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Weltschmerz:

Ein längst bekanntes Phänomen

Vor zwei Jahrhunderten prägte Jean Paul den Begriff Weltschmerz und trifft damit ziemlich genau den Nerv unserer Zeit.
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von Gerda Stauner

Vor zweihundert Jahren prägte der aus Wunsiedel stammende Dichter Jean Paul den mittlerweile gängigen Begriff Weltschmerz. Für ihn stand dieses Wort für ein Gefühl der Trauer und schmerzhaft empfundener Melancholie, das jemand über seine eigene Unzulänglichkeit empfindet, die er zugleich als Teil der Unzulänglichkeit der Welt oder der bestehenden Verhältnisse betrachtet.

1984, vor ziemlich genau vierzig Jahren, setzte dann die englische Poetin und Musikerin Anne Clark dem ursprünglich deutschen Begriff mit ihrem gleichnamigen Hit Weltschmerz ein musikalisches Denkmal. Ob als Stilmittel in der Popkultur des 20. Jahrhunderts oder als literarischer Ausdruck einer Geisteshaltung in der Romantik, es steckt immer ein Gefühl der Machtlosigkeit hinter dem Begriff, dem wir alle wohl schon einmal begegnet sind. Doch wie schaffen wir es heute, dem lähmenden Eindruck der Hilflosigkeit im Angesicht der weltweiten Krisen zu entkommen und positiv zu denken? Denn trotz der gravierenden Herausforderungen unserer Zeit zuversichtlich zu bleiben, ist manchmal gar nicht so einfach.

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Diese Woche saß ich mit einer guten Freundin bei einem Kaffee zusammen und wir sprachen über Nachrichten. Sie meinte, sie bekäme von all den schrecklichen Meldungen Albträume und verzichte mittlerweile ganz darauf, sich Nachrichtensendungen anzusehen. Als wir uns weiter darüber unterhielten, wo weltweit gerade kriegerische Konflikte schwelten, wo humanitäre Hilfe nicht wirklich ankam und Menschen in Krisengebieten ohne Unterstützung leben mussten, war unsere Stimmung trotz des sonnigen Wetters ganz schnell abgekühlt. Aber dann sagte meine Freundin einen Satz, der noch lange in mir nachhallte: „Trotzdem glaube ich an das Gute im Menschen und bleibe optimistisch, dass wir das als Gemeinschaft irgendwie hinkriegen.“

 

Umschalten, aber wie?

Zuerst war ich sprachlos, dann ließ ich mich von der Zuversicht meiner Freundin anstecken und der Ton unserer Unterhaltung veränderte sich. Wir sprachen plötzlich nicht mehr von Kriegen, Hungersnöten oder systematischen Menschenrechtsverletzungen. Vielmehr erinnerten wir uns daran, dass wir hier in Deutschland, im Gegensatz zu vielen anderen Menschen weltweit, in Frieden leben dürfen. Auch wenn nicht immer alles perfekt läuft, haben wir ein funktionierendes Sozialwesen und ein ausreichendes Gesundheitssystem, können unsere Kinder in die Schule schicken und ihnen eine Ausbildung mit auf den Weg geben. Das Umschalten von trübseligem Weltschmerz auf konstruktive Zuversichtlichkeit hätte ich in diesem Moment wohl nicht ohne den Impuls meiner Freundin geschafft. Und dabei bin ich vermutlich nicht die Einzige, die sich nur schlecht aus dem Sumpf negativer Nachrichten befreien kann. Woran liegt es also, dass wir uns oft schwertun, Licht am Ende eines dunklen Tunnels zu sehen?

