Interview: Isolde Hilt
„Schreiben ist eine köstliche Sache: nicht mehr länger man selbst zu sein, sich aber in einem Universum zu bewegen, das man selbst erschaffen hat.“ Petra Bartoli würde Gustave Flaubert, dem französischen Erzähler und Novellist, sicher zustimmen. Schon als Jugendliche begeisterte sie sich für alles Geschriebene, für Aufsätze, für die „Ansammlung von Buchstaben, die Bilder im Kopf wecken“. Sie wagte erste kleine, eigene „Schreib-Gehversuche“. Doch wie das mit einer Leidenschaft oft gerne so ist: Man umkreist sie, versucht sie zu fassen, herauszufinden, was einen selbst dazu treibt und macht zuerst einmal etwas ganz anderes. Wie Petra Bartoli dann doch noch Schriftstellerin und Autorin wurde, was ihr das Schreiben bedeutet und weshalb sie von ihrem Glück anderen etwas geben möchte, erzählt sie in diesem Interview.
Dein erster Beruf hat dich zunächst in eine ganz andere Welt entführt. Du bist Sozialpädagogin geworden…
Mein beruflicher Weg begann im Kinderzentrum St. Vincent in Regenburg. Dort arbeitete ich 14 Jahre lang mit Kindern und Jugendlichen, die alle keine einfache Lebensgeschichte hatten. Auch hier begegnete ich Geschichten, habe mich dafür interessiert und mich mit ganzem Herzen dafür eingesetzt, der Geschichte gemeinsam vielleicht eine neue Wendung zu geben. Das ist auch manchmal gelungen. Und das hat mich erfüllt.
Und dann kam es zu einem Schlüsselerlebnis, das dich zu deinem jetzigen Beruf oder auch deiner Berufung? geführt hat. Was war das?
Vor 15 Jahren ist meine Oma verstorben. Sie war für mich ein wichtiger Mensch, hat mich geprägt und sich, als ich Kind war, viel Zeit für mich genommen. Die intensivsten Momente unseres Kontakts waren, wenn sie mir Geschichten aus ihrem Leben erzählt hat: Geschichten über ihre Jugend in den 1920er Jahren auf dem Land, Geschichten vom Krieg, von Entbehrung, Auflehnung, Verlusten und Menschlichkeit. Als meine Oma plötzlich nicht mehr da war, überfiel mich ein Gedanke mit voller Wucht: „Wer erzählt diese Geschichten jetzt meiner Tochter?“ Ich begann also, die Geschichten meiner Oma aufzuschreiben. Und plötzlich entstand eine ganz neue Dynamik; aus den Erinnerungen wurde eine ganz neue Geschichte. Ich habe angefangen zu recherchieren, habe Zeitzeugen befragt und schließlich einen fiktionalen Roman über zwei Frauen aus verschiedenen Generationen geschrieben, in den Omas Geschichten als Rahmen eingeflossen sind.
Es heißt ja gerne: Schreiben kann jeder. Aber irgendwie merken wir dann doch, es gibt Unterschiede. Was macht deiner Meinung nach „gute Schreibe“ aus?
Schreiben können tatsächlich die meisten, gut schreiben hingegen nur wenige Menschen. Um eine Geschichte zum Leben zu erwecken, braucht es stimmige Figuren, die man als Autorin gut kennen muss. Und es braucht einen Handlungsstrang, der mitzieht und bei dem keiner der Fäden verloren gehen darf.
Kann man gutes Schreiben lernen oder braucht man doch auch etwas Talent dazu?
Es braucht meiner Meinung nach beides – Handwerk und Talent. Beherrscht ein Autor oder eine Autorin nur sein oder ihr Handwerk, wird die Geschichte hölzern und ist wenig überraschend. Talentierte Schreibende präsentieren oft ein buntes Feuerwerk in der Handlung, springen aber vielleicht in den Perspektiven oder haben ihre Figuren nicht ausreichend ausgearbeitet. Beide Aspekte sind also meiner Meinung nach eine wichtige Voraussetzung, wenn das Schreiben von der reinen Leidenschaft zum Privatvergnügen zum Beruf werden soll.
Wir erleben gerade einen gewaltigen digitalen Transformationsprozess. Das bleibt nicht ohne Auswirkung auf unsere Kommunikation, auf die Sprache und Texte. Was stellst du da fest?
Sprache, Lesegewohnheiten und Textangebote ändern sich gerade rasant. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen, die zu Hause keine Bücher angeboten bekommen, dominieren Handy und Co. die Freizeit. Doch ich bin überzeugt, dass das Buch trotzdem keine „Auslaufware“ ist. Denn nichts kann das warme Gefühl von Zufriedenheit ersetzen, das beim Lesen eines Buches entsteht: Dann, wenn man die Seiten eines neuen Buches durch die Finger gleiten lässt, wenn das Papier beim Umblättern leise raschelt und wenn man sich im Kopf mitten in der Geschichte befindet, während einem die Augen beim Lesen im fahlen Licht schon zufallen wollen.
Du selbst wolltest auf jeden Fall aus der Lust am Schreiben eine Profession machen und hast dazu noch einmal eine Ausbildung absolviert. Welche war das und was lernt man da?
2007 hatte ich bereits vor, mich als Autorin selbständig zu machen. Mein erster Roman sollte demnächst veröffentlicht werden. Darüber habe ich mich natürlich sehr gefreut. Dennoch merkte ich, dass mir für das professionelle Schreiben etwas fehlte: Handwerk. Darum habe ich 2007/08 eine berufsbegleitende Ausbildung zur Drehbuchautorin gemacht. Dort lernte ich, Figuren zu entwickeln, Wendepunkte in Geschichten richtig zu platzieren, der Hauptperson das zu geben, was sie braucht – nicht unbedingt, was sie will. So merkte ich, dass meine Geschichten nach und nach besser wurden.
