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Liebe, Wut & Milchzähne:
Kinder liebevoll begleiten, aber wie?

In der Autonomiephase fordern Kleinkinder viel von ihren Eltern. Der neue Dokumentarfilm von Domenik Schuster beleuchtet, warum das eigentlich ganz gut ist und wie Eltern damit umgehen können.
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Rezension von Kristin Frauenhoffer

Wie wollen wir miteinander leben? Das ist die große Frage, die sich als Leitmotiv durch Domenik Schusters Arbeit als Filmemacher zieht. Und auch sein neuer Dokumentarfilm „Liebe, Wut & Milchzähne“ widmet sich diesem Grundthema. Während sein erster Film „Good Enough Parents“ um die Frage kreiste, was Kinder brauchen, geht es im neuen Film darum, was in uns Eltern wirkt. Und das ist eine ganze Menge.

Domenik Schuster ist selbst junger Vater von drei Kindern. Wie sein erster Film ist auch der zweite eine sehr persönliche Analyse seines Alltags. Und in diesem kracht es ab und zu gewaltig. Damit steht er nicht allein da. Schon in der ersten Szene holt er alle Eltern da ab, wo es weh tut. Das tägliche Zähneputzen wird als Sinnbild für die unzähligen kleinen und großen Konflikte mit Kleinkindern herangezogen. Wie so viele Eltern befindet sich auch der Regisseur in einem unauflösbaren Dilemma. Eigentlich will er seinen Kindern liebevoll begegnen, aber immer wieder verwandelt er sich in schwierigen Momenten in eine Art Erziehungsautomat, der seine Kinder unter Druck setzt, Drohungen ausspricht und Angst erzeugt. Warum das so ist, versucht dieser Film zu beleuchten.

 

„Liebe, Wut & Milchzähne“ beleuchtet die Bedeutung des kindlichen „Nein“

Dafür hat Schuster, wie im ersten Film auch, viele Expert*innen befragt und teils erstaunliche Antworten erhalten. Besonders überraschend fand ich zum Beispiel die Aussage der Entwicklungsforscherin Gabriele Haug-Schnabel zur Entwicklung der kindlichen Autonomie: „Ein Kind muss sich vor seine Eltern stellen und sagen: Nein! Ob wir das als Eltern mühsam finden oder nicht.“ Laut ihr ist es aus entwicklungspsychologischer Sicht zwingend notwendig, dass ein Kind die Erweiterung seiner Grenzen gegen Widerstände durchsetzt. Es will mit seinem „nein“ weder provozieren noch den Erwachsenen ärgern, sondern zeigen, was ihm wichtig ist. Und es muss die Erfahrung machen, dass es in seiner individuellen Meinung ernst genommen wird und Dinge selbst gestalten kann. Nur so kann es auch im Laufe seines Lebens selbstbewusst Entscheidungen treffen und durchsetzen. „Sonst wird es automatisch erwarten, es kommt von jemand anderem, aber nicht von mir“, sagt Haug-Schnabel weiter. Für mich bleibt also die Erkenntnis, dass wir – wollen wir selbstbewusste, starke Kinder großziehen – ihren sogenannten Trotz einfach aushalten müssen. Denn das kindliche Gehirn braucht ihn zum gesunden Wachsen.

 

Wie gehen wir mit den intensiven Gefühlen unserer Kinder um?

Das Aushalten ist ein Thema, das sich durch den ganzen Film zieht. Ein Kind in der Autonomiephase ist öfter wütend, enttäuscht und traurig. Das Aushalten großer Gefühle wird für viele Eltern zur Zerreißprobe ihrer Nerven. Vor allem bei kindlichen Wutanfällen startet bei Domenik Schuster, wie bei vielen Eltern, automatisch der „Erziehungsautomat“. Er wird zu dem Vater, der er nie sein wollte. Er schimpft, droht und setzt seine Kinder unter Druck. Der Film geht daher auch der Frage nach: Wie gehen wir mit den intensiven Gefühlen unserer Kinder um, wenn wir nicht einmal mit den eigenen fertig werden?

Laut Nora Imlau, Journalistin und Autorin vieler Bücher zum Thema kindliche Entwicklung, die im Film auch zu Wort kommt, liegt das oft daran, dass wir in unserer eigenen Kindheit keine wirklich nachhaltigen Strategien kennengelernt haben, um unsere Gefühle zu regulieren. Wie sollen wir das also an unsere Kindern weitergeben? Regulation bedeutet nicht das Unterdrücken von Gefühlen nach dem Motto „Ist doch nicht so schlimm …“. Das können die meisten von uns ziemlich gut. Regulation bedeutet das Erkennen, Annehmen und Einordnen von Gefühlen, so dass man einen gesunden Umgang mit ihnen lernt.

 

Im Stress reagieren wir so, wie wir es gelernt haben.

