Krankheit durchmacht, wird ihm am ehesten jemand beistehen können, der Ähnliches durchlitten hat. Auch jede Form von Abhängigkeit – im offiziellen Sprachgebrauch der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 1957 bis 1964 als „Sucht“ bezeichnet – verursacht oft großes Leid und macht krank. Reinhold Langner, Trainer und Coach mit den Schwerpunkten „Kommunikation“ (Marketing, Verkauf) und „Aktives Leben“ ist des weiteren Experte für Sucht- und Präventionsarbeit. Er ist, wie er eingesteht, selbst alkoholabhängig, erkannte jedoch schon in jungen Jahren, mit 29, dass Alkohol kein Freund ist. Seit über drei Jahrzehnten lebt er abstinent. Das, was er selbst an Hilfe erfahren durfte, gab er anschließend dankbar zurück. Worauf es ankommt, wenn man sich von einer Sucht befreien will, skizziert er hier.

 

Du hast für dich erkannt, dass Alkohol kein Freund ist und den Weg aus der Sucht geschafft. Damit war das Thema für dich aber nicht vorbei…

Stimmt. Ich war viele Jahre in der Suchtselbsthilfe aktiv und leitete einen Verband mit ca. 55 Selbsthilfegruppen. Als Projektleiter der ARuS begleite ich im wissenschaftlichen und ärztlichen Umfeld das Thema als Praktiker. Das Thema Sucht ist in unserer Gesellschaft, in Unternehmen, in Familien präsent. Ich kenne es aus eigener, praktischer Erfahrung. Durch meine Tätigkeiten habe ich vielen Menschen den Weg aus der Sucht gezeigt und sie dabei begleitet. Ich selbst habe das auch so erfahren dürfen. Ich gebe das, wenn es erforderlich ist, gerne wieder zurück.

 

Sucht- und Präventionsarbeit wird nicht so oft im Coaching- und Trainingsbereich angeboten, ist aber sicher ein großes und eher ein Tabuthema. Was ist für dich Sucht?

Etwas einzusetzen, um mich, mein Bewusstsein zu verändern. Unabhängig, ob es stofflicher Art ist wie Alkohol, Medikamente, Drogen oder nichtstofflicher Art wie Kaufen, Internet, Sex, etc.

 

Im Wort „Sucht“ steckt das Wort „suchen“. Wenn ich etwas suche, fehlt mir etwas oder ich vermisse es schmerzlich. Ist das ein Weg, das, was hinter einer Sucht steckt zu ergründen?

Meine Interpretation und Erfahrung gehen hier doch weiter in die Tiefe: Grundsätzlich ist in jedem von uns all das angelegt, was uns glücklich und zufrieden macht. Viele jedoch von uns haben – aufgrund von Erziehung, der Gesellschaft, des Jobs, der Medien – vergessen oder verlernt, was wir eigentlich wirklich, wirklich wollen. Wir leben im Außen. Wir orientieren uns an Dingen wie Geld, Nachbarn, wünschen uns eine wunderbare Beziehung, Freunde, ein tolles Auto, Haus und so weiter. Sucht ist letztendlich eine Verdrängung unseres ureigensten Seins, sich diesem zu stellen und dieses zu leben. Mit einem Suchtmittel versuche ich nichts anderes als mich selbst zu täuschen. Drogen wie zum Beispiel Alkohol sind gesellschaftsfähig. Das ist gerade bei Jugendlichen ein großes Thema. Es ist also „in“ und auch wichtig, mitzutrinken, um dazuzugehören. Es macht locker und enthemmt …

 

Du hast auch mit Jugendlichen zum Thema Sucht gearbeitet. Wie kam es dazu?

Die Arbeit mit Jugendlichen ist eines meiner Ziele und Visionen. Die Jugend ist unser aller Zukunft. Ich spreche die Sprache der Jugendlichen und erreiche sie. In der Vergangenheit habe ich viel mit Jugendlichen gearbeitet, die aus Familien Suchtkranker stammen. Aktuell kommt der Kontakt meist über Familien und Eltern zustande, die dem Jugendlichen und seinem Suchtthema hilflos gegenüberstehen.

 

Es gibt ja nicht nur die eine Sucht. Welche sind die häufigsten Süchte, denen Jugendliche erliegen?

Doch, es gibt für mich eine einzige Sucht. Es gibt hingegen verschiedene Suchtmittel. Es gibt auch unterschiedliche physische und psychische Auswirkungen, abhängig vom Suchtmittel.

 

Wie gehst du die Arbeit in der Praxis an? Nähert man sich behutsam? Arbeitet man eher konfrontativ?

Das ist von Fall zu Fall verschieden. Die Anforderungen und Wünsche kommen auf mich zu. Wer mich kennt, weiß auf jeden Fall: Ich bin ein Freund der Klarheit und Direktheit.

 

Ich vermute, dass sich die wenigsten bewusst sind, welchen Grund ihre Sucht hat. Schmerzhafte Ursachen verdrängt man ja oft genug bis zur Perfektion. Wie kann man, wenn etwas Großes wie eine schwere Traumatisierung dahintersteckt, diesem komplex Gewachsenen begegnen?

