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Willkommen in der Human Library

Bei dieser dänischen Organisation kann man sich Menschen statt Bücher „ausleihen“. Und sich seinen eigenen Vorurteilen stellen.
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von Kristin Frauenhoffer

Menschen treffen, die mit einem Stigma leben und ein ehrliches Gespräch mit ihnen führen. Das ist die Human Library. Foto: The Human Library

„Ich gehöre zu einer Gruppe, die schnell stirbt“, sagt die 81-jährige Yoka. Das ist ein Grund, warum sie ihre Geschichte erzählen möchte. Sie ist eine Holocaust-Überlebende und war im November das „Buch des Monats“ in der Human Library. Yoka ist ein menschliches „Buch“ in der ungewöhnlichsten und faszinierendsten Bibliothek der Welt: der Human Library.

Dort kann man Bücher ausleihen, wie in jeder anderen Bibliothek auch. Der Unterschied ist jedoch, dass die „Bücher“ lebendige Menschen mit persönlichen Geschichten und Erfahrungen aus ihrem eigenen Leben sind. Ziel ist es, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem sich Menschen treffen, über Tabus sprechen und Vorurteile abbauen können. Und zu entdecken, dass wir alle gar nicht so verschieden sind.

Sich den eigenen Vorurteilen stellen – in einem sicheren Rahmen

Entwickelt haben die Human Library der Journalist und Sozialunternehmer Ronni Abergel und seine Kolleg*innen von der dänischen Organisation „Stop Volden“ (Stoppt die Gewalt). Organisiert wurde die Aktion im Rahmen des beliebten Roskilde-Festivals im Jahr 2000. Die Idee war, Menschen einzuladen, die aufgrund ihrer Identität, ihres Lebensstils, Berufs, sozialen Status, ihrer religiösen Überzeugung, Sexualität, ethnischen Herkunft oder Ähnlichem stigmatisiert, diskriminiert oder mit Vorurteilen konfrontiert werden. Und diese dann mit anderen Menschen zusammenzubringen, um eine echte Diskussion zu beginnen, bei der alle Fragen gestellt werden dürfen. „Jeder hat Vorurteile, aber nicht jeder hat die Möglichkeit, in einem sicheren Rahmen herauszufinden, ob das, was wir über andere Menschen glauben, wahr ist. Das ist der Kern dessen, was die Human Library bietet“, sagt Ronni Abergel.

Bei jedem Event kann man zwischen verschiedenen Titeln wählen. Foto: Human Library

Obdachlos, geflüchtet, bisexuell … Alle Fragen dürfen gestellt werden, besonders die tabuisierten

Die Human Library gibt also nicht nur marginalisierten Gruppen – ihren „Büchern“ – eine Plattform, um ihre Erfahrungen zu teilen. Gleichzeitig schafft sie auch Chancen für alle anderen. Zunächst einmal zu entdecken, dass man Vorurteile hat und diese dann hoffentlich aufzulösen. „Ich schäme mich wirklich, dass ich diese Leute vorher verurteilt habe. Das tut mir sehr leid“, sagt ein Besucher einer Veranstaltung in der Human Library. Während wir in unserem Alltag normalerweise nie die Gelegenheit haben, offen mit jemandem aus einer Randgruppe zu sprechen, bietet die Human Library einen sicheren Raum für alle Fragen. Dabei ist es nicht nur erlaubt, Tabus anzusprechen, sondern ausdrücklich erwünscht.

„Es ist ein Ort, an dem sich der Leser oder die Leserin mit einem völlig Fremden zusammensetzen kann, der freiwillig Fragen darüber beantwortet, ob er obdachlos, ein Flüchtling, bisexuell, muslimisch, behindert, HIV-positiv oder ein Polizist ist“, erklärt Geschäftsführer Ronni Abergel. Die Organisation versteht ihre Mission als einen Beitrag zu mehr Empathie, Respekt und Verständnis für die Vielfalt in der Gesellschaft.