In Stresssituationen verfallen wir in die gleichen Reaktionsschemata, wie wir sie als Kind erlebt haben. Verhält sich beispielsweise mein 4-jähriges Kind anders als ich es erwarten würde, komme ich direkt in Kontakt mit meinem eigenen 4-jährigen Selbst, das empört aufschreit: „Das hätte ich in deinem Alter nicht gedurft.“ Und dann reagieren wir meist so, wie unsere eigenen Eltern reagiert hätten – wenn wir es nicht reflektieren. So setzen sich generationenübergreifende Prägungen fort. Das war für mich eine zweite wichtige Erkenntnis, die mir die Augen für so manch heftige Reaktion meinerseits geöffnet hat.

 

Immer Harmonie? Das funktioniert nicht.

Wie aber kann es gelingen, dass unsere Kinder das machen, was wir wollen, ohne dass es zu Konflikten kommt? Darauf gibt Nicole Wilhelm, Familienberaterin und Autorin, im Film eine simple Antwort. Es geht einfach nicht immer. Eltern heutzutage wollen neue Erziehungswege ohne autoritäres Gebahren beschreiten. Sie wollen auf keinen Fall übergriffig werden oder ihre Macht, die sie zwangsläufig haben, anwenden. Sie wollen um jeden Preis eine harmonische Lösung für jedes Problem finden. Laut Wilhelm sei das jedoch unrealistisch und daran scheitern die meisten Eltern – auch ich. Denn im Zusammenleben von Menschen gibt es nun einmal Konflikte, weil wir unterschiedliche Bedürfnisse und Vorstellungen haben. Das anzuerkennen ist ein erster Schritt. Für einen Zweijährigen kann diese Erkenntnis geradezu erschütternd sein, denn sein Weltbild umfasst nur seine eigene Perspektive. Eltern aber können Kindern zeigen, dass man unterschiedlicher Meinung sein kann und trotzdem wertschätzend miteinander umgeht.

 

„Wir füttern die Selbstsysteme der Kinder, wir bauen quasi ihr Gehirn.“

Nicole Wilhelm schlägt daher vor, dass sich Eltern ihrer Führungsrolle bewusst werden und in dieser manchmal auch Dinge gegen den Willen des Kindes durchsetzen müssen. Wichtig sei es, dafür die Verantwortung zu übernehmen und nicht dem Kind zu signalisieren, dass es durch sein Verhalten Schuld daran sei. Die innere Haltung ist hierbei entscheidend. Bin ich angespannt und genervt oder klar in dem, was ich möchte? Denn auch wenn wir eigentlich nur das Verhalten kritisieren, so nehmen Kinder diese Zurechtweisungen doch sehr persönlich. Sie bauen ihr Selbstbild auf der Grundlage dessen, wie wir sie behandeln. Das sei – neben der offensichtlichen Überlegenheit – auch die eigentliche Macht, die wir als Eltern auf unsere Kinder ausüben. „Wir füttern die Selbstsysteme der Kinder, wir bauen quasi ihr Gehirn“, sagt Wilhelm. Wir geben ihnen ein Gefühl davon mit, ob sie wertvoll und geliebt oder ungehorsam und falsch sind. Das im Hinterkopf zu behalten, hilft mir persönlich im Umgang mit meinem Sohn sehr.

 

Wir wollen starke, selbstbewusste Erwachsene, unsere Kinder aber sollen brav, gehorsam und angepasst sein.

Und das knüpft wieder direkt an die Frage an, wie wir miteinander leben wollen. “Es gibt gute wissenschaftliche Gründe, mit Kindern menschenwürdig umzugehen. Doch für mich ist dies in erster Linie eine ethische Frage”, sagt Nora Imlau. Sie nimmt damit einen Gedanken auf, der mir in meiner Elternschaft schon unzählige Male begegnet ist: Warum behandeln wir Kinder eigentlich so oft von oben herab? Warum nehmen wir sie weniger ernst? Warum nutzen wir unsere Macht, um sie gefügig zu machen? Wir wollen starke, selbstbewusste Erwachsene, die wissen, was sie wollen und dafür einstehen. Unsere Kinder aber sollen brav, gehorsam und angepasst sein. Das geht nicht zusammen.

Ich bin froh, dass es Filme wie diese gibt. Sie können als wahrer Augenöffner für so manches elterliche Problem wirken. „Liebe, Wut & Milchzähne“ wirbt für Verständnis den Kindern gegenüber, zeigt aber gleichzeitig Verständnis für gestresste Eltern. Ein absoluter Tipp für alle Eltern und diejenigen, die mit Kindern zu tun haben.

Habt ihr Lust bekommen, euch den Film „Liebe, Wut & Milchzähne“anzusehen? Hier kann man ihn für 24 Stunden online ausleihen.

 

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