Wie entwickelt sich der persönliche Schreibstil, die persönliche Note?
Ganz klar: durch Tun. Der persönliche Schreibstil ist nichts Statisches. Er entwickelt sich weiter, ändert sich mit den Jahren. Ich schreibe heute anders als noch vor zehn Jahren. Aber das ist auch gut so. Denn das bedeutet auch: Ich habe mehr Lebenserfahrung, die eben auch als persönliche Note in Geschichten einfließt.
In diesem Jahr feierst du ein kleines Jubiläum: Du bist seit 10 Jahren Schriftstellerin und Autorin. Welche Bücher hast du bisher veröffentlicht?
In zehn Jahren hat sich da doch viel angesammelt… Bislang sind von mir ein Roman für Erwachsene, drei Jugendromane, vier Bücher für Erstleser*innen, fünf Sachbücher für Eltern und Pädagog*innen, einige Vorlesegeschichten für Menschen mit Demenz und ziemlich viele Vorlesebücher für Kinder erschienen.
Welches ist dir besonders ans Herz gewachsen oder war eine besondere Herausforderung für dich?
Einige meiner Bücher haben tatsächlich eine besondere Bedeutung für mich. „Weiß Blau Bunt“ zum Beispiel ist ein Buch mit 24 Vorlesegeschichten aus Bayern, das ich gemeinsam mit meiner Autorenkollegin Diana Lucas geschrieben habe. Hier wollten wir ganz speziell das Thema Heimat auch einmal für Kinder aufgreifen. Der Kinderroman „Glück riecht nach Hundefell“, der mittlerweile leider nur noch als Ebook erhältlich ist, ist auch etwas Besonderes: Ich habe ihn gemeinsam mit meiner Tochter geschrieben habe. Es geht um eine Geschichte von Fliehen und Ankommen aus der Perspektive eines 11-jährigen Mädchens.
Herausfordernd und gleichzeitig bereichernd war die Recherche für die Vorlesegeschichten für Menschen mit Demenz. Hierfür war ich immer wieder im Gespräch mit Senioren, habe mir Geschichten von früher erzählen lassen, durfte eintauchen in das damalige Zeitgeschehen und in persönliche Erlebnisse. Geschichten dann in einfacher Sprache für Menschen mit Demenz zu Papier zu bringen, war nicht so „einfach“ wie es klingt.
Du bist auch schon mehrfach ausgezeichnet worden…
Stimmt. 2011 wurde ich vom Verlag an der Ruhr zur Autorin des Jahres gekürt. 2012 wurde ich mit dem SOS-Kinderliteraturpreis ausgezeichnet und durfte im Rahmen dessen nach Mosambik reisen und dort die Kinderdörfer der Organisation vor Ort besuchen. Das bleibt für mich immer unvergesslich und hat mich sicherlich ein Stück weit geprägt.
Vom Schreiben zum Selber-Geschichten-Erzählen ist es nicht weit. Da gibt es zum Beispiel die Betthupferl-Geschichten für den Bayerischen Rundfunk…
Für den Bayerischen Rundfunk, aber auch für Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) schreibe ich regelmäßig Radiogeschichten für Kinder. Meine Geschichten werden für die Formate dann von Schauspieler*innen und Sprecher*innen eingelesen, die ich selbst nur aus Fernsehen oder Kino kenne. Das ist schon eine besondere Sache, die eigenen Geschichten von diesen großartigen Stimmen erzählt zu bekommen…
Du hast bestimmt ein aktuellen Buchprojekt, oder? Ist es geheim oder kannst du da ein bisschen was verraten?
Aktuell arbeite ich an einem Jugendroman. Und um was es dabei geht, ist tatsächlich geheim.
Zu einem Jubiläum gehört in der Regel eine Aktion. Magst du deine kurz vorstellen?
Seit Anfang Mai erzähle ich auf meinem Blog petra-bartoli.de/blog/ und auf Facebook und Instagram darüber, wie alles vor zehn Jahren begann, wer meine Wegbegleiter waren und welchen Stolper- und Meilensteine ich in zehn Jahren Autorinnenleben so begegnet bin. Anfang Juli und Anfang August werde ich dann jeweils fünf meiner Bücher verlosen. Ab Herbst will ich schließlich meine kleine persönliche „Jubiläumsfeier“abrunden, indem ich Spenden sammle. Alle eingegangenen Spenden verdopple ich dann. Mir ist es in den vergangenen Jahren nämlich wirklich gut ergangen. Davon möchte ich etwas weitergeben und damit „Danke!“ sagen.
PS: Welche Bücher liest du gerne? Wofür kannst du dich total begeistern?
Ich liebe Geschichten, die mit Wörtern und Sätzen gefüllt sind, die einem auf der Zunge zergehen. Oder die einen packen und mitziehen – bei denen es keine Alternative gibt als zu lesen, bis die letzte Seite umgeblättert ist. Und anschließend ein bisschen traurig darüber zu sein, dass die Geschichte nun zu Ende ist. Einige meiner aktuellen Lieblingsbücher sind beispielsweise „Unterleuten“ von Juli Zeh, „Niemand weiß, wie spät es ist“ von René Freund oder auch verschiedene Jugendbücher von Ursula Poznanski.
Petra Bartoli,
geb. 1974, Schriftstellerin und Autorin, hat eine erwachsene Tochter und lebt mit ihrem Mann in der Nähe von Regensburg.
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