Interview: Isolde Hilt
Wir alle möchten möglichst lange leben, weil wir nicht wissen, nicht sicher sein können, ob noch etwas danach kommt. Der Prozess des Älter-Werdens, das Älter-Sein hingegen fallen den meisten nicht leicht. Der Blick zurück in jüngere Lebensphasen, die Ausrichtung an allem Jüngeren lässt leicht vergessen, das zu leben, was einem jetzt zur Verfügung steht. Und da gibt es – lässt man sich darauf ein – viel zu entdecken, das einer ungeheuren Abenteuerreise gleichkommen kann. Vor allem aber, so wird aus einem Gespräch mit Kommunikationstrainer, Mediator und Coach Franz Schindlbeck klar, gilt es, viele Vorurteile und Klischees zu entstauben. Davon profitieren nicht nur einzelne Menschen, sondern eine ganze Gesellschaft.
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Wir alle möchten möglichst lange leben. Viele Vorurteile und Klischees tragen jedoch dazu bei, dass sich viele mit dem Älter-Werden und Älter-Sein schwer tun. Welche sind die häufigsten, die so gar nicht hilfreich sind?
Eines der größten Vorurteile ist sicher, dass man angeblich nicht mehr so gut lernen kann. Dass das Gehirn wie der Körper eben auch abbaut, denn viele erleben das scheinbar an ihrem schlechter werdenden Gedächtnis. Es hat offensichtlich nicht mehr so viel Platz im Kopf.
Das ist falsch und von den Neurowissenschaften, der Hirnforschung, widerlegt. Das Gegenteil ist sogar der Fall. An Patienten mit Hirnschädigungen konnte man nachweisen, dass innerhalb eines zusammengehörigen Netzwerkes alle Nervenzellen dazu gebracht werden können, gegenseitig ihre Aufgaben zu übernehmen. Man nennt dies das „Prinzip der neuronalen Plastizität“. Allerdings setzt dies Anstrengung und regelmäßiges Training voraus.
Auch bei gesunden älteren Menschen konnte man mit Hilfe bildgebender Verfahren aufzeigen, dass sich die Hirnmasse in den beanspruchten Hirnarealen verdichtet, wenn sie etwas Neues lernen. Es entstehen neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen. Bei Lernaufgaben, die Konzentration und Ausdauer erfordern, schneiden ältere Menschen sogar erheblich besser ab als jüngere und gleichen den Verlust an Lerngeschwindigkeit locker aus. Wenn Konzentration, Genauigkeit und Ausdauer gefragt sind, gewinnen fast immer die älteren.
Da gibt es noch ein weiteres Phänomen, das „Gegenwartsfenster“. Worum geht es da?
Bei diesem sogenannten Gegenwartsfenster haben die Älteren ebenfalls die Nase vorn. Das heißt, das, was wir als Gegenwart erleben, dauert ungefähr drei Sekunden, weil das Gehirn seine Aktivität im ca. 3-Sekunden-Rhythmus moduliert. Alle Wahrnehmungsprozesse – ein Händedruck, ein Blickkontakt, unser Kurzzeitgedächtnis, ein Thema in der Musik, eine Zeitungszeile lesen, Zappen am Bildschirm usw. – finden in einer Zeitspanne von etwa drei Sekunden statt. Auch das „Sich-gut-verstehen-im-Gespräch“ entsteht durch ein meist unbewusstes Synchronisieren im 3-Sekunden-Takt.
Bei Kindern ist das noch kaum ausgeprägt, weshalb sie oft auch so sprunghaft sind. Aber im Lauf des Lebens wird es trainiert und ist deshalb im Alter auch markanter ausgeprägt als in Kindheit und Jugend. Mit der Folge, dass strukturiertes Denken, effektives Arbeiten und Lernen immer besser werden können.
Diese Vorstellung, unser Gehirn baut im Alter eher ab, schadet uns vermutlich eher, oder?
Ja. Nicht nur, weil das Gehirn unser Zentralorgan ist, die Basis für alles weitere, sondern weil so eine Grundeinstellung auch unser Unterbewusstsein steuert. Wenn du so einen Glaubenssatz, der ja erwiesenermaßen nicht stimmt, übernimmst und glaubst, du hättest ein schlechtes Gedächtnis, dann wird dein Unterbewusstsein alles tun, damit du Recht bekommst. Es wird dich die Erfahrung eines schlechten Gedächtnisses machen lassen und du wirst dich immer wieder darüber ärgern, weil dir wichtige Dinge nicht einfallen.
