von Isolde Hilt
Selten stand eine Europawahl so im Mittelpunkt wie in diesem Jahr. Manchmal scheint dieses Europa eine hoch explosive Mischung geworden zu sein. Nur selten hört man, was in der Europäischen Union gut läuft. Viele Menschen scheinen diesem Staatenverbund gegenüber skeptisch zu sein. Die Erschütterungen gerade in den letzten Jahren haben verstärkt dazu geführt, dass sich viele von einem Konstrukt abwenden, das sich zu wenig greifbar, geschweige denn vertraut und sicher anfühlt. Warum also wählen gehen?
Der Brexit, die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, der Umgang mit Menschen auf der Flucht, Korruptionsskandale, Staaten, die zwar Mitglied sind, sich aber nicht an die Ziele und Werte der EU halten wollen, unzählige Lobbygruppen, die auf Europa-Abgeordnete in Brüssel Einfluss nehmen … Vielen Unionsbürgerinnen und -bürgern erschließt sich dieses komplexe politische Gebilde nicht wirklich. Und so wendet man sich leicht ab. Wer will schon die ganze Zeit mit etwas konfrontiert sein, das so kompliziert und oft wenig transparent ist? Doch dieses Mal sind wir alle gefragt, mehr denn je, jede und jeder Einzelne.
Europa, da ist auch noch die andere Seite
Wenn etwas zu verworren wirkt, ist es oft hilfreich, ein paar Schritte zurückzutreten und sich zu erinnern, wie die Europäische Union ihren Anfang nahm: u. a. mit dem Bekenntnis aller Mitgliedstaaten zu Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Und es gibt den Wunsch, der insbesondere aus den Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg resultiert: nie wieder Krieg in Europa. Europa soll ein sicherer und friedlicher Kontinent sein.
Weitere Ziele sind die Beseitigung von Armut, der Schutz der Umwelt und ihre Verbesserung, die Förderung von sozialer Gerechtigkeit und sozialem Schutz. Die Gleichstellung von Frauen und Männern und der Schutz der Rechte von Kindern sind ebenso festgehalten wie das Wohlergehen aller Bürgerinnen und Bürger.1 Ist es nicht das, was eine Demokratie ausmacht, was wir uns alle für unser eigenes Leben wünschen?
Viele Vorzüge, die wir in diesem Staatenverbund genießen, sind uns oft gar nicht bewusst. Wir können z. B. frei und ungehindert reisen, in anderen EU-Ländern leben, eine Ausbildung machen oder arbeiten – zu denselben Bedingungen wie die Staatsangehörigen in dem jeweiligen Land. Einen gut verständlichen Überblick, wie sich die EU in unserem Alltag auswirkt und was wir davon haben, gibt es z. B. hier (s. u.2).
Europawahl 2024: Nicht wählen bedeutet, die Entscheidung anderen überlassen
Die Europawahl findet alle fünf Jahre statt und zählt zu den größten demokratischen Wahlen weltweit. Auch das ist – im internationalen Vergleich besehen – ein Privileg, das nicht selbstverständlich ist. Laut Angaben des deutschen Bundesministeriums des Innern und für Heimat sind 66 Millionen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland am 9. Juni 2024 wahlberechtigt, darunter zum ersten Mal auch junge Menschen ab 16 Jahren.3 Aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte entsendet Deutschland mit 96 Abgeordneten die meisten Vertreter*innen in das Europäische Parlament (mit voraussichtlich 720 Abgeordneten in der neuen Legislaturperiode).4 Eine Verantwortung, die wir mit Bedacht wahrnehmen sollten. Gehen wir nicht wählen, überlassen wir anderen die Entscheidung und die Macht – am meisten denjenigen, die die Demokratie nutzen, um sie auszuhebeln.
Europa, was können wir tun?
Ja, Europa ist nicht rosarot. Und es gibt so vieles, das neu in den Blick genommen und angegangen werden muss. Wir sollten uns jedoch auch bewusst sein, dass sich viele Aufgaben schon lange nicht mehr national lösen lassen, weil sie zur globalen Frage geworden sind. Umwelt- und Klimaschutz, Menschenrechte, Ernährung, Bildung … Wir sind weltweit so eng miteinander verwoben und voneinander abhängig, dass wir nur gemeinsam und auf Augenhöhe Lösungen finden können.
Lähmungserscheinungen, durchzogen mit einer großen Angst vor der Zukunft, lassen wir nur hinter uns, indem wir selbst wieder aktiv werden. Indem wir aufeinander zugehen, uns erneut annähern, einander zuhören, uns einbringen mit dem, was wir können. Indem wir lernen, mit anderen Meinungen, die sich nicht mit unseren decken, umzugehen. Lasst uns nicht an zunehmende Acht- und Interesselosigkeit, an Geringschätzung anderer, an Gewalt und ein sich mehr und mehr Abkapseln gewöhnen.
Wir sollten wieder mehr das Gespräch suchen mit Politiker*innen, Gremien, Organisationen, Menschen, die sich für etwas engagieren. Gewalt und Hass haben unübersehbar zugenommen. Bringen sie die Lösung? Nein. Sie führen zu noch mehr Hass, Gewalt und „Blasenbildung“. Diese Blasen halten uns von der Vielfalt des Lebens ab. Doch genau diese Vielfalt brauchen wir jetzt, um den Blick zu weiten und Lösungen aus verfahrenen Situationen zu finden.
Wie soll Europa in Zukunft sein? Es liegt an uns
Ja zu einem gemeinsamen Europa in Frieden und Freiheit. Auf Augenhöhe, in denen die Ziele und Werte, auf deren Grundlage sich die Europäische Union einst bildete, mit Leben gefüllt sind. Und ich wünsche mir, auch von mir selbst, dass wir uns alle einbringen. Das gibt Europa ein Gesicht, das weltweit Vorbild sein kann.
1 Mehr zu Zielen und Werten der Europäischen Union: https://european-union.europa.eu/principles-countries-history/principles-and-values/aims-and-values_de
2 Vorteile, die Bürger*innen der EU haben: https://op.europa.eu/webpub/com/eu-and-me/de/HOW_IS_THE_EU_RELEVANT_TO_YOUR_DAILY_LIFE.html
3 Infos zur Europawahl: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/schwerpunkte/DE/europawahl-2024/landingpage-europawahl-2024.html
4 Infos zur Europawahl: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw01-europawahl-984094
Und hier noch eine Seite mit hilfreichen Infos zur Europäischen Union, zur Europawahl in leicht verständlicher Sprache: https://www.hanisauland.de/wissen/kalender-allgemein/kalender/europawahl-2024
Dieser Beitrag ist urheberrechtlich geschützt.
Deine Daten werden verschlüsselt übertragen. Deine IP-Adresse wird nicht erhoben.
Infos zum Datenschutz