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Das Leben mit einem Pflegekind

„Auch wenn von Anfang an klar ist, dass das Pflegekind nur eine begrenzte Zeit bei uns leben wird, baut man doch eine Bindung zueinander auf.“
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Interview: Kristin Frauenhoffer

Manche Menschen scheinen mehr Energie zu haben als andere. Zumindest, wenn man sieht, was sie alles machen. Ein Beispiel für solch einen Menschen ist Joanna Sommer. Sie ist dreifache Mutter und nimmt zusätzlich regelmäßig ein Pflegekind auf. Im Interview erzählt uns die 45-jährige Diplom-Pädagogin, was ihre Motivation ist und wie sie ihr turbulentes Leben organisiert.

Joanna, du und dein Mann wart jetzt schon mehrmals Pflegeeltern. Wie kam es dazu? Wann und warum habt ihr euch dazu entschlossen?

Wir hatten uns bereits vor einigen Jahren über das Thema unterhalten. In unserem Bekanntenkreis gab es ein Mädchen, das von ihrer Familie weg wollte. Zwei andere Bekannte sind selbst in Pflegefamilien aufgewachsen, weil ihre Eltern sie nicht mehr wollten. Das hat mich traurig gemacht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es Kinder gibt, die nicht bei ihrer Familie bleiben können oder wollen. Meinen Mann und mich hat das lange beschäftigt, aber erst 2016 – nach unserem Umzug in ein Haus – wurde das Thema richtig aktuell. Wir hatten ausreichend Platz und ich war mit meinen 10 Stunden, die ich als Pädagogin bei der Caritas arbeitete, beruflich gerade nicht ausgelastet. Im Juli 2016 machten wir dann einen Termin im Kreisjugendamt zur Beratung aus. Dort informierte man uns über den Ablauf – und mit Anträgen (und Arbeitsaufträgen) ausgestattet – gingen wir wieder nach Hause.

Wie läuft so ein Prozess ab, wenn man ein Pflegekind aufnehmen will?

Bevor man ein Pflegekind aufnehmen kann, muss man sich dafür bewerben und man wird überprüft. Der gesamte Prozess ist langwierig. Beide Partner müssen einen Fragebögen ausfüllen, welche Vorstellungen sie hinsichtlich des Kindes haben: Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Verhaltensauffälligkeiten, Behinderungen, Krankheiten … man gibt in Abstufungen an, ob man es sich vorstellen kann: ja, eher ja, eventuell, eher nein oder nein. Ein weiterer Fragebogen befasst sich mit persönlichen Angaben. Da beantwortet man Fragen zu Beruf, Verdienst, Religion, Eheschließung, eigenen Kindern und Wohnsituation.

Von beiden Ehepartnern werden dann noch Führungszeugnisse, medizinische Stellungnahmen zur gesundheitlichen Eignung (Ausschluss von Suchterkrankungen, Behinderungen, ansteckenden, psychischen oder lebensverkürzenden Erkrankungen) und Lebensläufe verlangt.
Nachdem alle Unterlagen beim Jugendamt abgegeben sind, folgt noch eine Besichtigung der Wohnung durch die Mitarbeiterinnen.

Wie wurdet ihr auf eure Aufgabe vorbereitet?

Wir haben an einem Seminar für Pflegeeltern teilgenommen. Das waren zwei Blöcke mit je zehn Stunden. Dort wurden wir intensiv über die Besonderheiten der Aufgabe aufgeklärt. Man ist verpflichtet, mit dem Jugendamt zusammenzuarbeiten und Umgänge mit den leiblichen Eltern zu ermöglichen. Auch die psychologischen Aspekte der kindlichen Entwicklung und die Auswirkungen des Erlebten auf das Verhalten werden thematisiert.

"Wenn wir ein Pflegekind aufnehmen, ist es uns wichtig, ihm das Gefühl der Geborgenheit, aber auch feste Strukturen zu geben."

Weil du es gerade ansprichst: Die meisten Kinder haben eine schlimme Vergangenheit und sind teilweise traumatisiert. Wie geht ihr damit um?

