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„Wir hatten nichts mehr …“

Wie sich ein Waisenhaus in Kolumbien seit Jahrzehnten wacker hält. „Und wenn nichts mehr da ist, kommt Gott.“
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von Uta-Caecilia Nabert

In einem Waisenhaus am Rande des kolumbianischen Medellín ziehen Nonnen elternlose Mädchen auf. Man hat die Kinder in Schweinetrögen gefunden, auf der Straße, manche sind krank und wurden deshalb von ihren Familien verlassen. Bei den Schwestern finden sie ein neues Zuhause. Die einheimische Bevölkerung sorgt mit Spenden dafür, dass die Mädchen und Schwestern zu essen haben.   

Lange haben sich Alejandra und Martin überlegt, was sie sich zur Hochzeit wünschen sollen. Das deutsch-kolumbianische Paar lebt in Medellín und es weiß: Nicht alle im Land haben es so gut wie sie. Deswegen unterstützen sie nun ein Waisenhaus in den Bergen am Rande der Stadt.

Die Menschen in Medellín mögen Regen nicht und bleiben jetzt in der Regenzeit am liebsten zu Hause. Dennoch hat sich Alejandra an diesem Nachmittag auf den Weg in die Slums gemacht, denn es ist wichtig. Es hängt mit ihrer Hochzeit zusammen – und mit den zwanzig Mädchen, die dort oben gemeinsam in einem großen Haus leben, in einem Waisenhaus.

Alejandra

„Spende hundert Eier an die Kirche und es wird am Tag deiner Hochzeit nicht regnen“, hatte ihr eine Freundin geraten. Alejandra hatte gelacht, denn sie glaubt nicht an die altmodischen Bräuche ihres Landes. Andererseits: Die 40-Jährige will bei Sonnenschein heiraten. Also fasst sie einen Entschluss …

So kommt es, dass sie nun auf der Autobahn im Feierabendverkehr steht. Normalerweise würde die Fahrt von ihrer Wohnung in einem der besseren Viertel zu dem Kinderheim rund 20 Minuten dauern. 20 Minuten trennen in der zweitgrößten Stadt Kolumbiens jemanden mit einem guten Gehalt von jemandem, der gar nichts hat.

 

Wie finanziert sich das Waisenhaus?

Dann ist es so weit. Das Auto hält vor dem Waisenhaus, das drei Ordensschwestern leiten. Seit Jahrzehnten unterstützt Alejandras Familie das Heim. Sie selbst war lange nicht hier, an diesem Ort oben in den Bergen – den Wolken etwas näher und damit auch Gott. Sozialarbeit ist auch irgendwie Gott, Religion, Kirche – um wieder zurückzukommen auf die Idee mit den 100 Eiern.

Wie sich das Heim finanziert, möchte Alejandra von einer der Schwestern wissen. Es ist Schwester Azucena, die ihr eine Führung durch das Haus gibt. „Wenn nichts mehr da ist, kommt Gott. Wie heute. Da bist du gekommen. Wir hatten nichts mehr.“

Es regnet. Doch es regnet nicht durchs Dach. Die Wände sind sauber verputzt. Helltürkis. Alles ist altmodisch, doch sauber; es riecht ein wenig nach Seife. In jedem Zimmer stehen zwei Stahlrohr-Betten, glattbezogen mit bunten Fleece-Decken. Teddys thronen auf den Kopfkissen wie Kirschen auf der Torte. Es ist ein schönes Heim. Ein Heim im Sinne von „my-home-is-my-castle“. Es ist keine Baracke. Es ist ein gepflegtes Haus. Man kann sich vorstellen, dass sich die 20 Mädchen hier durchaus zu Hause fühlen, auch wenn ihnen Mutter und Vater abhandengekommen sind.

 

Kinder, die keine Papiere haben, existieren nicht.

Die fünfjährige Manuela

Das Notwendigste ist da. Nur krank werden dürfen sie nicht. „Doch schon“, Schwester Azucena nickt. „Alle Kolumbianer sind durch eine staatliche Krankenversicherung abgesichert.“ Und warum mussten dann private Spender*innen das Glasauge der fünfjährigen Manuela finanzieren? Und warum ist es so schwierig, orthopädische Schuhe für Milena mit der Fehlstellung zu bekommen? „Diese Kinder haben keine Papiere. Sie existieren nicht. Wer nicht registriert ist, ist nicht versichert und die Registrierung dauert sehr lange.“

Die gute Nachricht: Manche der Mädchen werden Anwältin oder Lehrerin, sie gründen Familien, wandern aus oder werden adoptiert. Eines von ihnen hat wie Alejandra Modedesign in Medellín studiert. Ein anderes, eine Lehrerin, kam in Pandemiezeiten zurück, um die 20 Waisen zu unterrichten, als die Schulen geschlossen waren. Doch selbst wenn sie das Abitur machen – auf die Uni gehen können die wenigsten. „Die Gebühren sind gar nicht so hoch“, meint Azucena, doch viele Kolumbianer*innen könnten sie sich trotzdem nicht leisten. „Dazu kommen ja auch noch Unterkunft, Verpflegung, Transportkosten.“

In den 45 Jahren, in denen das Waisenhaus besteht, haben die Schwestern gut 600 Mädchen großgezogen. Die Kinder kommen als Black Box. Niemand kennt ihre Vorgeschichte. Sie werden in Schweinetrögen gefunden, auf der Straße, manche sind krank und wurden deswegen von ihren indigenen Familien verlassen. Obwohl sie es ins Heim von Azucena, Angelika und Josefina schaffen, schaffen es manche nicht: Sie hauen ab, geraten auf die schiefe Bahn, bekommen Kinder, wenn sie noch selbst welche sind.

 

Gott klopft an diesem Tag ein zweites Mal an die Tür.

Von den Misserfolgen jedoch ist am Tag von Alejandras Besuch nichts zu spüren. Die Mädchen scharen sich um die Besucherin aus dem reichen Teil der Stadt, weichen ihr nicht von der Seite. Zum Abschied singen sie gemeinsam. Paceka, der grünrote Papagei des Heims, krächzt. „Ich habe versucht, ihm die Tonleiter beizubringen“, sagt Azucena. „Aber er kann bis heute nur das A.“

Als Alejandra das Gebäude verlässt, trägt ein Mann einen Sack Kartoffeln zum Eingang hinauf. Gott klopft an diesem Tag ein zweites Mal an die Tür.

Nachtrag: Ein paar Tage später heiratet Alejandra. Es herrscht strahlender Sonnenschein. Später wird sie noch einmal mit ihrem Mann Martin zu Besuch kommen – und gemeinsam werden sie mehrere hundert Euro spenden. Die Gäste aus Kolumbien und Deutschland sind großzügig gewesen.

 

Uta-Caecilia Nabert

… war von 2019 bis 2021 als freie Journalistin für verschiedene deutsche Tageszeitungen in Kanada unterwegs. Jetzt arbeitet sie als Texterin bei der Christoffel-Blindenmission, einer Organisation die unter anderem Menschen in armen Regionen der Welt am Grauen Star operiert. Uta ist darüber hinaus als Texterin ehrenamtlich für planted.green, ein Startup, tätig, das Deutschlands Wälder aufforsten will (siehe auch unsere Leseempfehlung!).

Mehr Infos zu Uta gibt es hier: https://ohwieschoenistkanada.com/in-den-medien/

 

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