Kaufsucht zählt zu den substanzungebundenen Abhängigkeiten. Betroffene sind nicht von einer Substanz wie Alkohol, Medikamente oder Zigaretten abhängig, sondern von einem bestimmten Verhalten.

Ab einem gewissen Zeitpunkt weiß ich als Abhängiger, dass ich ein „Problem“ mit dem Suchtmittel habe. Entscheidend ist, dass ich davon „los“-kommen will. Klar gilt es, die Hintergründe aufzuarbeiten, dies entsprechend den Notwendigkeiten. Und diese reichen von Einzelgesprächen, begleitendem Coaching im Leben über Selbsthilfegruppen bis hin zu einer Therapie oder einem Klinikaufenthalt.

 

Musst du dafür nicht auch Therapeut sein? Oder arbeitest du da mit einem Netzwerk aus Fachleuten zusammen?

Die eigene Erfahrung mit mir, meinem Weg und den Erfahrungen mit anderen Menschen führen zu einer Menschenkenntnis, die meine Arbeit ermöglicht und geschehen lässt. Der zweite Bereich ist das Zwischenmenschliche: Der oder die Klient*in und ich – das muss passen, ansonsten wird nichts funktionieren. Und ja, ich bin in ein Netzwerk von Fachleuten eingebunden, an das ich verweise.

 

Tun sich Betroffene schwer, sich dir zu öffnen?

Wenn sich jemand von seiner Sucht trennen will, ist es ihm egal, was passiert, was er dafür tun soll und muss … Er wird es tun. So war es auch bei mir. Es gab den Punkt, an dem ich wusste, so will und kann ich nicht mehr weitergehen. Ich tue alles, was hilft, um davon loszukommen.

 

Kannst du bitte so einen Prozess, wenn du mit einem betroffenen Menschen arbeitest, an einem Beispiel erläutern?

So ein Prozess verläuft so individuell wie das jeweilige Leben. Hier pauschal etwas zu schildern, funktioniert nicht. Genauso wenig würde es helfen, ein Denkmodell aufzusetzen, das dann als generelle Vorgehensweise gesehen wird. Entscheidend für mich ist die Wertschätzung jedes Einzelnen. Ihm die Hand zu reichen, Hilfe annehmen zu dürfen und auch zu können. Das sind die ersten Schritte.

 

Wie kann man möglichst effektiv sein Suchtverhalten ändern? Wie kommt man von einer Sucht los?

Indem ich es wirklich, wirklich will.

 

Eltern spielen im Leben ihrer Kinder eine wichtige Rolle. Oft bekommen sie erst sehr spät mit oder wollen es nicht realisieren, dass ihr Kind einer Sucht erliegt. Wie können Eltern dieser Hilf- und Ratlosigkeit begegnen?

Aus dem Helfen heraus und hinein in ein „Für sich selbst etwas tun“. Kinder werden ge- und beschützt, was ja ganz natürlich ist. Auf jeden Fall Hilfe suchen, zum Beispiel bei Selbsthilfeverbänden, Selbsthilfegruppen für Mitbetroffene, bei Beratungsstellen von kirchlichen Organisationen und Gemeinden. … Oder mich anrufen bzw. anschreiben.

 

Was können Freund*innen, Schulkamerad*innen oder Kolleg*innen am Arbeitsplatz tun, wenn sie feststellen, dass jemand in ihrem Umfeld ein Suchtproblem hat?

Ansprechen – direkt und klar, höflich und wertschätzend.

 

Noch ein Tipp zum Schluss …?

Sucht ist in uns allen angelegt. Viele Süchte wie zum Beispiel Alkoholsucht, sind eine Krankheit, die einen lebenslang begleitet. Wichtig ist, dass man wirklich davon loskommen will. Entscheidend dafür ist, Hilfe anzunehmen und die Hilfsangebote umzusetzen. Niemand ist dabei alleine.

 

 

Sucht und Drogen • Problematik in Deutschland

„Nach repräsentativen Studien (insbesondere Epidemiologischer Suchtsurvey 2015) rauchen 14,7 Millionen Menschen, 1,8 Millionen Menschen sind alkoholabhängig. Schätzungen legen nahe, dass 2,3 Millionen Menschen von Medikamenten abhängig sind. Rund 600.000 Menschen weisen einen problematischen Konsum von Cannabis und anderen illegalen Drogen auf. Gut 500.000 Menschen zeigen ein problematisches oder sogar pathologisches Glücksspielverhalten. Auch eine exzessive Internetnutzung kann zu abhängigem Verhalten führen: Es ist davon auszugehen, dass in Deutschland etwa 560.000 Menschen onlineabhängig sind.“

Quelle: Bundesministerium für Gesundheit https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/sucht-und-drogen.html

 

 

Reinhold Langner

Trainer und Coach mit den Schwerpunkten Kommunikation (Marketing, Verkauf) und Aktives Leben:

„Kommunikation – hier meine ich nicht nur miteinander reden – ist die Voraussetzung des Umgangs mit sich selbst und seinem Umfeld. Kommunikation lebe ich, bin ich und vermittle ich Menschen und Unternehmen. Aktives Leben – zu wissen und das zu leben, was ich wirklich will – ist das Ziel und der Wunsch von uns allen.“

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Weiterführende Infos:

https://arus.spitzen-praevention.com/arus-ist/

http://www.rlangner.net/

 

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