Von den früheren Erlebnissen der Kinder erfährt man als Pflegeeltern nicht zwangsläufig. Oft sind es nur allgemeine Informationen zur Herkunftsfamilie und der Grund für die Inobhutnahme. Nicht bei allen Kindern manifestieren sich Verhaltensauffälligkeiten – oder zumindest nicht von Anfang an. Wenn wir ein Pflegekind aufnehmen, ist es uns wichtig, ihm das Gefühl der Geborgenheit, aber auch feste Strukturen zu geben. Bisher haben sich die Kinder sehr gut in unser Familienleben eingefügt und an die Regeln gewöhnt.

Ihr habt euch dazu entschlossen, nur Kurzzeitpflege zu machen. Warum? Und was heißt das?

Wir hatten das Glück, dass die Schulung für Pflegeeltern noch vor der Aufnahme unseres ersten Pflegekindes stattfand. Dort haben wir Eltern kennengelernt, die bereits Kinder bei sich aufgenommen hatten. Erst in der Schulung wurde uns bewusst, dass wir naive Vorstellungen von der Rolle von Pflegeeltern hatten. Wir dachten, dass man in schwierigen Lebensphasen der leiblichen Eltern „einspringt“, die Kinder aber tendenziell wieder zu ihren leiblichen Eltern zurückkehren. In der Praxis sind es aber weniger als 10 Prozent der Fälle, die Kinder verbleiben in den Pflegefamilien bis zur Volljährigkeit.
Da wir bereits drei eigene Kinder haben, wollten wir die lebenslange Verantwortung für ein weiteres Kind nicht übernehmen, aber dennoch aushelfen, wo wir können. Kurzzeitpflege bedeutet, dass das Kind in der Pflegefamilie untergebracht wird, bis sich die weitere Situation geklärt hat. Die Zeiträume sind hier nicht festgelegt.

"Auch wenn von Anfang an klar ist, dass das Kind nur eine begrenzte Zeit bei uns leben wird, baut man doch eine Bindung zueinander auf."

Mittlerweile habt ihr vier Kinder bei euch aufgenommen. Zwei davon nur für eine Woche, eins für 2 Monate und das letzte für 6 Monate. Wie schwer ist es, das Kind wieder “herzugeben”, wenn man sich aneinander gewöhnt hat?

Mit knapp sechs Monaten lebte unser letztes Kind am längsten bei uns und musste von uns ins Kinderheim gebracht werden, als dort ein Platz frei wurde. Das hat uns sehr belastet. Zudem durften wir das Kind danach nur noch zweimal besuchen. Auch wenn von Anfang an klar ist, dass die Kinder nur eine begrenzte Zeit bei uns leben werden, baut man doch eine Bindung zueinander auf. Wenn die Entscheidung über den weiteren Verbleib nicht unseren Vorstellungen von „Gut für das Kind“ entspricht, fällt der Abschied umso schwerer. Letztendlich machen wir uns Vorwürfe, den Kleinen im Stich gelassen zu haben. So etwas ist sehr schwer und deshalb haben wir seitdem auch keine Kinder mehr aufgenommen. Wir müssen das erst einmal verdauen.

Wie war die Reaktion eures Umfeldes auf eure Entscheidung? Halten euch die Leute eigentlich für verrückt?

Wir haben im Vorfeld nur mit der engsten Familie darüber gesprochen, dass wir uns als Pflegeeltern beworben haben. Unsere Bekannten erfuhren erst davon, als sie uns mit unserem ersten Pflegekind sahen. Die Rückmeldungen waren durchwegs positiv. Möglicherweise half die Tatsache, dass das Kind eben schon da war und dessen persönliches Schicksal unsere Entscheidung, es aufzunehmen, „rechtfertigte“. Bei den anderen Kindern kamen dann eher Reaktionen wie: „Ach, habt ihr wieder ein Kind in Pflege?“ Das war dann für alle ganz normal.

Wie war die Reaktion eurer eigenen Kinder auf eure Entscheidung?