Tragischerweise verfestigt dann diese Erfahrung deinen falschen Glaubenssatz. Das Unterbewusstsein untersucht nicht, ob etwas wahr ist – das macht unser Verstand –, sondern ob es geglaubt wird. Glaubenssätze sind meist unbewusste Grundsatzprogramme. Wenn Windows auf deinem PC bugged, kannst du auch Word nicht öffnen, obwohl es in Ordnung ist.
Es gibt dann also kein schlechtes Gedächtnis, auch nicht mit zunehmendem Alter …?
Es gibt kein schlechtes, höchstens ein schlecht trainiertes Gedächtnis. Die „Hardware“, unser Gehirn, ist wirklich phantastisch – bei allen gesunden Menschen jeden Alters. Es liegt an der „Software“. Das schlechte Erinnern beginnt mit dem schlechten Einprägen. Wenn der Arbeitsdruck hoch ist, der Kopf voller Sorgen und nebenbei WhatsApp, Facebook, Instagram, Twitter & Co mitlaufen, wieviel Energie bleibt da noch fürs Einprägen und Merken? Bei Sorgen zum Beispiel schütten bestimmte Areale im Gehirn denselben Cocktail an Neurotransmittern (Botenstoffen) aus wie unter Stress. Ständige Sorgen sind Dauerstress und schädigen nicht nur das Immunsystem, sondern vermindern auch die Gedächtnisleistungen.
Du nennst das Alter Erntezeit, sogar die beste Zeit im Leben. Was ernten wir, wenn wir älter werden, in unserer zweiten Lebenshälfte?
Geerntet wird immer das Reif-Gewordene. In der Natur zum Beispiel Obst, Gemüse oder Korn. Was ist im Alter reif geworden? Meine innere Stimmigkeit ist gewachsen. Ich weiß jetzt mehr über mich selber. Ich kenne mich besser als noch vor 30 Jahren, weil durch die vielen Erfahrungen mehr sichtbar geworden ist, auch an Widersprüchen. Und trotzdem ist die Stimmigkeit größer, weil ich diese Widersprüchlichkeit zwar nicht immer auflösen, ich mich damit aber besser akzeptieren kann. Das konnte ich mit 35 nicht.
Mir ist jetzt ein tieferes und umfassenderes Verstehen des Lebens möglich – nicht nur durch Erfolge, sondern auch durch Rückschläge, ihre Überwindung und manchmal auch durch das Scheitern. Rückschläge zwingen in der Regel zum Nachdenken: „Warum ist das nicht so gelaufen wie ich wollte?“ „Was war verkehrt an meinem Handeln?“ „Warum habe ich die Situation falsch eingeschätzt?“ … Man kommt nicht immer sofort, aber im Laufe der Zeit auf Antworten, lernt blinde Flecken aufdecken, die eigenen Schattenseiten sehen und anzunehmen.
Voraussetzung ist natürlich ein gewisses Maß an Selbstreflexion. So wächst man innerlich, wird ‚ganzer‘. Das eigene Leben bekommt Tiefe. Das ist sicher nicht der Fall, wenn immer alles glatt gehen würde, auch wenn wir es uns wünschen. Das Scheitern gehört zum Leben, genauso wie das Ausprobieren, Wagen und Mutig-Sein – zwei Seiten einer Medaille. Durchs Scheitern lernt man oft mehr über sich selbst als durch den eigenen Erfolg. Aber natürlich gehören zur Ernte auch die Erfolge, das Erreichte, die schönen innigen und tiefen Momente, echte Liebeserfahrungen, insgesamt die Entfaltung des eigenen Potentials, das, womit man auch die Welt bereichert hat.
Kindheit, Jugend, 20er und 30er Jahre betrachte ich aus heutiger Sicht als „Vorspiel“, als Vorbereitung auf das Eigentliche. Natürlich habe ich das damals nicht so gesehen.
Vielleicht könnten wir das Älter-Werden leichter annehmen, wenn da nicht noch die Frage nach Schönheit und Aussehen wären. Der Schönheitsbegriff in unserer Gesellschaft orientiert sich hauptsächlich an der Jugend, an faltenlosen Gesichtern, straffer Haut und Muskulatur. Kaum ein Model, ob weiblich oder männlich, ist über 30. Kann man im Alter schön sein?
