von Oxana Bytschenko
Im Frühjahr 2020 hat ein russischer Journalist eine Doku gedreht, die nachhaltige Folgen hatte. Nach der Ausstrahlung haben drei Gründer*innen eine Plattform geschaffen, die Werte – und nicht das Geld – in den Vordergrund rückt: Mesto.co ist ein russischsprachiges Netzwerk für Kreative und Investoren. Und seine Entstehungsgeschichte erklärt am besten, wie es funktioniert: einfach machen.
Der Sportjournalist Juri Dud‘ ist eine Institution im russischen Youtube. Mehr als 42 Millionen Menschen haben seine Doku „Wie Silicon Valley aufgebaut ist“ gesehen, in der er sieben russischsprachige IT-Unternehmer interviewt. Zwei davon waren Andrej Doronichev, damals Sales Director bei Google, sowie Unternehmer und Investor Nikolaj Davydov.
Wissen und Werte teilen
In der Doku sprachen sie über ihre Ideen und das Leben in den USA, aber vor allem darüber, wie wichtig für sie die menschliche Komponente bei der Arbeit ist: Kollaboration, Austausch, Wissen teilen. „Nach dem Film bekamen wir viele Nachrichten von Menschen, die unsere Werte teilen und ihren Weg einschlagen wollen, um etwas Großes zu schaffen“, sagt Doronichev. Er wollte diese Menschen vereinen. „Aber es gab keinen Ort dafür. Also haben wir einen geschaffen“, sagt er.
Mesto.co wurde im Sommer 2020 gegründet. Heute gibt es mehr als 20.000 Mitglieder, die alle russischsprachig, aber in 79 Ländern leben. Sie haben ähnliche Wünsche und Ziele: die Welt zu einem besseren Ort machen, Wissen miteinander teilen statt Konkurrenzdenken, voneinander lernen und einander vertrauen. Dort kommen Menschen zusammen, um sinnvolle Unternehmen und Produkte zu erfinden. „Der größte Unterschied zu anderen sozialen Netzwerken ist, dass bei uns nur Menschen einen Account bekommen, die unsere Werte teilen“, sagt Doronichev.
Mesto-Kommunikation über Themenchats
Die dritte Gründerin ist Jana Belova, CEO der Agentur Blue Ocean Bureau. Sie arbeitet von Australien aus, die anderen Gründer sitzen in San Francisco. Die Mesto-Mitglieder kommunizieren über die Plattform Openland, organisiert in verschiedenen Themenchats. Zuerst stellt man sich vor, erklärt die beruflichen Bereiche und wie man hilfreich sein kann. Kritik ist willkommen und konstruktiv.
Der Austausch erfolgt im Chat, in Zoom-Calls oder beim Kvartirnik. Einmal im Monat bringt Mesto Menschen weltweit zusammen, um zu plaudern, Musik zu hören, miteinander zu spielen oder zu tanzen. In speziellen Workshops gibt es zum Beispiel Brainstorming-Sessions, wenn jemand mit seiner oder ihrer Idee nicht weiterkommt. Dabei zeigt sich die Stärke der Startup-Kultur, mit der die drei Gründer*innen die Businesswelt umkrempeln wollen. Statt Ideen zu zerreden, probieren sie sie einfach aus. Erfinden, testen, Fehler feststellen, justieren, neu testen und so weiter.
Das Aussehen spielt keine Rolle
Die Kommunikation auf der Plattform ist sehr schnell und sachlich. Niemand kümmert es, wie die anderen aussehen und was sie erlebt haben. Nur der Augenblick zählt und ein gemeinsames Ziel. Auf der Homepage von Mesto.co steht: „Status und Geld sind für uns eine wichtige Ressource: Sie eröffnen uns mehr Möglichkeiten, etwas zu versuchen und zu schaffen.“ Aber natürlich geht es dabei auch um Geld. Die meist jungen Menschen, die sich in Mesto engagieren, sind extrem ehrgeizig und wollen schnellen Erfolg. Zudem dominieren auf der Plattform IT-Produkte – und dort ist eben viel Geld zu holen, wenn man den richtigen Riecher hat.
Im Mesto.Accelarator werden Startups in zwei Monaten für den nächsten Schritt vorbereitet: zum Beispiel Investorensuche oder der Eintritt in den internationalen Markt. Inzwischen arbeitet auch ein großen Team aus Ehrenamtlichen hinter den Kulissen: Im Mesto gibt es einen Beirat, Marketing-, Design- und PR-Abteilungen sowie eigene Entwickler*innen und Analyst*innen.
Eine App für Kinder mit Legasthenie
In 1,5 Jahres des Bestehens wurden im Mesto.co einige Produkte entwickelt. Zum Beispiel entstand die App „Smuzi“ für kollaborative Videos. Musiker*innen können sie nutzen, um zusammenzuspielen, ohne in einem Raum zu sein. Oder die App „Voca“, sie nimmt den Nutzer*innen die Urlaubsplanung ab: Der Aktivurlaub wie Wander- oder Trekkingtouren wird per Abo automatisch vorgeplant.
Eine weitere Mesto-Erfindung ist die App „IZIDZ“, eine Art Nachhilfe für Hausaufgaben – anschaulich erklärt. Wenn die Art der Erklärung nicht verständlich ist, gibt es ein zweites Video mit einem anderen Ansatz. Ein anderes Beispiel ist „Prostoslovo“, eine Leseapp für Kinder mit Legasthenie. Dabei wird ein Text mittels eines Konverters angepasst. Die Abstände zwischen den Wörtern und Buchstaben können individuell justiert werden, aber auch die Hintergrundfarbe. Damit Kinder mit Freude lesen.
Und das alles, weil eine Doku im Silicon Valley gedreht wurde. Der Name Mesto bedeutet übrigens „Platz“ oder „Ort“. Aber wenn man sagt, dass man sich im Mesto trifft, ergibt es im Russischen ein wunderbares Wortspiel: vmeste bedeutet „zusammen“.
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2 Antworten
So etwas gibt es auch in Deutschland auf Deutsch, ganz ähnliches Konzept: https://www.reflecta.network.
Stellt das doch mal hier vor.
viele Grüße von
Robert
Vielen Dank für den Tipp!
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