 

Weltschmerz führt zu Hilflosigkeit

Die Wissenschaft hat herausgefunden, dass unser Gehirn all die negativen Nachrichten, die täglich auf uns einprasseln, oft nicht fassen oder gar verarbeiten kann. Wir bleiben mit einem Gefühl der Ohnmacht zurück und verlieren unsere Reaktionsfähigkeit. Die Neuropsychologin Alexandra Marold-Sattler erklärte im Hinblick auf den Ukrainekrieg vor einiger Zeit im Interview mit der Zeitung Der Standard: „Was aktuell passiert, ist im wahrsten Sinne des Wortes unvorstellbar … Viele stellen sich die Frage, was man persönlich jetzt tun kann.“ Ihr Antwort ist auf den ersten Blick ernüchternd: „Unsere üblichen Problemlösungsstrategien greifen beim Blick auf das Weltgeschehen nicht mehr, das führt zu Hilflosigkeit.“

Sich angesichts von schlechten Nachrichten machtlos fühlen, das kennen sicher viele von uns. Alexandra Marold-Sattler führte im Interview weiter aus, dass Stresshormone, die aufgrund von negativen Meldungen ausgeschüttet werden, dafür verantwortlich sind. Adrenalin oder Noradrenalin lähmen unsere Emotionen. „Wir Menschen haben gerne die Kontrolle und mögen es, Situationen beeinflussen zu können. Wenn uns das genommen wird, kostet das massiv emotionale Ressourcen“, erklärte sie weiter.

 

Schluss mit der Weltuntergangsstimmung

Doch nicht nur unsere eigenen Hormone sind an der schlechten Stimmung schuld. Die Neurowissenschaftlerin und Autorin Maren Urner macht in ihrem 2019 erschienen Buch „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang“ unter anderem auch die Medien für die negativen Tendenzen im Land verantwortlich. Diese würden zu oft ein einseitiges und negatives Weltbild zeigen. Urner hat am University College in London daran geforscht, wie unser Gehirn auf reißerische Überschriften, Skandale und Missstände reagiert. Sie fand heraus, dass die Nachricht über ein Ereignis, etwa der Anschlag auf den Boston-Marathon, oft anstrengender zu verarbeiten sei als das eigene Miterleben dieses Ereignisses.

 

Aktiv gegen Weltschmerz

Das alles führt dazu, dass wir manche Zustände als schlechter empfinden, als sie tatsächlich sind. Um dem zu entgehen, kann man zum Beispiel seinen Nachrichtenkonsum einschränken. Dabei hilft, das Handy öfter wegzulegen und nach draußen in die Natur zu gehen. Offline zu sein, bedeutet nicht gleichzeitig, dass man sich für das Weltgeschehen nicht mehr interessiert. Pausen sind wohltuend und wichtig, um wieder Zuversicht zu schöpfen und positiven Gefühlen Raum zu geben. Oder man sucht sich Gleichgesinnte für ein Projekt oder ein Ziel, das man erreichen möchte. Man kann sich dafür einsetzen, dass Parkplätze vor der eigenen Haustür zu einem Spielplatz für die Kinder im Viertel umgestaltet werden. Oder man sammelt Sachspenden für Geflüchtete, wird in einem Nachbarschaftsverein aktiv und knüpft Kontakte. Auch kleine Projekte können dabei helfen, sich bewusst zu machen, dass man wieder handlungsfähig ist und es trotz aller Krisen weitergeht.

Meine Freundin, von der ich mich nach unserem Treffen gutgelaunt verabschiedete, gab mir noch einen weiteren Tipp mit auf den Weg. Wenn ich das nächste Mal kurz davor bin, im Weltschmerz zu versinken, solle ich mir folgenden Satz immer wieder vorsagen: „Auch das geht vorbei.“ Um die Wirkung zu unterstützen, hilft es, bei jedem Wort den Daumen mit je einem anderen Finger zusammenzubringen. Wenn du also irgendwann jemanden siehst, der mantraartig murmelt „Auch das geht vorbei“ und dabei mit den Fingern komische Verrenkungen macht, dann könnte das ich bei dem Versuch sein, meinem Weltschmerz zu entkommen.

 

 

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