Human Library Events finden an verschiedensten Orten statt, auch online

Die Leser*innen können die Bücher bei verschiedenen Veranstaltungen der Human Library kennenlernen. Diese finden entweder in öffentlichen Bibliotheken, Unternehmen und Bildungseinrichtungen wie Grundschulen, Gymnasien und Universitäten oder auf Konferenzen und Festivals statt. Normalerweise dauert ein Gespräch, „eine Ausleihe“, etwa 20 bis 30 Minuten. Manchmal kann man auch an Gruppenlesungen teilnehmen. Die Veranstaltungen variieren jedoch von Situation zu Situation und basieren auf unterschiedlichen Formaten, die im Laufe der letzten 21 Jahre entwickelt wurden. Die Organisation bietet auch Online-Leseecken an, in denen man zum Beispiel die Holocaust-Überlebende Yoka finden kann. Da sie teilweise in den Niederlanden und teilweise in Kalifornien lebt, passt dieses Format am besten zu ihr. Im Moment ist sie eines der aktivsten „Bücher“ im virtuellen Bücherdepot, das oft mehrmals pro Woche „gelesen“ wird.

Beurteile ein Buch – oder einen Menschen – nie nach seinem Einband. Jedes Event bietet zahlreiche neue Erfahrungen. Foto: Human Library

In über 85 Ländern weltweit vertreten

Das Bücherregal wird ständig aktualisiert und mit neuen Titeln erweitert, das bedeutet, mit neuen Freiwilligen, die ihre Erfahrungen weitergeben möchten. Daher können Leser*innen nicht erwarten, bei jeder Veranstaltung einen bestimmten Titel zu finden, und auch nicht, bei verschiedenen Veranstaltungen auf denselben Titel zu treffen. Sie können jedoch immer damit rechnen, dass sie ein breites Spektrum an Büchern kennenlernen, das eine Vielzahl von Vorurteilen abdeckt. Die Organisation verfügt über Bücherdepots in Indien, Australien, im Vereinigten Königreich und in den USA, um nur einige zu nennen. Sie ist in mehr als 85 Ländern auf der ganzen Welt vertreten. In Kopenhagen hat die Human Library eine ständige Bibliothek und einen Lesegarten für private Gespräche mit menschlichen Büchern eingerichtet. Der Besuch des Lesegartens ist für alle kostenlos.

Human Library als Lernplattform für die Zivilgesellschaft

Gründer Ronni Abergel trägt ein T-Shirt mit dem Motto der Organisation „Unjudge someone“ (etwa: Enturteile jemanden). Foto: Human Library

In Dänemark wird die Human Library regelmäßig in verschiedenen Bereichen der Zivilgesellschaft als Lernplattform genutzt. Sie ist zum Beispiel Teil der Ausbildung neuer Sozialarbeiter*innen am Institut für Sozialarbeit in Kopenhagen. Auf Unternehmensebene geht es darum, ein integratives Arbeitsumfeld zu schaffen und es Mitarbeiter*innen zu ermöglichen, die Vielfalt im Unternehmen wertzuschätzen. Einige der größten Unternehmen der Welt arbeiten mit der Human Library zusammen. Dazu gehören Unternehmen wie Merck, Heineken, Tesco, Microsoft, Masco, UGI, Zurich Insurance und Lego. Die Organisation entwickelt derzeit eine App, um eine digitale Lernplattform zu schaffen.

„Es geht nicht um uns Bücher, sondern darum, dass die Leser*innen sich mit ihren eigenen Ansichten auseinandersetzen.“

Yoka ist mit ihrer Erfahrung in der Human Library zufrieden. Sie ist der Meinung, dass diese ein einzigartiges Umfeld bietet, um mit Menschen in Kontakt zu treten. „Es geht nicht um uns Bücher, sondern um die Leser*innen, die sich mit ihren eigenen Ansichten auseinandersetzen. Sie testen ihre Gedanken an uns mit ihren speziellen Fragen. Und unsere Antworten können dazu beitragen, ihre Meinung zu relativieren“, sagt sie. Genau das ist mit dem Motto der Human Library gemeint: Unjudge someone („Enturteile jemanden“).

Um mehr über die Human Library zu erfahren, besucht ihre Webseite hier.

Möchtet ihr eure Geschichte erzählen und ein menschliches Buch werden, dann klickt hier, um mehr zu erfahren.

 

Herzlichen Dank an Uta Nabert, die uns auf dieses so wertvolle Projekt aufmerksam gemacht hat!

 

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