Wir haben unsere Kinder in die Entscheidung von Anfang an mit einbezogen. Bis auf eine Ausnahme durften die Kinder jedes Mal mitentscheiden, bevor wir dem Jugendamt die Zusage für die Aufnahme gaben. Aktuell sind sich die Kinder (und auch wir) nicht einig, ob wir weitere Kinder aufnehmen wollen. Da es jedoch die ganze Familie betrifft, können wir nur wieder ein Kind aufnehmen, wenn alle dafür sind.

Ich stelle mir deinen Alltag wahnsinnig stressig vor. Du hast drei Kinder, ein Pflegekind, zwei Jobs. Wie schaffst du das alles?

Der Vorteil als Pflegeeltern besteht darin, dass man in gewissem Maß mitbestimmen kann, welche Kinder man aufnimmt. Wir haben angegeben, dass wir Kinder ab dem Kindergartenalter aufnehmen. Das bedeutet, dass die Betreuung in der Regel gewährleistet ist. Leider sind damit unterschiedlich lange Fahrtzeiten und -wege verbunden. Das kann man aber vor der Zusage über die Aufnahme noch klären. Alles andere ist eine Frage der Organisation. In meinem Fall habe ich sehr viel Unterstützung durch meinen Mann, der trotz seines Vollzeitjobs mit Nachtarbeit viele Aufgaben im Haushalt übernimmt und wir uns alles gut aufteilen.

"Besonders schön ist es aber, wenn man beim Pflegekind Entwicklungsfortschritte beobachten kann oder wenn die eigenen Kinder selbstständig werden und Verantwortung übernehmen."

Wie ist das Leben mit einem Pflegekind? Was fällt dir leicht und was schwer?

Die Aufnahme eines Pflegekindes bedeutet eine enorme Umstellung. In der Regel vergehen von der telefonischen Anfrage des Jugendamts bis zur tatsächlichen Aufnahme nur wenige Stunden. Sobald man zustimmt, wird der Sozialdienst verständigt, der das Kind dann in die Pflegefamilie bringt. Die „Übergabe“ dauert nur wenige Minuten. Danach ist man auf sich alleine gestellt. Es ist für alle aufregend und man versucht, sich gegenseitig kennenzulernen. Die Anfangszeit ist schwer. Man kennt die Gewohnheiten des Kindes nicht. Es muss sich auf fremde Leute und eine andere Umgebung einstellen und es vermisst seine Eltern.
Hier hilft es, dass sich meine Kinder gut in die Situation einfühlen können und sehr hilfsbereit und rücksichtsvoll sind. Zum Beispiel haben sie in der Anfangszeit ihre Zimmer aufgegeben. Nach einigen Tagen versuchen wir, einen Rhythmus zu finden. Es kommen neue Herausforderungen, vor allem was das Essen und das Schlafen betrifft und die „Geschwisterrivalität“. Die Aufmerksamkeit, die man dem Pflegekind entgegenbringt, führt manchmal zur Eifersucht bei den eigenen Kindern. Das muss man ständig neu ausbalancieren. Besonders schön ist es aber, wenn man beim Pflegekind Entwicklungsfortschritte beobachten kann oder wenn die eigenen Kinder selbstständig werden und Verantwortung übernehmen.

Wie hat sich dein Blick auf das Thema Familie verändert, seit ihr Pflegekinder habt?

Ich schätze meine Familie umso mehr, denn durch die Schicksale der Kinder wurde mir erst wieder vor Augen geführt, wie wertvoll – und gar nicht selbstverständlich – Familie ist.

Was rätst du zukünftigen Pflegeeltern? Worauf müssen sie achten? Wie können sie sich vorbereiten?

Wenn man sich dafür entscheidet, Pflegekinder aufzunehmen, muss man sich bewusst sein, dass man nicht nur Verantwortung für das Kind mit seiner Vorgeschichte übernimmt. Man muss sich zusätzlich dazu verpflichten, seine Familie für die Behörden zu öffnen und mit ihnen zu kooperieren. Bei der Entscheidung ist es wichtig, dass sie von allen Familienmitgliedern gemeinsam getroffen wird.

Joanna und ihre Familie (zur Zeit ohne Pflegekind)

Weiterführende Informationen zum Thema Pflegeelternschaft:

http://www.pflegeeltern.de

https://www.moses-online.de/dossier-grundinfos-pflegekinder

 

 

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