Natürlich kann man das, wie in allen anderen Lebensabschnitten auch. Wir verbinden zwar bestimmte Merkmale mit Schönheit wie jugendliche Erscheinung, großer, schlanker Körperbau oder Symmetrie des Gesichts. Die Kriterien für Schönheit aber sind nicht so universell wie es in den Medien immer dargestellt und behauptet wird. Es scheint im Gehirn eine Schablone zu geben, an der wir Schönheit messen, die aber anpassungsfähig ist. Models heute tendieren eher zur Magersucht, während im Mittelalter oder wenn man an den Maler Rubens denkt, ganz andere Weiblichkeitsideale galten. Entscheidend ist das Prinzip der Stimmigkeit und dazu gehören Aussehen, Kleidung und Bewegung. Wenn sich eine Frau mittleren Alters wie ihre 17-jährige Tochter kleidet, dann passt das nicht zusammen. Genauso wenig der 60-jährige Mann mit zerrissenen Jeans und der Baseballkappe nach hinten gedreht. Beides empfinden wir nicht als stimmig. Beide Male steckt der Wunsch des Gehirns dahinter, Informationen möglichst anstrengungslos aufzunehmen. Es möchte beim ersten Eindruck am liebsten einen Menschen schnell in eine bestimmte Kategorie stecken.
Das Äußere ist nicht nur äußerlich, sondern hängt auch mit dem inneren Gefüge zusammen. Und wahre Schönheit kommt von innen. Eine große Rolle spielen dabei die Präsenz, die Augen und der Blick.
Mittlerweile gehörst du selbst zu dieser Personengruppe „ältere Menschen“. Wie gehst du mit dem Älter-Werden um? Kannst du das, was du weißt, in dein Leben integrieren?
Ich gehe in bestimmten Zeitabständen meine Lebensbereiche durch, mache eine Bestandsaufnahme und setze mir überprüfbare, zeitlich fixierte Ziele. Ziele, die realistisch sind, aber trotzdem reizvoll. Beim nächsten Mal schaue ich dann, was ich erreicht habe, was nicht und überlege, woran es gelegen haben könnte. Welche Widerstände sind aufgetreten? Kann ich sie überwinden und wie? Das ist so eine Art Self-Coaching. Im Bereich der beruflichen Weiterentwicklung habe ich konkrete Pläne.
Interessant war, als ich meinem Sohn bei seinen Abi-Vorbereitungen über die Schulter geschaut habe. Als es im Fach Deutsch um Rilke-Gedichte ging, habe ich meine Freude an Gedichten wiedergefunden, die ich als Schüler schon einmal hatte – sowohl beim Analysieren als auch beim Interpretieren und Vortragen. Seitdem beschäftige ich mich wieder mit Gedichten, mit Lyrik.
Lernen macht mir insgesamt Spaß, auch, meine Lernmethoden zu verbessern. Für mich heißt lernen den Horizont erweitern, mehr von dieser Welt erfassen und verstehen. Ich kann auch besser zuhören als früher. Gespräche haben viel mehr Tiefe bekommen.
Je älter ich werde, um so mehr spielt auch die Spiritualität eine immer wichtigere Rolle. Das hat nichts mit Esoterik zu tun. Ich meditiere regelmäßig und merke, wie mich das in einen inneren Frieden bringt, eine gelassene Ausgeglichenheit und innere Mitte. Und was ich persönlich am Alter mit am schönsten finde, ist, dass ich niemandem mehr etwas beweisen muss. Das empfinde ich als unglaublich befreiend.
Von Joachim Fuchsberger stammt der Buchtitel „Alt werden ist nichts für Feiglinge“. Ist es so?
Ich kenne das Buch nicht, aber mit dem Satz hat er meiner Meinung nach Recht. Das heißt, gut und in Würde altern kannst du nur dann, wenn du dich dem Alterungsprozess stellst, dich aktiv mit ihm in allen Lebensbereichen auseinandersetzt, ohne mit ihm zu hadern. Das ist wie bei jeder Auseinandersetzung nicht immer einfach und auch nicht immer angenehm. Aber das Ergebnis, wenn man es gut macht, sind Klarheit und innere Stimmigkeit, ein Einverstanden-Sein mit dem Leben, auch wenn man unter Beeinträchtigungen durch Krankheiten leidet.
Herzlichen Dank an Alexandra Schmid für die wunderschönen Bilder! Wer die Naturliebhaberin und Frühaufsteherin auf ihren besonderen Ausflügen begleiten will, findet sie auf instagram unter donau_deandl: www.instagram.com/donau_deandl
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